Die Atlanta BeltLine

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Brachgefallene Flächen eröffnen Spielräume für die weitere Entwicklung einer Stadt. Während die große Zahl an Brachen in schrumpfenden Städten es schwer macht, für alle verfügbaren Flächen neue Nutzungen zu finden, bieten Brachen in Städten mit Flächennachfrage interessante Potenziale für die Innenentwicklung.
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Die Wandmalerei kündigt den künftig hier entlang führenden Fuß- und Radweg an. Fotos, soweit nicht anderes angegeben, Gstach/Grimm-Pretner

Diese fokussiert in den meisten Projekten auf eine bauliche Nachnutzung, Beiträge zur Entwicklung des öffentlichen Freiraumsystems nehmen in der Regel eine untergeordnete Rolle ein. Ein Projekt in Atlanta zeigt, dass dem nicht so sein muss. Dort werden Brachen für ein Großvorhaben genutzt, dass das Potenzial besitzt, die gesamte Stadt nachhaltig zu verändern. In einem groß angelegten Entwicklungsprozess sollen entlang eines weitgehend brachgefallenen Eisenbahnringes um das Stadtzentrum neue gemischte Stadtquartiere, Freiräume und ein ringförmiges Nahverkehrsangebot entstehen. Den Freiräumen kommt dabei eine strategische Schlüsselrolle zu.

Atlanta ist eine Stadt mit rund 420.000 Einwohnern auf dem Stadtgebiet und 5,2 Millionen Einwohnern in der Metropolregion.¹) Sie liegt im Südosten der USA im sogenannten "sunbelt" und ist Hauptstadt des Bundesstaates Georgia. Atlanta trägt den Spitznamen "Sprawl Capital of the Nation" ("Zersiedelungshauptstadt der Nation"), sie zählt zu den Metropolregionen mit der geringsten Bevölkerungsdichte in den USA.²) Der größte Teil der Wegestrecken wird mit dem Auto zurückgelegt, die Verkehrsinfrastruktur dafür nimmt riesige Flächen in Anspruch. Auch die chronisch schlechte Luftqualität ist, wie Untersuchungen zeigen, in dieser Stadt maßgeblich auf den motorisierten Individualverkehr, MIV, zurückzuführen. Angesichts der Autodominiertheit verwundert es fast, dass die Stadt 1843 als zentraler Eisenbahnknoten im Südosten der USA entstanden ist. Heute gibt es immer noch Bahnlinien, die durch die Stadt führen, sie spielen aber schon lange nur mehr eine sehr untergeordnete Rolle im Güter- und Personentransport. Der öffentliche Nahverkehr beschränkt sich neben diversen Buslinien auf zwei U-Bahnlinien.

Die Metropolregion Atlanta ist aber nicht nur extrem zersiedelt, sondern gleichzeitig eine der wichtigsten Wachstumsregionen der USA. Prognosen gehen davon aus, dass in der Stadt 2030 etwa 780.000 Menschen und im Großraum Atlanta etwa 7,4 Millionen Menschen leben werden.³) Grund genug für die Stadt, über Maßnahmen nachzudenken, wie die Siedlungsentwicklung in nachhaltigere Bahnen gelenkt werden kann.

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Übersicht über die künftigen Flächennutzungen entlang der BeltLine. Atlanta BeltLine, Inc.
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Übersicht über die geplanten neuen Parkanlagen, die Fuß- und Radwege und die Linienführung des neuen ÖPNV-Ringes. Atlanta BeltLine, Inc.

Die Entstehung der BeltLine-Idee

In Bezug auf öffentliche Grünräume im Stadtgebiet schneidet Atlanta USA-weit schlecht ab. Pro 1000 Einwohner stehen etwa 1,5 Hektar an öffentlichen Grünflächen zur Verfügung, Ziel für 2030 sind 3,1 Hektar.4) Bereits 1993 wurde im "Parks, Open Space and Greenways Plan", einem stadtweiten Strategieplan zur Freiraumentwicklung, auf die mangelhafte Versorgung mit öffentlich nutzbaren Freiräumen für Freizeit und Erholung verwiesen. Abhilfe sollte unter anderem durch die Einrichtung eines sogenannten "cultural ring" mit diversen Freiräumen entlang eines kaum mehr genutzten Eisenbahnrings um Downtown und Midtown geschaffen werden.

