Nachhaltiger Tourismus kann Venedig aus der Krise holen

Ehemals vielfältige Gartenpracht nur fragmentarisch vorhanden

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Auf den Brücken stauen sich die Touristen, um einen Blick entlang der Kanäle zu erhaschen. Foto: Ann-Cathrin Schwarzenfels

Venedig - die schönste Stadt der Welt, die Stadt der Liebe und der Gärten. Oder Venedig - die Stadt der Touristen? Seit vielen Jahren schon trüben Abwanderung, Immobilienüberteuerung und Zerfall das Dolce Vita. Denn inzwischen ist Venedig zu einer Touristenattraktion mutiert. Jahr für Jahr wird die berühmte Stadt geradezu überschwemmt. 1950 lebten noch 175.000 Menschen in Venedig, heute sind es weit unter 60.000, die dauerhaft in der Stadt wohnen. Dieser Zahl stehen laut der Denkmal- und Naturschutzbehörde Italia Nostra durchschnittlich über 80.000 Touristen täglich gegenüber. Der Tourismus gehört zu Venedig wie das Wasser und der Karneval. Und natürlich ist er auch profitabel. Das Geld aber verschwindet zum großen Teil in den Taschen der Reiseveranstalter oder fließt in die touristische Infrastruktur. Bei den Bürgern, sanierungsbedürftigen Bauten oder auch beim kommunalen Grün Venedigs kommt wenig an. Die für den Alltag wichtige Infrastruktur schwindet genauso wie öffentliche Grünflächen. Für den Einheimischen ist zwischen den ganzen Touristen bald kein Platz mehr. Mehr als zwei Drittel dieser Touristen sind Tagestouristen, die, bevor die Stadt nicht mehr existiert, alles im Schnelldurchlauf sehen und dabei möglichst wenig Geld ausgeben möchten. Dadurch zeigt sich langsam, in welcher Notsituation die Stadt steckt. Dass Venedig als öffentliches, ja internationales Gut betrachtet wird, das für alle da ist, von sehr vielen genutzt wird, für dessen Nutzung aber nur sehr wenige bezahlen, veranschaulicht ein zentrales Problem.

Die Auswirkungen des Touristenansturms schlagen sich drastisch auf die Lebensbedingungen vor Ort nieder. Die Infrastruktur richtet sich dermaßen auf den touristischen Sektor aus, dass die Einheimischen immer weitere Wege zurücklegen müssen, um alltägliche Dinge zu besorgen. Die logische Konsequenz ist, dass der Arbeitsmarkt sich immer weiter monotonisiert und der Alltag, aufgrund der Einschränkungen in der Mobilität, gerade für ältere Menschen immer schwieriger wird. Alte Traditionen und Handwerkskünste schwinden. Viele einst prächtige Gärten wurden inzwischen verbaut, privatisiert oder sind Teil einer Hotelanlage geworden. Die vielfältige Gartenpracht, die einst in Venedig als Gartenstadt herrschte, ist nur noch bruchstückhaft vorhanden. Auch die vielen Kreuzfahrtschiffe, die stetig steigende Anzahl von Hotels und der damit verbundene wachsende motorisierte Verkehr zum Zweck des Warentransports, setzen der Lagunenstadt zu. Die Bauten sind nicht auf derartige Verwirbelungen des Wassers ausgerichtet und die fortschreitende Ausspülung der Fahrrinne dramatisiert die Auswirkung ins Katastrophale. Solange die hölzernen Fundamente der Stelzenbauten unter Wasser sind, sind sie geschützt vor Zersetzung. Gelangt jedoch Sauerstoff an das uralte Holz, mit dem die Fundamente gestützt sind, beginnt die Fäulnis einzusetzen und die Stabilität der gesamten Stadt nimmt ab. Für nötige Reparaturen fehlt wiederum das Kleingeld. In Venedig herrscht - obwohl hier keine Autos fahren - die höchste Lungenkrebsrate Italiens. Auch das Mauerwerk der Kulturgüter der Stadt sowie das Wasser der Lagune sind durch die massiv verschmutzte Luft gefährdet (Brucker, 2013).

