Ein Rückblick auf Nutzungskonzepte und Nutzungsgeschichten öffentlicher Parkanlagen

Der Park als politischer Raum

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Parks und Gärten
Zuccottipark in Manhattan, New York City am 30. September 2011 während der Besetzung durch Occupy Wallstreet. Foto: David Shankbone, CC BY 3.0

Der Zuccottipark in New York City diente im Herbst 2011 der Occupy-Wallstreet-Bewegung als Basislager und Austragungsort der General Assembly, einer basisdemokratisch organisierten Vollversammlung der Bewegung. Die weltweit über die digitalen Medien geführte politische Diskussion um die Auswirkungen des modernen Finanzsystems fand in dieser öffentlichen Parkanlage eine reale Bühne. Auch die Umsturzbewegungen in arabischen Despotien im vergangenen Jahr, die durch die modernen Kommunikationsmittel vorangetrieben wurden, benötigten dennoch analoge Orte des Protestes. So gelangte der Tahrir-Platz in Kairo zu weltweiter Bekanntheit. Durch die Besetzung des öffentlichen Raums mit Zeltlagern wurde zum einen ein medial wirksames Bild erzeugt.

Zum anderen boten die Lager aber tatsächlich Raum für politische Diskussionen, für freien Meinungsaustausch und für aktive Willensbildung.1 Damit wurde der öffentliche Raum zwar unkonventionell aber letztlich genau in dem Sinne genutzt, der die Substanz der Idee von Öffentlichkeit bildet.2

In weniger bewegten Zeiten spielt diese emanzipatorische Dimension öffentlicher Freiräume kaum eine Rolle. Es geht im Gegenteil bei deren Gestaltung meist um die subtile Durchsetzung politisch motivierter volkspädagogischer Konzepte. Nicht die Emanzipation, sondern die politische Prägung des Volkes ist das Ziel. Mit dem folgenden Überblick über den Wandel der Nutzung öffentlicher Parkanlagen verschiedener deutscher Städte will ich das Spannungsfeld aufzeigen, in dem sich der gestaltete öffentliche Freiraum seit jeher bewegt: Er ist von Anfang an sowohl ein Ort politischer Emanzipation als auch politischer Vereinnahmung.

Damit sollen zwei Perspektiven auf den Park als Stadtraum eröffnet werden. Demjenigen, was Gartenkünstler und Gartentheoretiker wie Peter Joseph Lenné, Christian Cay Laurenz Hirschfeld, Gustav Meyer, Harry Maasz oder Günther Grzimek zu ihren Zeiten und aus ihren jeweiligen gesellschaftlichen Kontexten heraus über die Konzipierung von Parkanlagen schrieben, soll an wenigen Beispielen dasjenige gegenüber gestellt werden, was aus Chroniken, Zeitungsartikeln, Briefen oder amtlichen Bekanntmachungen über die tatsächliche Nutzung von öffentlichen Grünräumen herausgelesen werden kann. So soll das Wechselspiel zwischen sich ändernden Nutzungsansprüchen und deren ideologischer Vereinnahmung und Interpretation durch die meist bürgerlichen Gartenarchitekten und kommunalen Politiker verdeutlicht werden. Die Initiatoren und Gestalter, so die im Folgenden vertretene These, reagierten mit einem veränderten Nutzungsangebot in städtischen Parkanlagen auf sich ändernde Nutzeransprüche nicht alleine, um diese besser befriedigen zu können, sondern auch, um sich an die Spitze emanzipatorischer Bewegungen zu setzen und diese in die Bahnen der eigenen Interessen zu lenken. Diese Ausführungen beschreiben den Beginn eines Forschungsvorhabens und können zunächst nur in groben Strichen einige Thesen zum Park als Ort politischer Vereinnahmung skizzieren.

