Reiseperspektiven zwischen Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit

Slow Tourism

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Entspannung in den Klostergärten Drübeck. Foto: Odeta Oehlert

Alles begann mit dem 11. September 2001, der Zerstörung der beiden Türme des World Trade Centers in New York durch einen unbeschreiblichen Terrorakt, bei dem ungefähr 3000 Menschen starben. Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ist von Beginn an geprägt von Krisen: Naturkatastrophen wie der Tsunami im Indischen Ozean 2004, Terroranschläge wie 2004 in Madrid und 2015 in Paris, Atomunfälle wie in Japan 2011, weltweite Wirtschafts- und Finanzkrisen ab 2007 oder die Flüchtlingskrise ab 2015. Im Gegensatz zu früheren Katastrophen, die nach immer kürzerer Zeit wieder aus dem Gedächtnis der Bevölkerung verschwanden, haben diese Krisen die Menschen vor allem in Europa tiefenpsychologisch verändert. Bereits vor 2000 haben in Deutschland Umfragen nach dem Wichtigen und Wesentlichen im Leben hohe Werte für Vertrauen, Familie oder Glück ergeben. Und der Zukunftsforscher Horst Opaschowski hat schon damals ein Gleichgewicht von Wohlstand und Wohlbefinden bei den Wünschen der Deutschen festgestellt. Aber die einschneidenden Katastrophen der 2000er-Jahre haben die Grundeinstellung der Menschen in den Industrienationen tiefer bewegt. Gleichzeitig steht der Einzelne einem ebenfalls ohnmächtig hinzunehmenden alltäglichen Lebensumfeld aus Globalisierung und Digitalisierung, Multioptionalität und Individualisierung, Kommerzialisierung und Spekulation, Hypermedialisierung und Informationsflut gegenüber.

Am Ende des 18. Jahrhunderts war den westlichen Nationen noch eindeutig klar: in Freiheit und Fortschritt, in Wachstum und Modernisierung, in Schnelligkeit und Industrialisierung liegt die positive Zukunft der Welt. Der Traum eines vom Menschen auf Erden selbst zu schaffenden Paradieses sollte damit endlich Wirklichkeit werden. Damit einher ging selbstredend die Abkoppelung des Menschen von dem, was ihn Jahrtausende geprägt hat, vom Rhythmus der Natur: Jahreszeiten, Landwirtschaft, Lebensrhythmus und von der Gläubigkeit an ein Jenseits: Gott, Christentum, Kirchenjahr.

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Kunst im Kloster Drübeck. Foto: Gartenträume e. V.
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Mitten in der Stadt – Der Rotehornpark in Magdeburg. Foto: Felicitas Remmert
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Die Wörlitzer Anlagen. Foto: Gartenträume e. V.

Müßiggang in jedweder Form wurde gleichzeitig abqualifiziert und denunziert. Genussfreudigkeit machten bereits Reformation, dann Pietismus und Preußentum den Garaus. Da nutzten auch die frühen Gegenstrategien der Romantiker nichts, wo bereits die heutigen Reisethemen der Langsamkeit wie Naturerfahrung (Tieck), Muße (Eichendorff), Spiritualität (Novalis), Gärten (Reichardt) oder Wandern (Seume) vorgeprägt wurden. Die Furcht vor der Schnelligkeit der neuen Zeit wurde aber auch damals schon reflektiert, selbst die beim Reisen. Neben den Produktionsmethoden der Industrialisierung entsetzten die Zeitgenossen die qualmenden und lärmenden Eisenbahnen, die globalisierende Telegrafie, die internationalen Meldungen der Zeitungen oder Pauschalreisen. Doch der "Zug" des Fortschritts fuhr in sich steigernder Geschwindigkeit weiter und überwand selbst internationale Kriege und Krisen.

