Die unbekannten Chancen der Verteilernetzebene

Die Energiewende und ihre Auswirkungen auf die Landschaft

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Energiewende Großbauprojekte
Das deutsche Übertragungsnetz mit dem Kraftwerkspark. Abbildung: Sandra Sieber

Noch immer werden der Ausbau des Stromnetzes und damit die sichtbaren Auswirkungen der Energiewende kontrovers diskutiert. Aus Sicht der Landschaftsplanung ist interessant, dass in beiden Fällen nie über die zugrundeliegende räumliche Dimension gesprochen wird: Auf welcher Netzebene findet die Energiewende derzeit eigentlich statt und was würde eine Energiewende auf einer anderen Netzebene für den Netzausbau und damit für die Landschaftsentwicklung bedeuten? Im Forschungscampus Flexible Elektrische Netze (FEN) wird unter anderen auch dieser Frage nachgegangen.

Während die Energiewende zunächst dezentral auf der Nieder- und Mittelspannungsebene gestartet ist und noch immer hauptsächlich dort stattfindet, wird in der öffentlichen und politischen Diskussion vor allem die Energiewende auf der Höchstspannungsebene fokussiert. Auch der Netzausbau scheint nur auf dieser Ebene stattzufinden, mit den entsprechenden Folgen für die Akzeptanz. Doch ist das wirklich die einzige Perspektive?

Getrennte Ebenen - Übertragungsnetz und Verteilernetz

Bei den Stromnetzen wird je nach Funktion und räumlicher Reichweite zwischen Übertragungsnetz und Verteilernetz unterschieden. Das Übertragungsnetz mit 220 und 380 Kilovolt dient der landesweiten oder auch grenzübergreifenden Übertragung und ist daher als Höchstspannungsnetz ausgelegt. Es übernimmt den "Langstreckentransport".

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Die alte (fossil-atomare) Stromversorgung. Abbildung: Sandra Sieber
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Die aktuelle Stromversorgung mit erneuerbaren Energien. Abbildung: Sandra Sieber

Im Zuge des Netzausbaus soll es teils um sogenannte HGÜ-Leitungen (Hochspannungsgleichstromübertragung) mit 320 Kilovolt oder auch 525 Kilovolt ergänzt werden (Ultranet, SuedLink und SuedOstLink).

Die regionale Verteilung des Stroms übernimmt das Verteilernetz (auch Verteilnetz genannt), es besteht aus Hoch-, Mittel- und Niederspannungsnetzen. Dieses Netz bedient die gewerblichen und privaten Endkunden durch seine feinmaschige Verteilung. Das Übertragungsnetz und seine Betreiber (kurz ÜNB oder engl. TSO) bilden zusammen mit dem Verteilernetz und den Verteilernetzbetreibern (kurz VNB oder engl. DSO) das Verbundnetz.

Die Mittel- und Niederspannungsnetze machen längenmäßig mit gut 29 Prozent (Mittelspannung) und 63 Prozent (Niederspannung) den Großteil des deutschen Stromnetzes aus. Das Hochspannungsnetz hat einen Anteil von circa fünf Prozent, das Übertragungsnetz auf der Höchstspannungsebene kommt nur auf einen Anteil von gut zwei Prozent am Gesamtnetz. Zusammen kommen die Netze in Deutschland auf rund 1 740.000 Kilometer.

Mittel- und Niederspannungsnetze sind bereits zu großen Teilen als Erdkabel verlegt, die Mittelspannungsleitungen werden partiell auch auf Hochspannungsmasten mitgeführt. Wo sie noch als Freileitungen verlaufen, ist der Einfluss auf das Landschaftsbild, aufgrund der geringeren Höhe und der fehlenden Fernwirkung, eher untergeordnet. Im Siedlungsbereich können Niederspannungstrassen, die noch als Freileitungen von Haus zu Haus führen, allerdings sehr ortsbildprägend sein.

