15 Jahre nachhaltige Pflanzenverwendung an der Uni Kassel

Artenrückgang und Klimawandel

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1 Gesteinsabdeckung auf ehemaligem Rasenstandort des Turbinen-Beetes mit 3–4 Pfl./qm, Campus Uni Kassel. Foto: Florian Bellin-Hader

Bekanntlich schillert der Begriff Nachhaltigkeit stark. Im Allgemeinen meint er eine oft nicht widerspruchsfreie Allianz von Ökonomie, Ökologie und Sozialem. Im Folgenden wird Ökonomie aus der Sicht der Kosten von Pflanzungen und ihrer Unterhaltung verstanden. Ökologie meint eine standortangepasste Pflanzenverwendung, mit dem Ziel, sowohl den Pflegeaufwand zu minimieren als auch eine weitere Steigerung der ohnehin in den Städten nicht geringen Artenvielfalt zu bewirken, die mittlerweile aber auch bei Allerweltsarten bedroht ist. Das Soziale wird zum einen als Nutzbarkeit von Freiräumen - wozu auch die Anpassung an den Klimawandel gehört - als auch als Möglichkeit zum Naturerleben verstanden. Da vielfältige Nutzungen Standortdiversität als Voraussetzung einer reichhaltigen spontanen und gestalteten städtischen Natur schaffen, ist die Aneignungsfähigkeit von Freiräumen zentral.

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4 Echte Akelei mit Taubenscabiose, Campus Uni Kassel. Foto: Stefan Körner
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2 Vorhof der Friedenskirche Kassel mit erhaltenen Buchs-Kugeln, Kalifornischem Mohn und Kugel-Lauch im ersten Jahr nach Anlage. Foto: Stefan Körner
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3 Bibliothekssaum, Campus Uni Kassel mit Purpurfenchel, Spornblume und Rotem Perückenstrauch. Foto: Stefan Körner

Arbeiten mit den Lebensformen

Die Kosten von Pflanzungen sind in der Regel im Verhältnis zu den Kosten des Hochbaus gering. Gleichwohl sind sie sehr entscheidend bei der Frage, welche Form von Vegetation zum Einsatz kommt und vor allem langfristig erhalten wird. Wir halten die Zahl von Stauden pro Quadratmeter gering, zum Beispiel drei bis vier Stück (s. Abb. 1), und säen dazwischen ein- und zweijährige Arten aus. Das dient nicht nur der Vegetationsdynamik und visuellen Veränderlichkeit, sondern verhindert auch, dass unliebsame Kräuter aufkommen. So wurden zwei im Frühjahr 2020 mit Studierenden aus dem Modul "Vertiefung Pflanzenverwendung" angelegte Beete auf dem Vorplatz der Friedenskirche im Vorderen Westen im selben Jahr von Klatsch- und Kalifornischem Mohn geprägt und 2021 dann von Linum perenne, über dem die Blüten von violettem Kugellauch schweben (s. Abb. 2), bis sich dann im dritten Jahr die Stauden voll etabliert haben werden.

Und endlich einmal waren zum Osterfest die Osterglocken nicht schon verblüht. Kurzlebige Stauden, wie Akelei, die nur mit wenigen Exemplaren initial gepflanzt werden, aber auch gesät werden könnten, stehen schon in den Startlöchern. Asphodeline macht sich bereits mit Blütenstängeln bemerkbar. Dies gilt auch für Arten, die als einjährig gelten, in Kassel aber langlebiger sind, wie die Färberkamille. Durch ihre hohe Samenproduktion erobern sie schnell Flächen, bis sie dann von den älter werdenden Stauden abgelöst und nur noch in den durch Trockenheit oder andere Vorfälle verursachten Lücken im Bestand wieder keinem können. Bei den Stauden selbst setzen wir auf die Kombination der verschiedenen Konkurrenzstrategien - sich stark versäende kurzlebige Stauden, dauerhafte Horstbilder und unter- wie oberirdisch ausläufertreibende Arten, um dem Bestand die Möglichkeit zu geben, auf Störungen flexibel zu reagieren.

