Vom Setzling zum sozialen Aufstieg in der South Bronx

Die Green Bronx Machine

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Hochbeete vor der Grundschule C.S. 55 in der South Bronx, im Hintergrund die trostlosen Projects, die Sozialwohnungsbauten. Foto: Alexander Dorn

Im Taxi ziehen die trostlosen "Projects" der South Bronx, die eintönigen Sozialwohnungsbauten an einem vorbei: dicht aneinandergereihte Hochhäuser aus roten Ziegeln ohne eine einzige Grünfläche dazwischen. Als wir das Gebäude der Community School 55 (C.S. 55) betreten, wird die sitzende Rezeptionistin von zwei Polizistinnen flankiert. In einer Grundschule!¹

Die soziale Situation

Die South Bronx ist einer der ärmsten Wahlbezirke Amerikas. 40 Prozent der Anwohner leben unterhalb der Armutsgrenze, ebenso viele sind "food insecure", das bedeutet, sie haben nicht genug zum Essen in ihren Haushalten. Offiziell ist die South Bronx im ganzen Staat New York der am wenigsten geeignete Ort, Kinder groß- zuziehen. Laut Stephen Ritz, dem Begründer der Organisation Green Bronx Machine, ist es für manche seiner Schüler einfacher, an eine Schusswaffe zu kommen als an eine Biotomate ("it is easier to get hold of an automatic weapon than an organic tomato").

Die Lebensmittelversorgung ist schlecht. Die Geschäfte, in denen frisches Obst und Gemüse verkauft werden, sind rar gesät. Lediglich McDonalds, Kentucky Fried Chicken und die allgegenwärtigen Spirituosengeschäfte finden sich hier in der South Bronx. Übergewichtigkeit, Vitaminmangel, Diabetes und Bluthochdruck sind die Folgen dieser Fehlernährung - auch schon bei Kindern. Die medizinische Versorgung ist für sozial Schwächere, die sich keine umfassende Krankenversicherung leisten können, trotz der (nach der nächsten Präsidentenwahl eventuell nicht fortbestehenden) ObamaCare rudimentär. Aus diesem Grund ist an die Grundschule C.S. 55 eine Krankenambulanz angegliedert.

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Vertikale Tower Gardens im National Health, Wellness and Learning Center. Foto: Alexander Dorn
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Details des vertikalen tower Gardens. Foto: Alexander Dorn
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Details des vertikalen tower Gardens. Foto: Alexander Dorn

Ein Großteil der Schüler lebt bei Alleinerziehenden, bei Pflegeeltern oder ist obdachlos. Bei den Eltern ist nicht nur die Arbeitslosenrate sehr hoch, sondern auch Drogenmissbrauch und Kriminalität sind weit verbreitet. Wer in der South Bronx aufwächst, ist nahezu chancenlos. In einer Gesellschaft, in der die Postleitzahl das soziale Ansehen bestimmt (die Postleitzahl 10021 definiert den größten Reichtum der Stadt New York, 10456 ist die der South Bronx), werden die Anwohner der South Bronx allein durch die Postleitzahl ihres Wohnorts und durch ihre Hautfarbe diskriminiert. Die Bewohner der South Bronx leben am Rande der Gesellschaft und fallen durchs soziale Raster.

Stephen Ritz - Projektgründer und Visionär

Die Vision von einem besseren Leben in der Bronx hat Stephen Ritz. Der mit etlichen Preisen ausgezeichnete Lehrer, der auch unter den 10 Top Finalisten für den Global Teacher of the Year Award 2015 war, hat klare Vorstellungen davon, wie soziale Probleme in der South Bronx lösbar sind. Er verfolgt dabei zwei miteinander verbundene Ziele: seine Schüler der C.S. 55 sollen viel über gesunde Ernährung lernen. Und sie sollen bereits während ihrer Schulzeit eine Perspektive für die Zukunft sowie gute Chancen für den Arbeitsmarkt erlangen.

