Dialog zur Produktiven Stadtlandschaft

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Ein ganz normales Sommerwochenende im Mauerpark. Foto: SWUP GmbH, Martin Seebauer

Im Dezember 2015 wurde in Berlin im Rahmen des 2. Lenné-Symposiums in einer Dialog-Veranstaltung zur "Produktiven Stadtlandschaft" über die Nutzung und Gestaltung der Berliner Freiräume diskutiert. Susanne Walz und Martin Seebauer moderierten einen Diskurs an dem nicht nur die fachlichen Experten aus den Verwaltungen teilnahmen, sondern insbesondere auch engagierte Bürger - als Nachbarn und Nutzer von Grünflächen -, Gartenakteure verschiedenster Art sowie Vertreter von Initiativen und Verbänden - zusammengefasst: Berliner mit ganz speziellen örtlichen und mit stadtweiten Erfahrungen. Ein Bericht aus der Werkstatt:

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand eine Vielzahl von Fragen:

Orientiert sich die Gestaltung und die Nutzungsmöglichkeiten der Berliner Freiräume noch an den Bewohnern? Was wollen wir in den Parkanlagen tun? Wie viel Vielfältigkeit hält ein Park aus? Welche Aktivitäten sind möglich und welche Rücksichtnahme braucht es im Umgang miteinander? Wie viel Sport treiben wir dort? Vereinnahmen die sportliche Nutzungen nicht längst den größten Teil der Parkanlagen? Warum muss informeller Sport immer in öffentlichen Park- und Grünanlagen stattfinden? Was für Veranstaltungen finden mittlerweile in den Grünflächen statt? Wie intensiv werden sie als Eventorte genutzt? Wie viel Urbanes Gärtnern ist in Parkanlagen sinnvoll und möglich? Sind urbane Gärten "frei" und Kleingärten überreglementiert?

Bedeutet "informell" Nutzen gleichzeitig eine Inanspruchnahme "ohne Regeln"? Wie können informelle Prozesse zum Umgang mit Parkanlagen geweckt werden und wie verhindert man dabei eine Unter- oder Überregulierung?

Fragen in einer wachsenden Stadt an die Nutzer eines immer knapper werdenden Freiraums. Aufbauend auf dem Leitbild der "Produktiven Landschaft - Berlin Selbermachen" aus der "Strategie Stadtlandschaft - Berlin", ist gesellschaftlich zu klären, wofür wir die Freiräume unsere Stadt nutzen wollen. Die städtische Dichte nimmt zu, es wird immer enger. Und es ist zu berücksichtigen, dass sich die finanzielle Situation der einzelnen Stadtbewohner und damit verbundenen ihre Möglichkeiten auch bezüglich der Erholungsnutzung ganz unterschiedlich darstellen.

Der Park - als Ort höchster demokratischer Vielfalt - wird in der enger werdenden Stadt mehr und mehr der Ort, wo wir unsere gesellschaftliche Individualisierung leben. Hier herrscht ein Gefühl von Freiheit und wir glauben, dass wir dort alles tun können. Im widersprüchlichen Rückschluss dazu müsste zur Sicherstellung der Freiheit eine weitgreifende Reglementierung Platz greifen. Wenn wir nicht wollen, dass dies passiert und dennoch eine vielfältige öffentliche Nutzung anstreben, ist dann die Einführung eines Parkmanagements die einzige Möglichkeit einen respektvollen Umgang im Miteinander zu garantieren?

In der Diskussion in dem heterogenen Teilnehmerkreis wurden ganz unterschiedliche Blickwinkel auf die Themenblöcke Gärten, Sport und Event geworfen.

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Urbane Gärten - Kleingärten

Tragen Urbane Gärten zur Vielfalt und zum Gemeinschaftssinn bei oder privatisieren sie vor allem Teile von Grünanlagen für individuelle Nutzungen?

Im Ergebnis der Diskussion um die Rolle der Kleingärten, der urbanen und interkulturellen Gärten als Teil der öffentlichen Freiflächen war klar, dass beide eine hohe soziale Bedeutung haben. Sie übernehmen eine wichtige integrative Funktion, die auch weiterhin erhalten bleiben muss. Beide Formen des Gärtnerns in der Stadt stellen auch ein wichtiges Angebot für die Öffentlichkeit dar. Eine Mischung beider Gartenformen war für die Diskutierenden durchaus denkbar. Dazu braucht es selbstverständlich Kompromissbereitschaft und Toleranz. Auf jeden Fall können beide Arten des Gärtnerns voneinander profitieren.

Beiden Gartenformen wurde - wenn auch in unterschiedlicher Art und Weise - eine besondere Bedeutung bezüglich der öffentlichen Nutzung zugesprochen. Das ist insbesondere bei den Kleingärten wichtig, aber auch bei den interkulturellen Gärten.

Unstrittig waren die positive stadtklimatische Wirkung und die wieder wachsende Souveränität bezüglich der Ernährung, die durch das Angebot von selbst gezogenen Obst und Gemüse das durch die Urbanen Gärten und die Kleingärten zur Verfügung gestellt wird.