Die Errungenschaften der letzten 200 Jahre für die Bevölkerung der westlichen Industrienationen dürfen nicht nur schlecht geredet werden. Doch der eigentliche positive Effekt für den Menschen, durch die Zeitersparnis mittels Fortschritt mehr Genuss, Freude, Muße zu erlangen, erfüllte sich nicht. Ganz im Gegenteil. Die durch die Industrialisierung ersparte Arbeitszeit wurde auch nach 2000 einerseits durch mehr und konzentriertere Arbeit aufgefüllt, die letztlich zur Ausweitung von psychischen Krankheiten und somit zu einem neuen Gesundheitstourismus führt. Motivation und Innovation in Ruhe und Verantwortung mittels langfristiger Strategie und für gesamtgesellschaftlichen Nutzen galten bei Wirtschaft und Politik als veraltet. Heuschrecken-Firmen mit kurzfristigen Gewinnmitnahmen, demotivierender Fusion oder sinnloser Aufspaltung standen allein im Vordergrund. Ein weiterer Teil der ersparten Arbeitszeit kam andererseits wirklich den Menschen zu Gute: sie erhielten Freizeit und Urlaub. Aber auch hier war mittlerweile von Ruhe und Genuss nichts mehr zu spüren. Bau-, Garten-, Autozubehör- oder Medien-Märkte, unterstützt von Print- und Fernsehmedien, fordern uns so eindringlich auf, in unserer Freizeit effizient und täglich und konsumorientiert weiterzuarbeiten, dass man bei einigen Leuten im Carport wohnen, im Garten ungezieferfrei schlafen und von der Autoauffahrt essen könnte. So perfektioniert wie das freizeitliche Wohnumfeld wird auch die Urlaubszeit in Angriff genommen. Auch hier ist von Muße und Freude kaum etwas geblieben. Von der Frühbucher-Planung, der Schnäppchen-Jagd, der Auswahl des außergewöhnlichsten Reiseziels über den Reisevorbereitungs-, den Ein- und Auspack-Stress sowie der eigentlichen Urlaubszeit mit Inszenierungs-, Bräunungs-, Foto- und Videoanstrengungen bis hin zur kommunikativen Nachbereitung ("mein Hotel, mein Jeep, mein Boot, mein Buffet …"), die Freie Zeit wird zur Arbeits-Freizeit. So sind die Menschen in den westlichen Industrienationen trotz und wegen des Fortschritts ganztägig und ganzlebig voll Unruhe und Anspannung.

Turnaround zu Slow Society, Slow Economy und Slow Tourism

Nun aber scheint es einen Ruck in der Gesellschaft zu geben, wie ihn - jedoch in einer aktiveren Art und Weise - Roman Herzog als Bundespräsident bereits 1997 gefordert hat. Trotz aller Individualisierungs- und Profilierungstendenzen in der Gesellschaft besinnen sich die Menschen im Angesicht der Erfahrung der genannten inneren und äußeren Krisen nach Aussagen vieler Forschungsinstitute auf das, was ihnen wirklich wesentlich und wichtig wird. Die Spaß- und Konsumgesellschaft hat einen feinen, aber ernst zu nehmenden Riss bekommen. Noch spannender wird diese Einschätzung, wenn die Shell-Jugend-Studien 2010 und 2015 im Vergleich zu den Vorgängeruntersuchungen überrascht feststellen, dass auch die kommende Generation diese Tendenz zu Geborgenheit und Beständigkeit, Verlässlichkeit und Wertigkeit bestätigt und somit zum Kontinuum werden lässt. Mit verbindlichen Werten, sozialen Beziehungen, gesellschaftlichem Engagement, kontinuierlichen Strategien soll der Unberechenbarkeit des Weltgeschehens begegnet werden. Denn das ist das Spannende und Zukunftsweisende auch bezüglich der Entwicklung des Konsum- und Reisemarkts: die Jugendlichen begegnen trotz der undurchsichtigen Realität der ungewissen Zukunft mit Optimismus.

