Strategien zur Qualifizierung von Landschaft in der Stadt

Der Entwurfsprozess Riemer Park in München

von:
Entwürfe Landschaftsarchitektur
Abb. 2: Der Entwurf für den Riemer Park stammt von den französischen Landschaftsarchitekten Latitude Nord. Die diagonale Ausrichtung der Gehölzmassive ist an historische Flurgrenzen und die Hauptwindrichtung zur Belüftung der Stadt angelehnt. Rahmenplan 1997, M 1:2 500. Quelle: Latitude Nord (F)

Große öffentliche Landschaften leisten einen wertvollen Beitrag zu gutem Leben in der Stadt. Zugleich sind sie hohem Verwertungsdruck ausgesetzt, in urbanen Wachstumsräumen verlieren sie zunehmend an räumlichem Zusammenhang und Qualität. Diesem Verlust entgegen zu wirken, heißt, sie als eigenständiges und wertvolles Teilsystem der natürlichen und gebauten Umwelt aufzufassen und zu behandeln. Wie ist das zu schaffen? Große öffentliche Landschaften sind kompliziert. Sie erfüllen ökosystemare, soziale, kulturelle und infrastrukturelle Funktionen für die Gesellschaft (Aufgabenvielfalt); die Eigentumsverhältnisse variieren von kommunalem Besitz, beispielsweise eines Stadtparks, bis hin zu Privatbesitz, beispielsweise einer landwirtschaftlichen Fläche (Nutzungsvielfalt); sie dürfen zu Erholungszwecken betreten werden (Gemeingebrauch).

Mit der räumlichen und gestalterischen Qualifizierung großer öffentlicher Landschaften gehen folglich zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten und Entscheidungssituationen einher, die Vielfalt beteiligter Akteure und Belange bringt facettenreiche, mitunter komplizierte und langwierige Aushandlungsverfahren mit sich. Um das Ansehen von Planung in der Öffentlichkeit ist es nicht zuletzt deshalb schlecht bestellt, da sich die Erwartungen und Versprechungen, die mit Entwürfen und deren Verwirklichung verbunden sind, häufig nicht erfüllen. Vielfältig sind auch die Instrumente, die zur Qualifizierung von Landschaft in der Stadt herangezogen werden. Sie reichen von strategischen Konzepten über formelle Planungen bis hin zu finanziell hinterlegten Fördergrammen. Die unterschiedlichen Wege und Vorgehensweisen darzustellen, die sich daraus ableiten lassen, gehört zu den derzeit anstehenden Aufgaben der Fachdisziplin Landschaftsarchitektur.

Der vorliegende Beitrag liefert dazu einen Baustein. Er thematisiert das kommunikative Handeln der Akteure, wenn sie Landschaft in Stadtraum und Gesellschaft übertragen. Am Beispiel des Entwurfsprozesses, der den Riemer Park in München hervorgebracht hat, wird aufgezeigt, wie sich landschaftliche und landschaftsarchitektonische Belange durchsetzen - in Form gebauter Objekte, in Form qualitätsvoller öffentlicher Landschaften.

SUG-Stellenmarkt

Relevante Stellenangebote
Bachelor Fachrichtung Landschaftsarchitektur /..., München  ansehen
Landschaftsarchitekt:in / Landschaftsplaner:in..., Bremen  ansehen
Forstamtsrat*rätin (m/w/d) beim Amt für..., Köln  ansehen
Alle Stellenangebote ansehen

Fallbeispiel Riemer Park

Der Riemer Park (Abb. 3) wurde als Teil der öffentlichen Infrastruktur der Messestadt Riem gebaut, einem Stadtteil, der seit 1992 im Zuge einer der großen Flächenumwandlungen Münchens auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens München Riem (Abb. 1) entsteht. Bevor er 2006 der Öffentlichkeit übergeben wurde, fand darin die Bundesgartenschau München 2005 statt. Planung und Realisierung erfolgen in einer Zeit der Aufbruchstimmung, die mit dem Stadterweiterungsvorhaben Messestadt Riem aufkommt.

Leitbild für die Entwicklung des neuen Stadtteils ist die 1992 beschlossene Agenda 21. Mit der Anlage des Riemer Parks wird eines der damit verbundenen Nachhaltigkeitsziele erfüllt: Der Park bietet zu allen Jahreszeiten attraktive und vielfältige Erholungsmöglichkeiten und trägt damit zu ausgewogenen Lebensverhältnissen vor Ort bei. Dabei bedient er einen Einzugsbereich von etwa 36.000 Einwohnern. Zugleich reiht er sich in das Spektrum großer Münchner Parkanlagen wie Nymphenburger Schlosspark, Englischer Garten oder Olympiapark ein. Die Tradition Münchner Parks, die jeweils unterschiedliche Epochen der Gartenkunst repräsentieren, erfährt damit eine Fortsetzung.

