Wie die niedersächsische Gemeinde Wedemark neue Wege beschreitet

Bauleitplanung mit Kindern und Jugendlichen? Das geht!

von:

Susanne Fuchs

Bauleitplanung Bürgerbeteiligung
Abb. 1: Entwurf zu Baukörpern und Erschließung 2018. Foto: Susanne Fuchs

Während die Beteiligung junger Menschen bei der Planung von Spielplätzen schon zum Standard in den Kommunen gehört, werden Kinder und Jugendliche selten mit altersgerechten Qualitätsstandards¹ in der Bauleitplanung oder in der Stadtentwicklung beteiligt. Seit 2013 schafft die Novellierung des Baugesetzbuches neue Tatsachen: Kinder und Jugendliche müssen seitdem "als Teil der Öffentlichkeit" frühzeitig "über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung, sich wesentlich unterscheidende Lösungen, die für die Neugestaltung oder Entwicklung eines Gebiets in Betracht kommen" unterrichtet werden. (§ 3 BauGB)

Seit 2015 setzt die niedersächsische Gemeinde Wedemark - als eine der ersten überhaupt - diese Entwicklung praktisch um: sie nimmt nicht nur am Programm "Kinderfreundliche Kommunen" teil, sondern erprobte die Partizipation von Kindern bei der Planung des Neubaugebietes Mühlengrund bereits vor dem Aufstellungsbeschluss des Bauleitplans.

"Im Rahmen dieses Pilotprojektes wollten wir möglichst viele Themen zur Baulandgestaltung bearbeiten, um einen Eindruck zu den Chancen und Grenzen der Beteiligung zu erhalten. Außerdem sollten vielfältige Methoden ausprobiert werden, um zu eruieren, was die Kinder motiviert und begeistert" - das war Teil der Gemeinde und ihrer Kinder- und Jugendkunstschule in diesem Prozess.²

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Abb. 2: Bestandsaufnahme 2017. Foto: Susanne Fuchs
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Abb. 3: Utopiephase in der Zukunftswerkstatt 2017. Foto: Susanne Fuchs
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Abb. 4 Entwurf im Maßstab 1:2.000 zur Erschließung 2018. Foto: Susanne Fuchs

Plan B - Partizipationsprojekt zur Gestaltung eines Neubaugebietes

Mit der Durchführung des Projektes in 2017/2018 wurde die ansässige Kinder- und Jugendkunstschule beauftragt. Eine Prozessmoderatorin für Kinder- und Jugendbeteiligung leitete das Projekt und arbeitete dabei eng mit der kommunalen Jugendpflege sowie mit dem Bauamt und der Kulturabteilung zusammen. Im Zeitraum Januar bis Juli erstellten elf Grundschulkinder und ihre sechs Tandempartner*innen (17-18-Jährige) diverse Pläne und Modelle für ein aus ihrer Sicht ideales Wohnumfeld (Häuser, Anordnung der Häuser, Straßenverläufe, Erlebnisräume, Spielgeräte).

Bei Beginn lag bereits ein städtebauliches Entwicklungskonzept vor - die Kinder sollten jedoch unabhängig davon Ideen entwickeln. Städtebauliches Planungsziel der Gemeinde war die Bereitstellung von Wohnbauland.

Vorgaben für ihre Arbeit waren:

  • Die angrenzenden Ortsteile sollen in ihrer Eigenständigkeit gewahrt bleiben und nicht "zusammenschmelzen",
  • Es soll Hinweise geben zur Verkehrsführung rund um das Gebiet. Während sich das kommunale Bauamt durch die Beteiligung kreative Ideen zur funktionalen Gestaltung des Plangebietes (Spielflächen, Erlebnisorte, Anordnung der Häuser etc.) erhoffte, war das Ziel der Moderatorin und des Kinder- und Jugendbeauftragten, Kinder und Jugendliche auf der Partizipationsstufe des echten "Mitwirkens" zu beteiligen.

