Vom gestalterischen Potenzial des Werkstoffs

Beton als vertikaler Lebensraum für Pflanzen

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Beton Bauwerksbegrünung
Abb. 1: Grafische Gliederung: Materialunterschiede innerhalb des Bauwerks könnten als Steuerungselement verwendet werden. Foto: Lucas Büscher

In unseren heutigen Städten werden bauliche Verdichtung, die Auswirkungen des Klimawandels und Luftverschmutzung als Probleme angesehen, denen man mit einer Ausweitung und Qualifizierung von Freiräumen begegnen kann. Allerdings sind die Flächenressourcen ebenso beschränkt wie die finanziellen Ressourcen der Kommunen und ergeben so einen Bedarf nach Begrünungskonzepten und -techniken, die auf diese Einschränkungen planerisch und technisch qualitätsvoll reagieren können.

Ein flächensparender Baustein ist die vertikale und bodenungebundene Begrünung von Wänden. Die serielle und technisch optimierte wandgebundene Begrünung kann besonders bei zunehmender Projektgröße eine planerische Option sein. Aktuell nimmt die Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL) mit der Anfang des Jahres erschienenen 3. Auflage der Fassadenbegrünungsrichtlinie 2018 erstmals auch die "Wandgebunde Begrünung" in das Regelwerk mit auf.

Bisher wird die bodenungebundene Begrünung allerdings meist in additiver Bauweise ausgeführt. Sie erscheint auf Grund der benötigten technischen Infrastruktur sowie der damit einhergehenden Herstellungs- und Unterhaltungskosten besonders als integrierter System-Baustein am Hochbau effektiv. Für die Anwendung in der Landschaftsarchitektur, zum Beispiel für Mauern im Freiraum, fehlen vegetationstechnisch extensive und materialreduzierte Lösungen zur bodenungebundenen, vertikalen Begrünung. Wie können also auch solche Objekte ohne Bodenanbindung und ohne zusätzliche technische Infrastruktur begrünt werden?

Mein laufendes Promotionsprojekt "concrete habitat" verfolgt das Ziel, eine alternative und technisch vereinfachte Lösungsoption zur vertikalen Begrünung von Wänden zu entwickeln. Im Zentrum der Forschung steht der variable Werkstoff Beton, dessen Eignung als Standort für Vegetation ermittelt wird. Im Ergebnis soll die Verknüpfung bautechnischer Aspekte mit der dauerhaften und ästhetisch steuerbaren Etablierung von Vegetation an Wänden im Außenraum erreicht werden. Der Pflanzenstandort wird dabei unmittelbar in das Bauwerk integriert.

Der Antagonismus von Pflanze und Beton bietet ein spannendes Gestaltungsthema und bildet den Rahmen meiner laufenden empirischen Forschung. Die Frage nach der Gestaltung thematisiert die Frage, wie eine Pflanze an einem vermeintlich lebensfeindlichen Ort überleben kann, ohne das technische Hilfsmittel zum Einsatz kommen oder sichtbar sind.

Zudem ermöglicht die Gestaltung mit Pflanze und Beton eine Variabilität im vegetativen Deckungsgrad. Das aktuelle Begrünungsziel der wandgebundenen Begrünung definiert sich überwiegend über eine möglichst hohe Deckung sowie eine vielfältige Pflanzenauswahl und ganzjährige Begrünung. In Anbetracht einer erwünschten und optimierten Verdunstungsleistung, der Gebäudekühlung und dem oben angesprochenen Systemdenken ist diese Zielsetzung nachvollziehbar. Der hohe Deckungsgrad ist weiterhin notwendig, da das Pflanzmedium vor allem vegetationstechnisch optimiert ist. Ein Ausfall von Vegetationsanteilen macht die rein funktionale Konstruktion mit Geotextilien oder Kunststoff-Komponenten sichtbar. Im Fall meiner Forschungsperspektive ist der Beton jedoch das Pflanzmedium und kann als gestaltete Oberfläche Teil der Ansichtsfläche der Wand sein.