1999 griff ein Urban Design Student des Georgia Institute of Technology in Atlanta, Ryan Gravel, diese Idee in seiner Masterarbeit auf und erweiterte sie um einige Komponenten. Sein Konzept sieht vor, den bestehenden, großteils stillgelegten Eisenbahnring zur Schaffung eines neuen Nahverkehrsringes mit begleitenden Fuß- und Radwegen und angelagerten Parkanlagen zu nutzen. Außerdem sollten um Haltestellen Fokuspunkte für die weitere Stadtentwicklung ausgewiesen werden. Sein integrierter Ansatz reagierte damit auf die zentralen Problemlagen der Stadt: die sich mit dem Bevölkerungszuwachs weiter verschärfende Verkehrssituation und problematische Luftqualität, die Nachfrage nach neuem Wohnraum und fehlende öffentliche Freiräume. Nach Abschluss der Masterarbeit gründete Gravel mit Mitstreiter/innen die grassroots organisation "Friends of the BeltLine". Diese erhielt zunehmende Unterstützung aus der Bevölkerung und konnte schließlich auch eine Vertreterin aus dem Stadtrat für die BeltLine begeistern, die die Idee weiter in die politischen Gremien der Stadt trug. 2004 wurde eine Studie, die sogenannte "Emerald Necklace Study" erstellt, die das Konzept von Gravel weiter konkretisierte und ein kombiniertes System aus Parks, Fuß- und Radwegen verknüpft mit einer neuen ÖPNV Ringlinie vorsieht. 2005 wurde das Konzept offiziell vom Stadtrat beschlossen. Es soll nun in einem Zeitraum von 25 Jahren umgesetzt werden. Die BeltLine stellt eine der derzeit umfassendsten städtischen Entwicklungsmaßnahmen der USA dar.

Das Vorhaben

Während bei uns der Erhalt kompakter Siedlungsstrukturen in den Kernstädten im Vordergrund steht, geht es im hoch zersiedelten Bereich von Atlanta um das Verdichten bestehender Strukturen, damit der erwartete Bevölkerungszuwachs in Zukunft ressourcenschonender vonstatten gehen kann.

Konkret ist ein etwa 35 Kilometer langer Nahverkehrsring um die Stadt geplant, dessen Länge in etwa dem des Berliner S-Bahn Ringes entspricht. In Verbindung damit sollen etwa 53 Kilometer an neuen Fuß- und Radwegen entstehen. Entlang des ÖPNV-Ringes sind 13 neue Parkanlagen und Parkerweiterungen von insgesamt etwa 500 Hektar geplant. Zusätzlich sollen etwa 280 Hektar bestehende Parkanlagen aufgewertet werden. Die BeltLine soll aber auch Motor für neue Stadtquartiere und wirtschaftliche Entwicklungen sein. Insgesamt sollen Wohnraum für etwa 50.000 neue Einwohner und 38.000 neue Arbeitsplätze an etwa 20 Standorten entlang der Trasse entstehen.5) Die geplanten Quartiere sollen insbesondere um die Haltestellenbereiche zu einer baulichen Verdichtung und funktionalen Heterogenisierung führen und damit auch die notwendige Dichte für die Tragfähigkeit des geplanten ÖPNV Ringes schaffen.6) Für die verschiedenen Bereiche des Projektes sollen insgesamt etwa 1200 Hektar Brachflächen wieder genutzt werden.

Der Ring aus ÖPNV, Fuß- und Radwegen und angegliederten öffentlichen Grünanlagen bildet das Rückgrat des BeltLine-Konzeptes. Die BeltLine-Verantwortlichen nennen das zu schaffende Freiraumsystem gerne ein "emerald necklace", was kein Zufall ist, sondern eine bewusste Anspielung an das von Frederic L. Olmsted im 19. Jahrhundert für Boston entwickelte Freiraumsystem. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass das hier geplante Freiraumsystem als ein ähnlich Stadt prägendes Jahrhundertvorhaben verstanden wird.

Finanzierung

Die Finanzierung der BeltLine fußt im Großen und Ganzen auf drei Finanzierungsquellen: Steuergelder, öffentliche Förderungen und private Sponsoren.

Steuergelder fließen insbesondere über die sogenannte TAD-Regelung in das Projekt. TAD steht für "Tax Allocation District", ein Ansatz, der in den USA auch als "Tax Increment Financing" (TIF) bezeichnet wird und weit verbreitet ist. Damit sollen 50 bis 70 Prozent der Projektkosten abgedeckt werden. Anders als bei anderen derartigen Finanzierungsmodellen wird das Geld bei der BeltLine das Geld allerdings maßgeblich für den Ankauf von Flächen zur Herstellung von Fußwegen und Parkanlagen genutzt und weniger, wie sonst üblich, für die Schaffung von Anreizen für Developer und die Ansiedlung von Wirtschaftsbetrieben.