Baum oder Rhizom - Das alte und das neue Stromnetz

Die Bundesnetzagentur verzeichnet in ihrer Kraftwerksliste circa 400 rein fossile Kraftwerke in Deutschland, die mit Kohle, Erdgas oder Kernkraft betrieben werden. Diesen stehen heute unzählige regenerative Anlagen zur Stromerzeugung gegenüber, vom einzelnen Solarmodul auf dem Hausdach bis zum großen Windpark. Schätzungen gehen aktuell von über 1 500.000 PV-Anlagen und rund 27.000 Windenergieanlagen in Deutschland aus. Dadurch ist unsere Stromversorgung inzwischen deutlich komplexer als noch vor 20 Jahren.

Die gewachsene baumartige Netzinfrastruktur ist auf eine hierarchische Stromversorgung ausgelegt: Vom Produzenten zum Konsumenten. Vor der Energiewende generierte eine überschaubare Anzahl von Kraftwerken Strom und die Netze verteilten diesen in der umliegenden Region. Ein Stromtransport von Nord- nach Süddeutschland war nicht notwendig, daher vielleicht auch der geringe Anteil der Höchst- und Hochspannungsleitungen. Stromproduktion, Stromkonsum und Netzinfrastruktur waren innerhalb der Versorgungsgebiete aufeinander abgestimmt.

Betrachtet man die Übertragungskette der alten fossil-atomaren Stromversorgung getrennt nach Bereitstellung (Stromproduktion im Kraftwerk), Übertragung (Netze) und Nutzung (Verbraucher/Endkunden), zeigt sich hier ebenfalls die hierarchische Struktur.

Großkraftwerke generieren den Strom zwar selbst zum Teil auf der Mittelspannungsebene, transformieren ihn dann aber auf Hoch- oder Höchstspannung, um ihn in das Hoch- oder Höchstspannungsnetz einspeisen zu können.

Von dieser Ebene wird der Strom dann über die Mittelspannungsebene an die Verbraucher verteilt - entweder direkt an Großverbraucher, wie Gewerbe, Handel oder Krankenhäuser, oder über die Niederspannungsebene an Kleinverbraucher, wie private Haushalte. Industrielle Großabnehmer können auch direkt an die Hochspannungsebene angeschlossen sein, während kleinere städtische Kraftwerke ebenso in die Hoch- oder Mittelspannungsebene einspeisen. Weitere Produzenten auf der Mittel- oder Niederspannungsebene sind in der alten Netzstruktur der zentralen Stromversorgung nicht vorgesehen.

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Abgrenzung von Übertragungs- und Verteilernetz. Abbildung: Sandra Sieber
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Verteilung der PV-Anlagen (gelb) und der Windenergieanlagen (blau) in Deutschland (installierte Leistung, Balken) und Standorte großer PV-Freiflächenanlagen bzw. großer Windparks. Abbildung: Sandra Sieber

Seit den 1990er-Jahren haben sich verschiedene Techniken zur Bereitstellung von Energie aus regenerativen Quellen etabliert. In der aktuellen Stromversorgung gibt es nun eine Vielzahl von dezentralen Einspeisern, wie Windkraftanlagen, Photovoltaikanlagen oder kleine Kraftwärmekopplungsanlagen (KWK-Anlagen). Den größten Anteil an der regenerativen Strombereitstellung haben derzeit Windenergieanlagen mit rund 41 Prozent, Biomasse mit 27 Prozent und Photovoltaikanlagen mit 20 Prozent, gefolgt von Wasserkraft mit elf Prozent (Stand 2016).1

Bei der aktuellen fossil-regenerativen Übertragungskette speisen neben den städtischen Kraftwerken nun auch größere Windparks, Biogasanlagen oder Photovoltaik-Freiflächenanlagen in das Hoch- oder Mittelspannungsnetz ein, während Offshore-Windparks auch über HGÜ-Leitungen an das Festland angeschlossen werden. Auf der Niederspannungsebene finden sich neben den reinen Konsumenten zudem auch Produzenten mit Photovoltaikanlagen oder kleinen Kraftwärmekopplungsanlagen (KWK). Durch die Einspeisung auf der Mittel- und Niederspannungsebene steigt hier ebenfalls der Steuerungsbedarf.