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Beton Bauwerksbegrünung
Abb. 2: Die studentische Projektarbeit von Larissa Merkens, am Fachbereich Landschaftsarchitektur – Technik befasst sich mit dem Zusammenspiel von Betonoberfläche und Vegetation. Grafik: Larissa Merkens

Vorbild "Felsspalten-und Mauerfugen-Gesellschaften"

Dabei ist die Verbindung von Vegetation und Stein keine Neuheit. Vegetation an Felswänden mit integriertem Pflanzenstandort kommt in der Natur vor, wie etwa die Asplenietea trichomanis-Gesellschaften (Br.-Bl. In Meier Br.-Bl. 1934) Oberd. 1977, die so genannten Felsspalten- und Mauerfugen-Gesellschaften. Brandes (2013) definiert den Standort Mauer als künstliches Felshabitat, als einen ressourcenlimitierten Standort mit einer Begrenzung von Wasser, Nährstoffen und Wurzelraum. Diese Felsspalten- und Mauergesellschaften werden daher im Rahmen meiner Arbeit als Vorbild einer vertikalen Begrünung untersucht. Insbesondere die basiphilen Arten in vermörtelten Mauerfugen sind interessant, da diese relativ hohe pH-Werte tolerieren (Brandes 2013) und Beton eine hohe Acidität aufweist.

Eine Eigenschaft der vom Menschen geschaffenen Felsstandorte ist, dass sie frühestens nach 40 Jahren von höheren Pflanzen in nennenswertem Umfang besiedelt werden (Wittig 2002). Ein wichtiges Ziel meiner Forschung ist daher nach Wegen zu suchen, um die Pflanzenansiedlung auf Mauern zu beschleunigen, ohne die baukonstruktive Voraussetzung des Bauwerks negativ zu beeinflussen. Die tabellarische Übersicht von Francis (2010) sowie die Arbeiten von Darlington (1981), Segal (1969), Brandes (1992, 2013) und Werner et al. (1989) dokumentieren die bestimmenden Standorteigenschaften von Mauervegetation ausführlich und bieten damit einen wichtigen Anhaltspunkt für die Erforschung eines geeigneten Maueraufbaus.

Die spontane Besiedlung durch höhere Pflanzen wird erst infolge materieller und physikalischer Zerstörung des Gesteins möglich. Beobachtungen zeigen, dass sich Gefäßpflanzen (Tracheophyten) in Fugen, Rissen und anderen Mauerschäden bilden, die mit natürlichen Spalten und Überhängen als Standorten von Felsvegetation vergleichbar sind. Moose, Algen und Flechten aus der Einheit der Kryptogamen sind die einzigen Photosynthese betreibenden Lebensformen, die in der Lage sind vertikale Flächen zu besiedeln (vgl. Reisigl; Keller 1987).

Aus dem Zusammenspiel von Pflanze und Gesteinsoberfläche sowie Pflanze und Riss beziehungsweise Fuge ergeben sich diverse Gestaltbilder. Diese sollen im Promotionsprojekt als gezieltes gestalterisches Mittel erfasst und eingesetzt werden. Die gestalterische Varianz der auf (Fels-)Wänden vorkommenden Arten und Konstellationen wird daher eingehend grafisch analysiert, typologisiert und katalogisiert. Die bautechnische Übertragbarkeit ist darauf aufbauend ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit. Durch Moose, Flechten und Algen begrünte Wände weisen ein vergleichsweise feines, flächig begrünendes gestalterisches Potential auf, mit einer spannenden Diversität in Farbe und Textur. Die Steuerung des Gesamtbildes könnte durch eine dauerhafte materielle Gliederung in begrünungsfördernde und lebensfeindliche Bereiche erfolgen.

Gefäßpflanzen verfügen im Gegensatz zu diesen eher unauffälligen, subtilen "Flächenbegrünern" über eine sehr viel größere Farben- und Formenvielfalt, die auch in der dritten Dimension wirksam wird, und sind daher als gestalterisches Element interessanter. Gefäßpflanzen sind nur an solchen vertikalen Bereichen anzutreffen, die ein dreidimensionales Relief und Volumen bereitstellen, welche dauerhaft eine Substratauflage und Diasporen zurückhalten und sichern (vgl. Werner et al. 1989, Reisigl et al. 1987, Francis 2010). Durch Immergrüne, Blütenpflanzen und Gräser bietet die vergleichsweise artenarme Felsspalten-und Mauerfugen-Gesellschaft und weitere unstetige Arten in Verbindung mit der Maueroberfläche eine dennoch breite Varianz an Farben, Größen, Texturen und Strukturen.