Ab und an verwenden wir Halbsträucher. Sollen Pflanzungen aber wirklich extensiv sein, verzichten wir auf sie, weil sie eine Sonderbehandlung erfordern. Dagegen integrieren wir häufig Gehölze - entweder trockenresistente Arten mit schöner Blüte wie Blumenesche, Mönchspfeffer, Blasenbaum, Perückenstrauch oder im weitesten Sinne heimische Arten wie Gemeiner Goldregen, Wildrosen, Weißdorn, wenn wir nicht spontane Aufwüchse von Salweide, Birke, Ahorn, Pappel und Schmetterlingsflieder etc. tolerieren (Abb. 3). Sogar eine heimische Felsenbirne keimte schon in einer Pflanzung an der Kunsthochschule und zeigte uns, dass wir es eindeutig mit einem thermophilen Standort zu tun hatten.

Je nach räumlicher Situation werden die Spontangehölze gejätet, großgezogen oder einfach immer wieder auf Stock gesetzt, so wie man es in der Landschaftspflege auch machen würde. Auch das trägt zum spontanen Charakter der Vegetation bei. Denn das ist uns wichtig: lokal angepasste, robuste, das heißt, mit wenig Arbeit stabilisierbare, vielfältige und keine aseptisch durchkomponierten Pflanzungen mit abgestimmten Farbharmonien, die wir als langweilig empfinden. Sie erfordern einen hohen Aufwand, um dauerhaft in diesem Zustand gehalten werden zu können, sind also nicht nachhaltig. So naturalistisch sie mitunter wirken mögen, so unnatürlich sind sie, denn der gestalterische Kontrollzwang wird nur besser kaschiert. Und doch stellen sich in unseren Pflanzungen immer wieder spontane Kombinationen ein, wie man sie im ausgefeiltesten ästhetischen Konzept nicht besser hätte planen können (Abb. 4).

Das heißt nicht, dass wir nicht gestalten, dann aber eben eher gebrauchsorientiert und schlicht, also mit Schnitthecken oder indem vorhandene Formschnittgehölze integriert werden. Ohnehin arbeiten wir viel mit dem Bestand. Bei der Friedenskirche waren zum Beispiel mehrere Buchsbäume in den Ecken der Beete auf Rasen schon vorhanden (Abb. 5). Im Rücken der Pflanzung wurde in Verlängerung einer Sandsteinmauer eine Weißdornhecke angelegt, die als niedriges formales Element die auf der angrenzenden Elfbuchenstraße parkenden Autos optisch einbinden und in der Nutzung den Freiraum als Vorhof klar der Kirche zuordnet, also auch das Abkürzen über die Fläche zur Straßenbahn verhindert. Die möglichst eigendynamische und dadurch lebendige Entwicklung der krautigen Vegetation wird so mit einfachen formalen Elementen (Buchskugeln, Heckenband) kontrastiert, die auf Dauerhaftigkeit angelegt sind.

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5 Friedenskirche Kassel, 1. Jahr nach Saat mit Klatschmohn und Acker-Rittersporn. Foto: Stefan Körner
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6 Bibliothekssaum im Frühsommer-Aspekt mit Mönchspfeffer, Wulfens Wolfsmilch, Katzenminze, Lauch und Färberwaid. Foto: Stefan Körner
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7 Inzwischen eingewachsenes Turbinenbeet am Campus der Uni Kassel mit Filzigem Hornkraut, Schwertlilie und Zypressen-Wolfsmilch, in der Pflasterfuge vor der Einfassung unter anderem Ackerglockenblume und Wegwarte. Foto: Stefan Körner