Die Frage, wo diese beiden Gartentypologien hingehören, stellt sich bei den Kleingärten nicht, da sie ein fester Bestandteil der Berliner Freiraumstruktur sind. Anders bei den urbanen und den interkulturellen Gärten: Sind sie Teil von Parkanlagen? Oder werden sie in Zukunft Teil von Kleingärten? Besetzen sie weiterhin die urbanen Restflächen, die Brachen und die Baulücken? Oder werden sie vielleicht sogar Teil von Sportflächen? Auch konnten sich einige Teilnehmer solche Gärtenformen auf den Dächern der Stadt vorstellen.

Ob urbane Gärten in öffentlichen Parkanlagen richtig untergebracht sind, wurde durchaus kontrovers diskutiert. Während die einen die Flächeninanspruchnahme in öffentlichen Parks als verträglich ansehen, wollen die anderen interkulturelle Gärten nicht in den Grünanlagen zu Lasten von freizugänglichen Flächen angelegt sehen.

Jedoch ging es nicht nur um ein Entweder/Oder - warum sollte nicht eine Kombination möglich sein. Wichtig war allen, dass die Vielfalt in einer Parkanlage und zwar als vielfältige öffentliche Nutzung sichergestellt wird.

"Urbane Gärten wirken über das Gärtnern hinaus: Sie sind produktive Orte auch für Kooperation und Kommunikation. Sie leisten einen Beitrag zur Überwindung von sozialen und sprachlichen Barrieren und stellen eine Chance zur gesellschaftlichen Teilhabe an einer kooperativen Stadtgestaltung dar", sagte Kerstin Stelmacher, Dipl. Geografin - Allmende-Kontor-Vernetzungsstelle.

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Nicht nur fachliche Experten, sondern auch engagierte Bürger waren Teilnehmer am 2. Lenné-Symposium. Foto: Runze & Casper GmbH, Susanne Mühr
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Foto: Runze & Casper GmbH, Susanne Mühr
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Foto: Runze & Casper GmbH, Susanne Mühr

Sport

Um gesünder zu leben, treiben wir zunehmend mehr individuellen Sport auf Freiflächen. Welche Nutzungskonkurrenzen entstehen dadurch in Parkanlagen?

Räume in der wachsenden Stadt, die der Bewegung dienen, erfordern eine übergreifende Betrachtung aus den Perspektiven Gesundheit, Stadtplanung, Freiraumplanung und Sport. Diese Einschätzung teilen alle Teilnehmer zum Thema Sport und Freiflächen.

Auf der Basis der individuellen Erfahrungen aus der Gesprächsrunde und gestützt durch Umfragen kann festgehalten werden, dass ein sehr hoher Anteil der sportlichen Aktivitäten - in Berlin fast ein Drittel - in der Natur und in Grün- und Erholungsflächen stattfinden.

Die Inanspruchnahme der öffentlichen Grünflächen durch die vielfältigen Formen des informellen Sporttreibens führt erkennbar zu Konflikten mit anderen Besuchern im Park - Flächenkonkurrenzen, Übernutzungen von Flächen, unterschiedliche Geschwindigkeiten der Nutzer, Lärm. So tauchte im Diskurs vor allem die Frage auf, ob es eine Möglichkeit gibt, diese Nutzungskonflikte durch mehr gegenseitigen Respekt auszuräumen. Durchaus kontrovers von den Teilnehmern besprochen wurde die Frage, ob ein solch respektvolles Verhalten tatsächlich von sich aus funktionieren kann oder ob es dazu Regeln bedarf.

Unstrittig war allerdings die Auffassung, dass ein Regelwerk zum Miteinander nur dann von den Nutzern akzeptiert werden kann, wenn die Besonderheiten der jeweiligen Parkanlage und ihr spezifisches städtebauliches Umfeld bei der Festlegung beachtet wird. Allgemein gültige Lösungen, in der ganzen Stadt anzuwenden, sind nicht erkennbar. Es ist also erforderlich, die jeweiligen Erkenntnisse und Erfahrungen der Menschen vor Ort bei der Entwicklung des Regelwerkes im Rahmen von Partizipationsprozessen mit einzubeziehen.

Die dann einmal verabredeten Regeln zum respektvollen Umgang miteinander benötigen aber auch ein betreuendes Management. Der Kreis der Teilnehmer sah diesbezüglich noch weiteren Gesprächsbedarf, um festzustellen, welche guten Beispiele existieren, wie Bürger und Verwaltungen hier zusammenarbeiten können.

Aus einem anderen Blickwinkel heraus wurde auch die Frage besprochen, inwieweit klassische Sportanlagen für andere Nutzungen - außer den geregelten Sportarten - Angebote bereitstellen können? Die genannten Beispiele urbane Gärten, Biotopflächen oder Flächen für den informellen Sport zeigen auf, dass hier noch Aufwertungspotenzial besteht.