Entwurfsprozess

Der Entwurfsprozess Riemer Park wird über einen Zeitraum von rund 75 Jahren betrachtet: Um einen neuen Standort für den an seine Kapazitätsgrenze gelangten Flughafen Riem zu finden, wird 1963 die Kommission "Standort Großflughafen München" gegründet. Damit wird bereits die Freimachung des Flughafenareals in Riem induziert und die Möglichkeit eröffnet, dort Neues zu schaffen. In den 1970er-Jahren stellen Münchner Stadträte die "Möglichkeit Park" in den Raum. Dass der Riemer Park in der heutigen Form existiert, beruht auf zwei Grundsatzbeschlüssen, die der Münchner Stadtrat in den Folgejahren trifft:

Ein Drittel des aufzulassenden Flughafengeländes soll als Grünfläche genutzt werden (1986), der Realisierung des Parks wird ein bestimmter Entwurf zugrunde gelegt (1996). Ohne wesentliche Änderungen wird der Entwurf (Abb. 2) daraufhin auf das Gelände vor Ort übertragen. Der Blick in die Zukunft leitet zu einem in Realität von großer Unschärfe gezeichneten Moment: Bis ins Jahr 2035 sind an den Parkgehölzen Erziehungsschnitte vorzunehmen, so die vorläufigen Überlegungen der Münchner Stadtverwaltung, die sie in einem Parkpflegewerk festgehalten hat. Erst dann wird die Grünanlage ihre volle Funktionsfähigkeit erlangt haben und das vom Stadtrat beschlossene Erscheinungsbild erreicht sein.

Was trägt dazu bei, dass ein Entwurfsprozess über einen so langen Zeitraum seine Richtung behält?

Die Aushandlung eines Entwurfs von dessen Erzeugung bis zur Umsetzung beruht auf kommunikativen Handlungen: Politiker, Verwalter, Wissenschaftler, Entwerfer, Hersteller und Gebraucher wie auch die durch Medienvertreter repräsentierte Öffentlichkeit verständigen sich über den Entwurf für eine öffentliche Landschaft vom übergeordneten Zusammenhang bis ins Detail. Dazu wird der Entwurf sichtbar gemacht in Form zeichnerischer Darstellungen, Bilder und Modellen. Der Einsatz sprachlicher Mittel spielt eine ebenso bedeutende Rolle, wenn öffentliche Belange betroffen sind. Er findet Niederschlag in Erläuterungstexten, Berichten und Protokollen, Stücklisten, Vertrags- und Regelwerken oder Beschlusstexten.

Nicht zuletzt wird der Entwurf in die Form der Grünanlage übertragen: 30.000 Bäume, weitläufige Wiesen und Wege, diverse Spiel- und Sportplätze, ein Badesee machen den Riemer Park real erlebbar. Das heißt, der Entwurf wird in verschiedene, den Adressaten vertraute oder verständliche Sprachen übersetzt (Wort-, Bild-, Artefaktsprache). Die Qualifizierung großer öffentlicher Landschaften beruht demnach auf zahlreichen und von großer Vielfalt geprägten "Vorgängen des Übersetzens". Was bewirken sie? Indem die Akteure den Entwurf beziehungsweise das Wissen darüber den unterschiedlich beschaffenen Materialien einschreiben, stellen sie Verbindungen her - zwischen dem Entwurf und sich selbst, zwischen Entwurf, Wissen und Park (Abb. 4). Im Idealfall resultiert daraus ein Aushandlungsgefüge, das ausreichend robust ist, um dem Entwurfsprozess Ordnung und Richtung zu geben, und zugleich nachgiebig genug, um sich wandelnden Anforderungen anpassen zu können.