Allerdings finden sich nur etwa ein Drittel der 56 indigenen Arten auch auf dem sekundären, also anthropogen geschaffenen Standort der Mauer (Brandes 1992). Gleichzeitig ist die Artenzusammensetzung auf Mauern unbeständig und spiegelt seine unmittelbare Umgebung (Diasporeneintrag) wieder (vgl. Brandes 2013, Gausmann 2014).

Andererseits sind bisher 772 Taxa auf Mauerstandorten in Deutschland gefunden worden (Brandes 2013). So benennen Brandes et al. (2010) Ruderal- und Grünlandarten als wichtige Arten, die Mauern besiedeln können. Hieraus ergibt sich ein enormes Forschungspotential. Es gilt zu untersuchen, welche Arten außerhalb der Felsspalten- und Mauerfugengesellschaften erfolgreich auf artifiziellen Mauerstandorten etabliert werden können.

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Abb. 3: Der Antagonismus von Pflanze und Beton wird in seiner gestalterischen Qualität untersucht. Foto: Lucas Büscher
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Abb. 4: Vielfalt durch Blattfarbe, Wuchsform und Blühaspekte (Asplenium trichomanes, Asplenium ruta-muraria und Corydalis lutea). Foto: FG Landschaftsarchitektur – Technik, Universität Kassel
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Abb. 5: Kontraste: Mauerraute (Asplenium ruta-muraria), Maueroberfläche und Riss Foto: Lucas Büscher
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Abb. 6: Feine Heterogenität: Moose, Flechten und Foto: Lucas Büscher

Beton als Pflanzenstandort

Die Materialwahl ist nicht allein durch den Gegensatz von Lebewesen und Stein motiviert, sondern basiert auf synthetisierenden Überlegungen. Beton ist ein etabliertes, vergleichsweise kostengünstiges und weit verbreitetes Material zur Herstellung von Wänden. Er findet Anwendung als Sichtbetonwand oder Tragschicht für Verblendmauerwerk. Weiterhin bietet das variable 6-Stoff-Gemisch die Möglichkeit, die Betonmatrix und Materialeigenschaften über verschiedene Stellschrauben, wie beispielsweise den Wasser-Zement-Wert oder die Materialwahl der Gesteinskörnung wesentlich zu verändern und zu steuern. So lassen sich Standorteigenschaften für Vegetation in das Material implementieren, also die "bioreceptivity" von Beton befördern. Der ursprünglich aus der Medizin stammende Begriff "bioreceptivity" wurde durch Guillitte (1995) in die Ökologie eingeführt. Guillitte definiert "bioreceptivity" als "the aptitude of material […] to be colonized by one or several groups of living organisms without necessarily suffering" und weiter als "the totality of material properties that contribute to the establishment, anchorage and development of fauna and/or flora" (S. 216). Manso Blanco (2014) erkennt in der Absenkung der toxischen Acidität von Beton einen zentralen Schritt zur vegetativen Besiedlung von Beton. Die Absenkung des typischerweise über 13 liegenden und baukonstruktiv zur Passivierung (Stark et al. 2013), also zum Korrosionsschutz der Bewehrung erwünschten, hohen pH-Werts in der Porenflüssigkeit lässt sich gezielt durch eine beschleunigte Karbonatisierung oder durch alternative Zemente realisieren. Vorgeschaltete Untersuchungen innerhalb eines studentischen Projekts am Fachgebiet Landschaftsarchitektur - Technik zeigten Erfolge bei der gezielten Etablierung von Moos auf horizontal gelagerten Betonproben, mit haufwerksporiger Betonmatrix aus wasserspeichernden Zuschlägen. Haufwerksporiger Beton verfügt nach der Verdichtung über vordefinierte Hohlräume, die man über die Siebkornlinie der Gesteinskörnung und die Zementleimmenge steuert (Grübl et al .2001). Die Hohlräume bilden ein poröses Mikrorelief an der Oberfläche und sollten Raum für Sedimenteinträge und Diasporen bieten.

