Die schlechten und die guten Risiken der Berliner Mauerparkerweiterung

"Es gibt nichts Vollkommeneres als Leere"

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Gartengestaltung und Grünflächengestaltung
Das Amphitheater. Foto: Bernhard Wiens

Die erste Erfahrung, die der Besucher des Mauerparks macht, ist die der Passage, des Vorüberziehens, der Weite. Die zweite Erfahrung ist eine Verwandlung: Einkreisen, sich niederlassen, etwas anfangen. Beide Erfahrungen hat der Soziologe Georg Simmel bereits 1908 in einer intellektuellen Figur zusammengefasst: Es ist der Fremde, der heute kommt und morgen bleibt. Er versucht, zu sich zu kommen, indem er aus sich herausgeht. Es ist zugleich eine soziale Erfahrung: Der ständige Wechsel von Annäherung und Distanzierung ist Aufforderung zum Spiel. Alles spielt im Mauerpark, niemand wird bespielt.

Dieses Laboratorium menschlicher Empfindungen zieht Besucher aus aller Welt an. An einem Sommertag wurden 45.000 Menschen auf acht Hektar gezählt. Der Mauerpark soll eine Erweiterung bekommen. Es wäre ganz einfach: Entlang einer Achse, die durch die Mauer markiert war, wird der Park spiegelbildlich nach Westen geklappt. Aber nicht einmal diese Linie verlief einfach. Die Mauer ist, kurz bevor sie fiel, im Zuge eines Gebietstausches zugunsten des DDR-Territoriums versetzt worden. Gebietstäusche sind bis heute paradigmatisch, selbst wenn es nun der Investor ist, der die Baufluchtlinien zu Ungunsten des Parks verschiebt. Dazu kommt ein Kräfteparallelogramm. Zwei Bezirke, mehrere Senatsverwaltungen, die Meta-Institution Grün Berlin, Grundstückseigentümer, Gewerbetreibende sowie ein Dutzend Bürgerinitiativen und Anwohnervertretungen haben sich, ganz zu schweigen vom neuen alten Baulöwen, in eine Gemengelage manövriert, welche die Parkerweiterung als solche zunichte machen könnte. Selbst wenn das ein Droh-Szenario ist, an das niemand ernsthaft glaubt, bleibt die Frage, ob der Mauerpark durch das ungleichzeitige Zusammenwachsen zweier Teile seine Merkmale behält, die aus dem Ort bezogen sind. Oder wird aus einer einzigartigen Idee ein "Park von der Stange"?

Hinweg gepflegte Zwischenräume

Nach der Wende weckte der Mauerstreifen extreme Begehrlichkeiten. Die Verkehrsplaner entdeckten potenziellen Straßenraum, während der DDR-Bürgerbewegung, die in Prenzlauer Berg ihre Überlebenszellen hatte, ein grünes Band vorschwebte. Der erste Vorschlag radiert die Geschichte aus, der zweite aber auch, wenn er allzu idyllisch ausgelegt wird. Der Planer Gustav Lange hingegen sah einen Raum vor sich, der "40 Jahre lang leergeschossen worden war". Zwei Wasserläufe sollten den Abstand zwischen den Systemen markieren, wenn auch die Grenzlinien verschwammen. Im Dazwischen, im Intermundium, liegt die Chance - die dann politisch verpasst worden ist. Ästhetisch kann die Chance jedoch ergriffen werden. "Es gibt nichts Vollkommeneres als Leere", sagt Lange. Der Raum ist durch die Planung nicht vorformuliert, ist nicht euklidisch abgesteckt. Der Park hat etwas angenehm Unfertiges. Es ist das gemeinsame Dritte aus Transit und Verweilen. Transit ist die spannendste Form des Verweilens, wusste schon Anna Seghers, die zwischen den Systemen wechseln musste. Migranten machen Grenzerfahrungen, und umgekehrt.

