Orthogonal geplante Grünanlage mit „Band des Lebens“

Der Heilbronner Hauptfriedhof

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Landschaftstheorie
1 Prägende Platanenallee – "Band des Lebens". Foto: Stadtarchiv Heilbronn, Barabara Kimmerle

Nachdem der mittelalterliche "Alte Friedhof" an der Karmeliterstraße, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Anforderungen der prosperierenden Stadtentwicklung Heilbronns nicht mehr gerecht wurde, konnte am 01.12.1882 der "Neue Friedhof" im Gewann "Auf der Bühn" eröffnet werden. Realisiert wurde der Hauptfriedhof nach den Entwürfen des Landschaftsarchitekten Robert Wagner aus Stuttgart, der den hierzu ausgelobten Wettbewerb gewonnen hatte. Nach einer Friedhofserweiterung um 7 Hektar in den frühen 1960er-Jahren hat er heute eine Gesamtfläche von 15 Hektar. Gestalterisch prägend ist die zentrale Platanenallee, an der sich die Friedhofsgebäude und die Gräberfelder symmetrisch ausrichten und sich in die Wohnbebauung der Friedhofsstraße fortsetzt. In der Symbolsprache der Landschaftsarchitektur beschreibt diese Hauptachse das "Band des Lebens", welches von der Stadt der Lebenden kommend, den Platz des Abschiednehmens überschreitet, um in die Nekropolis, die Stadt der Toten, hinüberzugehen. Ein Band, das Leben, Sterben, Abschiednehmen und Tod miteinander verbindet.

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2 Neoklassizistisches Gebäudeensemble – Platz des Abschiednehmens. Foto: Stadtarchiv Heilbronn, Barabara Kimmerle
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3 Die Dachsteingräber – Kollektives Gedenken der Opfer einer Tragödie. Foto: Stadtarchiv Heilbronn, Barabara Kimmerle

Prächtige Alleen, geschnittene Hecken, Formgehölze so wie viele exotische Gehölze verleihen dem orthogonal geplanten Friedhof heute einen ganz besonderen und eigenen Parkcharakter. Als innerstädtische Oase der Natur ist er ein wichtiger Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten, ein wichtiger innerstädtischer Frischluftproduzent sowie ein Ort der Ruhe für Erholungssuchende und Ort des Gedenkens für Trauernde gleichermaßen.

Das beeindruckende Gebäudeensemble mit Trauerhalle und Leichenhalle wurde nach den Plänen von Stadtbaumeister Philipp Sulzberg (1839-1889) in den Jahren 1882 und 1885 erbaut. Der verwendete Heilbronner Schilfsandstein gibt den neoklassizistischen Gebäuden eine gleichermaßen warme wie repräsentativ bedeutsame Ausstrahlung.

Hinzu kam im Jahr 1905 das durch den Heilbronner Feuerbestattungsverein finanzierte Krematorium, dem ersten im Königreich Württemberg. Die Architekten Emil Beutinger (1875-1957) und Adolf Steiner (1875-1944) hatten mit diesem Bau einen viel beachteten, gelobten und anerkannten Sepulkralbau verwirklichen können.

Bezeichnend ist, dass der vielseitig begabte Beutinger später als Dozent über den Bau von Krematorien ein eigenes Lehrbuch veröffentlichte. Im Jahr 1921 wurde Emil Beutinger dann zum Oberbürgermeister Heilbronns gewählt, wobei er dieses Amt bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 ausüben konnte. Nach Ende des II. Weltkrieges wurde er seitens der Amerikaner bis 1946 nochmals kommissarisch zum Oberbürgermeister eingesetzt. Ehrenbürger Emil Beutinger fand 1957 ebenfalls auf dem Hauptfriedhof seine letzte Ruhestätte.

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4 Das Heilbronner Krematorium – 1905 erbaut – das älteste Württembergs. Foto: Stadtarchiv Heilbronn, Barabara Kimmerle
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5 Ansicht der Kriegsgräber des II. Weltkriegs in Abt. 10. Foto: Stadtarchiv Heilbronn, Barabara Kimmerle

Als wichtiges Zeugnis der Stadtgeschichte und bedeutendes Kulturdenkmal stehen das Ensembles der neoklassizistischen Friedhofsgebäude sowie die historische Gartenanlage aus gutem Grund unter Denkmalschutz. Wenn das mittelalterliche, historische und malerische Stadtzentrum Heilbronns durch den verheerenden Bombenangriff am 04.12.1944 unwiderruflich und katastrophal zerstört worden ist, so ist das Ensemble des Hauptfriedhofs verschont geblieben und zeugt heute noch vom "alten Heilbronn" der Fabrikanten-, Industriellen-, Kaufmanns-, Denker- und Wengerterfamilien.