Die FLL (2018) benennt ebenfalls Vorsatzschalen aus Beton mit begrünungsfördernder Oberfläche als potenzielle Sonderbauweise der modularen Bauweise, leider jedoch ohne detaillierte Angaben zum Material zu geben.

Darüber hinaus lassen sich Algen und Moose auch an vergleichsweise jungen Betonwänden und -objekten unter fünf Jahren beobachten und fördern die Hoffnung, Beton als Pflanzmedium nutzbar machen zu können, ohne die baukonstruktiven Aspekte zu stören. In Verbindung mit einem monolithischen Materialeinsatz liegt darin ein deutlicher Vorteil zu gemauerten Wänden, die üblicherweise den typischen Standort für Vegetation darstellen. Wie der Name Mauerfugenvegetation bereits verdeutlicht, bildet die zerstörte Mörtelfuge den Keim- und Wuchsort der Pflanze aus. Ein Wegfall des Fugenmaterials als verbindende Schicht, der Voraussetzung für den Pflanzenwuchs ist, führt allerdings langfristig zur Zerstörung der Baukonstruktion. Das wäre bei einer von vornherein geplanten Besiedelung mit Pflanzen und dem Vorsehen entsprechender Wuchsorte im monolithischen Wandaufbau nicht der Fall.

Vergleichbar zur wandgebundenen Begrünung verfügt auch ein Maueraufbau aus Beton über eine minimale "Niederschlagseinzugsfläche" (vgl. FLL 2018). Ein experimenteller Schritt liegt also in der Bereitstellung von Wasser, die über geeignete, zum Wuchsort hinleitende Oberflächenausbildung und eine relativ wasserspeichernde Betonmatrix gesichert werden soll. Die Möglichkeiten von Letzterem überprüfe ich experimentell durch die Zugabe von Gesteinskörnungen mit wasserspeichernden Eigenschaften. Hier wird die Eignung aus der Dachbegrünung bekannter Substrate als auch von Recycling-Materialien untersucht. Die Herausforderung in der Materialentwicklung besteht in dem gleichzeitigen Erhalt der technischen Leistungsfähigkeit und des Frostwiderstands. Die weiteren wesentlichen Faktoren bei der für die Vegetation essentiellen Wasserverfügbarkeit sind das Umfeld (Schatten, Wassernähe, Erdkontakt), die Bauweise (freistehend, Stützmauer, Schwergewichtsmauer) die Neigung und die Exposition der Wand. Letzteres ist begründet in der Strahlungsintensität und der günstigeren Wasserversorgung (durch Niederschlagswasser), die Werner et al. (1989) bei westlicher Exposition als artenreichste Ausrichtung belegen.

Der Werkstoff Beton ist also die materielle Grundlage der technischen Empirie, wird aber nicht isoliert entwickelt. Vegetation, Standort und Werkstoff werden gleichwertig betrachtet, um eine einseitige technische oder botanische Lösung zu vermeiden. Zudem wird die ästhetische Wirkung und gestalterische Einsatzbreite als wichtige Variable getestet. Hier liegt im Beton ein bedeutender Vorteil gegenüber anderen Werkstoffen. Das von sich aus zunächst form- und strukturlose Material kann mittels Schalungen und Matrizen in unzählige Formen gebracht werden und so dem jeweiligen Entwurf und Ort angepasst werden.