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Karaoke. Foto: Lucas Rauch

Die Wasserläufe waren wohl für den in den 1990ern gängigen Wunsch, Wunden zu schließen, zu viel, aber eine große Lichtung hielt sich, als der Ostteil des Parks 1994 eröffnet wurde. Um die Zwischenräume zu halten, ging Lange bis ins Detail. Verstreute Granitblöcke bieten Sitz- und Wuchsgelegenheiten. Aus eben diesen Steinen ist grob das Amphitheater modelliert, das die aus Trümmern aufgeschüttete Böschung belebt. Lange ließ Lücken. Die Ruine steht am Anfang des Bauens. Den Zwischenräumen entsprechen Zwischenzeiten. Steine haben ihre Zeit, und Pflanzen haben ihre Zeit. Die Zyklen sind aufeinander abzustimmen, damit auch die Menschen ihre Zeit haben können. Eichen werden von Pyramidenpappeln "begleitet", Wildapfelbäume werden von Wildrosen geschützt. Blaue Scilla untermalt einen Birkenhain, der den ruderalen Charakter einer ehemaligen Bahnbrache fortführt.

Eine Idee ist die Grundlage, um sich dem Park der Ungleichzeitigkeiten auch gärtnerisch anzuverwandeln. Was nicht geht, ist zum Beispiel, Begonien zwischen die Granitsteine zu pflanzen, wie es anfangs Gustav Lange nahegelegt worden ist. Was noch viel weniger geht, ist, die Fugen zu verschmieren. Nach dem Eindruck von Lange haben die bezirklichen Gärtner einen Horror vacui vor Lücken, Nischen, Zwischenräumen. Um Erosionen zu verhindern, stützten sie Aufpflanzungen an den Flanken des Amphitheaters mit Dreiböcken, die wie die sprichwörtlichen Balken ins Auge springen. Von bösen Zungen wurden sie "Panzerbrecher" getauft. Säuleneichen wurden schnell mal aufgeastet. Wenn das Pflegekonzept nicht dem Pflanzkonzept entspricht, werden die Schäden durch Übernutzung umso schlimmer. Der Bedarf an Absprachen scheint nicht gedeckt zu werden. Die Idee muss begleitet werden. Gustav Lange zitiert Lenné: Nichts gedeiht ohne Pflege.

Aber welche Pflege? Im Mauerpark kann sie Unfertiges nicht überdecken. Sie kann es jedoch integrieren. In verstreuten Schadstellen meldet sich die Brache wieder an. Das Publikum empfindet es nicht als Störung. Jede Gesellschaft hat Schadstellen, ob Mensch, ob Pflanze. "Vermüllung" führt bei allen im Mauerpark aktiven Bürgervertretern die Negativliste an. Neudeutsch heißt es Littering, das Fallen- und Liegenlassen von Abfällen, wo man gerade geht und steht. Fragt man die Bürgerbewegten nach Abhilfe, werden sie vorsichtig. Rein technische Konzepte helfen wenig. Eine Zero-Tolerance-Politik, wie sie einigen Stadträten vorzuschweben scheint, könnte den Park gleich ganz abschaffen. Die Bürger-Aktivisten würden sich mit punktuellen Maßnahmen begnügen, verstehen sich aber auch auf "soziale Kontrolle". Sie nähmen es nicht auf sich, Müll zu sammeln oder auf "Doppelstreife" mit der Polizei zu gehen, aber wenn sie in das Entwicklungskonzept des Parks einbezogen würden, könnten sie Impulse der Nutzer empfangen und Impulse geben. Ihnen steht bereits ein Container zur Verfügung, als Nucleus eines "Platzhauses", einer Anlaufstelle.

Damit nicht der neue und der alte Teil des Parks durch zwei verschiedene Bezirksämter gepflegt werden, liegt eine Übernahme durch Grün Berlin auf der Hand. Eine Entwicklungspflege, wie sie bei von Grün Berlin getragenen Vorhaben im Anschluss an die Fertigstellung von Parks üblich ist, greift beim Mauerpark zu kurz. Gestaltung und Pflege sind ein evolutionärer Prozess, der auch umgekehrt gelesen werden kann. Die Funktionsräume prägen sich erst durch die Nutzung aus. Lange schafft Raumrohlinge, die dem Nutzer die Autonomie zurückgeben, durch den Gebrauch den Raum zu bestimmen und temporär zu verändern. Anders als beim Warencharakter fertig designter Parks ist kein bestimmtes soziales Verhalten vorgegeben. Diese Funktionsoffenheit, die Langes Herkunft aus der Kasseler Schule kennzeichnen mag, findet ihr Pendant in der Architekturrichtung des "unfertigen Bauens". Die Bewohner ziehen schon vorher ein und bauen das Haus selber fertig. Das Fertige ist in der Architektur eh Illusion. Vielmehr gibt ein "Fiasco-by-fiasco approach to perfection" den Takt vor.¹)