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Das Abwasser fließt direkt in die Kanäle. Foto: Ann-Cathrin Schwarzenfels
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Ungepflegte Freiflächen sind vielerorts zu finden. Foto: Ann-Cathrin Schwarzenfels

Wirtschaftskrise in Italien

Ein weiteres Problem, das die Abwanderungstendenz der Venezianer antreibt, ist die heutige wirtschaftliche Situation in Italien. Die Finanzkrise weitete sich zu einer Sozialkrise aus. Die Folge ist ein drastischer Abbau von Arbeitsplätzen, um Kosten einzusparen. Nebenbei steigen die Lebenshaltungskosten immer weiter, Mieten sind kaum noch bezahlbar und die Steuern steigen. Im Bildungssektor herrscht ebenfalls eine problematische Situation. Die Privatisierung von Schulen schreitet immer weiter voran, sodass Bildung zunehmend mit hohen Kosten verbunden ist. Die wachsende Arbeitslosigkeit des Arbeiter- und Mittelstandes lässt diese Konstellation aussichtslos erscheinen (Pichler/Mete, 2013).

Qualifizierte Arbeitskräfte finden sich immer weniger. Grünräume sind in Venedig schwer zu finden. Freiflächen, die als Treffpunkt und zum Austausch genutzt werden können, fehlen überwiegend. Grüne Orte erscheinen oft als brachliegende Flächen, die wie zufällig zwischen der Bebauung vor sich hin wuchern. Aufenthaltsqualität ist hier vielerorts nicht gegeben und auch Spielplätze sind rar. Die Parks in der Stadt dienen nicht selten als Hundetoilette, da sonst kaum Grün vorhanden ist. Insgesamt lässt sich sagen, dass Grünraum, der nicht als Repräsentationsraum etwa eines Hotels dient oder privatisiert ist, in einem schlechten Zustand ist und zusehends schwindet.

Die Gesamtsituation verursacht somit eine maßgebliche Strukturveränderung, die sich negativ auf die Wirtschaft, das soziale Leben und die Ökologie der Stadt und ihrer Lagune auswirkt und damit den Niedergang Venedigs voraussehen lässt. Die starke Abwanderungstendenz der Venezianer und der drohende Verlust des Kulturerbes verlangen nach neuen Lösungsansätzen. Bezogen auf die demographische Entwicklung, die Ausbeutung einer Destination durch die Monokultur des Tourismus und die Auswirkungen einer kapitalistischen Konsumgesellschaft, welche sich ausschließlich auf Wachstum ausrichtet, können die Probleme Venedigs als modellhaft für die Tendenzen der globalen Entwicklung verstanden werden. Daraus lässt sich schließen, dass ein Konzept zur Lösung dieser Probleme als modellhaft für eine nachhaltige und zukunftsfähige Stadtentwicklung anzusehen ist.

Wie kann also Venedig wieder revitalisiert werden?

Die Geschichte der Lagunenstadt zeigt, dass Venedig sich eine lange Zeit als eigenständiger Staat und als bedeutendste Welthandelsmacht gehalten hat und nebenbei noch als Gartenstadt galt. Die Vielfalt, die dort einmal herrschte, driftete allerdings ins Monotone ab. Handwerkskünste, Landwirtschaft, Handel, Gartenpracht, Wirtschaft und Kunst - alles stand einmal im Gleichgewicht. Die Macht im Handel, die Venedig einmal besaß, wird sie nicht wiedererlangen. Aber an den anderen Punkten lässt sich ein Konzept entwickeln, das Altes mit Neuem verknüpft, das Vorhandene aufgreift und Potenziale fördert, um der Stadt wieder zu ihrem Gleichgewicht zu verhelfen. Eine Entwicklung und Ergänzung des Vorhandenen kann zum Erhalt und zur Stabilisierung Venedigs beitragen und Zukunftsperspektiven eröffnen. Es muss eine Basis für eine nachhaltige Ausrichtung und eine Neuprofilierung des Tourismus geschaffen werden. Auf diese Weise können Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft der Stadt positiv beeinflusst werden, was dazu beiträgt die Lebensqualität Venedigs zu steigern, die Kultur zu erhalten und die Stadt zu revitalisieren.

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Das traditionelle Handwerk des Gondelbaus schwindet zusehends. Foto: Ann-Cathrin Schwarzenfels
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Auf dem Markt in Rialto wird noch frischer Fisch verkauft. Foto: Ann-Cathrin Schwarzenfels
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8 Einer der wenigen prächtigen (privaten) Gärten, die vom Canal Grande einsehbar sind. Foto: Ann-Cathrin Schwarzenfels

Nachhaltigen Tourismus fördern

Eine grundsätzliche Umstrukturierung des Tourismus ist ein notwendiger Schritt. Wäre der Tourismus nicht auf den schnellen und günstigen Konsum und somit auf die Masse ausgerichtet, sondern auf Qualität und Tradition, gäbe es eine Chance die wirtschaftliche Situation und das Leben in Venedig zu stärken und zu revitalisieren.