Substrate

Beim Neubau könnte man ausschließlich mit Schottersubstraten ohne Nullanteil arbeiten, unter die sogar Vliese gelegt werden können, um die Konkurrenz unliebsamer Kräuter zumindest für eine gewisse Zeit zu minimieren. Selbst Naturgärtner machen das und haben nolens volens den Schottergärten den Weg mitbereitet, denn diejenigen, die keine Arbeit mehr wollen, müssen bei dieser Technik dann einfach nur noch die Pflanzen weglassen. Zur Senkung der Standortproduktivität haben auch wir schon häufiger in reinen Schotter mit Nullanteilen gepflanzt und gesät. Die Vegetation entwickelt sich dann sehr langsam, was in der Anfangszeit vielleicht manchmal schwer auszuhalten ist, bildet dadurch aber auch vegetationskundlich und ästhetisch sehr interessante Bestände aus, die wenig Arbeit machen. Denn die Entwicklung von nährstoffreichen Stadien wird lange verzögert, vor allem dann, wenn ohnehin nährstoffarmer Sandstein oder sich langsam zersetzender Basalt eingesetzt werden. In Kassel steht zusätzlich als lokales Material noch Kalk zur Verfügung. Diese Materialien beeinflussen die Bodenreaktion und damit auch die Pflanzenauswahl. An anderen Orten sollte man die dort vorkommenden lokalen Materialien wählen, die meistens nicht nur günstig zu bekommen sind, sondern es auch erlauben, die dortigen autochthonen Vegetationsbestände in der Stadt anzusiedeln, diese also so mit der Eigenart ihres Umlandes zu verbinden. Aber auch die Arbeit mit Recyclingmaterial kann im Hinblick auf die Anlage gestalteter Brachen interessant sein.

Bei Bestandsflächen aber, die oft ehemalige Rasenflächen sind, schälen wir den Rasen ab, lockern den Oberboden und bepflanzen ihn. Denn die Abfuhr des Bodens und seine letztendliche Deponierung betrachten wir ebenfalls als nicht nachhaltig. Danach werden die Stauden häufig, aber nicht immer, mit einer 5- bis 7-Zentimeter-Schicht aus oben genannten Materialien abgedeckt. Diese Deckschichten verhindert zum einen, ähnlich wie Mulch, dass unerwünschte Wildkräuter keimen - ohnehin ist der Standort vor der Pflanzung genau auf Wurzelunkräuter zu untersuchen - zum anderen wird so Wasser im Boden gehalten und einige der gepflanzten Arten können sich im mageren Decksubstrat versäen. Mehr tun wir als Vorbereitung nicht, außer dass versucht wird, Wurzeln von sehr durchsetzungsfähigen Kräutern zu entfernen.

Keine Angst vor "Wucherpflanzen"

An schattigen Stellen verzichten wir auf eine Abdeckung. Dann wird sie durch eine "lebendige Bodendecke" (Richard Hansen) zum Beispiel aus den Grundarten Waldhainsimse und eine männliche Form von Moschus-Erdbeere, die wir von Wolfram Kunick geschenkt bekommen haben und die wüchsiger und großblütiger ist als Wald-Erdbeere, ersetzt. An anderer Stelle bilden Erdbeeren und Großes Immergrün einen dichten und lange blühenden Teppich. Es kommen aber auch Kaukasischer Beinwell, Zypressen-Wolfsmilch oder Kriechformen heimischer Wildrosen zum Einsatz. Auch Filziges Hornkraut hat sich an Beeträndern sehr bewährt (Abb. 7).

Bei der Friedenskirche haben einige Löwenzähne und Wegwarten das Abschälen überlebt. Diese säen sich oft selber an, wobei wir auch den Löwenzahn letztlich tolerieren, denn seine (halbreifen) Samen sind zum Beispiel bei Spatzen und Stieglitzen beliebt. Da er von den übrigen Stauden überwachsen wird, ist er letztlich nicht wirklich problematisch. Anders ist es, wenn man Giersch oder Zaunwinde in der Fläche hat. Im letzteren Fall haben wir ein einziges Mal mit einem 40 Zentimeter tief verlegten dichten Vlies aus organischem Material reagiert, auf das magere Schottersubstrate kamen, was bautechnisch unproblematisch war, da ein angrenzender Weg ohnehin neu angelegt wurde.