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Von quirligem Treiben im Südosten zu ruhigeren nachbarschaftlichen Nutzungen im Norden der Erweiterung. Quelle: Grün Berlin/Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt


Verzögerte Dinge und beschleunigte Aneignungen

Es ist spannend, sich mit Gustav Lange zu unterhalten. Er verbalisiert seine Pläne nicht, sollen doch der Fragende und dann der Nutzer von selbst darauf kommen oder durch den aktiven Gebrauch ihre eigenen Ideen mit denen des Planers verschmelzen. Dabei liegen die Strukturen offen zutage. Die lichte Weite des östlichen Parks soll im Westen mit naturbelassenen Wiesen aufgegriffen werden. Doch der Schein der Eindeutigkeit trügt. Sie wird gebrochen durch die "Linie der ungleichen Dinge", die in Längsrichtung verlaufen soll als paralleles Pendant zur kleinen Schwedter Straße im Osten, deren für Bahnhofsanlagen typisches Großkopfsteinpflaster buchstäblich aus der Versenkung hervorgeholt worden ist. Beide Linien zusammen markieren den changierenden Grenzverlauf, Entfernung und Annäherung der Systeme. Durch kleine diagonale Holzbühnen wirkt die Linie der ungleichen Dinge wie eine Naht. Um im chirurgischen Bild zu bleiben: eine schlecht verheilende Naht. Eine Begehung ist nur als Querung möglich. Die Begehung wird zur Ost/West-Passage.

In der Phase der Vorentwürfe und der laufenden Bürgerbeteiligung ist es nur natürlich, dass die Verwendungszusammenhänge noch in Fluss sind. Aber es liegt auch in der Natur der ungleichen Dinge, dass ihr Zweck nicht vorformuliert, sondern erst im Gebrauch Konturen bekommt. Gustav Lange hält sich bewusst zurück, damit nicht der Gegenstand von der Öffentlichkeit und technokratischen Planern "aufgefressen" wird, bevor er sich emanzipiert hat. Die ungleichen Dinge sperren sich gegen Benennungen, nicht aber gegen die Phantasie der Beteiligten eines Bürgerwerkstatt-Treffens im letzten Oktober. Sie nahmen Langes Angebot, sich entlang der Linie mit möglichen Aktivitäten gedanklich "einzuräumen", temperamentvoll wahr. Die Ideen reichten von einer Freilegung historischer Spuren des Bahnverkehrs über temporäre Installationen beziehungsweise Skulpturen der künstlerischen Pionierszene der Stadt sowie kleinkünstlerische Selbstinszenierungen bis zu einer langen Tafel ungleicher (kulinarischer) Dinge. Gleichsam als Serviervorschlag. Die Linie ist der rote Faden zu verschiedenen Nutzungsräumen. Das "Kaleidoskop kleinteiliger Nutzungen" soll den westlichen Parkteil akustisch gedämpft halten, denn die Wohnviertel des Wedding liegen näher, und eine Böschung fehlt. Zugleich ist ein Kontrast zum wilden Südosten gegeben. Die Karaoke-Veranstaltungen im Amphitheater sind gewöhnungsbedürftig, aber Kult. Parodiert hier die Jugend mit selbstorganisierten minimalistischen Interventionen das Grauen von Casting-Shows im Fernsehen?²) Wem fiele zum Eventtreiben im Park nicht Shakespeare ein: "Die Wand ist herunter. Nun werden auch die Gewänder zwischen den Nachbarskindern fallen."³)

Der Abschirmung des westlichen Teils dient die Rahmung durch eine geplante Platanenpromenade. Vom Süden aus, wo die vorhandene Gastronomie und ein Flohmarkt erhalten bleiben und zu einem "Forum" erweitert werden sollen, führt die von einem Baumraster begleitete Allee allmählich in ruhigere Gefilde. Lange greift die Vorstellungswelt des reisefreudigen Westens vor 1989 auf, genau genommen Bilder, welche die Westdeutschen aus Südeuropa mitgebracht haben mögen. Diesen "Bildanspruch" erfüllt er und überführt ihn zugleich in den offenen Raum des Ostens. Lange kundschaftet Erinnerungsbilder aus, das Wiedererkennen von schon einmal Gesehenem. Für den nördlichen Teil schlug er eine Schräge vor, die sich bis zur Sohle des Straßentunnels absenkt. Das Bahngelände war wie schon am Gleisdreieck entlang einer Mauer aufgeschüttet worden, um Straßen oder Kanäle zu überqueren. Die Unterführungen sind Angsträume, haben aber einen großen Charme durch die gusseisernen ornamentierten Säulen. Durch die Absenkung wäre der ("Gleim-")Tunnel aufgerissen und großzügig belichtet worden. Die Tunneldecke würde zur Terrasse. Alle waren begeistert von dieser Idee, einen Zugang zu eröffnen, nur nicht der Denkmalschutz.