"Vor dem Hintergrund der wachsenden Stadt ist es erforderlich, auch bei den Sportstätten die vorhandenen Potenziale besser zu nutzen. Neben der Erhöhung der Multifunktionalität sind innovative Ansätze für eine optimalere Ausnutzung sowie eine stärkere Verknüpfung von Sportstätten mit Grün- und Freiflächen erstrebenswert", erläuterte Bernd Holm, Senatsverwaltung für Inneres und Sport.

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Jeden Sonntag wieder, selbstorganisiertes Karaoke im Amphitheater des Mauerparks. Foto: SWUP GmbH, Martin Seebauer

Events

Tragen Events in Parkanlagen zum Vergnügen weniger bei - oder produzieren sie vor allem Lärm/Müll und grenzen Erholungssuchende aus?

Einzelne Events in öffentlichen Grünflächen können durchaus eine Bereicherung sein - darüber waren sich die Gesprächspartner einig. In der Regel stellt sich bei solche Veranstaltungen allerdings immer ein Sowohl-als-auch ein. Die Kombination aus Spaß und Vergnügen ist fast immer gepaart mit Müll, Übernutzung und Lärm. Damit einhergeht - nach Auffassung von vielen Teilnehmern - auch eine Ausgrenzung von anderen Erholungssuchende.

Nicht jeder Park kann ein Eventort sein. Es muss in der dichten Stadt auch ruhige Parks geben, sowohl für die Menschen aber auch einfach als Naturraum. Daher wurde vorgeschlagen, Parks zu definieren, die als Vergnügungs- oder Eventpark dienen dürfen. Andere Anlagen sollten einfach nur Erholungspark sein.

Eventparks müssen im Bereich Pflege und Unterhaltung mit einem finanziellen Budget ausgestattet sein, das unabhängig ist vom Erholungsgrün. Erfüllt eine Parkanlage beide Funktionen, wie derzeit zum Beispiel der Mauerpark in Berlin, muss die finanzielle Ausstattung sowohl die Nutzbarkeit als Eventort als auch den Erhalt des Erholungsgrüns ausreichend berücksichtigen.

Wenn Events zugelassen werden, ist es wichtig, dass ein Wertesystem für den Park erarbeitet und auch vermittelt wird. Dabei geht es um gemeinsame Ziele für die jeweilige Grünanlage, die in den Vordergrund gestellt werden müssen. Kommunikation sowie Kooperation sind zu fördern und die "Spielregeln" müssen allen Nutzern vermittelt werden. Ein Wandel zu mehr Achtsamkeit durch die Nutzer ist erforderlich. Dazu sollte eine Person, besser eine Gruppe, als Ansprechpartner vor Ort tätig und erkennbar sein. Eine nur geschriebene Parkordnung ist nicht ausreichend.

Parks sind nach Auffassung des Teilnehmerkreises keine geeigneten Orte für kommerzielle Veranstaltungen. Events sollten von Akteuren, die vor Ort sind, ausgerichtet werden. Sie haben ein anderes Interesse und ein anderes Verantwortungsgefühl für den Park und sie können eine gezielte und individuelle Ansprache vor Ort leisten.

Schließlich wurden auch die Fragen aufgeworfen, ob nicht einer Art "Kurtaxe" für die Eventbetreiber sinnvoll wäre und ob nicht die ehrenamtlichen Tätigkeiten vor Ort - wie die Aktivierung der Nachbarschaften oder Durchführung von Aufräumaktionen -in irgendeiner Weise zum Wohle des Parks honoriert werden müssten.

Wichtig ist bei Neuplanung ist, keine Gestaltungen anzubieten, die Massenevents fördern. Die Nutzungskultur bestehender Anlagen sollte stärker evaluiert werden, damit keine ungewollte Eventisierung erfolgt.

"Statt über Regeln sprechen wir zunächst einmal über Werte des Parks, wofür wir stehen und wie wir die Fläche nutzen wollen. So diskutieren wir, was für die Besucher, für die Anwohner und für den Park am sinnvollsten ist. Daraus leiten wir Spielregeln ab, die bewusst nicht Parkordnung heißen - der Park soll ja für Freude und Entspannung stehen", erläutert Alexander Puell, Freunde des Mauerparks.

Fazit und Ausblick

Individualität und Vielfalt in vielerlei Hinsicht zeichnen heute die Nutzungen von öffentlichen Grünflächen in Ballungsräumen aus. Der Einstieg in einen Berliner Stadtdialog zu den Freiräumen in der Metropole von Morgen ist erfolgt. Bürger und Fachleute erörterten gemeinsam die Möglichkeiten von Respekt und Management zur nachhaltigen Bestandsicherung und Entwicklung der Freiräume. Es geht um die Grünen Räume für eine urbane Gesellschaft im Wandel, es geht um die Produktive Stadtlandschaft und um die Frage, wie mit intensiveren und vielfältigen Nutzungen von Parkanlagen und Grün- und Freiräumen in der wachsenden Stadt umgegangen werden kann. Im Dezember 2016 bei dem 3. Lenné Symposium soll der Diskurs fortgeführt werden.

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