Schwerbehinderung

Befreiung des Grundstückseigentümers von den Verboten einer Baumschutzsatzung?

Recht Baumschutz
Die Klägerin beantragte bei der beklagten Kommune am 24.02.2017 eine Fällgenehmigung für die Eiche. Hierdurch sollte ihr der ungehinderte Ein- und Ausstieg über die Beifahrertür in den im vorderen Einfahrtsbereich abgestellten Pkw ihres Sohnes unter Inanspruchnahme seiner Unterstützung ermöglicht werden. Foto: adobe stock, Karin & Uwe Annas

Im Beschluss des OVG Lüneburg vom 23.10.2019 - 4 LA 71/19 -, juris in einem Verfahren auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des VG Hannover vom 10.01.2019 - 4 A 9264/17 - geht es um die Berücksichtigung einer Behinderung des Grundstückseigentümers bei der Befreiung von den Verboten einer kommunalen Baumschutzsatzung. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die schwerbehinderte Klägerin mit einem Grad der Behinderung von 80 mit starker Gehbehinderung ist zur Mitnahme einer Begleitperson berechtigt und nutzt einen Rollstuhl zur Fortbewegung. Vor dem Haupteingang ihres Hauses steht eine durch die einschlägige kommunale Baumschutzsatzung geschützte Eiche. Die Klägerin beantragte bei der beklagten Kommune am 24.02.2017 eine Fällgenehmigung für die Eiche. Hierdurch sollte ihr der ungehinderte Ein- und Ausstieg über die Beifahrertür in den im vorderen Einfahrtsbereich abgestellten Pkw ihres Sohnes unter Inanspruchnahme seiner Unterstützung ermöglicht werden. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.05.2017 ab. Die Klage blieb in 1. Instanz vor dem VG Hannover ebenso erfolglos wie der vorausgegangene Widerspruch. Den hiergegen gerichteten Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat das OVG zurückgewiesen.

Das OVG prüft und bestätigt zunächst, dass die Baumschutzsatzung der Beklagten mit höherrangigem Recht in Einklang steht. Sie trägt nämlich durch Freistellungs-, Ausnahme- und Befreiungsregelungen atypischen Sonderfällen ausdrücklich Rechnung. Das OVG Lüneburg bestätigt die erstinstanzliche Entscheidung, dass eine atypische Ausnahmesituation gegeben sein kann, wenn ein geschützter Baum im Einfahrtsbereich eines Grundstücks steht und eine Befreiung von den Verboten einer städtischen Baumschutzsatzung unter den Voraussetzungen des allgemeinen Befreiungstatbestandes des § 67 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BNatSchG möglich ist. Das OVG sieht eine derartige Atypik darin, dass mit einem hohen Baum von mehr als einem Meter Stammumfang wie vor dem Haupteingang des Grundstücks der Klägerin inmitten eines eher beengten Eingangs- und Einfahrtsbereichs mit einer gepflasterten Grundfläche von knapp 20 Quadratmetern nicht zu rechnen ist. Eine Befreiung setzt aber zusätzlich eine unzumutbare Belastung des Grundstückseigentümers voraus.

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Die schwerbehinderte Klägerin mit einem GdB von 80 mit starker Gehbehinderung ist zur Mitnahme einer Begleitperson berechtigt und nutzt einen Rollstuhl zur Fortbewegung. Vor dem Haupteingang ihres Hauses steht eine durch die einschlägige kommunale Baumschutzsatzung geschützte Eiche. Foto: adobe stock, nullplus

Dies ist grundsätzlich nur anhand grundstücksbezogener Besonderheiten zu prüfen. Personenbezogene Besonderheiten können jedoch ausnahmsweise berücksichtigt werden, wenn sie unabänderlich sind, die Rechtsordnung sie auch in anderen Zusammenhängen besonders berücksichtigt und sie sich typischerweise auf die Nutzung des umgebenden Raumes und die gestaltete Umwelt auswirken. Eine solche berücksichtigungsfähige personenbezogene Besonderheit sieht das OVG vorliegend in der ausgeprägten Gehbehinderung der Grundstückseigentümerin angesichts der bauordnungsrechtlichen und behindertenrechtlichen Regelungen zur Barrierefreiheit. Der Rechtsgedanke der Barrierefreiheit kann nach Auffassung des Gerichts im Naturschutzrecht jedenfalls dann herangezogen werden, wenn es um den Schutz von Natur in Gärten und Freiflächen im innerstädtischen Bereich geht. Denn hierbei handelt es sich um einen gestalteten Lebensbereich im Sinne des § 4 S. 1 BGG (Behindertengleichstellungsgesetz) und § 2 Abs. 3 S. 1 NBGG (Niedersächsisches Behindertengleichstellungsgesetz). Eine aus einem atypisch platzierten, geschützten Baum resultierende Unzumutbarkeit der Belastung besteht aber nur dann, wenn allein die Beseitigung des Baumes einen barrierefreien Zugang zum Grundstück sicherstellt. Dies hat das Gericht im konkreten Einzelfall verneint, weil der hintere Einfahrtsbereich und die Garage der Klägerin ausreichend Platz für einen behinderungsangepassten Ein- und Ausstieg in einen Pkw bieten.

Gehen von dem Baum Unannehmlichkeiten aus, die weder eine bestimmungsgemäße Nutzung des Grundstücks durch den behinderten Eigentümer unmöglich machen noch diesen im Vergleich zu einem nichtbehinderten Grundstückseigentümer besonders betreffen, so besteht kein Anspruch auf die Erteilung einer naturschutzrechtlichen Befreiung. Die sehr sorgfältig und ausführlich begründete Entscheidung des OVG Lüneburg überzeugt in jeder Hinsicht. Sie lässt einerseits hinreichend Raum für die ausnahmsweise Berücksichtigung personenbezogener Besonderheiten bei der Befreiung von den Verboten einer Baumschutzsatzung. Sie fordert andererseits aber zu Recht, dass die Entfernung eines geschützten Baumes im Interesse des Behinderten nur Ultima Ratio sein kann. Diese muss unabdingbar erforderlich sein, um dem behinderten Grundstückseigentümer eine bestimmungsgemäße Nutzung des Grundstückes zu ermöglichen, während er bloße Unbequemlichkeiten wie jeder andere Grundstückseigentümer hinzunehmen hat.

Ass. jur. Armin Braun, GVV-Kommunalversicherung

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