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Abb. 7: Erfolgreiche Ansiedlung von Moos auf haufwerksporigem Beton. Foto: Lucas Büscher

Integration von Lehrprojekten in die Forschung

Die Verknüpfung von Lehre und Forschung ermöglicht es mir, gemeinsam mit den Studierenden mit zahlreichen Varianten im Materialaufbau und in der Pflanzenverwendung zu experimentieren und Anwendungsbeispiele zu erkunden. Das gestalterische Potenzial von Mauervegetation wurde beispielsweise durch ein studentisches Projekt des Fachgebiets Landschaftsarchitektur - Technik an der Universität Kassel im akademischen Jahr 2015/16 untersucht. Unter dem Schwerpunkt "Textur und Struktur" wurden Vorbilder spontaner Fels- und Mauervegetation qualitativ auf charakteristische, gestaltbestimmende Kriterien hin analysiert. Mit Hilfe von darstellerischen Transformationsprozessen konnten wesentliche Bildmerkmale extrahiert und stilisiert werden und auf neue Wandobjekte im Außenraum übertragen werden. Ein gelungenes Beispiel ist die Adaption einer Basaltsteinwand im Bergpark Wilhelmshöhe an eine Betonwand. Die Übersetzung der charakteristischen vertikalen Vegetationsstruktur und heterogenen Vegetationstextur im Kontrast zu der glatten, scharfkantigen und homogenen Oberfläche der Basaltstelen generierte eine neuartige Maueroberfläche.

Die systematisierende und entwerferische Vorgehensweise der Studierenden brachte neue technische Fragestellungen auf, die im weiteren Forschungsprozess zu klären sein werden. Ein wesentliches technisches Problem liegt beispielsweise in der bautechnischen Integration der Keim- und Wuchsorte in den Wandaufbau. So wird es essentiell sein, einen hohlraum- beziehungsweise nestbildenden Schalungsbau zu entwickeln, der gleichzeitig technisch praktikabel und im Kostenaufwand verhältnismäßig ist.

Die dauerhafte, schnelle und steuerbare Etablierung von Gefäßpflanzen an vertikalen Wänden setzt die Entwicklung von adäquaten Keim- und Wuchsorten als wichtige, veränderbare Einflussgröße des Standorts Wand voraus. Es liegen kaum übertragbare Werte über die Dimensionierung der Keim- und Wuchsorte aus der einschlägigen Literatur zur Mauervegetation vor. Die zerstörungsfreie Analyse der Keimortgröße lässt sich ebenso schwer realisieren, wie eine Entnahme von Pflanzen ohne die Gefahr größere Wurzelteile abzutrennen. Zudem sind Mauerstandorte ohnehin gefährdet, weshalb von einer Entnahme der Vegetation Abstand genommen wird. Die Schritte der empirischen Materialforschung werden daher mit Feldversuchen zur Bepflanzung ergänzt. Darüber lassen sich Fragen zur Einbringungsform und -zeitpunkt der Pflanze (vorgezogen oder eingesät) und zu den nötigen Eigenschaften eines geeigneten Substrats untersuchen.

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Abb. 8: Vorbild: Wand aus Basaltstelen im Bergpark Wilhelmshöhe, Kassel. Foto: Patrick Putzig, überarbeitet Lucas Büscher
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Abb. 9: Die studentische Projektarbeit von Patrick Putzig überträgt durch Adaption und Transformation wesentliche Gestaltmerkmale auf ein Betonmodell. Foto: Fachgebiet Landschaftsarchitektur - Technik

Die Bedeutung des landschaftsarchitektonischen Entwurfs

Der hier beschriebene Gestaltungsanspruch ergibt sich aus dem Verständnis des landschaftsarchitektonischen Entwurfs als integrale Verschneidung ästhetischer, soziokultureller, ökonomischer und ökologischer Zieldimensionen. Der Anspruch an Freiräume in der Stadt ist angesichts schwindender Flächenressourcen, klimatischen Bedingungen, ökonomischen Ansprüchen und einer diversifizierten Gesellschaft sehr komplex und erfordert integral geplante und entworfene Freiräume, die Nutzungsansprüche und Interessen qualitätsvoll überlagern oder vereinen. Wie kann also die Begrünung von Bauwerken zugleich den höchsten Ansprüchen entwerferischen Handelns und den technischen und ökonomischen Anforderungen nachhaltigen Bauens genügen?