Die Fortsetzung jenes Vorschlags ist nun ebenfalls Makulatur. Aus dem Abraum der Absenkung hätte Lange eine Pyramide aufschichten lassen, befestigt wieder durch Sitzstufen aus grob behauenem Granit und abgeschlossen durch ein Gipfelplateau. Aus Nischen würden Säulenpappeln wachsen. Pate stand Fürst Pückler mit seinen Pyramiden (Tumuli) im Branitzer Park. Sie sind oberirdische Zeichen einer anderen Welt, sind Zeichen einer Landschaft, in die man eintreten kann mit der Verheißung der Umkehr und dem Übertreten in die scheinbar reale Landschaft. Wieder ein Zwischenreich. Das hieß in Berlin einmal "Todesstreifen". Die Pyramide war für den Kreuzungspunkt einer Nord/Süd- und einer neuen Ost/West-Achse vorgesehen. Diesmal kamen Bedenken aus der Bürgerschaft, dass sich ein lautstarkes musikalisches Geschehen entwickeln könnte. Die Pyramide wurde (mit Stand vom letzten November) abgespeckt zu einem flachen Rondell mit Kiefernhain. Der Part nördlich des Rondells erhielt die vorläufige Zuweisung "Aneignungsfläche". Ruhige nahräumliche Nutzungen vornehmlich durch die Anwohner schälten sich in den Diskussionen der Bürgerwerkstatt heraus, schattige Plätze zum Verweilen für die Älteren, vielleicht ein Teehaus und Urban gardening.

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Blick über die Bernauer Straße zur Stadtmitte. Foto: Bernhard Wiens
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Das mit Eschen bestandene Feld ragt rechtwinklig in die Wiese hinein. Foto: Lucas Rauch

"Aneignung" lautet die Parole, welche die Vorgeschichte des Erweiterungsteils insgesamt als Paradoxie kennzeichnet. Eine Aneignung im Sinne vollendeter Tatsachen ist von allen gewünscht, auch vom Immobilienbesitzer (CA Immo) und dem hinter ihm stehenden Investor (Groth Gruppe), die gleichzeitig mit Vertreibung von der Fläche drohen, wenn sie kein Baurecht auf der Anschlussfläche im Norden erhalten. Baurecht im Norden gegen Parkfläche südlich des Gleimtunnels - heißt der Deal, in den sich Senat und Bezirk zugunsten des Investors eingeschaltet haben. Wird der "Mauerparkvertrag" mit seinem Versprechen eines Baurechts nicht erfüllt, droht Rückabwicklung mit Schadensersatzforderungen. - Grün Berlin bekam in dieser unsicheren Lage 2012 den Auftrag, zwei von insgesamt sieben Hektar Grünfläche schon einmal provisorisch herzurichten. Damit wurde auch notdürftig der Forderung des Sponsors, der Allianz Umweltstiftung, Genüge getan, den bestehenden Park auf mindestens zehn Hektar zu erweitern. Ein sechs Meter breites, im Niemandsland schwimmendes Bitumenband ist nun der Vorgriff auf die neue Ost/West-Verbindung. Integriert ist ein Ensemble junger Bäumchen. Sie wurden von linker Prominenz, Gysi voran, 2006 auf der Brache gepflanzt. Das war die erste symbolische Landnahme. Letztes Jahr ließen sich urbane "Mauergärtner" dort nieder. Der Rahmen aller aktuellen Auseinandersetzungen ist abgesteckt. Der Deal, der platzen kann, schränkt die Handlungsspielräume der um das Grün bemühten Gruppierungen ein, und die Aneignungen schränken das landschaftsplanerische Konzept ein.