Gemeinsames Gärtnern ist hierbei Stephen Ritz' grüne Waffe. "America's Favorite Tacher",² wie er auch genannt wird, nutzt das Gärtnern als Mittel gegen Kriminalität, Diskriminierung, Perspektiv- und Chancenlosigkeit. Mit den Angeboten seiner Organisation Green Bronx Machine ermöglicht der Lehrer nicht nur seinen Schülern, sondern auch deren Eltern und anderen Interessierten aus der South Bronx, ihrer Perspektivlosigkeit zu entrinnen und - und das ist die eigentliche Vision von Ritz - in die Mittelschicht aufzusteigen. Um es mit seinen eigenen Worten zu sagen: "Plant by plant, classroom by classroom, Green Bronx Machine is improving outcomes and changing destinies (dt.: Pflanze für Pflanze und Klassenzimmer für Klassenzimmer verbessert die Green Box Machine Resultate und verändert menschliche Schicksale)."

Der 53-Jährige kam durch einen Zufall zum Gärtnern. Nachdem er den Master´s Degree of Education von der University of Arizona erhalten hatte, arbeitete er an der Walton High School in der South Bronx und erhielt eines Tages ein Päckchen mit Zwiebeln. Da er befürchtete, dass seine Schüler die Zwiebeln als Wurfgeschosse missbrauchen könnten, versteckte er sie hinter der Heizung. New Yorker Heizungen haben oft undichte Stellen. Monate später griff ein Schüler während eines Streits hinter die Heizung und entdeckte die ausgetriebenen Zwiebeln, die sich mittlerweile in blühende Narzissen verwandelt hatten. Die Jungen der Klasse wollten die Blumen den Mädchen schenken, die Mädchen sie den Jungen geben, einige wollten sie verkaufen.

Bei diesem freundlichen Engagement ging Ritz ein Licht auf, wie er selbst sagt, und der bis dahin botanisch Kenntnislose beschloss, das Gärtnern im Klassenzimmer einzuführen. Zunächst als after school program im Außenraum begonnen, wollte Ritz unabhängig von Jahreszeiten, schlechten Wetterbedingungen und mangelndem Licht werden und begann, mit seinen Schülern im Innenraum zu gärtnern. Die Methoden wurden innovativ, gemeinsam installierten sie vertikale Gärten und kreierten grüne "Wandgemälde".

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Klassenzimmer des National Health, Wellness and Learning Center mit Tischen in Form von glückbringenden Kleeblättern und dem Motto: Sí se puede (Yes, we can). Foto: Alexander Dorn
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Fotocollage mit Aktionen im National Health, Wellness and Learning Center. Foto: Alexander Dorn

Wichtiger noch: Stephen Ritz machte das Gärtnern zum integralen Bestandteil des schulischen Curriculums und konnte damit enorme Erfolge verzeichnen. Seitdem in der Walton High School gegärtnert wurde, erhöhte sich die Anwesenheitsquote schlagartig von 43 auf 93 Prozent. Ritz setzte das Gärtnern als Belohnung für Leistung und gutes Benehmen ein - anstatt Fehlverhalten zu bestrafen. Die Schüler waren motiviert und wollten Teil des grünen Projekts sein, die Organisation Green Bronx Machine war geboren.

Ritz gab trotz großer Widerstände sein Projekt nicht auf, wechselte an die C.S. 55 und fand in Direktor Luis Torres einen tatkräftigen Unterstützer seiner stetig wachsenden Green Bronx Machine und implementierte das Gärtnern als Anreiz auch hier mit Erfolg. Die Aufmerksamkeit seiner Grundschüler erhöhte sich, und heute fällt keiner mehr bei den staatlichen Tests durch, die Examen werden zu 100 Prozent bestanden. Liebevoll wird er von seinen Schülern "Father Nature" genannt. Für viele Schüler, die ihren leiblichen Vater gar nicht kennen, ist Ritz eine Vaterfigur und übt allein aus diesem Grund großen Einfluss auf seine Schützlinge aus. Direktor Torres weiß die charismatische Persönlichkeit sowie das unermüdliche Engagement von Ritz zu schätzen und deshalb entstand an der Community School 55 auch die Idee zum National Health, Wellness and Learning Center.