Das Beteiligungsverfahren startete mit einer Sensibilisierungsphase. Auf einem Streifzug durch das Baugebiet setzten sich die Kinder mit seiner Lage, Größe und Morphologie auseinander. In einem Referenzgebiet wurden sie gebeten, sich zu den Vor- und Nachteilen sowie Besonderheiten bestehender Wohngebiete Gedanken zu machen. Sie schärften ihren Blick für Häuser und ihre Anordnung, für Freiflächen, Spielräume, Verkehrssituationen und "Unorte" oder Angsträume.

Mit Hilfe der Nadelmethode konnten die Kinder auf laminiertem Kartenmaterial mit Stiften und Klebepunkten ihre Wege markieren und "Auffälliges" eintragen. Dazu wurde ein Arbeitsblatt für die Begehung entwickelt. Jugendliche halfen bei der Fotodokumentation und beim Eintragen von Ideen und Kommentaren auf Post-its. "Im Vorfeld [ . . .] wurden die Anwohner*innen mit Kindern und Jugendlichen im Haushalt gebeten, Luftballons gut sichtbar an ihren Häusern zu befestigen. Viele Familien kamen der Bitte nach, sodass alle gut nachvollziehen konnten, wo Kinder und Jugendliche leben."³

Um die Kinder und Jugendlichen zum Entwerfen anzuregen, sollten sie ein Modell ihres Traumhauses bauen. Dabei beschäftigen sie sich mit ihrem Lebensumfeld, ihrem Zimmer, dem Garten als Spielbereich. Um ihre Gedanken festzuhalten, interviewten die Jugendlichen die Kinder dazu.

Anschließend entstanden in einem Erfinderspiel utopische Orte. 2er-Teams entwarfen Modelle und Skizzen zu Erlebnisräumen für das Baugebiet, zur Erschließung sowie zu Spielgeräten. Dabei wurde die Geländeform beachtet: es entstanden zum Beispiel Stelzenhäuser, Rutschen, "unterirdische Verbindungen" sowie eine Vielzahl an Ideen mit überdachten Bereichen, Feuerstellen, Rampen und Wasser. Die Kinder entwickelten Konzepte zu "ihrem" Erlebnisraum unter wirtschaftlichen Aspekten, bedachten Konsequenzen, ermittelten "Knackpunkte" und boten Lösungen an. Eine Filmdokumentation hielt alles fest.5

Im nächsten Schritt entwickelten die Kinder einen Plan für das gesamte Baugebiet. Hierbei mussten sie weit über ihre eigenen Ansprüche hinausdenken und die Bedürfnisse aller potenziellen Bewohner*innen berücksichtigen. Erst entstand eine subjektive Landkarte zur Baulandgestaltung, danach ein dreidimensionales Landschaftsmodell. Maßstabsgetreue stilisierte Häuser wurden auf einer Grundplatte angeordnet.

Die angedeutete Topologie machte "Räume" für Kinder erfassbar. Folgende "Kernelemente" waren ihnen wichtig:

  • zentraler Platz im Neubaugebiet
  • organischer Straßenverlauf
  • Anordnung der Häuser in Gruppen
  • autofreies "Zentrum"
  • Gestaltung der Grenze zu Bissendorf als "Spiel-Streifen"
  • Fußgängerbrücke über die Bahngleise.6

Zum Abschluss erfanden die Kinder Spielgeräte für eine Person, für zwei oder eine Gruppe. Sie wichen oft von den herkömmlichen Geräten ab, zum Bespiel Pisten zum Befahren, Hängematten-Seilbahn, Hüpfkissen-Brücke oder ein Balancierwerk. Auf Moderationskarten wurden ihre Erläuterungen dazu festgehalten.7

Danach folgte ein zweistündiger Austausch von Ideen und Informationen zwischen den Grundschulkindern, den Planer*innen des Bauamtes und des Architekturbüros. Anschließend erklärten die Architektinnen den Ablauf eines Planungsprozesses und ihre Funktion dabei.