Die Antwort ergibt sich aus der abwägenden Integration der oben benannten Zieldimensionen in die Planung. Eine einseitige Anwendung einer aufwändigen Bauweise auf Grund quantifizierter Leistungsfähigkeit von Pflanzen ist kritisch zu sehen, wenn diese ohne Beachtung der vielschichtigen Qualität und Individualität von Freiräumen erfolgt. Gleichzeitig sind extensive Lösungen nicht per se den intensiven vorzuziehen. Intensive Begrünungssysteme können innerhalb der Gebäudebegrünung, trotz hoher materieller, technischer und ökonomischer Aufwendungen einen wichtigen ökologischen, ästhetischen oder soziokulturellen Beitrag leisten. So ist die Begrünung unterbauter Flächen heute oftmals die einzige Möglichkeit, gebäudenah nutzbaren Freiraum zu generieren. Innerhalb einer klimaangepassten Stadtentwicklung ist die Bedeutung des temporären Retentionspotenzials und der verzögerten Abgabe des Niederschlagswassers sowie die Transpirations- und Kühlleistung intensiv begrünter, unterbauter Flächen ein wichtiger Baustein. Dabei sind es jedoch die intensiven Dachbegrünungen, die eine breite Nutzungs-, Gestaltungs- und Artenvielfalt und ein höheres Retentionsvermögen ermöglichen. Die wandgebundene Begrünung ermöglicht daneben die vertikale Vegetationsverwendung an Orten, die durch Versieglung, gestörte Bodenverhältnisse oder Nutzungskonkurrenz keine bodengebundene Begrünung erlauben. Die FLL (2018) benennt weiterhin ein Potenzial zur Optimierung bauphysikalischer Werte an Gebäuden, die durch Einzelnachweis zu belegen sind. Als solches wird die wandgebundene Begrünung zu einem Baustein nachhaltiger Gebäudekonzepte und Klima-Anpassungsstrategien in der Stadt. Riley (2016) hebt hervor, dass erst ein ganzheitliches Systemdenken und eine Kreislaufwirtschaft von Begrünung und Wasserspeicherung, beruhend auf Langzeitstudien und Optimierungen, zu einer nachhaltigen wandgebundenen Begrünung führen werden. Die Leistungsfähigkeit dieser künstlichen Vegetationsflächen ist also mit höheren ökonomischen Aufwendungen beispielsweise für Gebäudestatik, Herstellung und Pflege verbunden, leistet gleichzeitig aber wirksame klimatische (Pfoser 2013) und lufthygienische Verbesserungen (vgl. Pugh et al. 2012) auf engstem Raum. Der Aufwand kann sich mit den Jahren amortisieren und an Gebäuden einen wichtigen Beitrag, unter anderem zur Förderung des natürlichen Wasserkreislaufs, zur bauphysikalischen Optimierung und zur Verbesserung des Mikroklimas leisten. Ein Abwägungsaspekt bleibt in diesem Zusammenhang der Bewässerungsbedarf und die damit verbundene Abhängigkeit von Regenwasserzisternen. Anders als die Dachbegrünung, die Regenwasser großflächig aufnimmt und zwischenspeichert, ist die wandgebundene Begrünung eher ein Baustein zur Verdunstung. Die Retention obliegt dann einem additiven Bauwerk, der Zisterne.

Eine extensive vertikale Begrünung könnte eine ergänzende Bauweise sein, die andere Schwerpunkte verfolgt. Anstelle einer bauphysikalisch optimierten Fassade mit hohem Deckungsgrad der artenreichen Vegetation, könnten artenarme Standorte ohne dauerhafte künstliche Bewässerung entwickelt werden, die technisch einfacher umsetzbar sind, eine geringere ökonomische "Schwelle" darstellen und in Form und Ästhetik einen direkten Bezug zum Entwurfsort aufnehmen können. Gleichzeitig wäre aber beispielsweise die klimatische Leistungsfähigkeit deutlich eingeschränkter.

Zusammenfassend ergibt sich eine komplexe Forschungsfrage, welche die divergierenden Fachdisziplinen und Wissensbestände der Betontechnologie, der Vegetationskunde und des iterativen landschaftsarchitektonischen Entwurfs analysiert, um die Möglichkeit einer alternativen und extensiven Begrünung von Wänden zu erforschen. Dabei liegt die Herausforderung in der ganzheitlichen Betrachtung des Standorts, bei gleichzeitiger Entwicklung einzelner Standortparameter. Je weiter der zu entwickelnde Betonaufbau in seinen vegetationstechnischen Eigenschaften vom ursprünglichen Vegetationsstandort abweicht, umso aufwändiger und intensiver wird diese Abweichung technisch und gestalterisch ausgeglichen werden müssen.


