Ein katholischer Friedhof in Mwanza (Tansania)

Auch im Tod nicht gleich

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Afrikanische Gärten Friedhöfe
Abb. 1: Katholischer Friedhof in Mwanza, Tansania.Der Überblick zeigt bereits: Der Friedhof ist locker angelegt, und es gibt verschiedene Arten von Grabstätten. Foto: Hanns-Werner Heister, Januar 2019
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Abb. 2: Abzugsgraben zwischen Straße und Gelände, direkt an der Grenze zwischen Campus und Friedhof. Das Anti-Virus-Plakat bezieht sich nicht auf den aktuellen Corona-, sondern auf den weitaus schlimmeren HIV-Virus. Foto: Hanns-Werner Heister, Januar 2019
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Abb. 3: Wildwuchs in einfachem Grab und zwischen Gräbern. Foto: Hanns-Werner Heister, Januar 2019

Auf dem riesigen Gelände der St.-Augustin-University Tanzania in Mwanza am Südufer des Victoria-Sees gibt es einen ausgedehnten Friedhof.

Die katholische, nicht-staatliche SAUT, Universität seit 1998, vorher ein College, ist mit etwa 8000 Studierenden eine der großen Universitäten unter den mehr als 30 Universitäten Tansanias. Sie liegt circa 10 Kilometer vom Stadtkern entfernt, eine halbe Bus- oder Autostunde. Das Gesamtgelände umfasst über 240 Hektar. Darin finden sich Landwirtschaft (Rinder- und Hühnerzucht, Teiche für eine spätere Fischzucht), Wohnheime für Studierende und kleine Häuser für Mitarbeiter*innen sowie mehrere schmale Markt-Straßen mit Ständen, die ein umfangreiches Sortiment zwischen Lebensmitteln und Ledergürteln, Tischlerei und Internet-Café anbieten. Zwischen diesen Einkaufsstraßen und dem Friedhof liegt eine belebte Durchgangsstraße. Der Friedhof grenzt an der Ostseite direkt an das Campus-Gelände an, abgegrenzt durch eine Hecke. Von der Straße ist er nur durch einen Abzugsgraben plus einem schmalen Fußpfad getrennt.

Dass der Friedhof "belebt" wäre, lässt sich nicht behaupten, aber er ist als Durchgangsort beliebt und wird umstandslos genutzt, gegebenenfalls auf den irregulären Diagonal-Pfaden als Abkürzung beim Weg zu einem Fußballplatz oder einem etwas weiter entfernten Jugendhaus.¹

Offen. Ohne Zugangsbeschränkungen, selbstverständliche Pietät

Die Hygienefrage, die besonders im 19. Jahrhundert in den "weißen" Kulturen weltweit zur Verlagerung der Friedhöfe an die Ränder der Städte führte, war wohl kein Kriterium für die Anlegung dieses Friedhofs - andrerseits ist dieser Friedhof nur undeutlich-zweideutig in das Siedlungsgefüge integriert.² Die Trennlinie zwischen Säkularem und Sakralem wird nicht zusätzlich markiert. Das Campus-Gelände der SAUT ist stärker abgegrenzt als der Friedhof, durch Bosketten oder sehr niedrige Hecken zur Straße hin. Um den Friedhof dagegen: keine Mauer, kein Zaun, und nur an einer Seite eine Hecke. Diebstähle, "Vandalismus" oder Verwüstungen, von denen hierzulande in der Tagesspresse oder in Fachzeitschriften wie der Friedhofskultur ³ immer wieder berichtet wird, werden hier offensichtlich weder befürchtet4 noch ist etwas davon zu sehen.

Pietät und Respekt gegenüber den Toten wird von Angehörigen aller Religionen erwartet. "Zwei Weltreligionen prägen das Land: der Islam und das Christentum. Neben der römisch-katholischen Kirche sind die lutherische und anglikanische Kirche präsent. Überall finden sich auch Anhänger der traditionellen Religionen, deren Riten oft von Christen und Muslimen mit beachtet werden."5 Schätzungsweise 80 Prozent der tansanischen Bevölkerung bekennen sich entweder zum Islam oder zum Christentum. Aber die restlichen 15 Prozent "Animist*nnen" sind nur statistisch ein Rest-Wert, weil "manche zwei Religionszugehörigkeiten angeben, wie beispielsweise katholisch und animistisch."6 Wie es die Regel ist, sind religiöse Fragen zugleich politisch-soziale. "Die religiöse Zugehörigkeit ist maßgeblich für das Amt an der Spitze des Staates. So werden die wichtigsten Posten heute von Christen eingenommen."7 Der Sozialist und maßgebliche Kopf der antikolonialen Befreiungsbewegung Julius Nyerere hat an der Bibelübersetzung ins Suahili mitgearbeitet.8

