Eine Anmerkung zum gegenwärtigen Diskurs zu Atmosphären in der Landschaftsarchitektur

Atmosphären wahrnehmen, denken, entwerfen

von:
Landschaftsarchitektur
Der Blick der Künstler Peter Fischli und David Weiss auf eine weit verbreitete und dem Landschaftsarchitekten wohlvertraute, aber zumeist mit Argwöhnen betrachtete vorstädtische Siedlung. Haben wir auch solche Atmosphären "vor Augen", wenn wir über Atmosphären nachdenken? (Fotografie aus der Serie "Siedlungen, Agglomeration", 16 x 24 cm, 1993). Aus: Curiger, Bice/Fischli, Peter/ Weiss, David (Hgg.): Fischli Weiss. Fragen & Blumen. Eine Retroperspektive. Zürich 2007, S. 120 (oben).

Der Begriff "Atmosphäre" ist offenbar so in unserem gewöhnlichen Sprachgebrauch verankert, dass wir ihn mühelos in unterschiedlichen Zusammenhängen verwenden. Das kann dazu führen, dass nicht mehr auszumachen ist, was der Begriff eigentlich bezeichnen soll - der Bedeutungsinhalt schwindet, der Begriff wird zur Worthülse. Das wäre zumindest im Fall der Landschaftsarchitektur unerfreulich, da die mit dem Begriff zusammenhängenden Inhalte für die Entwicklung von Freiräumen bedeutsam sind. Die Frage ist aber, ob der Begriff hierfür gegenwärtig nicht mehr verdeckt, als er zu Tage bringt.

"Atmosphäre" ist in aller Munde

Barack Obama gab im letzten Jahr in einem Interview zu wissen, dass die "politische Atmosphäre in Washington kaputt" sei. Kurz nach der Wahl von François Hollande zum französischen Staatspräsidenten berichten Kommentatoren von einer "abgekühlten Atmosphäre" zwischen Deutschland und Frankreich. Glaubt man Kennern der katholischen Kirche, steht Papst Franziskus für eine "Atmosphäre der Kooperation". Im Bereich der Landschaftsarchitektur attestiert ein Kritiker dem neuen Stadtplatz eine "angenehme Atmosphäre", der Bürger findet hingegen, dass der tiefschwarze Asphalt eine "düstere Atmosphäre" ausstrahlt.

In den Planungsbüros und den Hochschulen ist man sich darüber einig, dass der Entwurf zumindest eine "besondere Atmosphäre" besitzt, die jeder Entwurf für einen Platz haben sollte. Der Begriff ist omnipräsent. Für den Bereich der Architektur (im weiten Sinne, also einschließlich Innen-, Hochbau- und Landschaftsarchitektur sowie Städtebau) kommt gegenwärtig hinzu, dass das Phänomen "Atmosphäre" zur Diskussion anregt. Das belegen beispielsweise kürzlich veranstaltete Tagungen1) und erschiene Veröffentlichungen.2)

"Atmosphäre" ist also in aller Munde, da kann es einem manchmal schwerfallen, den Überblick zu behalten. Um sich in der Landschaftsarchitektur jedenfalls in Ansätzen einen zu verschaffen, kann es beispielsweise hilfreich sein, die jeweiligen Absichten derjenigen herauszustellen, die mit Atmosphären in Berührung kommen. Im Folgenden werden drei mögliche Absichten diskutiert. Zusammen soll damit zugleich ein Hinweis darauf gegeben werden, dass die mit dem Begriff in Beziehung stehenden Inhalte Betrachtungsweisen eröffnen, die für die Entwicklung von Freiräumen bedeutsam erscheinen, aber im Diskurs über Atmosphären in der Landschaftsarchitektur hinter dem Begriff "Atmosphäre" verschüttgehen könnten.