Das Urban gardening in der Stadt bekommt allmählich zwanghaften Charakter. Man rennt los und nimmt sich etwas. Ob es mit Langes Idee zusammenstimmt, wird zumindest in dieser Fraktion nicht überlegt. Ähnliches geschieht im Süden, wo im Zuge des Deals das dort vorhandene "parkverträgliche" Gewerbe auf Verbleib per Erbpacht hoffen darf. Lange hingegen befürchtet einen Antagonismus von privat gegen öffentlich. Es gibt andere Parkbeispiele, die eine Koexistenz der Widersprüche anstreben. Der Flohmarkt mit 400 Ständen stellt jedoch eine riesige Belastung dar, und ein großzügiges Parkentrée ist durch die Bebauung eingeengt. Festzuhalten bleibt, dass Langes Planungen nicht von einem Bürgerpark im Sinne solcher Aneignungen ausgehen, sondern von einem sozialen Grün für alle.

Moderation im Korsett

Die Aufteilung in ein Baufeld im Norden (3,5 Hektar), die Parkerweiterung in der Mitte und eine 2,2 Hektar große park-affine Gewerbefläche im Süden wurde 2010 ins Spiel gebracht, als eine gleichsam kostenneutrale Lösung. Aber der Flächennutzungsplan sah für die gesamte Fläche Grün vor. Das waren die Startbedingungen, besser das schlechte Omen einer Bürgerbeteiligung, für die Grün Berlin eine Bürgerwerkstatt "Mauerpark Fertigstellen" ins Leben rief, geleitet von den Moderatoren Martin Seebauer und Beate Voskamp. Im Hintergrund wirkten Machtkonstellationen, die umso stärkeres Gewicht bekamen, je mehr sie ausgeblendet wurden. Das ging mit der Beschränkung auf eine Moderation los, die im Unterschied zur Mediation nicht alle Entscheidungsträger einbezieht, sondern nur Entscheidungen vorbereiten hilft. Der Eindruck, den Alexander Puell, Vorsitzender der "Freunde des Mauerparks", schildert, dürfte für die meisten Moderationsverfahren kennzeichnend sein: Die Moderatoren separieren die "Schäfchen" in mehrere Herden und stellen diesen auf Grund planerischer Vorlagen Aufgaben, die simulatorisch abzuarbeiten sind. Die aus den Plänen herausgeschnittenen Aufgaben haben keinen Autor. Es ist nicht ersichtlich, wer hinter ihnen steckt. Theodor W. Adorno würde sagen: Die Cui-bono-Frage ist unterschlagen.

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Das wieder freigelegte Großkopfsteinpflaster überteeren, damit die Radfahrer schneller ans Meer kommen? Kein Witz. Foto: Lucas Rauch
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Freiflächenplan für das nördliche Baufeld. Die Planungen sind noch im Gange. Quelle: Groth Gruppe und Lützow 7/C. Müller und J. Wehberg
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Gustav Lange weiß um das Spiel von Licht und Schatten. Foto: Lucas Rauch

Das grenzt, ohne sie ins Bewusstsein zu heben, an Machtfragen, die ihrerseits die Vorgaben der Mauerpark-Moderation prägten. Das Verfahren sollte möglichst schnell durchgeführt werden, wegen des Investitionsdruckes, und es sollte sich auf die Grünplanungsfragen beschränken, die per definitionem zur Aufgabe von Grün Berlin gehören. Das ist das Divide-et-impera-Prinzip. Mit der Ausklammerung des Baufeldes waren städtebauliche Zusammenhänge zerrissen, die jedoch zwischen Bebauung und Freifläche besonders eng sind. An diesem Punkt trumpften die Bürgerinitiativen innerhalb der "Werkstatt" auf, die sich nun erst recht jenen Zusammenhängen widmeten - womit zunächst einmal der Zeitrahmen gesprengt war. Sobald die Moderatoren die Thematik in der "Werkstatt" gemäß den Vorgaben beschränken wollten, wurde ihnen von der linken Fraktion "Legitimationshilfe" vorgeworfen, da sie vor den "überfallartig" geschaffenen Tatsachen kapitulieren würden, das heißt vor dem Baufeld mit mindestens 520 Wohnungen auf 54.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche. Sobald aber die Moderatoren einen städtebaulichen und stadtentwicklungspolitischen Kontext zuließen, wurde ihnen ein fehlendes Mandat vorgeworfen. Das Klima in der Bürgerwerkstatt war zuweilen erpresserisch bis denunziatorisch, bis die linksstehende Bürgerinitiative mit Hilfe der Fraktion "Die Linke" im Abgeordnetenhaus im Sommer 2011 dafür sorgte, dass die "Werkstatt" durch Kappung der Gelder auf längere Zeit gekippt wurde.