Im August 2017 wurden alle Ergebnisse im Rathaus der Öffentlichkeit präsentiert. Die Kinder übernahmen die Führung durch die Ausstellung "Plan K" und stellten sich den Fragen der Besucher*innen. Eine Evaluation erfolgte durch Feedback-Fragebögen, die die Kinder selbstständig ausfüllten. Die Ergebnisse wurden dem Bauamt für die Planung zur Verfügung gestellt.

Die beteiligten Jugendlichen und Kinder wurden durch die künstlerisch-bauliche Methode erfolgreich einbezogen. Die Werke haben einen hohen Informationsgehalt bezüglich kindlicher Wünsche und Denkweisen und konnten im nachfolgenden Planungsprozess gut verwendet werden.

Bauleitplanung Bürgerbeteiligung
Abb. 5: Gelände-Modell 2017. Foto: Susanne Fuchs
Bauleitplanung Bürgerbeteiligung
Abb. 6: Ausstellung im Rathaus 2017. Foto: Susanne Fuchs

Plan K - eine zweite Beteiligung

Im Februar 2018 beauftragte die Gemeinde die Kunstschule mit der Fortsetzung des Projektes. Nach einer "Plausibilitätsprüfung" sollte die Arbeit an folgenden Themenfeldern vertieft werden:

  • SpielRäume /Spielgeräte (überdachte Spielfläche)
  • Flächen zur gemeinschaftlichen Nutzung der Familien
  • Flächenzuordnung, Erschließungsraster

Es ging um die sozialräumlichen Inhalte der Bauleitplanung (u. a. Gestaltung eines Begegnungsraumes). Partizipation und Bauleitplanung sollten Hand in Hand laufen. In den Osterferien startete eine viertägige Projektwoche mit sieben Grundschulkindern. Am Beginn stand ein Austausch mit Kindern und Eltern.

Für die Fläche des Begegnungsraums wurden Ideen gesammelt. Es ging um Anforderungen verschiedenster Nutzer*innen und ihre Ansprüche an Mobiliar und Ausstattung. So sammelten die Kinder unter anderem besondere, für Rollatoren geeignete Bodenbeläge, Spielangebote mit Rollstuhlrampe und Ideen für einen Platz für Hunde. Die Kinder verstanden die Komplexität eines Begegnungsraumes.

Fünf Themen (Ballspiele, Begrenzungen von Nischen, Überdachungsmöglichkeiten, Picknickplatz und Angebote für Menschen mit Handicap) wurden ausgewählt, zu denen die Kinder in großformatigen Bildern Ideen darstellten. Die Expertise der "Fachleute" verlief auf Augenhöhe, ebnete den Einstieg ins Thema und bekräftigte bei den Kindern das Gefühl, ernsthaft beteiligt zu werden.

Um die Kinder für die Bedürfnisse anderer Altersgruppen zu sensibilisieren, wurde ein World-Café mit den Familien vorbereitet. An vier Thementischen, die mit "Plakattischdecke" und Stiften ausgestattet waren, übernahmen die Kinder jeweils die Rolle der Moderator*innen. Alles Gesagte wurde auf der "Tischdecke" notiert.

Danach sollten sich die Kinder mit der Erschließung des Baugebietes auseinandersetzen. Der vorliegende städtebauliche Entwurf im Maßstab 1:2000 wurde im ungefähren Maßstab 1:100 auf Papier übertragen. Die Pläne enthielten Aussagen zu Straßen, Fußwegen, Freiflächen, zum Begegnungsraum sowie zur Parzellierung von Grundstücken und Häusern.

Die Ergebnisse wurden in eine Skizze mit dem ungefähren Maßstab 1:1000 übertragen und den Planenden übergeben - und auch den Ortsräten präsentiert.