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Atmosphären wahrnehmen

Die gewöhnliche Art mit Atmosphären im Freiraum in Berührung zu kommen, ist das Wahrnehmen von Atmosphären. Mit "gewöhnlich" meine ich die Weise, wie ein Mensch mit Atmosphären im alltäglichen Vollzug seines Lebens in Berührung kommt. So vernehmen wir zum Beispiel auf dem Weg zur Arbeit durch die Stadt eine "angenehme" oder auch "beängstigende" Atmosphäre, ohne dabei genau identifizieren zu können, was oder wo die Atmosphäre ist. Es wird etwas wahrgenommen, das wir - um bei der groben Gegenüberstellung zu bleiben - "angenehm" oder "beängstigend" empfinden. Dabei denken wir nicht zwangsläufig darüber nach, dass wir eine Atmosphäre vernehmen. Ohne hierfür den Begriff der Atmosphäre zu verwenden, könnte man auch allgemein sagen, dass sich etwas ohne eine bewusst getätigte kognitive Aktivität "einstellt", das wir als "angenehm" oder "beängstigend" empfinden.

Das schließt allerdings nicht aus, dass wir im Alltag sehr genau wissen, was wir "angenehm" oder "beängstigend" finden. Schließlich treffen wir Entscheidungen, uns Atmosphären auszusetzen oder diese zu umgehen. So können wir die "beängstigende Atmosphäre" des dunklen Tunnels meiden und uns der "angenehmen Atmosphäre" des sonntäglichen Flohmarktes aussetzen. Wir haben Erfahrungen mit Atmosphären gemacht, die unsere Entscheidungen im Alltag beeinflussen. Das spricht nicht gegen die Möglichkeit, Atmosphären wahrnehmen zu können, ohne dabei vorher über sie nachgedacht zu haben. Es spricht auch nicht dagegen, dass wir nicht zwangsläufig über Atmosphären im Moment der Wahrnehmung nachdenken müssten. Die Wahrnehmung von Atmosphären ist offensichtlich etwas, das uns etwas angeht, auch ohne darüber ausdrücklich nachdenken zu müssen. Ich möchte das hier als eine "Absicht" bezeichnen, die ein Mensch kann: Atmosphären wahrnehmen.

Atmosphären denken

Eine andere "Absicht" kann darin bestehen, über Atmosphären nachzudenken, oder besser gesagt: Atmosphären zu denken. Darum bemühen sich insbesondere Geisteswissenschaftler und Philosophen. Letztere zum Beispiel versuchen, Atmosphären zu verstehen. Hierfür suchen oder entwickeln sie Begriffe und Modelle für das, was zwar mehr oder weniger alle Menschen wahrnehmen können, nicht aber alle unbedingt verstehen. Hier soll nicht das Denken gegen das Fühlen ausgespielt werden. Ferner soll auch nicht das Denken denjenigen abgesprochen werden, die keine Philosophie betreiben. Ihnen fehlt es grundsätzlich auch nicht an der Fähigkeit zu denken. Allerdings haben sie in der Regel nicht die Absicht denkend nachzugehen, was Atmosphären sind und wie sie wahrgenommen werden. Sie haben andere Absichten, zum Beispiel eine Software zu entwickeln, älteren Menschen zu helfen, Kinder zu unterrichten, Gärten zu pflegen, in der Sonne zu dösen oder die Wohnung zu putzen. Dabei denken sie über andere Dinge nach, nicht aber unbedingt darüber, wie Atmosphären gedacht werden können.

Die Philosophen können gewissermaßen die Rolle von "Experten" einnehmen, die zwischen der Wahrnehmung von Atmosphären und wie wir Atmosphären verstehen können, vermitteln. Ihr Werkzeug ist die Sprache in geschriebener oder gesprochener Form. Jeder Mensch findet Worte für Atmosphären, meistens jedoch beschreibende ("angenehme Atmosphäre"). Dass solche Beschreibungen zum Teil höchst kunstvoll und uns auch andere Wege des Verstehens eröffnen können, belegt zum Beispiel nicht nur die Geschichte der Darstellenden und Bildenden Kunst, sondern auch alltägliche Beschreibungen von Menschen über Atmosphären.3) Die Philosophen sind jedoch skeptisch, ob das ausreicht, um Atmosphären verstehen zu können. Sie fragen lieber noch einmal nach, oder befragen sich selbst, ob die Beschreibung von Atmosphären zum Beispiel mit Adjektiven ausreicht, um das Phänomen verstehen zu können.