Das National Health, Wellness and Learning Center, der konkrete Lernort der Green Bronx Machine

Wir werden in die vierten Etage der C.S. 55 verwiesen. Dort befindet sich das am 4. Januar 2016 eröffnete und am 10. Mai 2016 mit viel Politprominenz eingeweihte National Health, Wellness and Learning Center. Der 70 Quadratmeter abmessende Raum war ursprünglich eine Bibliothek, doch keiner nutzte die Bücher mehr. Gerade wird eine Biologiestunde abgehalten, der Aufbau und die Einzelbestandteile von Pflanzen werden an einem riesigen Bildschirm erklärt. Die Schüler sitzen an Tischen, die wie glückbringende vierblättrige Kleeblätter geformt sind. Mit einer Spende von 70.000 Dollar von anonymen Spendern entstand ein einladendes und innovativ ausgestattetes Klassenzimmer mit eigenem Garten. Der ehemalige Bibliotheksraum wurde von Grund auf renoviert und neu gestaltet. Über den groß dimensionierten Monitor an der linken Wand können die Schüler mit Schülern anderer Schulen skypen und sich unter anderem über die Erfahrung beim Gärtnern austauschen. Direkt über dem Monitor das Motto: Si se puede! (Yes, we can!)

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Setzlinge im Gartenlabor des National Health, Wellness and Learning Center Foto: Alexander Dorn
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Portrait von Stephen Ritz, davor die mobile Küche. Foto: Alexander Dorn

In der rechten Hälfte des Raums befindet sich das Gartenlabor. Auf den Tischen stehen überall Schalen mit Setzlingen und dann sind da vor allem die vertikalen Gärten, die weißen Türme der so genannten Tower Gardens, die von den Kindern mit Salaten, Kräutern und Gemüse bepflanzt werden. Ein kugelrunder Kohlrabi schaut aus einer Öffnung heraus und will bald geerntet werden.

Unlängst sind kinesiologische Fahrräder angekommen, die neben den Tower Gardens auf Benutzung warten. Mit Übungen an diesen Geräten soll die Entwicklung der Schüler gefördert werden. Das Media Center, bestehend aus etlichen MacBooks, wird diebstahlsicher in einem Rollschrank eingeschlossen. Derzeitiger Star ist die mobile Küche: ein Herd mit Backofen, Dampfgarer, Arbeitsplatte, Kühlschrank und Spülbecken auf Rollen, so dass die Küche in andere Klassenzimmer gerollt werden kann, um dort gemeinsam das geerntete Gemüse zu kochen. Hinter der mobilen Küche ist ein Porträt von Stephen Ritz als Comicfigur an die Wand gemalt. Seine Markenzeichen, die Fliege mit seinem Namen aus aneinander gereihten Scrabble-Steinen sowie der "angeknabberte" Hut dürfen bei der Darstellung nicht fehlen.

Viele Schüler wollen sich die Belohnung ergattern und im National Health, Wellness and Learning Center mitgärtnern und mitkochen dürfen. Das Projekt Green Bronx Machine geht jedoch weit darüber hinaus. Die Schüler lernen dadurch vor allem, Verantwortung zu übernehmen. Dies geschieht nicht nur, indem sie die richtigen Nährstoffe für das Wasser abmessen und die geeignete Temperatur für die Pflanzen kontrollieren. Sie lernen außerdem, unterschiedliche Arten von Gärten zu gestalten und haben allein in New York geholfen, mehr als 100 Gärten anzulegen. Auch erwerben die Schüler der C.S. 55 Grundkenntnisse über Distribution und Vermarktung, wenn sie ihr geerntetes Gemüse an Restaurants oder auf Wochenmärkten in der South Bronx verkaufen. Die Green Bronx Machine ist der führende Gemüseproduzent in der Umgebung und hat bis dato 16.000 Kilogramm Gemüse geerntet.