Um schwelenden und potenziellen Konflikte entgegenzuarbeiten, wird die Religionszugehörigkeit in Tansania seit 1967 nicht mehr statistisch erfasst.9 Samuel Gogomoka, der Leiter der Spracharbeit am Goethe-Institut von Daressalam, verweist auf die Einbettung dieser Haltung: "ich glaube, dass die tansanische Regierung, die Gesellschaft allgemein gegen interreligiöse Konflikte ist."10

Die Vereinigte Republik Tansania entstand 1964 aus dem Zusammenschluss der beiden Staaten Tanganjika und Sansibar - Sansibar gehörte Jahrhunderte lang zum Sultanat Oman und ist zu etwa 90 Prozent muslimisch. Das Verhältnis Christentum-Islam ist - noch - im Prinzip friedlich, aber nicht wirklich entspannt. Derzeit scheint es sich tendenziell zu verschlechtern, mit dem Eindringen von IS-Söldnern, die nicht zuletzt wegen der zahlreichen globalen neokolonialen Kriege ebenfalls global agieren.

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Abb. 4: Wildwuchs in Prachtgrab. Foto: Hanns-Werner Heister, Januar 2019
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Abb. 5: Kindergrab, sieben Monate alter Säugling. Foto: Hanns-Werner Heister, Januar 2019
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Abb. 6: Grab eines Pastors auf dem allgemeinen Friedhof. Foto: Hanns-Werner Heister, Januar 2019

Wildwuchs. Wenig Pflege, aber nicht ungepflegt

Die sehr verschiedenen, prunkvollen oder bescheidenen Grabstätten sind meist allein schon durch die tropische Vegetation schön. Für 'Biodiversität' sorgt weitgehend die Methode, die Natur in Ruhe zu lassen, soweit und weil sie die Totenruhe nicht stört, und sie nur unmittelbar um das jeweilige Grab herum etwas zu begrenzen und einzuhegen.

Die Schönheit und weitgehend wildwüchsige Vielfalt der Pflanzen sind beeindruckend. 'Biodiversität' versteht sich gewissermaßen von selbst.¹¹ Der Friedhof mutet mit seiner Vielfalt an Pflanzen und seinem Artenreichtum fast wie ein informeller Botanischer Garten an, der natürlich nicht als solcher intendiert ist. Eine systematische Pflege scheint es nicht zu geben. Sie ist auch eigentlich nicht nötig. Abgesehen von natürlichem Verfall ist, wie erwähnt, kein Vandalismus bemerkbar und viel weniger Müll als in den meisten bundesdeutschen Grünanlagen.

Wie die Pflege, so scheinen auch Planung und Regulierung minimiert. Der Friedhof sieht auch daher, und nicht nur wegen der Vegetation, sehr anders aus als der traditionelle Friedhof in Deutschland oder auch anderswo - viele lateinamerikanische städtische Friedhöfe sind zum Beispiel ebenso gerastert wie deutsche.¹² Die Anlage wirkt relativ regellos. Latent schimmert aber doch ein gewisses, undoktrinär gehandhabtes Raster durch. So sind die Gräber tendenziell Richtung Osten orientiert. Zum Verweilen, ob zur Erholung, zum Nachtrauern, zum Eingedenken ist kein Platz vorgesehen. Es gibt, wie die Fotos zeigen, keine Bänke oder andere Sitzgelegenheiten.

Dagegen ist auf dem angrenzenden Campus die unmittelbare Umgebung der Gebäude für Unterricht, Büros der Lehrenden und der Verwaltung als Park angelegt, bewusst gepflanzt und intensiv gepflegt.