Würde beispielsweise die Handwerkskunst wieder aufgegriffen und auf Importware zu Schleuderpreisen verzichtet, bliebe das Geld in der Region und käme unmittelbar den Anwohnern und ihrem Handwerk zugute. Viele Touristen sind über die Problematik schlecht informiert. Aufklärung ist also ein weiterer Schritt, der Venedig helfen könnte, dem Teufelskreis zu entrinnen. Es müsste einen konkreten Plan der Stadt geben, der nicht, wie die meisten Reiseführer es tun, nur zu den Attraktionen führt und aufzeigt, wo es günstig etwas zu essen gibt. In diesem Plan müssten alle Trinkwasserbrunnen eingezeichnet sein, deren Benutzung nicht nur Geld, sondern der Stadt auch eine Unmenge an Müll spart.

Des Weiteren sollte aufgezeigt werden, wo es frisches, regionales Obst und Gemüse und originale Handwerkskunst gibt. Es wäre gut, würde er außerdem so etwas wie einen Knigge für den Besuch Venedigs enthalten, der dem Touristen aufzeigt, wie er sich am besten zu verhalten hat, wenn er der Stadt etwas Gutes tun oder ihr wenigstens nicht schaden möchte.

Eine eindeutige und einheitliche Kennzeichnung regionaler Produkte und die Kommunikation dieser, um in dem Konsumwust der Stadt wieder etwas Transparenz zu schaffen, wären ebenfalls sinnvoll. Um die Toleranz in diesem Bereich zu erhöhen, ist es notwendig über die Probleme der Stadt aufzuklären. Zudem muss das Informationsmaterial so an die Menschen herangetragen werden, dass sie es auch wahrnehmen.

Ein motorfreier Tag könnte eine Möglichkeit sein, die Luftverschmutzung und die Wasserbewegung zu reduzieren. Eine Umrüstung zu Booten, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden, kann ebenso einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten. Eine stärkere Integration der Gondel, die eine unumgängliche Konsequenz eines motorfreien Tages wäre, würde ein Stück vergangener Atmosphäre wieder erwecken und ebenso die Handwerkskunst fördern. Insgesamt bietet es sich an, motorfreie Schiffe zu integrieren.

Revitalisierung des Grüns

Eine weitere Maßnahme zur Stärkung der wirtschaftlichen Situation in Venedig, die ebenfalls die Lebensqualität erhöht und auf Traditionen beruht, ist die Wiederbelebung der Landwirtschaft. Nur wenige wissen, dass sie in Venedig einmal stark betrieben wurde. Heute wird hauptsächlich noch auf Sant Erasmo Obst und Gemüse angebaut. Vieles jedoch wird importiert. Auf den vielen inzwischen brach liegenden Inseln um das historische Zentrum Venedigs herum ist Platz, um den bestenfalls ökologischen Anbau von Lebensmitteln auszubauen. Sind mehr frische, regionale Produkte im Umlauf, erhöht das die Qualität des Tourismus und des Lebens der Einwohner. Außerdem entstehen Arbeitsplätze und die Wirtschaft wird angekurbelt.

Generell birgt die Einbeziehung der umliegenden Inseln einige Vorteile. In der Altstadt selbst wurde über die Jahre immer mehr Grün verbaut. Zwar gibt es noch eine große Zahl an Gärten, doch sind diese meistens privat und gut gehütet vor den vielen Augen der Fremden. So sieht der Tourist selten etwas Grünes und auch der Einwohner, der keinen Garten hat, kommt eher spärlich in den Genuss eines Stückchen Grüns. Wie wäre es also mit einer neuen Garteninsel (einst wurde die Giudecca so genannt)? Einer Insel, die aus mehreren Parzellen besteht, auf denen sich die Anwohner ihr eigenes Gemüse kostengünstig anbauen können und unter sich sind? Ohne den Einsatz eines hohen Budgets könnten die Venezianer sich ihr eigenes Gebiet noch einmal neu und eigenständig erschließen. Oder einer Insel, die ein einziger Park zum Lustwandeln und Erholen ist? Ein Ort, an dem sich Einheimische und Besucher jenseits der Hektik und des Konsumwahns der Altstadt begegnen können.