Eine zweite zentrale Säule der Finanzierung bilden diverse staatliche Förderungen. Diese können für verschiedenste Teilaspekte des Projektes genutzt werden. Aus dem Topf der Federal Transit Authority kam 2006 eine Million Dollar zur Finanzierung von ersten Planungsleistungen. 2007 erhielt die BeltLine abermals 300.000 Dollar. Die U. S. Environmental Protection Agency genehmigte im Sommer 2009 eine Million Dollar für die Sanierung von Industriebrachen entlang des BeltLine-Korridors.

Und schließlich tragen auch Sponsorengelder zur Realisierbarkeit des Ganzen bei. Diese spielen in den USA eine bedeutende Rolle - auch in solchen Projekten. Über Sponsoren sollen etwa 60 Millionen Dollar eingeworben werden. Einen maßgeblichen Beitrag dazu lieferte bereits 2007 die Robert W. Woodruff Foundation, die acht Millionen Dollar für die Errichtung des Historic Fourth Ward Parks an der BeltLine spendete. Das Geld wurde unter anderem für Rückzahlungen an den Trust for Public Land genutzt. Der Trust, eine NGO, die sich für den Schutz und Erhalt von öffentlich nutzbaren Freiräumen einsetzt, hatte bereits Jahre vor den ersten Grundstücksspekulationen versucht, das Gebiet der BeltLine durch Grundstückskäufe vor Spekulation und baulicher Entwicklung zu schützen. Insgesamt wurde seit 2005 mehr als eine Milliarde Dollar in Projektentwicklungen entlang der BeltLine investiert.7)

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„Interim trails“ – schon zugänglich gemachte aber noch nicht gestaltete Abschnitte des Fuß- und Radwegerings.
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Solarzellen als Gestaltungselement im D. H. Stanton Park.
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Foto: Gstach/Grimm-Pretner
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Christopher T. Martin

Stand der Dinge

Seit dem offiziellen Startschuss für das Projekt 2005 wurden Masterpläne für die zehn Teilbereiche (so genannte subareas) erarbeitet, die die Umsetzungsschritte in den verschiedenen Bereichen näher beschreiben. 2010 wurde ein Team aus zwei Büros benannt, das die "Aufsicht" über die gestalterische Umsetzung der BeltLine-Idee inne hat.8)

Ein zentraler Aspekt in der Umsetzung ist die Einbeziehung der breiten Bevölkerung. Bis 2013 wurden rund 225 public meetings zum Planungsprozess abgehalten, an denen sich etwa 5000 Personen aktiv beteiligten. Im April 2013 wurde das Projekt für seine vielfältigen kommunikativen Ansätze von der "American Academy of Environmental Engineers and Scientists" mit dem "National Environmental Communications Award" ausgezeichnet.

Die baulichen Fortschritte werden maßgeblich im Bereich der freiraumbezogenen Projekte sichtbar. Mit dem Gordon White Park wurde 2008 die erste neue Parkanlage der BeltLine eröffnet. Gleichzeitig wurde hier auch der erste Streckenabschnitt des Fuß- und Radwegesystems geschaffen.9) 2011 wurden drei weitere neue Parkanlagen und Parkerweiterungen und ein großer Skaterpark eröffnet. Umsetzungsprojekte für den Fuß- und Radwegering wurden in vier Bereichen begonnen und umfassen derzeit rund zehn Kilometer Länge. Neben den fertiggestellten Wegen wurden weitere Abschnitte zunächst als sogenannte "interim trails", also vorübergehende Wege mit einfachen Mitteln nutzbar gemacht.

Neben ihren spezifischen Programmen und Gestaltungen gibt es grundlegende Aspekte, die in der Konzeption der Freiräume eine zentrale Rolle spielen. Sie basieren auf Prinzipien, die 2008 im "Project Greenspace" formuliert wurden. Als Grundpfeiler jedes öffentlichen Freiraumprojektes wird unter anderem eine intensive Einbeziehung der Bevölkerung definiert. Nachhaltigkeitsaspekte kommen in Material- und Pflanzenwahl und der Art und Weise der Pflege zum Tragen. So werden etwa im 2011 eröffneten D. H. Stanton Park Solarzellen als Schattenspender eingesetzt.