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8 Saum im zweiten Jahr nach Saatgutübertragung von einem anderen Saumstandort des Campus der Uni Kassel mit Färberwaid und Margerite. Foto: Stefan Körner
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9 Versamung von Steppensalbei und Wulfens Wolfsmilch in die benachbarten Fugen am Bibliothekssaum, Campus Uni Kassel. Foto: Florian Bellin-Hader
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10 Tolerierung von Goldrute in Böschungs-Situation, Campus Uni Kassel. Foto: Stefan Körner

Wenn nach der Pflanzung auf die mineralische Deckschicht zwischen den Stauden annuelle und bienne Arten ausgesät werden sollen, dann ist es gut für weitere Feinanteile zu sorgen, indem die Samen zum Beispiel mit Sägemehl oder Kleintierstreu sowie Baulehm handfeucht vermischt ausgebracht werden. Eine Aussaat ist ohnehin auch dann erste Wahl, wenn man zur Kostenersparnis auf getopfte Pflanzen verzichten und vor allem ein möglichst naturnahes Bild erzielen sowie der Pflanzung Zeit für ihre Entwicklung, das heißt Sukzession einräumen will. Wir säen auf dem Campus oder im Umfeld selbstgesammeltes sowie gekauftes regionales Saatgut und verzichten nahezu vollständig auf die Verwendung von Gräsern. Diese machen zwar die Mischungen billiger, dominieren jedoch eine Ansaat schnell so, dass das Bild eines blumenreichen Bestandes erst durch lange Pflege und durch kontinuierliche Abfuhr des Mahdgutes entsteht. Ohnehin kommen sie von selbst. Manchmal säen wir aber auch oder pflanzen initial zum Beispiel Wimper-Perlgras, das sehr attraktiv ist, jedoch auch dominant werden kann.

In den letzten Jahren haben Ansaaten mit bunten Annuellen große Aufmerksamkeit erfahren. Nach Aussagen von Kasseler Stadtgärtnern haben diese ihnen erstmals wieder seit langem großes Lob bei der Bevölkerung eingebracht. Leider wird in der Werbung für derartige Ansaaten immer wieder suggeriert, es handele sich um Blumenwiesen. Im Gegensatz zu Wiesen können diese Ansaaten aber nicht altern, sondern verschwinden nach max. drei Jahren und machen Ruderalfluren Platz. Eines aber haben diese Blumenmischungen gezeigt: das Bedürfnis nach bunt und spontan wirkender krautiger Vegetation ist groß. Die Kriterien Blütenreichtum, Dauerhaftigkeit und Trockenresistenz sowie reichhaltiges Nahrungsangebot für Vögel und Insekten führen zu einem Vegetationstyp, mit dem wir sehr häufig arbeiten, gerade auch, weil seine Arten teilweise spontan in unseren Flächen kamen. Das hat auch mit deren Standortcharakter zu tun.

Säume und Beete

Denn die meisten unserer Pflanzungen und Ansaaten sind Säume entlang von Gebäudefassaden, seltener sind die Standorte baulich durch Kantensteine als Beete definiert (Abb. 8). Das liegt daran, dass sich, egal welcher Belag vorhanden ist, immer unbetretene Ritzen an Mauerfüßen befinden, in denen sich etwas ansiedeln kann und auch wird. Ideal sind großfugiges Pflaster und Wassergebundene Decken. Aber auch bei schmalen Fugen oder Asphalt ist das nur eine Frage der Zeit und kann selbst mit Gifteinsatz nur vorübergehend aufgehalten werden, bei Abflämmen hingegen nur sehr kurzfristig, weil die Wurzeln nicht erreicht werden (Abb. 9). Vor allem aber selektiert man so Arten, die den Angriff mit Rhizomen überstehen können, das heißt, "Problemunkräuter" und Gräser. Daher sind wir der Meinung, dass man dann diese Standorte lieber nutzen sollte, um nicht nur attraktiv blühende Arten einzubringen, sondern auch etwas für die Artenvielfalt zu tun. Ideal sind Pflanzen thermophiler Säume oder sogenannte Steppenheide, die im Kasseler Umland entlang von Hecken, Trockenrasen und Steinbrüchen vorkommen, also zum Beispiel Flockenblumen, Labkräuter, Büschelmargerite, Glockenblumen, Oregano, diverse Nelken, Schafgarbe und viele mehr. Sie vertragen Trockenheit und steinreiche Substrate auch im Übergang zu lichten Gehölzen. Diese kombinieren wir mit ruderalen Arten wie Wegwarte, Ackerglockenblume, Seifenkraut oder Arten mediterraner Herkunft, wie etwa Kugeldisteln, Purpurfenchel, Wolfsmilch, Spornblume, während wir gegen andere Ruderalarten meist vorgehen. Denn vor allem Beifuß und Goldrute sind in der Lage, jede Pflanzung zu überwachsen. Das heißt aber nicht, dass wir diese Arten pauschal bekämpfen; dies hängt immer vom jeweiligen räumlichen Kontext ab. An schmalen Gebäudesäumen in Pflaster schätzen wir beispielsweise die Goldrute, weil sie spät blüht und sich hier nicht flächig ausbreiten kann (Abb. 10). Ein typischer Platz für sie ist in Gartensiedlungen ja immer auch der Platz zwischen Zaun und Gehweg. Rainfarn wird hingegen toleriert: Er wird nicht so hoch und remontiert wie viele anderen Arten nach einer Mahd, sodass er noch einmal spät im Jahr blüht.