Ist Geld das schlagendste Argument? Die Frage klänge polemisch, wenn nicht die "Brief-Affäre" hinzugekommen wäre. Im April vergangenen Jahres schrieben die Sprecher der Bürgerinitiativen und Anwohnervertretungen in der "Werkstatt" an den Senator. Sie erbaten Auskunft über die Erschließung sowie die soziale und ökologische Verträglichkeit des Baufeldes. Sie erhielten Antwort. Der Absender war nicht der Senator, sondern ein Anwalt der Groth Gruppe. Der Tonfall schwankt zwischen Larmoyanz und Einschüchterung. Die Bürgerwerkstatt habe das Sachlichkeitsgebot einzuhalten, da sie "eine mit öffentlichen Mitteln finanzierte Einrichtung" sei. Hat der Verfasser mit diesem Stellvertreter-Brief unabsichtlich die wahren Machtverhältnisse zwischen Politik und Bauwirtschaft aufgedeckt?4) Die Bürgervertreter resümierten in einem weiteren Brief an den Senator, sie müssten sich überlegen, ob es sich lohne, der Aufforderung der Verwaltung zur Partizipation an einem öffentlichen Vorhaben nachzukommen. Alexander Puell geht noch weiter: "Ist das gesellschaftliche Umfeld reif für eine Bürgerbeteiligung?", fragt er. Oder werden die Spielräume angesichts des die Verwaltung überrumpelnden Druckes, Wohnraum zu schaffen, wieder enger? Berlin hat kürzlich eine IBA 2020 abgesagt, die sich um Qualität bei der Neuauflage des Sozialen Wohnungsbaus hätte kümmern können, um die Fehler der 1960er und 70er Jahre zu vermeiden.

Die Konjunktur des formal Korrekten

Inhaltlich ging in den Mauerparkvertrag der Siegerentwurf (Lorenzen Architekten) eines städtebaulichen Wettbewerbs ein. Die Bürgerverteter waren zu den Jury-Sitzungen eingeladen. Als sie feststellten, dass von ihren Ansprüchen, die Bebauung mit dem - geschmälerten - Park kompatibel zu machen, kaum etwas übrig blieb, klinkten sie sich aus. Sie hatten den Eindruck, dass ihre Beteiligung an einem Wettbewerbsverfahren nach dem Motto abläuft: "Wir hören mal, was ihr zu sagen habt." Auf dass die Fachjury zur Tagesordnung und zur Architektensprache übergehe. Wenn solche Beteiligungsroutine einreißt, stimmen schon die institutionellen Voraussetzungen nicht, und das ist ein Schema, das sich sogar auf Moderationsabläufe beziehen lässt. Meist hat es einen planerischen Vorlauf gegeben, bevor eine Bürgerbeteiligung eingeleitet wird. Allein diese Abfolge löst bei den Bürgern das Misstrauen aus, mit dem sie dann ins Verfahren gehen. Damit Moderation und Mediation keine "Legitimationshilfe" sind, müssten zu Anfang jedes Vorhabens alle Akteure gewonnen werden, um die Konstruktion des Verfahrens auszuhandeln und Kriterien aufzustellen. Sie wären integriert in ihre eigene "mikrosoziologische" Veranstaltung.

Das wäre nach Seebauer und Voskamp der Idealfall. Beim Mauerpark entfernt man sich wieder davon. Die Aushandlung des städtebaulichen (Mauerpark-)Vertrags, der die Dreiteilung der Fläche festlegt, wurde öffentlicher Wahrnehmung und Begleitung entzogen. Bezirksamtsbeschlüsse und Ausschusssitzungen rangierten vor Abstimmungen von Abgeordneten. Dann wurde bekannt, dass die Groth Gruppe den potenziellen Baugrund im Norden offensichtlich schon vor Abschluss des Vertrages (Oktober 2012) erworben hatte. Der Vertrag selbst wurde mit CA Immo abgeschlossen. Wann und wie genau der Investor in den Vertrag eingetreten ist, darüber blühten nur Spekulationen mangels besseren Wissens. Die Rückabwicklung käme, wenn das Baurecht nicht vereinbarungsgemäß zustande kommt. Dieses Recht stünde am Ende des Bebauungsplanverfahrens, das die Grundlage des gesamten Verfahrens ist, aber auch jeweils an die Änderung der Pläne anzupassen ist. In einem Punkt wird es jedoch nicht angepasst: Eine Bürgerbeteiligung wird es erst gegen Ende mit der Auslegung der Pläne geben. Der zuständige Bezirksstadtrat pocht auf das formal korrekte Verfahren. Setzt er damit einen neuen Trend, der in Wahrheit ein alter ist? Hebelt er informelle Beteiligungsformen, ohne welche politische und planerische Entscheidungen heute autokratisch würden, wieder aus? In der Reaktion haben sich auch die gemäßigten unter den Anwohnerinitiativen radikalisiert. Alle Gruppen lehnen nun die Bebauung im Norden pauschal ab.5) Beide Seiten spielen zumindest symbolisch mit dem Risiko, den Deal - und damit die Parkerweiterung - platzen zu lassen. Und die Moderatoren werden verschlissen. Sie versuchen nun, beim Stadtrat Aufklärungsarbeit über die Vorteile aktivierender Beteiligung zu leisten. Wer städtebauliche Qualität erreichen will, muss über das in Bebauungsplänen Festschreibbare hinausgehen.