Es dürfte insbesondere der Philosoph Gernot Böhme gewesen sein, der dem Nachdenken über Atmosphären in der Ästhetik Mitte der 1990er Jahre4) einen entscheidenden Impuls gegeben hat, der kurze Zeit später auch im Bereich der Architektur auf fruchtbaren Boden stieß. Wie anfangs erwähnt, scheint es seit ein paar Jahren zumindest im Bereich der Architektur erneut einen Impuls zu geben, der Anlass gibt, intensiver über Atmosphären nachzudenken. (Warum das gerade jetzt der Fall sein könnte, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden.) Neben Gernot Böhme muss in diesem Zusammenhang auch der Philosoph Hermann Schmitz genannt werden, der sich seit Jahrzehnten intensiv allgemein mit Atmosphären auseinandergesetzt hat.5)

Im Bereich der Architektur sind kürzlich, auf der Grundlage und zum Teil auch in kritischer Distanz zu diesen beiden Autoren, Publikationen erschienen, die über das Phänomen der Atmosphäre in Bezug zur "gebauten Umwelt" nachdenken. So zum Beispiel die Analyse "Atmosphären der Stadt. Aufgespürte Räume" des Geographen Jürgen Hasse (Stadt+ Grün, Heft 11, 2012), der Forschungsbericht zur Wahrnehmung in Freizeitparks unter anderem des Architekturtheoretikers Achim Hahn, der unter dem Titel "Erlebnis Landschaft - Erlebnislandschaft? Atmosphären im architektonischen Entwurf" erschienen ist sowie das aktuelle Themenheft "Raum und Erleben. Über Leiblichkeit, Gefühle und Atmosphären in der Architektur" der Zeitschrift "Ausdruck und Gebrauch".

Blickt man von der Absicht dieser Autoren (Atmosphären denken) auf die zuerst beschriebene Absicht (Atmosphären wahrnehmen), so möchte man dem Autor dieses Artikels nachgiebig darauf hinweisen, dass die gemachten Beschreibungen zur Wahrnehmung von Atmosphären mehr als undifferenziert sind, er womöglich sogar Missverständnissen und Vorurteilen aufsitzt. Das ist auch gut so. Schließlich geht es denjenigen, die Atmosphäre denken wollen, darum möglichst plausibel darzulegen, wie man Atmosphäre denken kann. Und genau darüber wird heftig diskutiert. Hier soll lediglich auf zwei Fragen hingewiesen werden, die die oben genannten Autoren allgemein (Böhme, Schmitz) oder speziell im Bereich der Architektur (Böhme, Hasse, Hahn) thematisieren:

Erstens, wie können "Atmosphären" gedacht werden, sodass sich der Gedanke nachvollziehbar mit dem deckt, wie eine Atmosphäre tatsächlich wahrgenommen werden kann? Mit dieser Frage ist unweigerlich eine weitere verbunden: Wie können diese Gedanken in Sprache übersetzt werden? (Es ist allerdings nicht nur so, dass die Sprache erst nach dem Denken folgt. Es kann auch so sein, dass Gedanken aus der Sprache entwickelt werden.) Zweitens, ist die Atmosphäre im Menschen "beheimatet" oder ist sie etwas, das ein Ding, zum Beispiel einen Park, Platz oder Garten, besitzt?