Der produzierte Strom wird ins öffentliche Netz eingespeist und entspricht in etwa der Energie, die für die Pflege und Erhaltung des Parks benötigt wird. Er wird daher als erster "energieneutraler" Park in Atlanta bezeichnet. Im ebenfalls 2011 eröffneten Boulevard Crossing Park werden Ziegen als umweltfreundliche Strategie eingesetzt, um die im Südosten der USA weit verbreitete invasive Pflanze Kudzu in Schach zu halten.

Die Besonderheit des 2011 eröffneten Historic Fourth Ward Parks liegt in einem Teich von rund 8000 Quadratmeter Größe. Der Teich ist nicht nur das prägende gestalterische Element des Parks, sondern dient gleichzeitig als Regenwasserrückhaltebecken für die gesamte Nachbarschaft.

Sonnen- und Schattenseiten

Die BeltLine führt durch 45 Nachbarschaften in Atlanta. Etwa 25 Prozent der Bevölkerung Atlantas leben in fußläufiger Entfernung vom BeltLine Korridor. Durch diesen großen Einflussbereich und den integrierten Ansatz besitzt das Projekt ohne Zweifel das Potenzial, Atlanta nachhaltig zu verändern. Gerade die Dimension und Komplexität führen aber dazu, dass das Projekt mit vielen Unwägbarkeiten und Abstimmungsnotwendigkeiten verbunden ist. Es ist daher nicht überraschend, dass sich trotz der weit verbreiteten grundsätzlichen Befürwortung des Projektes auch kritische Aspekte abzeichnen.

Wirtschaftlich scheint die Rechnung der Aufwertungsimpulse durch das Projekt zunächst aufzugehen. Eine Untersuchung der Entwicklung von Immobilienpreisen zwischen 2000 und 2006 zeigte, dass bereits nach den ersten Presseberichten zur BeltLine-Idee und noch vor der Verabschiedung des Masterplanes im Stadtrat im Jahr 2005 Wertsteigerungen im Immobilien- und Grundstücksmarkt zu beobachten waren.¹0) Dies betraf offensichtlich insbesondere Quartiere, die bislang eher günstige Immobilienpreise aufwiesen. Welcher Aspekt der BeltLine hier besonders zu Buche schlägt, also ob dies mehr der geplanten neuen ÖPNV-Verbindung, den neuen Stadtquartieren oder den aufgewerteten und neuen Freiräumen geschuldet ist, lässt sich aus der Studie nicht ablesen. Es scheint jedoch unbestreitbar, dass die geplante Verbesserung der grünen Infrastruktur mit zu dieser Wertsteigerung beigetragen hat. Diese Zusammenhänge sind grundsätzlich bekannt und auch in Deutschland beobachtbar.¹¹) Damit zeigen sich allerdings auch die Schattenseiten solcher grünraumbezogenen Aufwertungen. Die Wertsteigerungen durch das BeltLine-Vorhaben sind beträchtlich und werden zumindest mittelfristig zur Verdrängung weniger gut situierter Bevölkerungsgruppen aus diesen aufgewerteten Quartieren führen, also zu einem klassischen Gentrifizierungsprozess. Zwar wird im Rahmen des Projektes auch die Errichtung von "affordable housing" durch zinsfreie Darlehen gefördert. Doch da das Prinzip des TAD eine der zentralen Finanzierungsquellen ist, muss der öffentlichen Hand geradezu an der Gentrifizierung des Tax Allocation Districts gelegen sein, weil sie gerade durch die Grundstücks- und Immobilienwertsteigerungen das Projekt finanziert.

Auch in Bezug auf die geplante neue ÖPNV-Ringlinie wird Skepsis laut. Es wird diskutiert, ob das Angebot überhaupt ein notwendiges Mindestmaß an Ausnutzung findet. Die Bevölkerungsdichte in den Quartieren, die die BeltLine durchfährt, ist in den meisten Bereichen gering. Die Bebauungsstruktur ist geprägt durch Einfamilienhäuser.

