Ein vergessener Ort

Das Olympische Dorf von 1936

Sonstiges

Das Olympische Dorf der Sommerspiele 1936 in Berlin wird im Internet unter den "Vergessenen Orten" Deutschlands gelistet. Nur wenige Wochen stand es als Quartier der Olympia-Sportler im internationalen Fokus, mehr als 50 Jahre war es aufgrund seiner militärischen Nutzung, erst durch die Wehrmacht der NS-Zeit und nach dem Krieg durch die Sowjetunion, dem Zugang der Öffentlichkeit entzogen. Nach der Wende hat der schleichende Verfall seinen morbiden Charme über die Gebäude gelegt und die gestaltete Landschaft ihrer Konturen beraubt. Einige Gebäude wurden denkmalpflegerisch wiederhergerichtet und aktuell läuft eine Debatte um die Zukunft dieses Ortes. Die Konzepte gleichen einem Tauziehen zwischen baulicher Entwicklung und wirtschaftlicher Verwertung, denkmalpflegerischen Zielstellungen und dem Wunsch nach einem Erinnerungsort (woran?). Bestimmt ist die Diskussion von einer Gemengelage aus verdrängter Vergangenheit und fehlender Faktenkenntnis, Interpretieren, ideologische Überfrachtung und Mythen füllen die Wissenslücken. Die wenigen Veröffentlichungen sind widersprüchlich, "nicht selten gekennzeichnet durch das Abgleiten in moralische Urteile und Anekdotisches" (S. 10). Je nach Perspektive (politischem System) fallen diese sehr unterschiedlich aus.

Mit dem Ziel, zur Versachlichung der Diskussion beizutragen, dokumentiert der Historiker und Denkmalpfleger Emanuel Hübner Planung, Bau und Nutzung des Olympischen Dorfes von 1936 anhand von Archivmaterial. Der Schwerpunkt der Veröffentlichung, die auf der Dissertation des Autors am Institut für Sportwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster basiert, liegt auf den Geschehnissen der NS-Zeit. Der Nachkriegsnutzung durch Rote Armee und GUS-Streitkräfte sowie der Zustandsbeschreibung des heutigen Ortes werden dagegen nur wenige Seiten gewidmet. Abgerundet wird der Blick auf das Olympische Dorf 1936 durch die Betrachtung seiner Vorläufer bei vorangegangenen Olympischen Spielen wie auch seine Rezeption bei nachfolgenden.

SUG-Stellenmarkt

Relevante Stellenangebote
eine*n Landschaftsarchitekt*in/-planer*in, Schwerte  ansehen
Gärtner:in (w/m/d) mit Funktion als..., Bremen  ansehen
Landschaftsarchitekt/-in (w/m/d), Wiesbaden  ansehen
Alle Stellenangebote ansehen
Sonstiges
Die nach deutschen Städten benannten Mannschaftsquartiere für die Sportler, hier "Haus Münster" (links), "Haus Bielefeld" (Mitte) und "Haus Dortmund" (rechts), zusammengefasst zu einem so genannten Dreiertyp. Foto: Postkarte, gelaufen 15.8.1936, S. 528, Abb. 64.
Sonstiges
Luftaufnahme des Olympischen Dorfes mit Blick nach Westen auf das Speisehaus der Nationen. Foto: Undatierte Aufnahme (wohl 1936), Postkarte gelaufen 14.1.1940, S. 512, Abb. 33.

Hübner weitet die bisher auf die Reichsebene und das Nationale Olympische Komitee beschränkte Aktenauswertung auf die mittlere und untere Verwaltungsebene aus und bezieht Unterlagen von Firmen und Künstlern sowie private Aufzeichnungen ein. Auf diese Weise bringt er Licht in das Geflecht von Abhängigkeiten zwischen und innerhalb von Staats- und Parteiorganen, Militärdienststellen und Organisationskomitee, die bei Planung, Bau und Nutzung der Anlage mitredeten. Dabei wird unter anderem deutlich, dass und wie das Militär von Anfang an als Bauherr, Geldgeber und als Nachnutzer auftritt, die Nutzung als Olympisches Dorf nur als sehr kurzes Intermezzo einkalkulierend. Unter heutigen, demokratischen Vorzeichen würde man von "Nachhaltigkeit" sprechen. Auch das Agieren der Planergruppe um den Architekten Werner March lässt sich anhand von Protokollen, Aktennotizen und Briefwechseln nachvollziehen. Sichtbar wird, dass Planungs- und Bauentscheidungen im Spagat zwischen den unterschiedlichen Forderungen - und finanziellen Restriktionen, denn auch die gab es - vor allem pragmatisch vorgenommen wurden. Ideologisch gedeutete Gestaltungsansätze sind, anders als "Jubelschriften" und Fachartikel aus der NS-Zeit vermuten lassen, kaum zu finden. Das gilt auch für Heinrich Friedrich Wiepking, der ab 1934, als das bauliche Konzept im Wesentlichen bereits steht, die landschaftliche Gestaltung übernimmt, die, heute als denkmalwürdig eingestuft, maßgeblich zur Qualität der Gesamtanlage beigetragen hat. Hübners Dokumentation hält manches "Aha" bereit - auch für diejenigen, die sich bereits mit der NS-Zeit und den planerischen Vorgängen um das Olympische Dorf von 1936 beschäftigt haben. Doch nicht nur Wissenschaftlern, denen ein umfangreicher Anmerkungsapparat sowie lange Quellen- und Literaturverzeichnisse das Weiterarbeiten leicht machen, sei das Buch empfohlen. Die gut geschriebenen Texte sprechen sicherlich alle an, die an der Zeit, dem Ort oder beteiligten Personen interessiert sind. Ein zusätzliches "Bonbon" sind die zahlreichen, teilweise bisher unveröffentlichten Fotos, welche die wechselvolle Geschichte des Olympischen Dorfes von 1936 illustrieren. Ein Buch, das - dank der finanziellen Förderung durch die DKB-Stiftung - in seiner Aufmachung der Bedeutung des Inhalts gerecht wird.
Dr. Ursula Kellner

Ausgewählte Unternehmen
LLVZ - Leistungs- und Lieferverzeichnis

Die Anbieterprofile sind ein Angebot von llvz.de

Redaktions-Newsletter

Aktuelle grüne Nachrichten direkt aus der Redaktion.

Jetzt bestellen