Schmitz beispielsweise versteht unter Atmosphäre "die Besetzung eines flächenlosen Raumes oder Gebietes im Bereich erlebter Anwesenheit".6) Auch wenn wir hier nicht tief in die Thematik einsteigen können, so bietet dieser Satz bereits genügend Gesprächsstoff, um eine Diskussion über Atmosphären zu entfachen: Atmosphären haben offenbar keine festen Dingkonturen ("flächenlosen"), sie sind aber etwas, das da ist ("Besetzung"). Die Atmosphäre eines Parks sollte man sich also beispielsweise nicht als ein gegenständliches Ding mit einer mathematisch zu bestimmenden Fläche vorstellen, allerdings doch als etwas, das wir wahrnehmen können.

Hierbei muss zweitens vorausgesetzt werden, dass wir als Wahrnehmende anwesend sein müssen, um eine Atmosphäre wahrnehmen zu können ("erlebter Anwesenheit"). Die Atmosphäre eines Parks kann also nur dann wahrgenommen werden, indem wir anwesend sind. Wenn man bei Schmitz weiter liest, dass er mit "Räume" solche meint, die man an Ort und Stelle "erfährt, erfüllt beispielsweise von Gefühlen wie Freude, Trauer [oder] Zorn [...]",7) dann wird drittens klar, dass anscheinend Gefühle bei der Wahrnehmung von Atmosphären eine herausragende Rolle einnehmen. Unmissverständlich wird es dann, wenn Schmitz andersherum Gefühle als "räumlich ergossene Atmosphären und leiblich ergreifende Mächte" charakterisiert"8), die also nicht nur im Inneren des Menschen entstehen, sondern offenbar auch von äußerlichen Dingen beeinflusst werden ("ergreifen"). Darauf bezieht sich auch Böhme, wenn er beispielsweise in einer "Kurzdefinition" Atmosphären als "ergreifende Gefühlsmächte" versteht.9)

Für unser Anliegen ist hierbei wichtig, dass Böhme und Schmitz Atmosphären als ein "alltägliches Phänomen in dem Sinne [verstehen], dass wir uns ständig in Atmosphären befinden und durch sie bestimmt werden", wie die Philosophin Ingrid Vendrell Ferran zusammenfasst.10) Ein Park hat demnach immer eine Atmosphäre, egal wie er hergestellt ist, in welchem Zustand er sich befindet, oder ob er von einem Landschaftsarchitekten oder einem "Fachfremden" gestaltet wurde. Obwohl hier nur sehr knapp angerissen, ist leicht ersichtlich, dass sich diese Absicht von der anfangs beschriebenen Absicht unterscheidet. Ging es dort darum, Atmosphäre wahrzunehmen, besteht die soeben beschriebene Absicht darin, Atmosphären zu denken.

Atmosphären entwerfen

Die dritte Absicht ist eine, die zum Beispiel Landschaftsarchitekten als eine ihrer grundlegenden Absichten verstehen: Atmosphäre entwerfen. (Ich blende hier bewusst die vielen anderen Disziplinen aus, die ebenfalls eine "ästhetischen Arbeit" [Böhme] verrichten, wie zum Beispiel Bühnenbildner, Werbefachleute, Musiker oder Bildende Künstler und konzentriere mich auf die Landschaftsarchitekten.) Sie haben in erster Linie nicht die Absicht, Atmosphären wahrzunehmen oder Atmosphäre zu denken, sondern sie wollen Atmosphären entwerfen. Natürlich sollen ihre Werke wahrgenommen werden, auch kann man über die mit dem Werk zusammenhängenden Atmosphären nachdenken, aber das ist auf Grund ihres Selbstverständisses einer "gestaltenden Disziplin" nicht ihre vordringliche Arbeit.

Für das Entwerfen von Atmosphären stehen dem Landschaftsarchitekten nur eine begrenzte Anzahl von Mittel zur Verfügung: Im besten Fall kombiniert er Materialien - wie beispielsweise Steine, Pflanzen, Wasser oder Erde - so, dass mehr als eine bloße Ansammlung von Materialien entsteht. Er zielt auf eine Art "ästhetischen Überschuss" ab. Dieser wird im fachinternen Sprachgebrauch durchaus mit "Atmosphäre" umschrieben.