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Vorstellung des Landesprojektes Gartenträume, v.l.n.r: : Prof. Dr. Christian Antz, Christa Ringkamp, Dr. Richard von Weizsäcker. Foto: Christian Antz
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Vorstellung des Gartenträume-Reiseführers im Gutspark Zichtau/Altmark, v.l.n. r.: Jens Spanjer, Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur, Felicitas Remmert, Gartenträume Sachsen-Anhalt, Prof. Dr. Christian Antz. Foto: Gartenträume e. V.

Die Uneindeutigkeit in den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsperspektiven der westlichen Industrienationen kennzeichnet auch die momentane Entwicklung der Reisebranche. Einerseits läuft die Tourismusindustrie mit ihren breit angelegten Kampagnen und Katalogen konform den Fortschritts- und Globalisierungsprämissen weiter. Andererseits entwickeln sich in den Nischen und Zwischenräumen neue, andere Formen des Reisens, die von Geborgenheit und Muße, Sinnhaftigkeit und Sinnlichkeit geprägt sind. Parallel zu Begriffen wie Weit, Billig, Abenteuer, All Inklusive, Künstliche Ressorts, Zielgebiets-Hopping, Flug-Städte-Kurz-Reise treten Begriffe der Langsamkeit in den Fokus. Reisen wird urbaner (Stadtkulturtourismus), ist kultureller (Garten- und authentischer Kulturtourismus), wird zu einer Reise zu sich selbst (Spiritueller Tourismus), sehnt sich nach mehr Natur (Garten- und Naturtourismus) oder hat gesünderes Leben vor Augen (Gesundheits-, Wander- und Genusstourismus).

Der Zukunftsforscher Horst Opaschowski hat auch den Trend zur Sinnorientierung im Tourismus aufbauend auf dem Wellness-trend vorhergesagt. Parallel entwickelte Matthias Horx den ebenfalls darauf aufbauenden Begriff des "Selfness". Während Wellness eher eine passive und äußerliche Anwendung ist, setzen die krisengeschüttelten Menschen Anfang des 21. Jahrhunderts auf eine aktivere Rolle, auf innere Gesundheit, auf dauerhafte Selbstveränderung. Als Indikatoren hat das Zukunftsinstitut neben dem Simplify - Vereinfachung des Lebens vor der Kompliziertheit der Welt und dem Glücks-Boom - Life-Management-Beratung im Angesicht von Globalisierung und Pluralisierung - besonders den Ratgeber- den Biografie- und den Garten-Boom ausgemacht, mit den Kernbereichen Glaube und Glück neben Ernährung, Liebe und Gesundheit, Interesse an Individualität und Authentizität und persönliche Naturerfahrung. Diese Wachstumsmärkte weisen den Weg des Tourismus ebenfalls in Richtung Spiritueller, Genuss- und Gesundheits-, Geschichts- und Kultur- sowie Garten- und Naturreisen.

Während die gesellschaftlichen und touristischen Zukunfts- und Trendforscher stärker die Nachfrager im Fokus haben, hat Susanne Leder 2007 den Angebotsmarkt des Muße-Tourismus im Speziellen unter die Lupe genommen. Sie kommt dabei zu gleichen Ergebnissen. Der Wunsch nach äußerer Langsamkeit und innerer Ruhe wird in neun Kernaussagen zu den Bedürfnissen der Muße-Reisenden zusammen gefasst: Physisch und psychisch entspannen, etwas für Körper und Aussehen tun, Abgeschiedenheit und Einsamkeit erleben, auf die eigene Person besinnen, Kultur und Landschaft rein erfahren, Ruhe und Stille, Gemeinschaft fühlen, Urlaub vom Alltag oder Atmosphäre statt Zivilisation. Die neuen Themen des Muße-Tourismus als Gegenwelt zum Alltag spiegeln einerseits mit den Wünschen nach Vereinfachung der Lebenssituation in die Zukunft und andererseits nach Ursprünglichkeit in die Vergangenheit. Während das Zuhause von wachsender Komplexität, zunehmender Beschleunigung, medialer und technischer Übersättigung, Überangebot in Konsum und Freizeit sowie vom Verlust vertrauter Strukturen geprägt ist, erwartet der Muße-Tourist auf Reisen Reduktion und Askese, Entschleunigung und Langsamkeit, Transzendenz, Spiritualität und Religion, Ursprünglichkeit und Tradition, Relaxen und Wellness sowie Natur und Landschaft.

