Fluch und Segen – Erfahrungen bei der Pflege eines Sondergartens

Der Steppengarten von Willy Alverdes

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Berlin Parks und Gärten
Abb. 1: Steppengarten, Blick nach Osten, Dezember 2020. Foto: Steffi Kieback

Der Berliner Tiergarten als größtes Gartendenkmal der Stadt ist mit seiner zentralen Lage eine der wichtigsten grünen Erholungsflächen in der dicht besiedelten Innenstadt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der fünfhundertjährige Park fast vollständig abgeholzt, um Brennmaterial zu gewinnen und Gemüse für die notleidende Berliner Bevölkerung anzubauen.

Schon ab 1949 begann der Wiederaufbau, seit 1950 unter der Leitung von Willy Alverdes (1896-1980)¹ Barocke Strukturen und schnurgerade Alleen verband man damals mit der autoritären Ideologie der Nationalsozialisten, von deren Gestaltungsprinzipien man sich bewusst absetzen wollte. Es entstand mit heute unvorstellbarem Aufwand an Material und Personal ein luftiger Park nach Vorbild englischer Landschaftsgärten unter Verwendung meist einheimischer Gehölzarten. Eingestreut in die weitläufige Parklandschaft mit großzügigen Wiesen, schattigen Hainen, Baumsolitären und weit geschwungenen Wegen waren Sondergärten wie der Englische Garten, der Rhododendronhain oder der Steppengarten.

Der Steppengarten entstand 1953 im östlichen Bereich unweit des Brandenburger Tores. Für den sandigen, trockenen und sonnigen Standort wählte Alverdes eine Reihe angepasster, meist graulaubiger und duftender Stauden mit Wildcharakter, wie Katzenminze, Hornkraut, Hauhechel. Ergänzt wurde die Pflanzung durch blühende Sträucher (Tamarisken, Wildrosen, Parkrosen) sowie klassische Gartenblumen in leuchtenden Farben (Bart-Iris, Mohn)². Alles in allem eine Kombination, die standortgerecht und dauerhaft funktioniert hat und gleichzeitig eine Art Ersatzgarten für die ganze Berliner Bevölkerung gewesen sein könnte.

Obwohl der Steppengarten bald eingeklemmt zwischen Berliner Mauer und Entlastungsstraße lag und im Laufe der Zeit wohl bei vielen Berlinerinnen und Berlinern in Vergessenheit geriet, kümmerten sich die Gärtnerinnen und Gärtner des bezirklichen Grünflächenamtes über Jahrzehnte um die fachgerechte Pflege des Steppengartens.

Rekonstruktion und Instandsetzung

Nach dem Mauerfall 1989 rückte der östliche Tiergarten plötzlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit der vereinigten Metropole, der Nutzungsdruck stieg. Gleichzeitig setzte ein beispielloser struktureller Kahlschlag im zuständigen Grünflächenamt ein.³ Die Pflege wurde reduziert und bald komplett gestrichen, der nun denkmalgeschützte Staudengarten verwahrloste wie viele andere Bereiche des Großen Tiergartens auch.

Im Zuge der denkmalpflegerischen Rekonstruktion des benachbarten Venusbassins zu Beginn des neuen Jahrtausends erneuerte man auch den Steppengarten. 2009 wurde er abgeräumt und neu bepflanzt. Doch schon ein Jahr später glich die Fläche der üblichen Berliner Brache: mit Calamagrostis epigejos durchsetzte Flächen von Potentilla fruticosa, Brennnessel-Melde-Fluren, von Unkraut durchwucherte Thymianpolster, siehe Bild 2. Eine Bestandsaufnahme ergab den Verlust von mehr als 50 Prozent des laut Pflanzplan gesetzten Pflanzenmaterials.4

Arbeitskreis Steppengarten

Dieser bedauernswerte Zustand des so charmanten Gartendenkmals war schwer zu ertragen. Nach einer Besichtigung im Frühling 2011 bei Dauerregen fassten eine Handvoll Gärtnerinnen, Planerinnen und Gartendenkmalpfleger spontan den Entschluss, selbst Hand anzulegen, sich der Verwahrlosung entgegenzustemmen, den "gewollten Verfall" 5 nicht kommentarlos zu akzeptieren - der Arbeitskreis Steppengarten gründete sich.

Parallel zu ersten Rodungen von Brennnessel, Melde, Ampfer nahmen wir Kontakt zum Grünflächenamt auf, legten unsere Pläne dar und bekamen grünes Licht. Nachdem wir ein Jahr durchgehalten hatten, mussten wir außerdem eine Pflegevereinbarung mit dem Amt unterzeichnen, in der es vor allem um den Haftungsausschluss ging, wohlgemerkt nicht um das Arbeiten im Gartendenkmal, Pflegetechniken oder Pflanzensortimente.