Unsere Säume haben eine Breite von wenigen Zentimetern bis zu 2,5 Metern. Je schmaler ein Saum ist, desto schwieriger ist es bei einer Pflanzung strukturbildende Stauden einzubringen, die ästhetisch wirken, wenn nichts blüht (z. B. Schwarze Königskerze, die standfest ist und im Winter sehr gut zu bestimmten Gräsern aussieht). Gesäte Säume werden hingegen einfach gemäht, wenn die Blüte vorbei ist und remontieren dann eventuell.

Nicht nur die Flora, auch die Fauna profitiert

Arten thermophiler Säume ziehen unzählige Insekten und Vögel an. Sie haben zur Etablierung größerer Schwärme von Stieglitzen auf dem Campus geführt, die keineswegs nur Disteln lieben, sondern sich etwa so schnell auf die noch halbreifen Samen von Flockenblumen stürzen, dass wir kaum Saatgut sammeln können. Wegwarte und Goldrute dienen ihnen hingegen bis weit in den Winter als Nahrungsquelle. Wilde Möhre ist wegen ihrer großen Tellerblüte eine Standardart unserer Ansaaten (Abb. 11). Zusammen mit Hornklee, den wir als Leguminose sparsam verwenden, wurde dafür gesorgt, dass temporär immer auch bestimmte Schmetterlinge auf dem Campus zu beobachten waren, wie Schwalbenschwanz und Bläuling. Ästhetisch erinnern die Ansaaten an blütenreiche Almwiesen. Sie wirken vor allem dann, wenn sie Raum haben, also wiesenartigen Charakter annehmen können oder auf Beeten stehen. Auf letzteren passen sie nicht nur hervorragend zu Zierstauden mediterraner Herkunft, sondern lassen sich gut mit Gehölzen kombinieren. Das führt dazu, dass sich auch unsere Beete letztlich zu abwechslungsreichen Säumen entwickeln, sodass nicht nur eine Vielfalt von Arten und Entwicklungen, sondern auch abwechslungsreiche Strukturen vorhanden sind.

Von dem in letzter Zeit bekannt gewordenen Animal Aided Design, dem interessantesten landschaftsarchitektonischen Ansatz der letzten Jahre, unterscheidet uns daher, dass auf das Gesamtgelände bezogen Lebensräume, das heißt, individuelle Einheiten von Vegetation und Baustruktur, geschaffen werden. Das fördert nicht nur einzelne Arten, sondern als Nebeneffekt der abwechslungsreichen Ausstattung viele, wie die Aschgraue Sandbiene an einer sonnigen Böschung. Es kommen zunehmend auch Arten, die wir nicht erwartet haben, wie mindestens ein Feldhase, neben Haus- auch Gartenrotschwänze und nicht nur die auf Beutesuche das Gelände überfliegenden Turm-, sondern auch Wanderfalken.