Auf dem Friedhof dagegen gibt es keine Einfriedungen oder kleine markierte Umgänge um jedes Grab, wie traditionell in Deutschland oder auch auf manchen städtischen Friedhöfen in Lateinamerika. Hier reicht das Grab selbst als Begrenzung. Spontane Zwischenräume gehören dazu. Es gibt zwar einige "Häuser" beziehungsweise Kapellen, aber keine figürlichen Darstellungen, auch keine skulptural gestalteten oder mit Skulpturen geschmückte Gräber. Höchstens ansatzweise in eine solche Richtung weisen die vielen Nachbildungen einer Liege mit erhöhtem Kopfteil. Einige Kreuze, die nicht obligatorisch scheinen, sind ornamental reicher ausgestaltet. Fotos der Verstorbenen wie etwa im Mittelmeerraum sind nicht zu sehen. Die Personalisierung des Grabs ist generell nicht immer bemerkbar. Bei vielen Gräbern finden sich Namen und Daten, aber oft bleiben sie namenlos, gerade auch auffällig prachtvolle Grabstätten. Das widerspricht etwas der Memorial-Funktion beziehungsweise nimmt sie auf ein eventuelles ganz privates Gedenken zurück.

Dieses Kindergrab ist ein einzelner Hinweis auf die immer noch hohe Säuglingssterblichkeit. Die Lebenserwartung ist relativ niedrig, um 60 Jahre, hoch ist dafür das Bevölkerungswachstum, das nicht zuletzt durch die Religionsgemeinschaften wenig gebremst wird.¹³ Hoch ist auch der Anteil von Jugendlichen und Kindern am Gesamt der Bevölkerung, Tansania ist also ein armes, junges und aufstrebendes Land; für letzteres spricht sowohl der Alphabetisierungsgrad von weit über zwei Drittel der Bevölkerung als auch die Tatsache, dass sich Tansania bislang selbst mit Nahrung versorgen kann. Tansania hatte im Jahr 2019 geschätzt rund 56,3 Millionen Einwohner.14

Ausgesprochen viel Text erhält das Grab eines Pastors. In der Übersetzung aus dem Suahili etwa so: "Ihre Frau erinnert sich an Sie - Marietha Festus Mwibule. Kinder, Enkelkinder, Brüder, Mutter und Freunde. Der Herr hat's gegeben und der Herr hat's genommen". (Hiob 1, 21) Da katholische Kleriker kaum offizielle Nachkommen haben, die das Grab pflegen und ihrer Gedenken könnten, muss es sich um einen protestantischen oder anglikanischen Priester handeln. (Die übliche Übersetzung von Pastor und Pfarrer wie auch für den anglikanischen 'Reverend' ist allerdings "Mchungaji"-) Das kann ich nicht restlos klären; es dürfte sich aber um ein Zeichen innerchristlicher religiöser Toleranz handeln.

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Abb. 7: Sonderfriedhof bei Kirche nebenan für Nonnen mit einfachen, gleichförmigen Gräbern. Foto: Hanns-Werner Heister, Januar 2019
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Abb. 8: Gleichartige Pracht-Liegestätten nebeneinander. Dieser Typ von expliziten Pracht-Gräbern kommt mehrfach vor. In ihnen liegen fast sicher keine armen Leute. Die Ausgestaltung erinnert zum einen an Katafalke zur Aufbahrung, mit einer simulierten Kopfstütze wie bei einer Chaiselongue. Sie erinnert zum andern an Sarkophage, ohne figurale skulpturale Zusätze. Diese eher europäisierende Prachtentfaltung ist sehr weit entfernt von spezifisch afrikanischen Mustern – sicher auch ein Resultat der durchgreifenden Christianisierung. Ein bemerkenswerter Typ sind überdimensionale, überlebensgroße Puppen, in die die Leichname von innerhalb einer Dorfgemeinschaft führenden Mitglieder verwandelt werden. Dafür dient vor allem das Einwickeln in unzählige Bänder, vergleichbar altägyptischen Mumien. Eindrucksvolle Bilder und Kommentare bei Andrea Reikat: Niombo. Begräbnisrituale in Zentralafrika. Ausstellungskatalog Rautenstrauch-Joest-Museum für Völkerkunde, Köln 1990. Foto: Hanns-Werner Heister, Januar 2019
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Abb. 9: Geschütztes Familiengrab. Die betonte doppelte Absicherung wäre im Hinblick auf Beschädigungen oder Diebstähle wohl gar nicht nötig. Sie dient aber als Abhebung von den "gewöhnlichen" Gräbern und als soziale Distinktion. Die freilich läuft angesichts der überwiegenden Anonymität der Gräber vielleicht etwas ins Leere. Foto: Hanns-Werner Heister, Januar 2019
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Abb. 10: Grab einer alten Frau, liebevoll geschmückt. Foto: Hanns-Werner Heister, Januar 2019