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Parks und Gärten
Volksversammlung bei den "Zelten" im Großen Tiergarten von Berlin in den Märztagen 1848. Quelle: Ribbe, Wolfgang (Hg.): Geschichte Berlins, Band 2: Von der Märzrevolution bis zur Gegenwart, München 1987, S. 609

Flanieren und protestieren im Volksgarten

Lenné beschreibt 1840 die mannigfaltiger werdenden Bedürfnisse des Städters, zu denen er den öffentlichen Spaziergang zählt. Diesen sieht er sowohl als vergnügliches wie auch als gesundes Unterfangen an.3 Aus der Perspektive der Städter war die Anlage eines Stadtparks aber zunächst ein Akt der politischen Emanzipation. So beschreibt Goerd Peschken4 die erste Berliner Parkanlage in Treptow von 1802 vor den Toren der Stadt als sozialen Treffpunkt außerhalb des Verfügungsbereiches staatlicher Verwaltung. In der Residenzstadt bestimmte der preußische König über die Gestaltung des Stadtraumes, vor den Toren konnte die Bürgerschaft auf einem städtischen Gut ihrem wachsenden Bedürfnis nach Repräsentation nachgehen, eine städtische Parkanlage außerhalb der Stadt anlegen und nach eigenen Regeln nutzen.

Diese politische Dimension öffentlicher Freiraumgestaltung und -nutzung nahmen die Theoretiker der Gartenkunst allerdings nur sehr eindimensional auf. Hier war es die gesellschaftliche und damit auch politische Erziehung der unteren Klassen, die durch die Parkanlagen erreicht werden sollte. Der Kontakt mit der schönen Natur sollte der Hebung der Moral dienen, das "Vergnügen" in den Parkanlagen sollte von den Lastern der städtischen Gesellschaft ablenken und die Begegnung mit Vertretern höherer gesellschaftlicher Klassen sollte zivilisierend wirken. Christian Cay Laurenz Hirschfeld beschreibt das im Kapitel über "Volksgärten" in seiner "Theorie der schönen Gartenkunst" mustergültig: "Diese Volksgärten sind, nach vernünftigen Grundsätzen der Polizey, als ein wichtiges Bedürfniß des Stadtbewohners zu betrachten. Denn sie erquicken ihn nicht allein nach der Mühe des Tages mit anmuthigen Bildern und Empfindungen; sie ziehen ihn auch, indem sie ihn auf die Schauplätze der Natur locken, unmerklich von den unedlen und kostbaren Arten der städtischen Zeitverkürzungen ab, und gewöhnen ihn allmälig an das wohlfeile Vergnügen, an die sanftere Geselligkeit, an ein gesprächiges und umgängliches Wesen."5

Gustav Meyer, der erste kommunale Stadtgartendirektor Berlins, führt Hirschfelds Gedanken zu Volksgärten in seinem "Lehrbuch der schönen Gartenkunst" von 1840 und in seinen drei für Berlin konzipierten und realisierten öffentlichen Parkanlagen, dem Friedrichshain (1848), dem Humboldthain (1876) und dem Treptower Park (1888) konsequent fort. Die Volksgärten, wie Hirschfeld und Meyer sie konzipierten waren Orte der Repräsentation und des Vergnügens aber auch Orte der Erziehung gemäß bürgerlichen Idealen, wobei sie vor der Kulisse eines die Moral bedrohenden Stadtlebens auf die bessernde Kraft des Lustwandelns in der Natur vertrauten.

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Demonstration auf dem Tahrir-Platz in Kairo am 4. Februar 2011. Foto: Mona Sosh, CC BY 2.0

An den Ereignissen rund um die bürgerliche Märzrevolution von 1848 in Berlin kann man allerdings deutlich zeigen, dass die öffentlichen Parkanlagen auch eine wichtige Rolle im politischen Leben der Stadtbewohner spielten, die weit über ein gefälliges Lustwandeln im Grünen hinaus gingen. Im Berliner Tiergarten, der bereits 1740 von Friedrich dem Großen den Bürgern zum Zweck des öffentlichen Spaziergangs übergeben worden war, hatten sich in Form von Buden und Zelten zahlreiche Schankwirtschaften etabliert. In den revolutionären Märztagen von 1848 wurden die "Zelte" neben den innerstädtischen Salons und Zeitungshallen zu einem zentralen Ort politischer Debatten. Hier fand eine erste die Stände übergreifende Volksversammlung am 7. März statt, hier trafen sich Bürger, Handwerker und Arbeiter erneut und zogen nach hitzigen Debatten in die Stadt zurück, wo sie am Brandenburger Tor auf die Soldaten des Königs trafen und es zu ersten blutigen Barrikadenkämpfen kam.6

Die Gefallenen dieser Märztage wurden in der ersten stadtnahen kommunalen Parkanlage Berlins, dem Friedrichshain, der 1848 nach Plänen von Gustav Meyer fertig gestellt worden war, beigesetzt und erhielten so im öffentlichen Freiraum einen Ort des politischen Gedenkens. Die Parkanlagen in Berlin waren also in dieser Zeit untrennbar mit den politischen Umbrüchen verbunden und boten Raum sowohl für politische Auseinandersetzung als auch für politisches Gedenken.