Für diverse Standorte gibt es zwar schon Projektentwicklungsinteressen, die das Potential besitzen, eine für die Tragfähigkeit des öffentlichen Verkehrs notwendige kritische Dichte herzustellen. Doch gerade diese Nachverdichtungsansätze stoßen teilweise auf erbitterten Widerstand bei den Bewohner/innen der angrenzenden Bereiche. Sie sehen den Charakter ihrer Quartiere gefährdet. Hinzu kommen strategische Fehler, denn die geplanten städtebaulichen Projekte sind meist weiterhin stark autoorientiert konzipiert und weisen großzügige Stellplatzflächen auf. Die entsprechend großzügige Straßeninfrastruktur ist ohnehin vorhanden. Es scheint, wie Kritiker anmerken, also durchaus zweifelhaft, ob die Leute den öffentlichen Verkehr als Alternative zum Auto annehmen, wenn das Autofahren nach wie vor so attraktiv gemacht wird. Dies dürfte die Abkehr von lange eingeübten und gewohnten Lebensstilen, die auf Autonutzung und Einfamilienhaus basieren, nicht befördern.¹²) Die Ziele der BeltLine sind jedenfalls ambitioniert aber auch anfällig, gerade weil sie verschiedene Aspekte so eng miteinander verknüpfen. Am ehesten selbständig umsetzbar ist tatsächlich das geplante Freiraumsystem mit Fuß- und Radwegen und diversen neuen Parkanlagen. Der Freiraumteil des BeltLine-Konzeptes ist schon jetzt mehr als nur "ein" Bestandteil, sondern vielmehr der von der Bevölkerung in seinen positiven Effekten zuerst wahrnehmbare und aktiv nutzbare Teil des Konzeptes und damit der zentrale "Stimmungsmacher" für die Gesamtidee der BeltLine.

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Regenwasserrückhaltebecken im Historic Fourth Ward Park. Gstach/Grimm-Pretner

Ausblick

In der Konzeption der BeltLine widerspiegeln sich zwei derzeit sehr aktuelle Stadtentwicklungsstrategien in den USA, zum einen der sogenannte Smart Growth-Ansatz und zum anderen der des Transit Oriented Developments (TOD), deren Prinzipien sich zum Teil überlagern. Zu den Smart Growth Prinzipien gehören etwa die Aufwertung vernachlässigter innerstädtischer Quartiere und die Nutzung der Flächen zur Nachverdichtung und Nutzungsmischung. Auch weniger autoabhängige und stärker am ÖPNV orientierte Mobilitätskonzepte sind charakteristisch für diesen Ansatz.¹³) Kern des TOD-Ansatzes ist, seinem Namen entsprechend, eine auf die ÖPNV-Versorgung abgestimmte Stadtentwicklung ("transit orientation" meint Orientierung am ÖPNV), die auf eine hohe Bebauungsdichte und Nutzungsmischung in 400 bis 800 Meter Radius um ÖPNV-Haltestellen setzt, während sich mit der Entfernung zur ÖPNV-Haltestelle Bebauungsdichte und Grad der Nutzungsmischung reduzieren.

Die mit der BeltLine verfolgten Zielsetzungen der Nutzungsmischung, der kurzen Wege und der Förderung des ÖPNVs sind uns in Deutschland wohlvertraut und wurden mit der "Leipzig Charta zur nachhaltigen Europäischen Stadt" von den EU-Mitgliedsstaaten zum offiziellen Leitbild der europäischen Stadtentwicklung erkoren. Auch die Wiedernutzung von Brachflächen zur Innenentwicklung ist ein erklärtes Ziel der deutschen Stadtentwicklungspolitik. Das Bundesbaugesetzbuch bietet Möglichkeiten, durch vereinfachte Verfahren der Innen- vor der Außenentwicklung Vorrang zu geben (die aktuelle Gesetzesnovelle widmet sich abermals diesem Aspekt).

Die Besonderheit des BeltLine-Projektes besteht aber nicht so sehr in der Strategie der Innenentwicklung an sich, sondern darin, die Themen Städtebau, Verkehr und Freiraum eng zu verknüpfen und der Aufwertung des öffentlichen Raumes und der Schaffung neuer Freiräume dabei eine Schlüsselrolle zukommen zu lassen. Der Wert, der den freiraumbezogenen Maßnahmen beigemessen wird, drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass ein erheblicher Anteil der durch das Finanzierungsmodell des TAD generierten Mittel in diesen Bereich investiert wird.