Quellen

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Brandes, Sabine; Dietmar Brandes, (2010): Mauerflora in Dörfern des nördlichen Harzvorlandes (Sachsen-Anhalt). Hg. v. Technische Universität Braunschweig. Institut für Pflanzenbiologie. Braunschweig. Online verfügbar unter digisrv-1.biblio.etc.tu-bs.de/docportal/servlets/MCRFileNodeServlet/DocPortal_derivate_00008661/Brandes-Mauerflora_noerdliches_Harzvorland.pdf, zuletzt geprüft am 26.01.2016.

Darlington, Arnold (1981): Ecology of walls. London: Heinemann.

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Francis, Robert A.; Lorimer, Jamie: Urban reconciliation ecology. The potential of living roofs and walls, Bd. 92, S. 1429-1437.

Gausmann, Peter; Reinhard Rosin: Flora und Vegetation der Mauern in den Stadtgebieten Herne, Bochum, Hattingen und Witten (Ruhrgebiet, Nordrhein-Westfalen) unter besonderer Berücksichtigung der Farnpflanzen. In: Jahrbuch Bochumer Botanischer Verein, Bd. 6, S. 13-33. Online verfügbar unter www.researchgate.net/publication/274693835, zuletzt geprüft am 28.06.2016.

Grübl, Peter; Helmut Weigler, (2001): Beton: Arten, Herstellung und Eigenschaften, 2nd Edition: Ernst & Sohn.

Guillitte, O. (1995): Bioreceptivity. A new concept for building ecology studies. In: Science of The Total Environment (167), S. 215-220. DOI: 10.1016/0048-9697(95)04582-L.

Manso Blanco, Sandra (2014): Bioreceptivity optimisation of concrete substratum to stimulate biological colonisation. Doctoral Thesis. Universitat Politècnica de Catalunya - Departament d'Enginyeria de la Construcció; Ghent University - Magnel Laboratory for Concrete Research, Barcelona.

Pfoser, N.; N. Jenner, J. Henrich, J. Heusinger, S. Weber, (2013): Gebäude, Begrünung und Energie: Potenziale und Wechselwirkungen. Interdisziplinärer Leitfaden als Planungshilfe zur Nutzung energetischer, klimatischer und gestalterischer Potenziale sowie zu den Wechselwirkungen von Gebäude, Bauwerksbegrünung und Gebäudeumfeld. Abschlussbericht August 2013. Unter Mitarbeit von Schreiner, J.: Kanashiro, C. Technische Universität Darmstadt; Technische Universität Braunschweig.

Pugh, Thomas A M; Mackenzie, A. Robert; Whyatt, J. Duncan; Hewitt, C. Nicholas (2012): Effectiveness of green infrastructure for improvement of air quality in urban street canyons, Bd. 46, S. 7692-7699.

Reisigl, Herbert; Richard Keller, (1987): Alpenpflanzen im Lebensraum. Alpine Rasen, Schutt- u. Felsvegetation; vegetationsökolog. Informationen für Studien, Exkursionen u. Wanderungen. Stuttgart, New York: Fischer.

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Stark, Jochen; Bernd Wicht, (2013): Dauerhaftigkeit von Beton. 2. Auflage 2013. Berlin, Heidelberg.

Werner, Willy; Michael Gödde, Norbert Grimbach: Mauerfugen-Gesellschaften am Niederrhein und ihre Standortverhältnisse. In: Tuexenia: Mitteilungen der Floristisch-Soziologischen Arbeitsgemeinschaft, Bd. 9, S. 57-73. Online verfügbar unter publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/38205, zuletzt geprüft am 26.01.2016.

Wittig, Rüdiger (2002): Siedlungsvegetation. 40 Tabellen. Stuttgart (Hohenheim): Ulmer.

M. Sc. Lucas Büscher
Autor

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Uni Kassel im Fachgebiet Landschaftsarchitektur – Technik

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