Anknüpfend an Habermas Ausführungen zur Herausbildung einer Sphäre der Öffentlichkeit7 könnte man die Stadtparkanlagen des 19. Jahrhunderts zu den Orten der Etablierung eines bürgerlichen Selbstverständnisses zählen, die vor allzu großer staatlicher Einflussnahme geschützt waren. Auch hier war, wie in den bürgerlichen Salons, der unbeschränkte Austausch über politische Themen und die Repräsentation bürgerlicher Freiheiten möglich.

Turnen im Wald

Betrachtet man die städtische Freiraumnutzung im 19. Jahrhundert, so muss in diesem Zusammenhang noch eine Bewegung erwähnt werden, die sich gezielt in die nicht gestalteten Naturräume zurückzog. Der Hilfslehrer Friedrich Ludwig Jahn propagierte in Berlin seit Beginn des 19. Jahrhunderts die Notwendigkeit der körperlichen Ertüchtigung. Er organisierte mit seinen Schülern freiwillige Ausflüge vor die Stadt, auf denen Geländespiele und zwanglose Körperübungen veranstaltet wurden. 1811 richtete er in der Berliner Hasenheide, einem ehemaligen Jagdrevier außerhalb der Stadtgrenze, einen umzäunten Turnplatz mit fest installierten Geräten ein und markierte so den Beginn der Turnerbewegung.

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Turnplatz in der Hasenheide im Jahr 1818, Ansicht und Grundriss. Quelle: Gedenkblatt zur fünfzigsten Jahresfeier des Deutschen Turnens. Berlin 1848

Jahn etabliert das Schülerturnen vor dem Hintergrund der Erfahrung der Niederlage des preußischen Heeres unter die französischen Truppen im Jahr 1806 und der seitdem herrschenden napoleonischen Besetzung Preußens. Unter der französischen Fremdherrschaft wurde von intellektuellen Führern eine patriotische Bewegung in bürgerlichen Schichten entfacht. Die erste deutsche Nationalbewegung rüstete ideell für den Kampf gegen Napoleon, der dann 1812/13 siegreich ausgefochten wurde, und für den Kampf für mehr politische Mitbestimmung durch nationale parlamentarische Vertretung und eine allgemein gültige bürgerliche Verfassung. Das Turnen wurde so vor allem zur patriotisch-geistigen Bewegung im Berliner Bürgertum, Jahn zum Führer einer nationalen Bewegung, die in der Berliner Gesellschaft sehr erfolgreich war.

Der Turnplatz in der Hasenheide war nicht nur Ziel der Turner selbst, sondern auch zahlreicher Zuschauer. 1813 turnten hier 370 junge Männer, 1816 bereits gute 1000, nach dem siegreichen Unabhängigkeitskrieg gegen das französische Heer 1813, an dem zahlreiche Turner, unter ihnen auch Jahn selbst, teilgenommen hatten, erlebte das Turnen einen enormen Aufschwung. Ab 1814 wurde jährlich das Deutsche Turnerfest in der Hasenheide abgehalten, das bis zu 10.000 Menschen besuchten. Gemessen an der Berliner Gesamtbevölkerung von knapp 200.000 können die Turnerfeste damals mit heutigen Großveranstaltungen zur Fußballweltmeisterschaft im Berliner Tiergarten rund um das Brandenburger Tor verglichen werden. Wie politisch aufgeladen diese Massenveranstaltungen im Freiraum waren, zeigt das Verbot der Turnerbewegung 1820 im Kontext der politischen Restauration.8

Lebensreformierte Volksbildung im Volkspark

Erst die reformierten Volksparkanlagen des frühen 20. Jahrhunderts integrierten die Sport- und Spielbewegung, die in deutschen Landen mit Jahns Turnerbewegung begonnen hatte, konsequent in das Programm öffentlicher Parkanlagen. Die Volksparkanlagen waren zum einen eine konsequente Weiterentwicklung der Stadtparkanlagen des 19. Jahrhunderts, andererseits erfuhren sie eine enorme ideologische Aufladung, um sich genau von diesen früheren Stadtparkanlagen abzugrenzen.9