Damit wird aus dem ,Baum' allmählich ein ,Rhizom', ein weitverzweigtes und nicht mehr hierarchisches Geflecht. Nur die enge Vermaschung des Rhizoms fehlt noch.² Durch den Netzausbau auf der Übertragungsebene soll sich unsere Netzinfrastruktur verändern. Allerdings speisen eben kaum Anlagen direkt in das Übertragungsnetz ein. Der Großteil der regenerativen Energieanlagen speist derzeit auf der Niederspannungsebene (die meisten privaten PV-Aufdachanlagen) oder der Mittelspannungsebene (kleinere Windparks) ein. Bezogen auf Übertragungs- und Verteilernetz wird davon ausgegangen, dass 99 Prozent des regenerativen Stroms ins Verteilernetz eingespeist wird, was 98 Prozent der installierten EE-Leistung entspricht. Nur circa ein Prozent werden direkt ins Übertragungsnetz eingespeist, beziehungsweise zwei Prozent der installierten Leistung. Dieser Anteil wird mit dem Ausbau der Offshore-Windparks wachsen.

Bei der räumlichen Verteilung der regenerativen Energieanlagen gibt es in Deutschland inzwischen ein Wind-PV-Gefälle: In Nord- und Ostdeutschland entstanden in der Vergangenheit zum Teil große Windparks (On- und Offshore), in Ostdeutschland teils auch sehr große Photovoltaik Freiflächenanlagen (angefangen mit 5 MW installierter Leistung bis zu Anlagen mit über 100 MW). Demgegenüber steht eine große Anzahl von PV-Anlagen in Süddeutschland.

Diese Verteilung führt dazu, dass im Herbst und im Winter Stromüberschüsse von Norden nach Süden transportiert werden, während im Frühjahr und im Sommer auch Überschüsse aus den süddeutschen PV-Anlagen Richtung Norden wandern.

Die Verteilernetze werden dadurch zum "Zubringer" für das Übertragungsnetz (die "Stromautobahn") wenn es darum geht, Überkapazitäten von einer Region in eine andere zu transportieren. Mussten die Verteilernetze bisher nur die Verbraucher bedienen, so agieren sie heute auch als Abnehmer des dezentral erzeugten Regenerativ-Stroms. Damit sind die Verteilernetze, insbesondere die Ebenen der Mittel- und Niederspannung, zum wichtigsten Scharnier bei der Einspeisung und Übertragung geworden. Für diese Aufgabe (Einspeisung und Übertragung) sind die gegenwärtigen Verteilernetze aber genauso wenig ausgelegt, wie die Übertragungsnetze für einen Stromtransport von Nord nach Süd und umgekehrt.

Daher sieht das EEG zum Beispiel aktuell die Möglichkeit einer Regelbarkeit für PV und KWK-Anlagen (je nach Größe bzw. max. installierte Leistung der Anlage) vor. Bei nicht regelbaren PV-Anlagen wird die maximale Einspeisung auf 70 Prozent der installierten Leistung begrenzt, um Einspeisespitzen (Peaks) in der Mittagszeit zu vermeiden und damit die Niederspannungsnetze zu entlasten. Durch den starken Anteil an Photovoltaik in Süddeutschland reicht diese Drosselung alleine nicht, hier müssen die Nieder- und Mittelspannungsnetze ausgebaut werden.

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Kleinteiliger Ausbau regenerativer Energien auf der regionalen Ebene. Abbildung: Sandra Sieber
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Kleinteiliger Ausbau regenerativer Energien auf der Quartiersebene. Abbildung: Sandra Sieber

Auch der aktuell diskutierte Ausbau der Elektromobilität, wird ohne einen engmaschigen "rhizomorphen" Ausbau auf der Mittel- und Niederspannungsebene nicht möglich sein. Die Ladeinfrastruktur braucht insbesondere im urbanen Raum ein leistungsfähiges Netz. Vor allem die Schnellladestationen, die Ladezeiten von gut 30 Minuten möglichen machen sollen, brauchen ein solides Mittelspannungsnetz.