Bauleitplanung Bürgerbeteiligung
Abb. 7: Häuser am Hang – Utopien in 2017. Foto: Susanne Fuchs

Fazit

Bewährt hat sich die enge Zusammenarbeit zwischen Bauamt, Planenden, Jugendkunstschule und Jugendpflege. So konnte die Beteiligung schon vor Aufstellungsbeschluss am 28.10.20188 starten und Hinweise für den Vorentwurf liefern. Durch die zweite Beteiligung konnten konkrete Festlegungen (Text, Plankarte) nach der frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß § 3 (1) BauGB im November 2018 noch einmal überprüft werden und es entstanden Ideen für die spätere Gestaltung.

Der Bebauungsplan9 wurde am 17.04.2020 rechtskräftig. Der Wunsch der Kinder nach einem Begegnungsraum wurde hierbei aufgenommen und als "öffentliche Grünfläche"¹0 mit unterschiedlichen Zweckbestimmungen festgesetzt:

"Dieser Raum soll nicht allein für Kinder, sondern auch für die Eltern und alle Bewohner*innen als Treffpunkt dienen. Deshalb sind innerhalb der gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB festgesetzten "[ö]ffentlichen Grünfläche mit der Zweckbestimmung: Begegnungsplatz" auch Spielgeräte zulässig. Die nicht durch bauliche Anlagen genutzten Flächen sollen begrünt werden."¹¹ Auch der Umweltbericht zum Bebauungsplan bezieht sich auf das Ergebnis der Kinderbeteiligung: "An zentraler Stelle ist eine öffentliche Grünfläche platziert, die als Begegnungsplatz [. . . ] der Siedlung dienen und auch Spielangebote bieten soll (vgl. hierzu das Partizipationsverfahren zur Siedlungsentwicklung Wennebostel - Bissendorf)."¹²

Im Sommer 2020 haben die Erschließungsarbeiten begonnen. Im Sommer 2021 sollen dort die Ersten einziehen. Bei der Planung der Grünflächen und Spielplätze im Baugebiet werden die Eigentümerfamilien und ihre Kinder wieder beteiligt¹³.

Ergebnisse der Geländebegehung 20174
  • Kinder reagieren auf "Störfaktoren" wie defekte Zäune, Müll oder Hundehaufen
  • Kinder nehmen ausreichende Parkmöglichkeiten, Verbindungswege zwischen Wohngebieten und Solarzellen auf Häuserdächern positiv wahr
  • Kinder wünschen sich unterteilte Spielplätze für Kinder und Jugendliche (Nischen für verschiedene Altersgruppen) und überdachte Sitz- und Spielgelegenheiten
  • Kinder bringen ästhetische Vorstellungen ein
  • Kinder haben Sinn für Eigentum

QUELLEN UND LITERATUR

ANMERKUNGEN

¹ BMFSFJ (2012): Qualitätsstandards für die Kinder- und Jugendbeteiligung.

² Kinder- und Jugendkunstschule Wedemark 2017, S. 24

³ Kinder- und Jugendkunstschule Wedemark 2017, S. 6.

4 Kinder- und Jugendkunstschule Wedemark 2017, S. 13.

5 Kinder- und Jugendkunstschule Wedemark 2017, S. 7.

6 Ebd., S. 17.

7 Ebd. S. 18.

8 zum B-Plan 16/14 "Südlich Ostlandstraße" gemäß § 2 (1) BauGB.

9 Nr. 16/14 "Südlich Ostlandstraße".

¹0 gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB.

¹¹ Gemeinde Wedemark (2018): Textliche Begründung zum Bebauungsplan Nr. 16/14 "Südlich Ostlandstraße", S. 16 f.

¹² Umweltbericht zum Bebauungsplan Nr. 16/14 "Südlich Ostlandstraße" S. 25.

¹³ Bauamt Wedemark, per Mail 08/2020.

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