Park

Die Aushandlung von Nutzungsart und Entwurf benötigt im Fall Riemer Park mit rund 35 Jahren in etwa soviel Zeit wie die bauliche Umsetzung und anschließende Entwicklung durch Pflanzenwachstum und Pflege (Abb. 5). Das Hervorbringen des konkreten Entwurfs geht demgegenüber vergleichsweise schnell: Gerade mal 14 Monate liegen zwischen dem 14. Dezember 1994, als der Münchner Stadtrat beschließt, einen internationalen landschaftsplanerischen Ideen- und Realisierungswettbewerb für den Park durchzuführen, und dem Grundsatzbeschluss vom 7. Februar 1996, womit der Entwurf des ersten Preisträgers dem weiteren Vorgehen zugrunde gelegt wird. Landschaftliche Vorhaben können größer oder viel kleiner sein als das hier vorgestellte. Wenn sie nachhaltig in Stadtraum und Gesellschaft eingefädelt werden sollen, müssen sie im Hinblick auf diesen Lauf eingeschätzt und realistisch kalkuliert werden.

Wissen

Um das Wissen über Entwurf und Park - grob gesagt Konfigurations- und Betriebswissen - für den Entwurfsprozess produktiv zu machen, muss es in Bewegung versetzt und geteilt werden können. Dazu bedarf es institutionalisierter Übertragungsmöglichkeiten - so im Fall Riemer Park: Fachgutachten und Wettbewerbsverfahren, Beschlussfassungen des Stadtrats, Baustelle und Park. Hinzu kamen Ausstellungen, Parkführungen, Bürgerfeste, Berichterstattungen. Besondere Wirkung zeigte die Bundesgartenschau 2005. Die Veranstaltung zog Besucher aus ganz Deutschland in den Park und löste Diskussionen über den Entwurf bis hinein in die Feuilletons großer Tageszeitungen aus, was ohne größeren Anlass eher selten vorkommt. Eine gegenwärtige Übertragungsmöglichkeit stellt das alljährliche Monitoring der städtischen Planungs- und Unterhaltsabteilungen dar: Bis heute ist das Büro Latitude Nord an den Gängen durch den Park beteiligt und trägt sein Wissen in die Aushandlung ein.

Entwurf

Das sukzessive Artikulieren des Entwurfs in Form unterschiedlicher Materialien wie Texten, Bildern, Plänen und gebautem Objekt unterliegt einer Ordnung in der Zeit (Vorbereitung, Festlegung, Übertragung) (Abb. 6). Drei Dokumente stehen heute für den Entwurf und sind durch Querverweise, Beschlusssätze oder grafische Übereinstimmungen einschlägig mit dem Park verknüpft: der Entwurfsplan als politische Grundlage, der B-Plan mit Grünordnung als rechtliche Grundlage, das im B-Plan verankerte Parkpflegewerk als Betriebsanleitung. Dass der Riemer Park für mehrere Generationen bereitgestellt werden soll, bedeutet, dass nicht nur der Park einer regelmäßigen und dauerhaften Pflege und Entwicklung bedarf, sondern auch der Materialienkorpus indem das Wissen darüber gespeichert ist.

Der Entwurfsprozess als Gegenstand konzeptionellen Handelns

Damit die vielfältigen Inhalte und Zusammenhänge nicht auseinander driften, bedarf es integrierter und beständiger Entwurfsprozesse. Diese selbst - nicht allein der landschaftsarchitektonische Entwurf - sind Gegenstand konzeptionellen Handelns. Die strategische Anordnung der verschiedenartigen abstrakten wie konkreten Materialien ist ein Teil davon. Generelle strategisch motivierte Maßnahmen tragen darüber hinaus zur Stabilisierung landschaftsorientierter Entwurfsprozesse bei - wie am Beispiel Riemer Park belegt:

Aushandlung auf Augenhöhe

Grundlegend ist der politische Wille, Grün- und Freiflächen auf Augenhöhe mit Verkehrsflächen und Bauwerken zu behandeln (Abb. 7). Bezogen auf den Flächenanteil: In München wurde dem Grün von vornherein ein Drittel des neuen Stadtteils zugeordnet. Bezogen auf die Qualität: Der Riemer Park wurde hochwertig gestaltet und ausgestattet und er wird gut gepflegt. Die Möglichkeit, im Münchner Osten gut zu leben, wurde damit erhöht.

Einbettung

Zur Stabilisierung eines Entwurfsprozesses trägt die Einbettung in übergeordnete Freiraumstrategien bei. Auf planerischer Ebene: Die Stadt München positionierte den Park als wichtige Freiraumsetzung, die nicht allein vor der Haustür seiner Anlieger Wirkung entfaltet, sondern im Kontext der großen städtebaulich-landschaftlichen Entwicklungen im Nordosten der Stadt. Auf betrieblicher Ebene: Die Pflege und Entwicklung des Riemer Parks ist in den gesamtstädtischen Grünflächenunterhalt eingebettet. Dass sie im Rahmen stadtweit geltender Standards erfolgt, trägt zur nachhaltigen Verankerung der Anlage in der Stadt bei.