Slower über Gartenfreizeit und Gartenreisen

In der globalen und virtuellen Welt werden damit auch Gärten zur Antipode oder Alternative des iPads. Während das eine nur noch zart mit den Fingerspitzen berührt wird, braucht das andere ganzen Körpereinsatz. Mit den Händen in die Erde greifen, ganz haptisch, sinnlich und sinnvoll seine Freizeit gestalten, den Knopf an Rechner und Kopf ausschalten, einfach nur vor sich hin harken, wird zur Gegenwelt des Workaholics am Beginn des 21. Jahrhunderts. Während Ältere, deren Kinder mittlerweile aus dem Haus sind, ganze Gartenlandschaften gestalten, hat sich daneben mittlerweile eine breite Klientel von jungen Menschen analog der Shell Studien dem Thema Garten zugewandt. Ob Urban Gardening auf einer kleinen Balkonfläche, neue Datschenkultur, Gemeinschaftsgarten mit Selbstversorgung im städtischen Gemüsebeet oder Guerilla Gärtnern - eine bisher kaum beachtete Klientel von unter 30-Jährigen wandelt sich zu Gartenenthusiasten.

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Slow in der Natur. Baumspiegelung in Losheim. Foto: Christian Antz
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Weite Blicke vom Terrassengarten in Wernigerode. Foto: Gartenträume e. V.

Gleichzeitig überschwemmen Gartenbücher zu jeglichen, auch noch so abseitigen Themen seit Jahren den Markt; der weiter wachsende Erfolg von Garten- und Landzeitschriften in dem insgesamt schwierigen Zeitschriftenmarkt ist den Zukunftsforschern mitunter ein Rätsel. Mit einer Auflage von ungefähr 800.000 Exemplaren überflügelt das Magazin "Land Lust" sowohl seine Konkurrenten wie auch "Focus", "Bunte" oder "Gala". Mit einem authentischen Dreiklang aus Natur, Produkten und Kultur bedient das Heft vor allem die Zielgruppe der "Lohas", jene Städter mit gehobenem Einkommen und Sehnsucht nach dem einfachen und nachhaltigen Leben. Bereits 2000 hat der Trendforscher Peter Wippermann der "Lust auf Garten" eine große, von innerem Bedürfnis der Menschen getragene Zukunft vorhergesagt. So besaßen 58 Prozent der Deutschen schon 2002 einen eigenen Garten und weitere 7,4 Millionen hegten einen bisher unerfüllten Gartenwunsch. Außerdem ist das LiebeLandHeimatLustGlück-Segment nicht nur als Buch oder Zeitschrift nett anzusehen, sondern neben dem weichen ein harter Wirtschaftsfaktor. Nur allein für Gartenbedarf wurden 2010 in den Gartenmärkten Deutschlands 7,4 Milliarden Euro umgesetzt, für Home und Garten 2011 insgesamt 63 Milliarden Euro.