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Abb. 2: Thymianpolster auf nährstoffreichem Substrat – nur mit sehr hohem Aufwand zu erhalten (Juni 2013). Foto: Gabriele Holst

Standortgerechte Pflanzenauswahl

Nachdem wir über ein halbes Jahr die Wurzel- und Samenunkräuter entfernt hatten, lagen viele Stellen brach. Bodenuntersuchungen zeigten, dass bei der Sanierung 2009 nährstoffhaltiges Substrat aufgetragen wurde. Eine Bepflanzung nach Vorbild des historischen Steppengartens mit Arten der Steppenheide oder Felssteppe war demnach nicht mehr möglich. Außerdem wurde das ehemals feine Geländeprofil verändert, sodass zum Beispiel die Abläufe an der Schutzhütte heute verstopft sind und das Regenwasser mit Boden vermischt auf die gepflasterte Fläche zurück läuft. Ein Drittel der Fläche ist heute eher dem Lebensbereich Gehölz oder Gehölzrand zuzuordnen.

Für die Bepflanzung der Lücken suchten wir daher Pflanzen aus, die am schattigen, trockenen Gehölzrand klar kommen und in der Sonne Trockenheit ertragen, jedoch nicht ausgesprochene Stress-Strategen sind. Die Pflanzen für die ersten 500 Quadratmeter zogen Studierende der Beuth-Hochschule Berlin in ihrem Gewächshaus an. Gepflanzt wurde am 28.4.2012, bei 26 Grad Celsius im Schatten und ohne Wasser. Die Hydranten werden an den Wochenenden im Tiergarten abgestellt, wir füllten unsere Gießkannen am Venusbassin und bildeten eine Kette.

Mineralischer Mulch

Nach und nach räumten wir weitere Teilflächen von 200 bis 400 Quadratmeter Größe frei und bepflanzten diese. Anfangs mit selbst finanzierten Pflanzen, später mit Unterstützung des Bezirks Mitte aus dem Ehrenamts-Topf oder mit Spenden. Das Problem blieb der starke Unkrautdruck. Auch mit regelmäßigen Einsätzen, teils fast jeden Samstagnachmittag, war dem nicht beizukommen. Auch für reguläre Pflege durch das Amt wäre dieser Aufwand auch in guten Zeiten niemals leistbar und vertretbar. Wir schleppten den Anfangsfehler mit, dass Stress-Strategen in nährstoffreiches Substrat gepflanzt wurden und viel offener Boden Unkraut förderte. Auf dieser Basis wäre die Pflege des Gartens niemals beherrschbar.

Daher änderten wir die Taktik. Auf einer stark verkrauteten Fläche am oberen, östlichen Rand (ca. 250 m²) ließen wir durch eine GaLaBau-Firma die oberen 10 bis 15 Zentimeter Boden abtragen und eine Schicht aus mineralischem Mulch (Sand 0/8, Dicke 10-12 cm) ausbringen. Anschließend wurde in den Mulch gepflanzt. Diese schützende Decke verhindert nun, dass Samenunkräuter Fuß fassen können, sie lässt sich leichter jäten und hält Feuchtigkeit im Boden. Die Pflanzen entwickelten sich wie erwartet schnell und dauerhaft, der Pflegeaufwand reduzierte sich enorm.

In den folgenden Jahren setzten wir diese erfolgreiche Methode fort, so dass heute fast die gesamte Fläche im sonnigen Bereich mineralisch gemulcht ist. Es gibt immer noch einige Stellen, die eher mehr Unkrautkontrolle erfordern, aber insgesamt ist der Aufwand nun überschaubar. Das Mulchen, standortgerechte Pflanzenverwendung und andere Methoden, den Erfolg einer Pflanzung zu erhöhen, sind schon länger erforscht, bekannt und bewährt. Wir fragen uns, warum trotzdem immer noch großflächig Staudenbeete im öffentlichen Raum scheinbar ohne Beachtung solcher Erkenntnisse angelegt werden.

Kaninchenplage

Nach ersten Erfolgen zeigte sich, dass trotz guter Pflanzenwahl viele blühende Stauden nicht gediehen, bis wir merkten, dass eigentlich alles bis auf die Gräser von den Kaninchen im Park regelmäßig abgefressen wurde. Die wunderschöne Santolina rosmarinifolia wuchs niemals höher als 5 Zentimeter. Nachdem der temporäre Zaun eingebaut war (Robinienpfähle mit engmaschigem Kaninchendraht), besserte sich die Lage schlagartig. Inzwischen gibt es keine Verluste mehr durch Kaninchenfraß. Im Winter richten Wühlmäuse geringen Schaden an, der aber keinen Einfluss auf das Gesamtbild des Gartens hat.

Pflege - kontinuierlich und qualifiziert

Seit 2019 unterstützt der Bezirk Mitte die weiterhin stattfindende ehrenamtliche Arbeit im Steppengarten finanziell mit zehn Pflegegängen pro Jahr durch eine auf Stauden spezialisierte Fachfirma. Dabei geht es sowohl um Gräserschnitt im Spätwinter, die Reparatur des Kaninchenzauns oder die Erweiterung der Mulchdecke, als auch um eine dynamische Pflege, bei der gewollte Aussaat (Knautia, Scabiosa, Verbena, Verbascum etc.) gefördert, lästiges Unkraut aufmerksam entfernt und das fragile Verhältnis von Gras zu Blütenstauden gewahrt wird6.