Koproduktion

Große öffentliche Landschaften sind Koprodukte. Das Spektrum der damit befassten Akteure muss dementsprechend konfiguriert werden. Im Fall Riemer Park stellen Politik und Verwaltung die Grünanlage bereit. Wissenschaftler, Ingenieure und Entwerfer liefern Wissen zu. Baumschulen und Baufirmen stellen Baumaterialien her und errichten damit den Park. Anwohner und Besucher von weiter her nutzen ihn zur Erholung. Einen tragfähigen Entwurfsprozess aufzusetzen und durchzuführen, bedeutet demnach, die Vielfalt ursächlich eigenständiger Akteure und deren jeweilige Fähigkeiten und Ansprüche zu identifizieren und sinnvoll einzubinden. Dass sich im Verlauf der gesellschaftlichen Aushandlung die Konstellation der Akteurschaft mehrfach ändert wie auch die damit verbundenen Handlungsschwerpunkte, unterstreicht die Bedeutung des zuvor beschriebenen Materialienkorpus.

Relationales Entwerfen

Die Handlungsnotwendigkeiten in Bezug auf die Zeit müssen mitbedacht und im Entwurfsprozess angelegt sein (Abb. 8). Am Beispiel Riemer Park lässt sich nachvollziehen, wie sich Projekte mit ganz unterschiedlichen Eigenlogiken nach und nach in das Vorhaben Park einklinken, so die Durchführung einer Großveranstaltung wie die Bundesgartenschau oder die Anlage eines Ingenieurbauwerks wie der Badesee. Das heißt, die Verbindungen zwischen Entwurf und Akteuren, zwischen Entwurf und Materialien müssen immer wieder aufs Neue befragt und wiederholt hergestellt werden. Soll der Anspruch "qualifizierte Landschaft" über mehrere von gesellschaftlichen Veränderungen und möglichen Zufallsereignissen geprägte Generationen hinweg aufrecht erhalten werden, muss das Entwerfen als dauerhafte Institution angelegt sein.

Folgerungen

Mehrere hundert Schriftstücke, Abbildungen und Pläne wurden gesichtet, um herauszufinden, wie die verbalen, visuellen und gegenständlichen Ausdrucksmittel im Fall Riemer Park zusammenhängen und was dazu beigetragen hat, dass es den Park heute gibt, dass er funktioniert und sich zudem der ursprüngliche Entwurf darin abzeichnet (Abb. 9, 10, 11). Die gewonnenen Erkenntnisse tragen dazu bei, das Entwerfen von Landschaft in komplizierten Aushandlungslagen zu etablieren. Voraussetzung sind gut vorbereitete auf Dauer angelegte Entwurfsprozesse. Sie zu entwerfen, bedeutet eine Herausforderung für die Profession der Landschaftsarchitekten, wenn es darum geht, Landschaft als eigenständiges und wertvolles Teilsystem der Stadt zu qualifizieren. Das Potential des Entwurfs kann dafür genutzt werden, indem er als Gestaltungsinstrument und Kommunikationstool aufgefasst wird. Ein solches Verständnis hat Auswirkung auf die Arbeit der Verwaltung, in der die Landschaftsarchitektur in dementsprechenden Funktionen und Positionen vertreten sein muss.


Mehr dazu unter: publikationen.bibliothek.kit.edu/1000063913


Literatur

Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): Urbane Grüne Infrastruktur, Grundlage für attraktive und zukunftsfähige Städte, Bonn 2017

Kurath, Stefan: Stadtlandschaften Entwerfen? Grenzen und Chance der Planung im Spiegel der städtebaulichen Praxis, Bielefeld 2011

Lezuo, Dagmar: Wie kommt der Entwurf zur Landschaft? Übersetzungsstrategien zur Qualifizierung großer öffentlicher Landschaften, Beispiel Riemer Park München, Karlsruhe 2017

Dr.-Ing. Dagmar Lezuo
Autorin

Landschaftsstrategin

landschaftsstrategie.de

Ausgewählte Unternehmen
LLVZ - Leistungs- und Lieferverzeichnis

Die Anbieterprofile sind ein Angebot von llvz.de

Redaktions-Newsletter

Aktuelle grüne Nachrichten direkt aus der Redaktion.

Jetzt bestellen