Auch im Tourismus macht sich diese gesellschaftliche und wirtschaftliche Gartenaffinität bemerkbar. Trotzdem sind im Vergleich zu England und Frankreich, wo Gartenbesuch mit gleichzeitigem Gartengenuss eine lange und feste Tradition haben, die Marktdaten erheblich geringer. Selbst die zehn besucherstärksten Parks in Deutschland wissen nicht so genau, wie viele und welche Besucher ihr Grün lieben. Die ungefähr 2,1 Mio. Besucher pro Jahr im UNESCO Welterbe Schlosspark Sanssouci in Potsdam oder die 3,5 Millionen im Englischen Garten in München sind nur geschätzt; und über deren gartentouristische Motive und Potenziale wissen wir so gut wie gar nichts. Allein die Steigerungsraten der letzten Jahre lassen den Markt des Gartentourismus als zukunftsrelevant begreifen: von 2008 bis 2014 wuchs etwa die Besucherzahl der Herrenhäuser Gärten in Hannover - parallel zum Schlossneubau - von 200.000 auf 600.000 an. Im Gegensatz zu den gartentouristischen Dauerbrennern wie der Mainau oder dem UNESCO Welterbe Gartenreich Dessau-Wörlitz sind wir bei den vielen kleineren Gärten und Parks, die über ganz Deutschland breit verteilt sind, noch weniger informiert. Ganze 1500 private und öffentliche Gärten verzeichnet das Standardwerk des deutschen Gartenreiseführers von Ronald Clark 2011, von denen die meisten in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg zu finden sind. Damit bietet die Angebotsseite ein enorm breit gefächertes und bereits gebautes Tourismuspotenzial, was es in marktfähige Produkte umzumünzen gilt. Denn auf der Nachfrageseite wächst neben der gesellschaftlichen, auch die touristische Affinität der Kunden für Gärten und Parks an. Über alle Alters-, Generations- oder Geschlechtsklassen hinweg interessieren sich in ganz Deutschland ungefähr 50 Prozent der Bevölkerung für einen Besuch in Gärten und Parks - ein sensationell hoher Anteil, wenn man bedenkt dass sich nur 30 Prozent für die Besichtigung von Denkmälern begeistern können. Neben der ästhetischen und kunstgeschichtlichen Bedeutung bietet gestaltetes Grün denn auch einen noch größeren Mehrwert als reine Kultur. Dieser reicht weiter von Gesundheit über Sport bis zu Entspannung und Genuss. Wenn sich Jugendliche in den österreichischen Bundesgärten nur dem Chillen hingeben wollen, so sind sie doch eine große und vor allem nachwachsende Zielgruppe und außerdem in guter Gesellschaft mit den angelsächsischen Kundengruppen älterer Generationen.

Da müssen Garteneigentümer, -denkmalpfleger und -touristiker noch umdenken, um das gartentouristische Potential des Slow Tourism ähnlich wie beim Gartenbuch- oder Gartenfilmmarkt zu heben. Wie neue Zielgruppen angesprochen werden oder wie Parks auf neue Trends reagieren können, zeigt beispielhaft der Erfolg neuerer Bundes- und Landesgartenschauen (BUGA/LAGA) in Deutschland. Waren die Bundesgartenschauen seit 1961 Jahrzehnte lang reine Blümchenschauen mit dem bis heute anhaltenden Besuchermagneten Friedhofsgestaltung, so sind sie in den letzten fünfzehn Jahren zu Motoren einer nachhaltigen Stadtentwicklung mutiert. Was nicht nur die Lohas erfreut, ist die nachhaltige, stadtintegrierte, natur- und klimaräumliche Weiterplanung der Städte über den Hebel der Gartenschauen. Neben den Hauptzielgruppen Familien und 55plus werden durch die BUGAs mehr und mehr auch Garten- und Kulturinteressierte jüngerer Generationen angesprochen, die dann insgesamt 2,4 Mio. Besucher 1999 nach Magdeburg, 1,9 Mio. 2009 nach Schwerin oder gar 3,6 Mio. 2011 nach Koblenz locken.

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Picknick im Elbauenpark Magdeburg. Foto: Gartenträume e. V.

Entscheidend für den Gartentourismus ist dabei natürlich schon die Steigerung der Gästeankünfte 2009 in Schwerin um 24 Prozent und damit des wirtschaftlichen Umsatzes im eigentlichen BUGA-Jahr, aber noch mehr der Wunsch von 57 Prozent der Gartenschaubesucher, wieder nach Schwerin zu kommen. Gerade die besonders zukunftsrelevanten Gartenregionen Bayern sowie Berlin-Potsdam-Wörlitz haben in Deutschland ihr Angebotspotenzial im Gartentourismus bisher nur ansatzweise an die sehnsüchtigen Slow Guests vermittelt.