Diese Art von Pflege erfordert hervorragende Pflanzenkenntnis, ein ästhetisches Grundempfinden und viel Kommunikation. Eine komplexe Pflanzung wie der Steppengarten ist dauerhaft erhaltbar, wenn die Grundbedingungen stimmen: standortgerechte Pflanzenauswahl, (mineralischer) Mulch, regelmäßige und qualifizierte Pflege (einmal im Monat April bis November etwa 20 Stunden), langfristig gesicherte Finanzierung sowie Dokumentation. Regelmäßige Pflege in kurzen Abständen ist effizienter als nur wenige Einsätze pro Jahr. Einzelne Hauruckaktionen statt kontinuierlicher, aber kleiner Eingriffe können zum Verlust einer Staudenpflanzung führen, obwohl rein rechnerisch "Pflege geleistet" wird. Schaut man sich um in den Berliner Grünflächen, hat man den Eindruck, dass solche "Basics" an vielen Stellen gründlich vergessen wurden.

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Abb. 3: Steppengarten im September 2019. Foto: Steffi Kieback

2021 wurde die Stundenzahl in beiderseitigem Einvernehmen reduziert, da nun fast alle Teilflächen eingewachsen funktionieren und der Aufwand sich weiter verringerte. Die finanzielle Unterstützung durch das Straßen- und Grünflächenamt Mitte gilt immer nur für ein Jahr und muss jeden Winter neu verhandelt werden.

Rückblickend ist es in den letzten zehn Jahren gelungen, den Steppengarten als Gartendenkmal der 1950er-Jahre zu erhalten, die Pflanzung soweit umzubauen, dass sie ästhetisch akzeptabel, dynamisch und mit vertretbarem Aufwand pflegbar ist. Probleme wird in Zukunft die zunehmende Trockenheit machen. Die angepassten Stauden werden sich vermutlich immer wieder regenerieren können, jedoch die älteren Gehölze mit inzwischen prägendem Habitus werden nach und nach eingehen und ersetzt werden müssen.

Aus verschiedenen Gründen ist es nicht möglich, näher an das Alverdes'sche Originalbild von 1953 heranzukommen, aber trotzdem schafft der Steppengarten es immer wieder, Gärtnerinnen wie Besucherinnen mit funktionierenden, duftenden, schönen Pflanzen zu überraschen und zu bezaubern - ganz im Sinne von Alverdes.

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Abb. 4: Aspekt im Juni 2021– Steppenkerze (Eremurus himalaicus) mit Iris, Mohn und Salbei. Foto: Steffi Kieback

Anmerkungen

1 Denkmaldatenbank Berlin:https://www.berlin.de/landesdenkmalamt/denkmale/liste-karte-datenbank/denkmaldatenbank/daobj.php?obj_dok_nr=09046318; Katrin Lesser-Sayrac: Wilhelm Alverdes - sein Werk als Gartenarchitekt und seine Verdienste für den Großen Tiergarten in Berlin. In: Der Berliner Tiergarten - Vergangenheit und Zukunft, S. 34-62, Hg: Landesdenkmalamt Berlin, Beiträge zur Denkmalpflege, Heft 9, Berlin 1996.

2 Handschriftliche Pflanzenliste zum Bauvorhaben Steppengarten, Straßen- und Grünflächenamt Berlin-Mitte, unveröffentlicht.

3 Stephan Strauss: Zur aktuellen Zersplitterung der Berliner Gartenverwaltung. Vom Niedergang einer großen Tradition, Plädoyer für Neuanfang. In: Stadt und Grün 7/2018, S. 45-50.)

4 AK Steppengarten mit Beuth-Hochschule 2012, unveröffentlicht).

5 (Susanne Gaschke, 17.04.2016, Die Welt).

6 Pflege: Das Unkraut wird gezogen, nie gehackt. Wurzelunkräuter mit Werkzeug, wie Messer oder Distelstecher, entfernt, zu breit gewordene Stauden oder zu viele Sämlinge per Hand gezogen oder bei Bedarf mit dem Spaten verkleinert. An den schattigen Rändern können Kräuter ohne Samen einfach liegen bleiben, auf dem Sandmulch werden sie entfernt. Rückschnitt der Stauden beginnt zur Krokusblüte, Gräser nach und nach, teilweise erst Anfang Mai. Gewässert wird selektiv mit dem Schlauch, z. B. neue Pflanzungen, bzw. nach Bedarf bei anhaltender Trockenheit, 2020 an sechs Tagen. Bisher keine Düngung.

Dr. Ing. Gabriele Holst
Autorin

Landschaftsarchitektur

Autorin

Landschaftsplanung Gärtnerin/ Gartendenkmalpflege

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