Um hierfür nur ein fiktives Beispiel zu nennen, das einem Landschaftsarchitekten beim Betrachten eines noch nicht realisierten Entwurfs so oder so ähnlich bekannt sein dürfte: Dort ein einzelnes Spielgerät für Kinder, hier in der Ecke ein Baum, in der gegenüberliegenden Ecke eine Bank (...) - eine Anhäufung von zusammenhangslosen Elementen. "Dem Entwurf fehlt es an Atmosphäre", könnte die Äußerung lauten, die ein Landschaftsarchitekt nach dem Betrachten eines solchen Entwurfs resümierend feststellt. Wie wir jedoch soeben unter der Absicht "Atmosphären denken" mit Böhme und Schmitz festgestellt haben, kann es keinen Park, Platz oder Garten ohne eine Atmosphäre geben. Dem Entwurf kann es also an keiner Atmosphäre fehlen. Schließlich sei die Atmosphäre doch immer dann gegeben, wenn ein Mensch anwesend ist, der wahrnehmen kann; wir erinnern uns: Atmosphären seien "ergreifende Gefühlsmächte" (Böhme).

Hier wird eine Diskrepanz zwischen den Absichten "Atmosphären denken" und "Atmosphären entwerfen" deutlich. Sie kann zum Beispiel der Art sein, dass das Denken der Philosophen, oder der von dem Entwerfer verwendete Begriff, falsch ist. Achim Hahn macht sich beispielsweise für die zweite Möglichkeit stark. Für ihn sei es unmöglich, Atmosphären zu entwerfen ("herstellen"/"machen"), da "man nicht vorhersehen und planen kann, wie es sich für einen Menschen anfühlen wird, wenn er einer räumlich-architektonischen Umgebung begegnet".11) Für Hahn besteht alleine die Möglichkeit darin, Atmosphären "nachträglich sprachlich zu veranschaulichen",12) das heißt also, Atmosphären zu denken. Ist dann die Aussage "Dem Entwurf fehlt es an Atmosphäre" widersinning? Kann ein Landschaftsarchitekt keine Atmosphären entwerfen?

Möglichkeiten des Gebrauchs entwerfen

Ich denke, dass diese Fragen falsch gestellt sind, dem man nur eine Antwort geben kann, die dafür oder dagegen argumentiert. Nimmt man sich hingegen die Aussage "Dem Entwurf fehlt es an Atmosphäre" noch einmal vor, könnte man auch der Auffassung sein, dass man an dem Gesagten hängen bleibt, die Aussage wortwörtlich nimmt. Führen wir noch einmal das zu diesem Satz zugehörige und bereits angeführte fiktive Beispiel an: Dort ein einzelnes Spielgerät für Kinder, hier in der Ecke ein Baum, in der gegenüberliegenden Ecke eine Bank (...).

Wenn man sich nun einmal in diesen Ort "hineindenkt", könnte man sich folgendes vorstellen: Das Kind spielt in voller Sonne, da der Schatten des Baumes das Spielgerät nicht erreicht, weil sich der Baum in einer gegenüberliegenden Ecke befindet. Die Eltern des spielenden Kindes können nicht miteinander ins Gespräch kommen, da sie von der gegenüberliegenden Bank ihr Kind nicht im Blick haben. Sie wollen dort aber auch nicht sitzen, da es ihnen dort zu sonnig ist. Wie gut, dass der Baum in der anderen Ecke steht!

Was soll dieses zugegebenermaßen naive und konstruierte Beispiel im Zusammenhang von "Atmosphären entwerfen" sagen? Denke ich mich als Entwerfer in die konkrete Situation des Ortes hinein, so frage ich beispielsweise danach, was man dort tun könnte, also nach den Handlungen, die da passieren könnten, nach dem Gebrauch. Und für diesen Gebrauch kann man ohne Zweifel eine "materielle Wirklichkeit" in Form von Steinen, Pflanzen, Wasser oder Erde entwerfen, die dann dazu führen könnte, dass sich bestimmte Atmosphären ereignen oder ausbleiben.