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11 Temporärer Park mit Wilder Möhre und Hornklee im zweiten Jahr nach Anlage, Campus Uni Kassel. Mittlerweile domminieren Esparsette und Kartäusernelke. Foto: Stefan Körner
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12 Gealterter, zunehmend wiesiger Saumstandort, der inzwischen zweimal (Sommer, Winter) gemäht wird. Foto: Stefan Körner
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13 Goldregen und Weißdorn in einer Wildhecke in Nordhessen. Foto: Stefan Körner

Pflege

Mit dem beschriebenen Vegetationstyp lässt sich nicht nur gut auf die zunehmende Trockenheit reagieren, sondern es bilden sich Bestände aus, die meist mit einfachster Pflege, das heißt einer maschinellen Mahd pro Jahr und gelegentlichem Gehölzschnitt auskommen. Allerdings muss man immer wieder auch Gehölzaufwuchs ziehen und an Wegrändern eventuell noch eine zusätzliche Randmahd im Sommer durchführen.

Die Etablierungspflege ist hingegen aufwendiger, denn auf den noch unbesiedelten Substraten kommt es zu vermehrtem Aufwuchs von Pionierarten. Meist liegen unsere Mahdgänge im August, wenn der Oregano verblüht ist. Dieser Zeitpunkt, der sich jedoch zunehmend nach vorne verschiebt, sorgt dafür, dass die Goldrute an diesen Stellen keine Samen ausbilden kann. Auch der Beifuß wird klein gehalten. Doch lässt sich so ein klonales Wachstum der Goldrute nicht verhindern, sodass wir die Pflanzen, dort, wo wir sie nicht haben wollen, wie an Wegrändern, möglichst frühzeitig ziehen oder ausgraben. Diese selektive Pflege bedeutet zwar an sich keinen großen Aufwand, wohl aber, dass man die Flächen immer im Auge haben und gegebenenfalls einen eigenen Pflegedurchgang durchführen muss. Bei grashaltigeren, wiesenartigeren Beständen gehen wir hingegen auf einen Schnitt im Juni und einen im November über, betreiben also letztlich annähernd Wiesenpflege (Abb. 12). Hier setzen sich Margerite, Wiesensalbei, Labkräuter und Esparsette durch. Um die Gräser zu schwächen, säen wir neuerdings Kleinen Klappertopf aus dem Kasseler Umland an. Andere Hochstaudenfluren, vor allem auf den Beeten, werden im Januar gemäht, bevor die Geophythen austreiben. Diese zeitliche Differenzierung bewirkt nicht nur unterschiedliche Artausstattungen und Vegetationscharaktere, sondern verhindert auch Arbeitsspitzen bei der Mahd. Da sich durch den Klimawandel die Blühzeiten verschieben, ist es wichtig, einige Schlüsselarten zu bestimmen, nach deren Verblühen gemäht wird, etwa Oregano bei Säumen, Margerite und Wiesensalbei bei Wiesen. Andere, später blühende Arten werden dann im Herbst nachblühen, wie die Wiesenflockenblume.

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Zu unseren Experimenten mit mediterranen Arten sehen wir uns dadurch ermuntert, dass zunehmend auch Veränderungen im Kassel umgebenden Naturraum zu beobachten sind. Denn durch den Klimawandel wandern auch neue Arten ein. Sogar im rauen Nordhessen taucht Goldregen in Feldhecken der Berberitzen-Gebüsche auf (Abb. 13), und Lavendel verbreitet sich auf einem Trockenrasen in einem FFH-Gebiet. Milde und feuchte Winter fördern zudem winter- und immergrüne Arten. Auf dem Campus erfroren noch vor zehn Jahren regelmäßig Euphorbia characias ssp. Wulfenii (Wulfens Wolfsmilch). Das hat sich geändert und die Pflanzen versamen sich so, dass sie auf dem Universitätscampus neben der ebenfalls mediterranen und lange ihr Grün behaltenden Spornblume schon fast zu einer Charakterart geworden sind. Der strenge Winter 2020/21 hat sie zwar dezimiert, doch nicht nachhaltig geschädigt, sodass eine genetische Adaption nicht auszuschließen ist. Andere, in diese Richtung deutende Phänomene stellen spontan aufkommende Feigen dar, deren Früchte in Nordhessen allerdings noch nicht ausreifen oder der Sämling eines Mönchspfeffers auf unserem Campus, der eine etwas kleinere Blüte ausbildet. Eigentlich wären es hervorragende Zeiten für den Buchsbaum, wäre da nicht der gleichfalls einwandernden Zünsler. Die Fauna folgt also, wie die bekannte Schwarze Holzbiene.