Netzausbau - Welche Ziele verfolgen wir?

Wenn aber derzeit vom Netzausbau die Rede ist, dann ist damit immer der Ausbau der Übertragungsnetze gemeint. Sie stehen im Fokus des Netzentwicklungsplans. Der Netzentwicklungsplan zeigt nach Selbstbeschreibung der Übertragungsnetzbetreiber auf "welche Maßnahmen zur bedarfsgerechten Optimierung, zur Verstärkung und zum Ausbau des deutschen Höchstspannungsstromnetzes an Land und auf See für die Jahre bis 2023 und 2033 für einen sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb erforderlich sind".3 Hier wird das Übertragungsnetz zum "Rückgrat" der Energieinfrastruktur.

Der Ausbaubedarf auf der Mittel- und Niederspannungsebene wird in der aktuellen Diskussion jedoch kaum thematisiert. Dabei gehen verschiedene Studien davon aus, dass deren Ausbaubedarf bis zum Jahr 2020 oder 2030 hier bei gut 160.000 bis 380.000 Kilometer liegen könnte! Zum Vergleich: Im Übertragungsnetz wird je nach Studie der Ausbaubedarf auf rund 2500 bis 8500 Kilometer geschätzt.4 Bei den Netzinvestitionen liegen die Verteilernetze klar vor: 80 Prozent der Investitionen entfallen auf sie, die restlichen 20 Prozent auf die Übertragungsnetze.5

Neben der Energiewende sind aber auch der reguläre Erneuerungs- und Instandhaltungsbedarf sowie der Stromhandel auf europäischer Ebene durch die Liberalisierung der Energiemärkte, häufig diskutierte Gründe für den Netzausbau. Die Bundesnetzagentur nennt konkret den Transport von Strom aus regenerativen Energietechniken, die Versorgungssicherheit und den Strommarkt auf europäischer Ebene als Begründung des Netzausbaus.6 Wie viel Kilometer Leitungen letztlich neu installiert werden müssen und ob diese als Freileitungen oder Erdkabel realisiert werden, ist derzeit noch offen. Die Übertragungsnetzbetreiber setzen inzwischen auf das Nova-Prinzip, wonach erst die Netze optimiert und verstärkt werden sollen, bevor ein Ausbau fokussiert wird.

Aber es bleibt die Frage nach den Ebenen der Energiewende: Welche Art der Energiewende wollen wir und wo soll sie stattfinden?

Im Rahmen des Netzausbaus ist es zur festen Überzeugung geworden, dass Strom von Nord nach Süd transportiert werden muss. Denn besonders die Ballungszentren in Süddeutschland werden von der Abschaltung der noch bis ins Jahr 2022 laufenden Atomkraftwerke betroffen sein, während für die Kohlekraftwerke in West- und Ostdeutschland bislang noch keine Ausstiegspläne bestehen. Vor allem aber soll die Offshore-Windkraft zum Zugpferd der Energiewende werden. Bis zum Jahr 2030 setzt die Bundesregierung auf einen Zubau von 15.000 Megawatt in deutschen Gewässern. Zum Vergleich: PV-Anlagen kommen in Deutschland derzeit auf circa 43.000 Megawatt installierte Leistung und Onshore-Windkraftanlagen auf 45.000 Megawatt (Stand 2016 und 2015). Regenerative Energieanlagen sollen dort errichtet werden, wo die natürlichen Gegebenheiten besonders gut sind: Hohe Windhöffigkeit im Norden, hohe Globalstrahlung im Süden. Das klingt wirtschaftlich. Aber die Zielstellungen der Energiewende und die Zielstellungen des Netzausbaus bedingen einander.

Beim Ausbau der regenerativen Energien, wird derzeit ein großmaßstäbliches Szenario mit nationalen oder gar europaweiten Schwerpunkten verfolgt (große Windparks in der Nord- und Ostsee). Aber wie steht es um den kleinteiligen, regionalen Ausbau regenerativer Energien oder um die Energiewende auf der Gebäude- beziehungsweise Quartiersebene?