Auch eine Art Gesundheitszentrum würde sich beispielsweise auf der ehemaligen Pestinsel Poveglia anbieten. Ein Freiraum, der Groß und Klein die Möglichkeit bietet, sich zu bewegen, zu spielen und Sport zu betreiben. Dies sind Aspekte, die in der Stadt oft schwer realisierbar sind.

Auch die vielen alten Klostergärten, die teilweise ganze Inseln einnehmen, ließen sich wiederbeleben und für die Öffentlichkeit begehbar machen. Betrachtet man die Vielzahl der Inseln, die das Potential einer Umgestaltung, Um- oder Wiedernutzung aufweisen, ließen sich durchaus verschiedene Themen realisieren. Leider verkauft der Staat auch diese Überbleibsel der venezianischen Kultur Stück für Stück, statt in ihre Revitalisierung zu investieren. Der Ausverkauf führt nicht selten dazu, dass noch weitere Areale durch Touristen erschlossen werden, weil noch mehr Ferienresidenzen und Hotels entstehen.

Ebenso könnte die Aufwertung der in der Stadt vorhandenen Frei- und Grünflächen die Lebensqualität vor Ort erhöhen. Die Pflanzung von Schatten spendenden Bäumen auf den kleinen Plätzen würde das Kleinklima verbessern und ebenfalls die Aufenthaltsqualität steigern. Einst waren überall in der Stadt Olivenbäume zu finden, die nach und nach jedoch verschwanden. Eine Integration von Bäumen würde somit das Stadtbild nicht verfälschen. Auch die vereinzelte Integration von Spielgeräten könnte die Qualität und Dynamik des öffentlichen Lebens abseits des Tourismus stärken und beleben. Die Bedeutung Venedigs als Gartenstadt könnte wieder in den Vordergrund rücken, indem die Themen der international bekannten Kunst- und Architekturbiennale um das Thema Garten erweitert werden. Eine Gartenbiennale, deren Erlös in das öffentliche Grün der Stadt fließt, kann eine Möglichkeit darstellen, das Bewusstsein für Grünräume wieder zu stärken und gleichzeitig an Finanzmittel zu gelangen. Auch geschichtlich trug Venedig einst zur Gartenentwicklung bei, denn in Padua, das damals zu Venedig gehörte, entstand der erste botanische Garten. Weniger aufwendig wäre es, die Architekturbiennale in regelmäßigen Abständen zu einem landschaftsarchitektonischen beziehungsweise gartenplanerischen Thema zu veranstalten.

Fazit

Insgesamt lässt sich schlussfolgern, dass die Revitalisierung von Tradition, Bräuchen, dem bürgerlichen Leben und der Grünräume das Potential aufweist, die ganze Stadt Venedig ein stückweit zu revitalisieren. Besinnen sich die Venezianer auf ihre Ursprünge, haben sie die Chance, sich durch ein Stück ihrer Vergangenheit eine Zukunft zu erschaffen. Leider fehlt für Maßnahmen, die zu einer nachhaltigen Entwicklung der Stadt führen, die Unterstützung derjenigen, die den nötigen Einfluss und das nötige Geld haben. Dabei erkennt schnell, wer mitdenkt, dass die Stadt in ihrem derzeitigen Zustand, unter dem Leistungsdruck, dem sie ausgesetzt ist, nicht mehr lange in der Lage sein wird, die Taschen von irgendjemandem zu füllen. Außerdem wird deutlich, dass zukunftsgerichtete Investition, selbst für die Profitgierigen, langfristig von Vorteil ist, wenn die Stadt sich dadurch stabilisiert und gesundet. Und wo geht eine Gesundung besser als im Grünen?

Quellen

Brucker, Ute. 2013. Traumstädte - Stadtinseln - Venedig [Reportage] Italien/Deutschland, Südwestrundfunk.

http://mediathek.daserste.de/sendungen_a-z/799280_reportage-dokumentation/14813452_traumstaedte-stadtinseln-venedigmediathek.daserste.de/sendungen_a-z/799280_reportage-dokumentation/14813452_traumstaedte-stadtinseln-venedig.

Pichler, Andreas und Mete, Marzia (Regisseur). 2013. Ausgepresst wie Zitronen [Reportage] Italien, 52 min.

Autorin

Hochschule Osnabrück

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