Gleichmachen. Kleriker*nnen-Kirchhof

Direkt neben der Kirche liegt ein kleiner, eigener Friedhof für Nonnen und andere Angehörige des Klerus. Ein auch mit Autos befahrbarer Durchgangsweg trennt die beiden Friedhöfe voneinander. Terminologisch gesehen ist es der Spezialfall des unmittelbar einer Kirche zugeordneten 'Kirchhofs' (churchyard). Dieser Sonder-Friedhof ist eingezäunt. Die Grabgestaltung ist karg und bis auf wenige, etwas hervorgehobene Ausnahmen einheitlich. Hier sind die Menschen im Tod wirklich ziemlich gleich. Aber es handelt sich auch um eine recht homogene Gruppe.

Die Gräber sind deutlich durch Randsteine voneinander abgegrenzt. Eine Reihe von bepflanzten Blumentöpfen impliziert regelmäßiges Gießen. Soweit ersichtlich, sind auch diese Gräber anonym. Eine einfache Betonplatte mit Betonkreuz genügt, unterschieden nur mit oder ohne an das Steinkreuz angelehntem Holzkreuz. (Abb. 7)

Ungleichheit. Reich und arm

"Die Menschen sind im Tod genauso sozial aufgeteilt wie im Leben. Der Ort der Bestattung richtet sich oft nach ethnischer Zugehörigkeit, Religion und sozialer Klasse. Die Größe des Grabmals drückt die relative Macht der Männer über die Frauen, der Erwachsenen über die Kinder und der Reichen über die Armen aus."15 Da hier oft nur indirekt sichtbare soziale Verhältnisse visuell und zeichenhaft fasslich werden, lässt sich sogar behaupten: "Friedhöfe und Gräber dramatisieren die Schichtungsstrukturen der Lebenden. Die Segregation der Lebenden wird im Tod nochmals bekräftigt."16 Die soziale Stratifikation ist sichtbar. Es wurde aber darauf verzichtet, sie durch eine hierarchische Gliederung des Friedhofs zu betonen.

Ein Mehrfamilien-Totenhaus mit reich verziertem Metallgittern ist mit einem neuen Vorhängeschloss nochmals gesichert. Mindestens zwei beschriftete Grabsteine im Innern sind erkennbar. Direkt daneben steht ein zweistöckiges Grab mit ebenfalls reich ornamentiertem Metallkreuz. Im Hintergrund ist ein ähnliches, etwas schlichteres Haus zu sehen. Dieses ist im Innern wie ein breites gekacheltes Ruhebett ausgestaltet, enthält aber nur ein Grabkreuz mit Name und Daten. Ganz unten am Fuß des Kreuzes ist aus den Stäben ein kleines Herz geformt. Und eine weitere Zierde sind nicht weniger als vier Plastikkränze. Diese Art von relativ witterungsbeständigen Kränzen finden sich auf mehreren Gräben, in der Regel wie hier in Blau oder Schwarz gehalten, entsprechend den Farben der Säcke, aus deren Resten sie hergestellt sind.

Geradezu palastartig präsentiert sich ein noch unfertiges, im Bau befindliches Grab, wieder mit ornamentierten Gittern. (Abb. 9)

Das schlichte Grab einer alten Frau ist mit Name und Daten und mit noch reicherem Schmuck versehen: ein schwarzes Herz und zwei bunte, liebevoll noch durch sehr natürlich aussehende künstliche Rosen ergänzt - alles aus Plastikresten gefertigt. (Abb. 10)

Tanzania ist ein junges Land. Ich habe nur ein Grab eines Jugendlichen entdeckt mit den Lebensdaten 26.1.1990-9.1.2005. Die niedrige Lebenserwartung, um 60 Jahre, immer noch hohe Säuglingssterblichkeit17, dafür ein hohes Bevölkerungswachstum, das nicht zuletzt durch die Religionen wenig gebremst wird, und ein hoher Anteil von Jugendlichen und Kindern am Gesamt der Bevölkerung - also ein armes, junges und aufstrebendes Land; für letzteres spricht sowohl der Alphabetisierungsgrad der Bevölkerung als auch die Tatsache, dass sich Tansania bislang selbst mit Nahrung versorgen kann. Tansania hatte im Jahr 2019 geschätzt rund 56,3 Millionen Einwohner.18 Schriftliche Ergänzungen mit Angaben zur Person, Name, Geburts- und Sterbedaten sind häufig, scheinen aber im Gegensatz zum Beispiel zum deutschen Modell nicht obligatorisch. Die erwähnte Tendenz zur Namenlosigkeit muss andere Gründe haben als Lese- und Schreibfähigkeit. Denn der Alphabetisierungsgrad für Personen ab 15 Jahren lag 2015 schon bei knapp 70 Prozent. Und er steigt. Bis zum 15. Lebensjahr besteht Schulpflicht. In Tansania stieg die mittlere Schulbesuchsdauer von 3,6 Jahren im Jahr 1990 auf 5,8 Jahre im Jahr 2015.19