Die räumlichen Gegebenheiten, insbesondere die ringförmige lineare Struktur der zur Verfügung stehenden Brachflächen trägt maßgeblich dazu bei, dass hier ein Projekt in Angriff genommen werden konnte, das nicht nur einzelne Quartiere berührt, sondern positive Impulse für die Gesamtstadt erwarten lässt. Darin zeigen sich die immensen Potenziale der Umnutzung von linearen Infrastrukturprojekten. Die spezifische räumliche Form und Verteilung der Brachen ist so gesehen ein Glücksfall. Der Projektansatz lässt sich daher nicht einfach auf eine andere Stadt übertragen. Trotzdem lassen sich Lehren daraus ziehen. Auch bei der BeltLine mussten die räumlichen Potenziale zuerst erkannt werden. Und vielleicht brauchte es dafür den Rahmen einer studentischen Masterarbeit, der von den Restriktionen des Planungsalltags weitgehend unbelastet ist. Dass das Projekt mit den stadtweiten freiraumbezogenen Zielen verknüpft wird und der Freiraumentwicklung eine Schlüsselrolle in der Umsetzung der BeltLine-Idee zukommt, war keine Notwendigkeit, sondern eine bewusste Entscheidung.

Auch wenn in vielen Projekten hierzulande der räumliche Spielraum bedeutend enger ist, ist es notwendig, bei der Brachflächenentwicklung nicht nur dort, wo es leicht fällt, also besonders in den schrumpfenden Städten mit ihrer Überzahl an ungenutzten Flächen in größeren räumlichen Zusammenhängen zu denken. Das sollte gerade bei der Innenentwicklung auf vereinzelten, kleineren Flächen der Fall sein. Im Zuge des aktuellen, allzu stark projektorientierten Planungsgeschehens wird darauf gerne verzichtet. Ein Projekt "vom Freiraum her zu denken" bietet das Potenzial, räumliche Verknüpfungen zu schaffen und gleichzeitig das Rückgrat für städtebauliche Projekte zu schaffen. Die BeltLine ist ein Beispiel dafür, dass mit einer maßgeblich vom Freiraum getragenen Entwicklungsstrategie ein Mehrwert geschaffen werden kann, der weit mehr ist als ausschließlich grünes "retrofitting".

Literatur

Anmerkungen

¹) vgl. USA Census 2010.

²) etwa 13,6 Personen/ha; vgl. Atlanta's Project Greenspace. State of the City 2008: 25. Project Greenspace ist der Strategieplan der Stadt für die Freiraumentwicklung bis 2030; vgl. www.atlantagreenspace.com/overview.htm.

³) vgl. Altanta's Project Greenspace. State of the City's Green Space, 2008: 3; Garvin, Alex et al. 2004: The BeltLine Emerald Necklace. Atlanta's New Public Realm, Prepared for The Trust for Public Land.

4) vgl. Atlanta's Project Greenspace. Needs Assessment 2008: 2; vgl. Garvin et al. 2004: 2.

5) vgl. The Atlanta Development Authority (Hg.) 2005: Atlanta BeltLine Redevelopment Plan. www.investatlanta.com/adaInitiatives/BeltLineRedevelopmentPlanA.jsp.

6) vgl. Konrad, Miriam 2009: Transporting Atlanta. The Mode of Mobility under construction. State University of New York Press, Albany.

7) vgl. beltline.org/progress/progress/economic-development-progress/.

8) Architekturbüro Perkins+Will, dem auch der ehemalige Masterstudent, der die BeltLine konzipiert hat angehört und field operations, das Büro des Landschaftsarchitekten James Corner.

9) vgl. Lerner, Jonathan 2009: Ring of Green, in: Landscape Architecture, März 2009, S. 74-79.

¹0) vgl. Immergluck, Dan 2009: Large Redevelopment Initiatives, Housing Values and Gentrification. The Case of the Atlanta BeltLine. In: Urban Studies 46 (8), S. 1723-1745.

¹¹) vgl. Gruehn, Dietwald 2006: Bedeutung von Freiflächen und Grünräumen für den Wert von Grundstücken und Immobilien. Forschungsprojekt im Auftrag der GALK-DST, Endbericht, ARC Berichte, Wien.

¹²) vgl. Kirkman, Robert; Noonan, Douglas S.; Dunn Sean K. 2012: Urban transformation and individual responsibility: The Atlanta BeltLine, in: Planning Theory 11 (4), S. 418-434.

¹³) vgl. Gray, Regina C. 2007: Ten Years of Smart Growth: A Nod to Policies Past and a Prospective Glimpse into the Future, in: Cityscape, Staff Studies in Housing and Community Development Vol. 9, No. 1, S. 109-130.

Ass.Prof. Dipl.-Ing. Dr.nat.techn. Dagmar Grimm-Pretner
Autor

authorin, Universitätsassistentin (ILA)

Prof. Dr.-Ing. Doris Gstach
Autorin

FH Erfurt, Fachgebiet Freiraumplanung und Landschaftsplanung

Fachhochschule Erfurt

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