Energiewende Großbauprojekte
Zusammenhang von Energiewende und Netzausbau – Kleinmaßstäbliches Szenario. Abbildung: Sandra Sieber
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Zusammenhang von Energiewende und Netzausbau – Großmaßstäbliches Szenario. Abbildung: Sandra Sieber

Für den Netzausbau ist daher ein national-transnationaler Maßstab die Zielvorgabe. Aber was ist mit dem Netzausbau im lokalen beziehungsweise regionalen Maßstab und dem Netzausbau im Maßstab des Siedlungsraums?

Die große Bedeutung und der große Ausbaubedarf der Mittelspannungs- und Niederspannungsebene im Rahmen der Energiewende spricht wiederum für eine Stärkung der regionalen Ebene und damit eine Stärkung der Mittel und- Niederspannungsnetze: Erneuerbare Energien auf regionaler Ebene. Dabei wäre nicht die regionale Autarkie oder ein regionaler Inselbetrieb das Ziel, ebenso wenig wie im Bereich der Niederspannung, wo energieeffiziente Neubauten und Plusenergiegebäude zwar den Bedarf an zugeführter Energie reduzieren, aber die Gebäude doch weiter Teil des Netzes bleiben. Das Ziel bei einem regionalen Ausbau der erneuerbaren Energien und Netze wären robuste Zellen, die mit unterschiedlichen Graden an Eigenstromnutzung als Teile des Netzverbundes agieren. Eine breite Streuung statt einzelner Schwerpunkte.

Was hat das mit Landschaft zu tun?

Eine ganze Menge! Der Ausbau der Mittel- und Niederspannungsnetze verläuft schon jetzt unsichtbar. Der Anteil der Freileitungen auf der Mittelspannungsebene sinkt seit Jahren, sichtbare Niederspannungsleitungen muss man regelrecht suchen. Erdkabel sind hier kein Kostenfaktor mehr, im Gegensatz zur Höchstspannungsebene.

Auch auf der Höchstspannungsebene sollen jetzt Erdkabel das Problem der fehlenden Akzeptanz lösen. Aus den Augen, aus dem Sinn? Nicht jedem ist dabei klar, dass die Erdkabeltrassen in der Bauphase einen viel größeren Eingriff in den Naturhaushalt darstellen als die punktuellen Freileitungsmasten. Auch später müssen die Trassen von Gehölzen und Bebauung freigehalten werden, dazu kommen Nebenbauwerke wie die Kabelübergabestationen. Insbesondere in Waldgebieten würden die Schneisen dauerhaft deutlich sichtbar bleiben.

Der Ausbau der Windenergie in Nord- und Ostsee folgt vielleicht ebenfalls der Devise "Aus den Augen, aus dem Sinn", ihre Konsequenz sind aber die geplanten "Stromautobahnen".

Eine Energiewende, die wieder stärker auf die regionale Ebene setzt, ist natürlich auch nicht unsichtbar. Aber sie hat eher die Chance, Teil des Orts- und Landschaftsbildes zu werden. Insbesondere die Energiewende im urbanen und suburbanen Raum bietet noch große Potenziale. Neben ganzen Passivhausquartieren wie dem in Heidelberg, gibt es inzwischen auch größere Büro- und Wohngebäude, die mehr Energie bereitstellen, als sie verbrauchen, wie das Aktiv-Stadthaus in Frankfurt. Auf der regionalen oder urbanen Ebene rücken Energiebedarf und Energieproduktion wieder enger zusammen. Vielleicht auch ein Vorteil für die sogenannte Sektor-Kopplung, bei der die Bereiche Strom, Wärme und Mobilität stärker verzahnt werden, da die Wärmeversorgung und die Mobilität zunehmend strombasiert sind. Selbst Speicherlösungen könnten im regionalen und urbanen Maßstab gegebenenfalls leichter integriert werden und reduzieren andererseits wieder den Ausbaubedarf im Stromnetz. Je mehr Energie im Quartier selbst oder in der Region bereitgestellt, verbraucht, umgewandelt oder gespeichert werden kann, desto weniger Energie muss aus weiter entfernten Gebieten importiert werden.