Gleichheit. Natürliche Nivellierung sozialer Unterschiede

Die Dominanz der Natur über die Kultur zeigt indirekt noch soziale Differenzen. Teurere Gräber heben sich stärker ab und verfallen etwas weniger leicht. Aber in einem ärmeren und in einem reicheren Grab wächst die gleiche Hauptpflanze. (Abb. 11)

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Abb. 11: Die Natur nivelliert soziale Unterschiede: Im ärmeren und im reicheren Grab wächst dieselbe charakteristische Pflanze. Foto: Hanns-Werner Heister, Januar 2019

Kunstvoll ist mit einem beschnittenen alten Bäumchen und Natursteinen gestaltet ist eine Grabumrandung. Der gejätete Boden darum, bereits wieder mit keimendem "Unkraut", betont die Abgrenzung gegen bloße Natur. Und mit den gleichen Steinen ist auch ein Kreuz gebildet, das wie eine steinerne Blume aussieht.

Als Minimallösung, die der Armut und nicht der freien Wahl geschuldet sein dürfte, bleibt eine Art Steinsetzung in deutlicher Kreuz-Form. Eingebettet ist es in wild gewachsene Bodendecker. Trotz der tendenziellen Rückverwandlung in Natur macht die bewusst geformte Gestalt Kultur in religiösem Kontext kenntlich.

Der Friedhof ist ungewöhnlich und beeindruckend, auch fremdartig aus europäischer Sicht, ist aber kein "Gartendenkmal" oder gar eine Nekropole mit Glanz wie der Wiener Zentralfriedhof und viele großstädtische Zentralfriedhöfe in aller Welt oder ein belebter Erholungsort.20 Eine Verwandlung in einen Museums-Friedhof oder ein Kultur-Natur-Denkmal steht nicht zur Debatte. Der Aufwand für Pflege und Unterhalt für einen bloßen Friedhof rentiert sich in manchen Ländern West-Europas oft nicht mehr angesichts schrumpfender Nachfrage nach religiöser Erdbestattung und steigender nach Baugelände.²¹ Hier bleibt der Friedhof ein Ort primär der Toten. Soweit Datierungen vorhanden sind, wurde dieser Friedhof genutzt bis mindestens 2017, und wird es höchstwahrscheinlich immer noch. So oder so ist eine Flächen-Umnutzung keine Frage, und sicher in Tansania kein großes Problem, im Unterschied zu vielen Ländern Europas.

An den Rändern, die der Straße abgewandt sind, verwandelt sich der Friedhof mit fließenden Übergängen in einen Teil der Landschaft. Diese ist natürlich mitnichten "Natur". Die abgesägten und beschnittenen Bäume zeigen vielmehr, dass auch diese Grenzregion kulturell bearbeitet ist, möglicherweise als Vorbereitung für weitere Gräber. Das in Tansania verbreitete Gottvertrauen, die Zuversicht, dass es trotz Armut langsam aufwärts geht, die endemische lässige Lebensfreude stärken das Immunsystem und könnten dafür sorgen, dass die "Fallzahlen" so wenig wie die Zahl neuer Gräber in die Höhe gehen.

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12 Im Hintergrund die für Mwanza und Uferregionen des Victoria-Sees charakteristischen rundgeschliffenen anthrazitfarbenen Granit-Felsen Foto: Hanns-Werner Heister, Januar 2019

Anmerkungen

¹ Zur generellen Situation von Gartenbau, Parks und Grünpflege in Mwanza vgl. H.-W. Heister: Schwieriges Stadtgrün am Victoria-See. Probleme und Errungenschaften in Mwanza (Tansania), in: Stadt + Grün 68.2019, H. 7, S. 49-56.