Alfred Lichtwark, damals Direktor der Hamburger Kunsthalle und engagierter Mitstreiter für eine Reform der Gartenkunst, formuliert im Jahr 1909 programmatisch den funktionalistischen Ansatz der Volksparkidee: "Den Ausgangspunkt aller Betrachtungen über den Stadtpark hat das Bedürfnis zu bilden."10 Lichtwark beschreibt 1910 das bunte Treiben auf frei betretbaren Wiesenflächen vor den Toren Münchens und auf der Gänsewiese vor dem Hamburger Dammtor als Vorbild für einen Volkspark.11 Auch Harry Maaß, Verfassers des Buches "Der deutsche Volkspark der Zukunft" (1913), bezieht sich in seiner Konzipierung von Volksparken auf die informelle Nutzung bestehender Wiesenflächen vor den Toren der Stadt, die er einer Tradition aus dem Mittelalter verdanken zu können glaubt.12 Daraus leitet er, ebenso wie Lichtwark, ein bestehendes Bedürfnis für die Nutzung von Parkanlagen ab.

Allerdings muss damals ebenso wie heute die Institutionalisierung von informellen Nutzungen, wie es das Betreten der Wiesenflächen vor den Stadttoren war, immer in Verbindung mit der Möglichkeit zur Kontrolle dieser "Freiheit" gesehen werden. Der Bewegungsdrang von Jung und Alt konnte im Park unter der Obhut von Spiel- und Sportvereinen in die "richtigen" Bahnen der Leibesertüchtigung im Namen der Erhaltung von Volksgesundheit, Wehr- oder Arbeitsfähigkeit gelenkt werden.13 Parkwächter konnten außerdem das bunte Treiben im züchtigen Rahmen halten und das Nutzerspektrum selektieren. Die gesamte Diskussion um Volksparke bestimmte so ein dialektisches Verhältnis von der Erweiterung des Nutzungsspektrums und dem Fallenlassen restriktiver Konventionen einerseits zu der Möglichkeit gerade dadurch das Verhalten der Parknutzer zu kontrollieren andererseits. Die Entstehungsgeschichte der Volksparke muss ebenso wie die ihrer Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert rückblickend aus einer heterogenen Gemengelage von Interessen und Intentionen heraus interpretiert werden. Zwar profitierten die Parkbesucher, vor allem Kinder und Jugendliche, sicherlich von dem erweiterten Nutzungsspektrum der neuen Parkanlagen. Die Angebote wurden aber nie aus einer selbstlosen sozialen Einstellung heraus gemacht. Es ging vielmehr um einen Versuch, dem gesellschaftlichen Wandel, den sich ändernden Lebens- und vor allem Freizeitgewohnheiten der städtischen Bevölkerung den eigenen - bürgerlichen - Stempel aufzudrücken.

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Öffnung des Tempelhofer Flugfeldes für die Öffentlichkeit am 9. Mai 2010. Foto: Times, CC BY-SA 3.0

Es bliebe zu untersuchen, inwiefern die tatsächlichen Nutzer der entstandenen Volksparkanlagen sich den ihnen zur Verfügung gestellten Parkraum sehr eigenständig und eben doch im emanzipatorischen Sinne anzueignen wussten. Darauf deutet etwa eine in Form von Schadensbilanzen der Gartenverwaltung Berlin überlieferte Auseinandersetzung über eine Großdemonstration des Roten Frontkämpferbundes im Schillerpark in Berlin im Jahr 1928 hin. Die Gartenverwaltung beklagte die Schäden an der Vegetation14 und hatte kein Verständnis für den demokratischen Nutzungsaspekt ihrer Anlagen. Obwohl Demonstrationen nie als mögliche Nutzung von Volksparkanlagen in der Diskussion auftauchen, bieten die großen Wiesen der neuen Anlagen in einer immer dichter bebauten Stadt genau dafür Platz. Der Platz wurde so politisch besetzt und genutzt.