Für manche erscheint da der Verzicht auf die Energiewende und ein Warten auf die Kernfusion als bessere Option. Das würde aber nach aktuellem Kenntnistand wohl bedeuten, dass die bestehenden Netze bis zum Start der Kernfusion mindestens so gravierend ausgebaut werden müssten, wie jetzt im Zuge der Energiewende angedacht. Ein Szenario der Kernfusionsnutzung wären Megakraftwerke, die auf eine nationale oder transnationale Versorgung ausgelegt sind. Dann wären die aktuell geplanten und von Gegnern als "Monstertrassen" bezeichneten Stromtrassen eine Mindestvoraussetzung.

Der Ausbaubedarf auf der Mittel- und Niederspannungsebene ist unstrittig, wenngleich er kaum thematisiert wird. Er bietet Chancen zur Gestaltung der Energiewende: Kleinmaßstäblicher, kleinteiliger, aber auch vielfältiger, mit besseren Möglichkeiten der Integration in Architektur und Landschaft, mit Techniken die gar nicht mehr sichtbar sind, wie Blockheizkraftwerken, Wärmepumpen und Speichern. Technisch spricht nichts gegen einen solchen Weg. Auch aus Sicht des Gerechtigkeitselements, spricht einiges dafür: Dann sind wir alle gestaltend an der Energiewende beteiligt und nötigen nicht einzelnen ungefragt massive Folgen auf.

Denn das Prinzip "Aus den Augen, aus dem Sinn" funktioniert bei der Energiewende so wenig wie beim Netzausbau und der Preis dieser Devise, in Euro wie in Bezug auf unser Orts- und Landschaftsbild, wird am Ende möglicherweise deutlich höher sein, als der einer gestaltenden, regional verwurzelten Energiewende.

Die Energiewende ist letztlich eine gesellschaftliche Fragestellung und folgt den vorgegebenen Weichenstellungen, wie sie zum Beispiel im EEG festgelegt werden. Die Weichen stehen derzeit auf Großmaßstäblichkeit und Übertragungsnetz. Die meisten Engpässe wie auch die größten Chancen, liegen jedoch auf der Verteilernetzebene.

Anmerkungen

1 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland, Abbildung "Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in Deutschland im Jahr 2016".

2 Hier setzt der Forschungscampus Flexible Elektrische Netze FEN an. Er ist ein Zusammenschluss aus Industriepartnern und Instituten der RWTH Aachen. Sein Ziel ist die Erforschung und Entwicklung innovativer Netztechnologien auf Gleichstrombasis, für zukünftige elektrische Netze mit einem hohen Anteil an regenerativen und dezentralen Energiequellen. Neben technischen Themen, werden u.a. auch Fragen der Technikakzeptanz, der Stadt- und Landschaftsentwicklung sowie gesundheitliche Aspekte betrachtet.

3 50Hertz Transmission GmbH, Amprion GmbH, TenneT TSO GmbH, TransnetBW GmbH (Hrsg.) (2013): Neue Netze für neue Energien - NEP und O-NEP 2013: Erläuterungen und Überblick der Ergebnisse.

4 Konrad Adenauer Stiftung (HRSG.) (2014): Netzausbau in Deutschland - wozu werden die neuen Stromnetze benötigt?

5 Ohrem, Simon und Clemens, Gabriël: Die Energiewende findet im Verteilnetz statt, publiziert auf: et Energiewirtschaftliche Tagesfragen, aufgerufen am 15.08.2014.

6 Internetauftritt der Bundesnetzagentur: Warum Netzausbau? (http://www.netzausbau.de/DE/Wissenswertes/WarumNetzausbau/WarumNetzausbau-node.html, aufgerufen 07.07.2015).

Dr.-Ing. Sandra Sieber
Autorin

Landschaftsarchitektin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Entwerfen + Freiraumplanung der TU Darmstadt und am Institut für Landschaftsarchitektur der RWTH Aachen University

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