² Inzwischen wird diese Frage noch mit erweiterten Gesichtspunkten diskutiert; vgl. z. B. Iris Zimmermann: Entwicklung einer umweltgerechten Erdbestattungspraxis im Hinblick auf die Folgewirkungen auf Böden, Grundwasser und Atmosphäre. Schriftenreihe Institut für Pflanzenernährung und Bodenkunde, Hrsg. R. Horn und K. H. Mühling, Nr. 97, Diss. Kiel (2012).

³ Vgl. z. B. de.wikipedia.org/wiki/Friedhofskultur_(Zeitschrift), 8.3.20, Abruf 8.11.20.

4 Aus "Berg-Karabach" wird gerade seit dem 24.11.2020 und dem Einzug aserbeidjanischer Truppen von der Zerstörung armenischer Friedhöfe berichtet. Krieg schadet nicht nur den Lebenden, sondern sogar den Toten.

5weltkirche.katholisch.de/Engagieren/Bildungsarbeit/Infos-zu-Tansania.

6www.evaneos.de/tansania/reisen/tipps/4437-religionen-in-tansania/, Abruf 1.11.20.

7 Ebd.

8 So ebd.

9 Ausf. zu diesem Problemfeld Sven Weniger und Michael Marek: Tansania. Fragiles Zusammenleben der Religionen, www.deutschlandfunkkultur.de/tansania-fragiles-zusammenleben-der-religionen.1278.de.html, Beitrag vom 21.12.2014, Abruf 1.11.20. Weitere, oft nach wie vor aktuelle ältere Informationen bei dem christlichen Website www.tansania-information.de/index.php.

10 Im Interview mit Weniger und Marek.

¹¹ Bei bundesdeutschen Friedhöfen entsteht sie teils spontan, teils wird sie gehegt. Vgl. z. B. Jonas Renk: Hotspots der Biodiversität, in: Stadt + Grün H. 11/2020, S. 31-35.

¹² Zur Geschichte vgl. z. B. Norbert Fischer: Vom Gottesacker zum Krematorium - Eine Sozialgeschichte der Friedhöfe in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert, Phil. Diss. Hamburg 1996. ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/155.

¹³ Vgl. z. B. Die Einwohnerzahl wächst. In Tansania bekommt eine Frau durchschnittlich 5,5 Kinder. In der Bundesrepublik Deutschland sind es 1,4 Kinder.

14de.statista.com/statistik/daten/studie/372283/umfrage/gesamtbevoelkerung-von-tansania/.

15 Übersetzt aus www.deathreference.com/Bl-Ce/Cemeteries-and-Cemetery-Reform.html, Abruf 8.11.20.

16 Ebenda.

17 Vgl. z. B. de.wikipedia.org/w/index.php, 28.11.18, Abruf 25.12.18.

18de.statista.com/statistik/daten/studie/372283/umfrage/gesamtbevoelkerung-von-tansania/.

19 Daten nach de.wikipedia.org/w/index.php, 28.11.18, Abruf 25.12.18. In der Bundesrepublik Deutschland "gibt es 7,5 Millionen funktionale Analphabeten. Sie können nicht richtig lesen und schreiben. [. . . ] Etwa jeder siebte Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren ist betroffen." (2020 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/lesen-und-schreiben-sind-schluessel-zur-welt-439946).

20 Siehe die Beiträge von Martin Jeschke, Thomas Herrgen, Marianne Mommsen/Thomas Thränert und Niels Breuer im Novemberheft von Stadt + Grün H. 11/2020. Dort erscheinen auch zahlreiche weitere Facetten bundesdeutscher Sepulkralkultur. Zu einem ausländischen Denkmal vgl. z.B. H.-W. Heister: Minimalpflege und "historisches Reservat": Der Bolton Street Cemetery-Park in Wellington (Neuseeland), in: Stadt + Grün 68.2019, H. 1, S. 35-40.

²¹ Zur Nach- und Anschlussnutzung vgl. z. B. Katharina Cristenn, Judith Lev, Silvia Beretta: Friedhof, quo vadis?, in: Stadt + Grün H. 11/2020, S. 13-19; s. auch Stefan Netsch: Strategie und Praxis der Umnutzung von Kirchengebäuden in den Niederlanden, Diss. Dr. ing. Karlsruher Institut für Technologie 2018. KIT Scientific Publishing, DOI 10.5445/KSP/1000085540.

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