Slow Tourism Perspektiven

Slow Tourism reagiert auf die Unübersichtlichkeit der alltäglichen Welt, aber auch auf die Spaßgesellschaft, will einen Gegenalltag anbieten, ohne ihn neu zu schaffen. Die Reisemotive kreisen um Langsamkeit und Nachhaltigkeit, Regionalität und Qualität, Werteorientierung und Kreislaufwirtschaft, Wohlfühlen und Entspannen, Zeitlosigkeit und Rhythmisierung, Balance und Innehalten, Entschleunigung und Gesundheit, Sinnhaftigkeit und Sinnlichkeit. Es sind teilweise Begriffe, die auf immer im deutschen Sprachgebrauch verloren zu sein schienen, wie Leben und Liebe. Die neue Sehnsucht nach dem guten und einfachen Leben lässt sich künftig vielleicht in zwei Kategorien zusammenfassen. Da wäre erstens Geborgenheit, womit auch Heimat, Zurück, Natur, Regionales, Werte, Sinn zu verstehen sind. Muße, Kleinteiligkeit, Wohlfühlen, Sinnlichkeit können zweitens unter dem Oberbegriff Langsamkeit gebündelt werden. Geborgen und langsam, back und slow sind also keine neuen, künstlichen Reisekategorien, sondern sind authentisch, auratisch, autochthon. Wie die evangelische Zeitschrift Neues Leben 2009 ihre Eigenwerbung beschreibt: "Kein neuer Tratsch, Keine neuen Rezepte, Kein Bla Bla, Keine Tops und Flops": die Reiseangebote des Slow Tourism können nicht neu erfunden und dann billig vermarktet, sondern nur vor Ort gehoben werden. Sie liegen sozusagen nicht auf der Straße, eher im Garten, aber vor unseren Augen offen da.

Neben den Mainstream Travel Trends werden die Reisetrends des Slow Tourism in Zukunft Erfolgsmotoren im Tourismus werden. Urlaubsthemen des Zuhause (Heimat, Balkonien), der Natur (Sinnlichkeit), des Wassers (Treiben lassen), des Wanderns (Langsamkeit), der Spiritualität (Gott, Ich), der Kultur (Authentizität), der Historischen Städte (Urbanität, Flanieren), der Gärten (Versöhnung Mensch und Natur), der Gesundheit (Wohlfühlen, Muße), des Essens und Trinkens (Terroir, Genuss) sind meist nicht für sich allein, sondern in Kombination miteinander nicht ein interessanter Nischen-, sondern ein wachsender Zukunftsmarkt. Die touristischen Trendforscher sind gut beraten, nicht nur auf das zu schauen und zu analysieren, was sich bewegt, sondern auch auf das, was bleibt.

Slow Tourism fungiert dabei nur als Terminus technicus, zur Überbrückung von Sprachbarrieren, als touristische Dachmarke für Forschung und Tourismus, nicht jedoch als Slogan für den Endkunden. Der Gast sucht Emotionen und keine Floskeln. Unter der wissenschaftlichen Dachmarke Slow Tourism lassen sich aber - ausgehend von langfristigen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen - vielfältige Themen und Trends der Reisemobilität zwischen Langsamkeit und Geborgenheit, Sinnhaftigkeit und Sinnlichkeit zusammenfassen.

Ausgehend vom Wellnesstrend zwischen Wohlfühlen und Gesundheit am Ende des 20. Jahrhunderts kann den Themen des Slow Tourism parallel zu Globalisierung und Individualisierung im 21. Jahrhundert eine stetig wachsende Entwicklung vorausgesagt werden. "Et in Arcadia ego" - und auch ich in Arkadien: das (Garten-)Paradies des künftigen Reisenden ist wahrscheinlich einfacher und ehrlicher, gesünder und näher. Slow Tourism lässt uns künftig wahrscheinlich weiterhin global denken, aber häufiger lokal reisen.

Prof. Dr. phil. Christian Antz
Autor

Fachhochschule Westküste Heide

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