Selbsthilferecht

Darf ein Nachbar überhängende Zweige abschneiden?

Baumschnitt
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Von einer seit etwa 40 Jahren unmittelbar an der gemeinsamen Grenze stehenden Schwarzkiefer der Kläger ragen seit mindestens 20 Jahren Äste auf das benachbarte Grundstück des Beklagten herüber. Nach erfolgloser Aufforderung, die Äste der Kiefer zurückzuschneiden, schnitt der Beklagte den Überhang selbst ab. Foto: Osterland; Adobe Stock

Das Selbsthilferecht des Nachbarn aus § 910 Abs. 1 BGB bei Beeinträchtigung seines Grundstücks durch Überhang steht im Mittelpunkt des Urteils des BGH vom 11.06.2021 - V ZR 234/19 -. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Von einer seit etwa 40 Jahren unmittelbar an der gemeinsamen Grenze stehenden Schwarzkiefer der Kläger ragen seit mindestens 20 Jahren Äste auf das benachbarte Grundstück des Beklagten herüber. Nach erfolgloser Aufforderung, die Äste der Kiefer zurückzuschneiden, schnitt der Beklagte den Überhang selbst ab. Mit der Klage verlangen die Kläger von dem Beklagten, es zu unterlassen, von der Kiefer oberhalb von 5 Meter überhängende Zweige abzuschneiden. Das AG Pankow/Weißensee hat der Klage stattgegeben und das LG Berlin die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen.

Der BGH hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen. Das LG Berlin hat die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, § 910 BGB sei vorliegend nicht einschlägig, da bei mittelbaren Folgen des Überwuchses allein § 906 BGB gelte. Danach müsse der Laubfall wesentlich und nicht ortsüblich sein. Jedenfalls letzteres hat das LG verneint.

Der BGH hat die Rechtsauffassung des Landgerichts unter Hinweis auf sein Urteil vom 14.06.2019 - V ZR 102/18 - (Anmerkung Braun, SuG 12/2019, 59) verworfen. Das Selbsthilferecht wie auch der Beseitigungsanspruch aus § 910 BGB erfasse auch die mittelbare Beeinträchtigung durch das Abfallen von Laub, Nadeln und Ähnlichem. § 910 BGB stelle für die Beseitigung des Überhangs eine spezialgesetzliche und abschließende Regelung dar, die das Kriterium der Ortsüblichkeit nicht kenne.

Dem Selbsthilferecht steht nach Auffassung des BGH nicht der Ablauf der in § 32 NachbG Berlin bestimmten Ausschlussfrist entgegen. Danach ist der Beseitigungsanspruch bei Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Mindestabstände zum Nachbargrundstück ausgeschlossen, wenn der Nachbar nicht bis zum Ablauf des fünften auf das Anpflanzen folgenden Kalenderjahres Klage auf Beseitigung erhoben hat.

Das sich aus dem BGB ergebende Selbsthilferecht des Beklagten könne - so der BGH - nicht durch das Landesnachbarrecht eingeschränkt werden. Das Selbsthilferecht des Beklagten unterliege im Übrigen weder der Verjährung noch sei es verwirkt. Der BGH hat den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen zur Feststellung, ob die Kläger das Abschneiden der auf das Grundstück des Beklagten herüberragenden Äste gemäß § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden haben.

Das Selbsthilferecht des Beklagten wäre nur dann nach § 910 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Überhang die Benutzung seines Grundstücks nicht beeinträchtige. Hierzu seien weitere Feststellungen erforderlich. Die Entfernung des Überhangs durch den Beklagten sei für die Kläger nicht bereits deshalb unzumutbar, weil hierdurch das Absterben des Baumes oder der Verlust seiner Standfestigkeit drohe.

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Die Entscheidung des BGH sollte jeden Baumeigentümer für die Risiken sensibilisieren, die daraus resultieren, wenn er dem Überhang seines Baumes auf ein Nachbargrundstück tatenlos zusieht. Foto: Mark Ross, Adobe Stock

Der BGH lehnt dies wegen der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers für eine einfache und allgemein verständliche Ausgestaltung des Selbsthilferechts zur raschen Erledigung von Nachbarstreitigkeiten ab. Wenn der Nachbar von seinem Selbsthilferecht nur unter der Voraussetzung Gebrauch machen dürfte, dass die Standfestigkeit des Baumes nicht beeinträchtigt werde oder kein Absterben des Baumes drohe, sei dies vielfach nur sachverständig zu beurteilen. Dann aber wäre das Selbsthilferecht nicht mehr einfach handhabbar und seine Ausübung mit ungewollten Haftungsrisiken belastet.

Außerdem sei der Baumeigentümer dafür verantwortlich, dass Baumwurzeln oder Zweige nicht über die Grundstücksgrenzen hinauswachsen. Eine Beschränkung der Befugnis des Beklagten, die auf seinem Grundstück überhängenden Zweige abzuschneiden, könne sich allenfalls aus naturschutzrechtlichen Regelungen ergeben. Hierzu habe das Berufungsgericht weitere Feststellungen zu treffen, insbesondere, ob der streitgegenständliche Baum nach der einschlägigen Berliner Baumschutzverordnung geschützt sei und, ob im Falle eines grundsätzlichen Verbotes eine Befreiungsmöglichkeit bestehe. Nur wenn eine solche nicht bestehe, sei das Selbsthilferecht des Beklagten ausgeschlossen.

Zu alledem verweist der BGH erneut auf sein Urteil vom 14.06.2019 - V ZR 102/18 -. Die ausführlich begründete Entscheidung des BGH löst höchstrichterlich die umstrittene Frage, ob das Selbsthilferecht des Nachbarn aus § 910 BGB ausgeschlossen oder eingeschränkt ist, wenn bei Beseitigung des Überhangs das Absterben des Baumes oder der Verlust seiner Standfestigkeit drohen. Der BGH lehnt solche Einschränkungen im Interesse der einfachen Handhabbarkeit des Selbsthilferechts nach dem Willen des Gesetzgebers ab sowie mit dem Hinweis, dass der Baumeigentümer selbst für die Entstehung des Selbsthilferechts verantwortlich ist.

Die Entscheidung des BGH sollte jeden Baumeigentümer für die Risiken sensibilisieren, die daraus resultieren, wenn er dem Überhang seines Baumes auf ein Nachbargrundstück tatenlos zusieht.

Ass. jur. Armin Braun, GVV-Kommunalversicherung

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