An die Opfer der beiden Weltkriege und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnern mehrere Grabfelder und Gedenkstellen. Nachdem sich in Heilbronn während des I. Weltkrieges drei Kriegslazarette befanden, wurden entlang der Westseite des historischen Friedhofteils die verstorbenen Verwundeten bestattet, auf zwölf Monumenten sind die Namen der 341 deutschen und 237 ausländischen Soldaten verzeichnet. Die Bombenopfer und Gefallenen des II. Weltkrieges sind in der Kriegsgräberabteilung 10 bestattet.

Die große Mehrzahl der 6500 Opfer des Bombardements vom 04.12.1944 wurde in Massengräbern auf dem Ehrfriedhof im Köpfer bestattet. In Abteilung 22 erinnert das Denkmal der "Polengräber" an die 140 Opfer unter den verschleppten polnischen und baltischen Zwangsarbeitern. Daneben gibt es Denkmale für die Opfer der Vertriebenen, der Dobrudschadeutschen, der Euthanasieopfer, dem Infanterieregiment 260 und dem Königlich Württembergischen Infanterieregiment 478. In der Nachkriegszeit hat sich die Tragödie der Dachsteingräber besonders tief in das kollektive Bewusstsein der Heilbronner eingegraben. Hier fanden zehn jugendliche Schüler und ein Lehrer ihre letzte Ruhestätte, nachdem diese am Karfreitag 1954 bei einer Alpinwanderung im Dachsteingebirge durch einen Schlechtwettereinbruch tragisch ums Leben gekommen waren.

Die aktuellen Veränderungen in der Friedhofs- und Bestattungskultur, im Kern mit dem Wunsch nach alternativen, von der Grabpflege "entpflichtenden" Grabstellen, finden sich in den "Urnengräbern in der Kirschenwiese" wieder. Historische oder gestalterisch wertvolle Grabanlagen bilden die Bezugspunkte für die "Urnengräber an Historischen Grabstellen".

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6 Fauna & Flora – Natur erfahren, hilft Trauer zu bewältigen. Foto: Jürgen Pfleiderer 2017
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7 Fauna & Flora – Natur erfahren, hilft Trauer zu bewältigen. Foto: Jürgen Pfleiderer 2017

Die sozialen Wandlungsprozesse unserer hoch mobilen und globalen Gesellschaft lassen die Verantwortung für den Unterhalt eines Grabes oft zur Last werden und fordern neue, gestalterisch wertvolle Antworten. Die "Schmetterlingsgräber" für fehlgeborene Kinder fanden im Erweiterungsteil des Hauptfriedhofs ihren Platz. Seit dem Jahr 2004 können dort fehlgeborene Kinder unentgeltlich bestattet werden, die zuvor wie andere humane Klinikreste behandelt wurden. Im Wiesental, des als Landschaftspark angelegten Friedhofteils, können die betroffenen Eltern und Familien nun in Ruhe Abschied nehmen und einen Ort für ihre Trauer finden.

Entworfen wurde die Stelengruppe von Bildhauermeister Rainer Bergmann aus Heilbronn. Die Realisierung der Anlage war ein gemeinsames Sponsoring-Projekt der Heilbronner Steinmetze, Bestattungsinstitute, Friedhofsgärtnereien, der Elterngruppe Regenbogen mit der Klinikseelsorge, den SLK-Kliniken und dem städtischen Grünflächenamt. Entstanden ist ein viel besuchter Ort des Trauerns, an dem zweimal jährlich Beisetzungen und gut besuchte Trauerfeiern stattfinden.

Oase der Natur - Lebensraum für Mensch & Tier

Der Hauptfriedhof ist eine bedeutende ökologische Oase im Heilbronner Osten und bietet einer Vielzahl seltener Pflanzen und Tieren einen sicheren Rückzugs- und Lebensraum. Aber auch weit verbreitete, gewöhnliche oder allgemein bekannte "Allerweltsarten" laden Friedhofsbesucher zum Verweilen und Beobachten ein. Insbesondere trauernde Menschen genießen hier die Ruhe und öffnen sich für die wohltuenden Wechselwirkungen dieses Naturraums.

Den Vogelstimmen, dem Summen von Bienen und Hummeln, der angenehmen Kühle in der Sommerhitze, dem Wechselspiel von Licht & Schatten, dem Duft von leuchtenden Blüten oder frischem Herbstlaub, dem Rascheln des Windes im Blattlaub, den Spuren im Schnee kommt hier eine wohltuende, nahezu therapeutische Bedeutung zu. Friedhöfe sind Orte, die gut tun!

Dipl.-Ing. (FH) Martin Heier
Autor

Abteilungsleiter Friedhöfe beim Grünflächenamt der Stadt Heilbronn,

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