Die Frage "Kann ein Landschaftsarchitekt eine Atmosphäre entwerfen?" ist deshalb meines Erachtens zu abstrakt, sie zielt nicht auf die konkrete Situation ab. Das führt mich sogar zur Vermutung, dass der Begriff "Atmosphäre" in der Landschaftsarchitektur zumindest gegenwärtig mehr verdeckt, als er zu Tage bringt. Denn wenn man sich in die konkrete Situation, in der sich eine Atmosphäre eröffnen soll, denkend hineinbegibt, werden viele Phänomene erkennbar, die erst die Vorraussetzung dafür bilden, dass Atmosphären wahrgenommen werden können und auf die der Entwerfer mit einem Entwurf auch reagieren kann.

Der Landschaftsarchitekt kann also durch den Entwurf einer materiellen Wirklichkeit Möglichkeiten des Gebrauchs eröffnen, in der sich Atmosphären ereignen können - vielleicht sogar welche, die er sich vorstellt, aber sicherlich auch solche, die er sich niemals hätte vorstellen können.


Anmerkungen

1) Siehe zum Beispiel die Tagungen "Atmosphären entwerfen - Das Atmosphärische in der Landschaftsarchitektur" (TU Berlin, Mai 2012) und "Atmosphäre atmosphäreln? - zur präzisen Unbestimmtheit räumlicher Erlebensvielfalt" (HS Osnabrück, April 2013).

2) Siehe zum Beispiel Hahn 2012a, Hahn 2012b oder Hasse 2012.

3) Siehe hierzu zum Beispiel Friedreich 2012.

4) Böhme 1995.

5) Siehe zusammenfassend zum Beispiel Schmitz 2003.

6) Schmitz 2012, S. 39

7) Ebd.

8) Ebd.

9) Böhme 2006, S. 19.

10) Vendrell Ferran 2012.

11) Hahn 2012b, S. 126.

12) A. a. O., S. 127.

Literatur

Böhme, Gernot 1995: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt am Main.

Böhme, Gernot 2006: Architektur und Atmosphäre. München.

Friedreich, Sigrid Anna 2012: Auf der Suche nach einer anderen Weise, da zu sein. Eine Studie über räumliches Erleben in Erlebnislandschaften. In: Hahn, Achim (Hg.): Erlebnislandschaft - Erlebnis Landschaft? Atmosphären im architektonischen Entwurf. Bielefeld, S. 305-343.

Hahn, Achim 2012a (Hg.): Erlebnislandschaft - Erlebnis Landschaft? Atmosphären im architektonischen Entwurf. Bielefeld.

Hahn, Achim 2012b: Über die Machbarkeit von Atmosphären in der Umgangswelt. In: Raum und Erleben. Über Leiblichkeit, Gefühle und Atmosphären in der Architektur (= Ausdruck und Gebrauch). Heft 11, S. 108-127.

Hasse Jürgen 2012: Atmosphären der Stadt. Aufgespürte Räume.

Schmitz, Hermann 2012: Atmosphäre und Gefühl. Für eine Neue Phänomenologie. In: Heibach, Christiane (Hg.): Atmosphären. Dimensionen eines diffusen Phänomens. München, S. 39-56.

Schmitz, Hermann 2003: Was ist Neue Phänomenologie? Rostock.

Vendrell Ferran, Ingrid 2012: Erleben, Gefühl und Wert. Atmosphären in der Architektur. In: Raum und Erleben. Über Leiblichkeit, Gefühle und Atmosphären in der Architektur (= Ausdruck und Gebrauch). Heft 11, S. 59-83.

Dipl.-Ing. (FH) Sebastian Feldhusen
Autor

Hochschule Osnabrück und Technische Universität Berlin

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