Der Gebrauchspark: Inbesitznahme der Freiräume durch den Nutzer

Die Notwendigkeit einer gänzlich neuen Haltung gegenüber den Parknutzern reflektiert erst Günther Grzimek, Landschaftsarchitekt und später Professor für Landschaftsarchitektur an der Technischen Universität München, in den 1970er und 1980er Jahren. Ausgehend von der Nutzung eines nicht von Gartenkünstlern, sondern von Wasserbauingenieuren in der Stadt München geschaffenen Grünraums, der "Süd-Isar", kommt Grzimek in seinem Buch "Die Besitzergreifung des Rasens" zu der Erkenntnis, dass gartenkünstlerisch gestaltete öffentliche Freiräume eine den aktuellen gesellschaftlichen Bedürfnissen adäquate Nutzung eher verhindere als fördere. Grzimek beobachtet an der Süd-Isar eine "elementare Lust am Spontanen, am Unkomplizierten."15 Mit der "unkomplizierten" Nutzung der Süd-Isar scheint die Entwicklung nach dem Krieg wieder dort angekommen zu sein, wo sie bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand. Die städtische Bevölkerung sucht sich Orte im Freien, an denen sie Freizeitbedürfnisse ohne Reglementierung ausleben kann: Baden, Spielen, Lagern, Feiern in der Art und Weise und in der Kleidung, in der es einem gefällt. Die bürgerlichen Planungsverantwortlichen, die in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts noch über Möglichkeiten der gartenkünstlerischen Kontrolle dieser Emanzipationsbewegungen nachdachten, sind nun fasziniert von der vielfältigen Nutzbarkeit der ungestalteten Freiräume. Grzimek schlägt den Begriff des "Gebrauchspark" vor und knüpft damit an Lichtwarks Forderung nach einer Bedürfnisorientierung bei Parkanlagen an. Grzimek definiert seine Rolle dabei als planende Nachsorge: "Planung wird ... zu einem Nachvollzug einsehbarer, oft auch nicht zu verhindernder Entwicklungen, die von unten ihren Anfang nehmen. Auf diese Weise kommt es - wenn auch zunächst oft nur im kleinen - mancherorts zu einem erfreulichen Wandel überkommener kommunalpolitischer Vorstellungen: An die Stelle einer hoheitlich geplanten und hoheitlich vollzogenen Ordnungspolitik tritt die demokratisch dienende Nachsorge".16

Das Werk des Gartenkünstlers Grzimek spiegelt dabei die Frage, wie er aus der Erkenntnis der Vorzüge nicht-überplanter Freiräume heraus sein Selbstverständnis als Gestalter von Freiräumen retten kann. Diese Frage ist heute, in Zeiten knapper Kassen und zunehmend kritischer und selbstbewusster werdender Nutzer öffentlicher Freiräume aktueller denn je. Das Beispiel Tempelhofer Feld in Berlin konfrontiert die Profession genau mit dem Phänomen, das Grzimek an der Süd-Isar so faszinierte und das letztlich schon Lichtwark und Maasz thematisierten und das Jahn mit seinen Turnern praktizierte: Ein unermesslich großer innerstädtischer Freiraum, ingenieurtechnisch angelegt, wird von den Nutzern ganz selbstverständlich in Besitz genommen.

Turnvater Jahn hätte sich mit seiner Initiative für die Einrichtung eines Turnplatzes erfolgreich um eines der von der Berliner Senatsverwaltung ausgeschriebenen Pionierfelder auf dem Tempelhofer Feld bewerben können.17 In diesem Kontext könnte er als Pionier bürgerschaftlichen Engagements für den öffentlichen Freiraum angesehen werden. Angesichts der Visionen, die Stadtpolitiker, Stadtplaner, Architekten und Landschaftsarchitekten gerade für das Gelände des Tempelhofer Feldes entwickeln, stellt sich die Frage, welche Haltung sie gegenüber den Nutzern einnehmen sollen, welche Mitsprache sie ihnen einräumen können und welche Idee sie selber von "angemessener" Freiraumnutzung in ihre Visionen hineinpacken. Dabei ist es auf jeden Fall interessant, sich die politische Dimension der Gestaltung von Freiräumen zu verdeutlichen. Auf der Seite der Planer liegt diese im Transport gesellschaftspolitischer Ideen, aber auch im Bereitstellen von Räumen, die unvorhergesehenen Nutzungen Platz bieten.