Vorbild Steppenheide

Da sich die Vegetation von sich aus ändert, bietet es sich an, sich bei der Suche nach natürlichen Vorbildern der Pflanzenverwendung in benachbarten biogeografischen Bereichen umzuschauen. Insbesondere subalpine Hopfenbuchenwälder, die auch mit größeren Minustemperaturen im Winter klarkommen, oder auch Flaumeichenwälder können dann Anregungen bieten: So ist in Kassel durch drei sehr trockene Sommer in Folge (2018-2020) die Hainbuche an die Grenze zum Absterben gekommen, gleichzeitig hat der Winter 2020/21 zu Frösten geführt, die man schon lange nicht mehr erlebt hat. Zürgelbaum, Mönchspfeffer und sogar Steineiche haben alles aber gut überstanden. Die Hopfenbuche könnte ein nahezu identisch aussehender Nachfolger der Hainbuche werden, wobei viele Arten, die sie begleiten, ohnehin schon lange in gärtnerischer Verwendung sind, etwa Kornelkirsche oder Liguster.

Die Arten der Berberitzen-Gebüsche, die an sich oft schon prächtig sind, von denen es aber auch insbesondere bei den Wildrosen viele Zierformen gibt, bilden zusammen mit den Stauden der thermophilen Säume Lebensräume, die den einst von Gradmann euphorisch beschriebenen Steppenheiden der Schwäbischen Alb ähneln: "Die echte urwüchsige Steppenheide ist kein Wald und auch keine Wiese, auch kein 'Trockenrasen', sie passt überhaupt nicht in das übliche Schema (…). Sie besteht immer aus einem bunten Gemisch von Hochstauden, niederen Kräutern, Halmgewächsen, Moosen und Flechten mit spärlich eingestreuten Sträuchern und oft auch einzelnen krüppelwüchsigen Bäumen, wobei der Pflanzenbewuchs den Boden niemals vollständig bedeckt." (Gradmann 1898/1936, 116)

So gesehen lässt sich auch der Siedlungsraum mit seinen Gebäuden als künstlichen Felsen und den gestörten, häufig von Trümmer- und Bauschutt durchsetzten Substraten, Pflasterflächen sowie den oft lichten Gehölzbeständen insbesondere bei zunehmender Trockenheit als eine Art künstlicher Steppenheide betrachten, deren Bestandteil die thermophilen Säume sein können. Diese ganz eigene Synthese von Baustruktur und Vegetation in ihrer jahreszeitlichen Abfolge überrascht Besucher des Campus in Kassel immer wieder.

Literatur

Gradmann, R. (1898) 1936: Das Pflanzenleben der Schwäbischen Alb. 3. Aufl. Bd. 1. Tübingen

Wir machen auf zwei aktuelle Videos zur Vegetation auf dem Campus der Universität Kassel aufmerksam:

www.youtube.com/watch

www.youtube.com/watch

Weitere Informationen zur Vegetation des Campus Kassel auf unserer Website:

www.uni-kassel.de/fb06/institute/landschaftsarchitektur-und-planung/fachgebiete/landschaftsbau-management-und-vegetationsentwicklung/fachgebiet

Dr.-Ing. Florian Bellin-Harder
Autor

Landschafts- und Freiraumplaner, Universität Kassel, FB 06 Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung, FG Landschaftsbau/Landschaftsmanagement/Vegetationsentwicklung

Universität Kassel
Prof. Dr. Stefan Körner
Autor

Universität Kassel, Fachgebiet Landschaftsbau, Landschaftsmanagement und Vegetationsentwicklung

Universität Kassel

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