Es geht auch anders, ganz anders. Alle Initiativen, selbst wenn sie sich untereinander Kompromisslertum oder Totalverweigerung vorwerfen, selbst wenn sie ein soziokulturelles Gefälle zwischen Prenzlauer Berg im Osten und Brunnenviertel im Westen widerspiegeln, sind fasziniert von der ruhigen Überzeugungskraft Gustav Langes. Der Enthusiasmus hat auch Christoph Schmidt, Leiter von Grün Berlin ergriffen. Lange erläutert nicht, er zeigt. Er pflanzt Ideen, Abbilder des Geistes. In die kann sich jeder, der für Sinnliches und Übersinnliches empfänglich ist, hineinversetzen. Ohne Vermittlung. Auch wenn die Bürgerinitiativen Sondernutzungen im Sinn haben, unterstreicht Alexander Puell aus der Sicht eines Bürgervertreters, dass das von Lange entworfene Gerüst das Maß und die Mäßigung aller Umsetzungen sei. Der Raum behält seine Würde, wenn er nicht mit Dingen vollgestellt wird, die geschwätzig auf sich selbst verweisen, die (gar per Beschriftung) sofort zu erkennen, die perfekt sind. Für das Rondell hatte Lange ursprünglich granitene "Tische" vorgesehen, deren Platte von Wasserflächen gebildet würde, in denen sich die Kiefernwipfel spiegeln.6) Abwesendes wird in Anwesenheit gebracht und umgekehrt. Die Fachverwaltung redete Lange die Absicht aus.

Das zuletzt beschriebene "Beteiligungsmodell" wirkt patriarchalisch-feudal. Lange wurde schon als "Parkvater" bezeichnet. Aber sind nicht die größten Parkkulturen in Zeiten entstanden, als der Feudaladel die Lust am Herrschen verlor, um die Lust der Sinne zu steigern? Bei den großen Gartenkünstlern des 20. Jahrhunderts wurde daraus eine Kultur für alle. Es war die Zeit von Carl Theodor Sørensen und Hermann Mattern, der Lehrer von Gustav Lange. Die Mauerparknutzer begreifen es als ihre Zeit.


Anmerkungen

Ich danke meinen Gesprächspartnern Manja Ehweiner, Heiner Funken, Hans Göhler, Gustav Lange, Michail Nelken, Alexander Puell, Norbert Rheinländer, Christoph Schikora, Martin Seebauer, Beate Voskamp.

1) Vgl. dazu Bernhard Wiens: Zwischenstation Hoffnung. Bauen, Wohnen, Planen: integrierte Prozesse weltweit. Online unter URL www.heise.de/tp/artikel/37/37236/1.html

2) ...zumindest so lange, bis ein großer Brause-Konzern den Karaoke-Animateur sponsert.

3) Aus "Ein Sommernachttraum"

4) Der Ruf des politisch bestens vernetzten Bauunternehmers ist seit einer Fernsehdokumentation gründlich angeschlagen: URL www.youtube.com/watch

5) Die "linke Fraktion" setzt auf den Hoffnungsträger Gysi. Laut "Neues Deutschland" vom 3.9.2013 werde er sich einmal den "(Mauerpark-)Vertrag anschauen".

6) Inspirationsquelle ist die Arbeit "Olivestone" von Beuys.

Dr. Bernhard Wiens
Autor

Beuth Hochschule

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