Anmerkungen

1) Schwartz, Matthias: Pre-Occupied. The origins and future of Occupy Wall Street. In: The New Yorker, November 28, 2011.

2) Vgl. Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Frankfurt am Main 1996 (Erstauflage 1962).

3) Peter Josef Lenné zitiert nach: Gerhard Hinz, Peter Josef Lenné und seine bedeutendsten Schöpfungen in Berlin und Potsdam, Berlin 1937, S. 177 ff.

4) Peschken, Goerd: Der städtische Ausflugsort Treptow, in: Hampf-Heinrich, Vroni; Peschken, Goerd (Hg.): Stadt Grün, Berlin 1985, S. 37-38. Peschken, Goerd: Die ersten kommunalen Parkanlagen Berlins. Ein Beitrag zur Geschichte des Stadtgrüns. In: Das Gartenamt, 24. Jg, August 1975, Sonderdruck aus Heft 8 (7 Seiten).

5) Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst (Band 5, Siebenter Abschnitt: Gärten, deren Charakter von besondern Bestimmungen abhängig ist, Kapitel 1: Volksgärten), 2. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1779-1780 (Fünf Bände in zwei Bänden), Band 2, Hildesheim, Zürich, New York 1985, S. 68f.

6) Richter, Günter: Zwischen Revolution und Reichsgründung. In: Ribbe, Wolfgang (Hg.): Geschichte Berlins, Band 2: Von der Märzrevolution bis zur Gegenwart, München 1987, S. 605-687, hier S. 606 ff.

7) Habermas (wie Anm. 2).

8) Vgl. Steins, Gerd: Der Turnplatz in der Berliner Hasenheide. Ein Versuch, Nationalerziehung praktisch durchzuführen. In: Dreßen, Wolfgang (Hg.): Selbstbeherrschte Körper, Berlin 1986, S. 4-15.

9) Vgl. dazu ausführlich: Hennecke, Stefanie: German Ideologies of City and Nature: The Creation and Reception of Schiller Park in Berlin. In: Brantz, Dorothee; Dümpelmann, Sonja (Hg.): Greening the City, Urban Landscapes in the Twentieth Century, Charlottesville and London 2011, S. 75-94; Hennecke, Stefanie: Der Volkspark für die Gesundung von Geist und Körper - Das ideologische Spannungsfeld einer bürgerlichen Reformbewegung zwischen Emanzipation und Disziplinierung des Volkes. In: Stefan Schweizer (Hg.): Gärten und Parks als Lebens- und Erlebnisraum: Funktions- und nutzungsgeschichtliche Aspekte der Gartenkunst in Früher Neuzeit und Moderne. Worms 2008, S. 151-165.

10) Lichtwark, Alfred: Das Problem des Hamburger Stadtparks. In: Ders.: Park und Gartenstudien, Berlin 1909, S. 47-122, hier S. 75.

11) Lichtwark (ebd.), S. 63 und 67f.

12) Maasz, Harry: Grünfläche und Volkspark, in: Die Gartenkunst, Jg. 15, 1913, Heft 6, S. 124-127.

13) Vgl. dazu Dreßen (wie Anm. 8); und: Ba?us, Wojciech: Kinder und Jugend im Volksgarten. Von den Anfängen bis zur Entstehung des Reformparks. In: Die Gartenkunst, Jg. 13, 2001, Heft 1, S. 65-76. Der Erhalt der Wehr- und Arbeitsfähigkeit ist ein Standardargument in der Diskussion um Volksparke in den Zeitschriften Die Gartenkunst und Die Gartenwelt zwischen 1903 und 1930.

14) Siehe den Briefwechsel der zuständigen Verwaltung nach der besagten Kundgebung des Roten Frontkämpferbundes. Dokumentiert in: Vgl. Bezirksamt Wedding von Berlin (Hg.), "... wo eine freye und gesunde Luft athmet ...", Zur Entstehung und Bedeutung der Volksparke im Wedding, Berlin 1988, S. 46.

15) Grzimek, Günther; Rainer, Stephan: Die Besitzergreifung des Rasens. Folgerungen aus dem Modell Süd-Isar. Grünplanung heute. München 1983, S. 65.

16) Ebd. S. 34.

17) Vgl. www.tempelhoferfreiheit.de/mitgestalten/ (Abruf am 23. August 2011).

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Fachgebiet Freiraumplanung Univeristät Kassel

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