Das heißt, durch die Verankerung des Gärtnerns im schulischen Curriculum werden die Schüler auf die Zukunft vorbereitet: Sie erlernen bereits in der Grundschule Fertigkeiten fürs Leben und Fachkompetenzen für die Arbeitswelt. Die Schüler mit den besten Zensuren können sogar eine Ausbil- dung zum Gärtner oder Landschaftsarchitekten erhalten. Die Green Bronx Machine hat bislang 2200 Jugendlichen Jobs vermittelt. Viele Schüler, die an dem grünen Projekt teilnehmen, werden später Lehrer, Landschaftsarchitekten, Dachbegrüner, Verkäufer oder Köche. Stephen Ritz ist zu Recht stolz darauf, die jüngste work force Amerikas aufzubauen. Das Ziel seiner Schüler ist es, an der elitären Bronx Science High School angenommen zu werden. Denn damit - und das ist die bereits erwähnte eigentliche Vision von Stephen Ritz - würden sie reelle Chancen auf einen Aufstieg in die Mittelschicht erhalten.

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Tafel und Fotos von Stephen Ritz mit Prominenten wie dem Papst, Bill Clinton und Jennifer Lopez, neben diversen Auszeichnungen.

Nicht nur die Schüler können kochen lernen. Kochkurse werden auch für die Eltern und Interessierte aus dem Kiez angeboten. Darüber hinaus können Eltern und andere Erwachsene der Umgebung ebenfalls Fertigkeiten erlernen, die ihnen einen (Wieder-) Einstieg ins Berufsleben ermöglichen oder erleichtern. Stephen Ritz, der sich gern augenzwinkernd als CEO, also als Chief Eternal Optimist³ bezeichnet, möchte mit seinem Projekt in die Nachbarschaft ausstrahlen und somit die Lebensqualität in der Bronx und die Aufstiegschancen ihrer Anwohner verbessern. Die Organisation Green Bronx Machine geht weit über die Schule C.S. 55 hinaus und erreicht mittlerweile andere Städte, Länder und Kontinente. In St. Louis wurde das Modell dort auf Schulen in ärmeren Gegenden übertragen und eine Green St. Louis Machine implementiert. Kanada zeigt großes Interesse und seit einiger Zeit hilft Stephen Ritz, die Strukturen und Angebote der Green Bronx Machine in Dubai zu einzuführen.

Zahlreiche Prominente haben bereits Interesse an dem Projekt gezeigt. So besuchten etwa die Talkmasterin Oprah Winfrey und der ehemalige US-Präsident Bill Clinton die Grundschule. Auch Sängerin Jennifer Lopez, selbst in der Bronx aufgewachsen, war von dem Projekt begeistert. Die mitwirkenden Schüler des Projekts wurden bereits mehrfach ins Weiße Haus eingeladen und konnten die Green Bronx Machine dort der First Lady Michelle Obama vorstellen. Und bald wird der ehemalige Konditor des Weißen Hauses einmal pro Woche zur C.S. 55 kommen und mit den Schülern gemeinsam kochen. Auch in den Medien erhält die Green Bronx Machine große Aufmerksamkeit. Ein Dokumentarfilm stellt die Organisation vor, Fernsehsender wie CNN oder auch das National Public Radio strahlten bereits Reportagen aus.4 Printmedien wie die New York Times oder das Wall Street Journal haben das Projekt gefeiert. Schaut man sich die hyperaktive Facebook-Seite der Green Bronx Machine an, ist das nicht verwunderlich. Stephen Ritz bewegt mit seinen umtriebigen Aktivitäten die Herzen unzähliger Menschen. Dass es Ritz nicht primär darum geht, seinen Schüler nur das Gärtnern beizubringen, wird anhand seiner Aussagen immer wieder deutlich. So sagt er, dass er Rucola zwar mag, aber was er wirklich liebt, sind glückliche, erfolgreiche und engagierte Kinder.5

Sein unerschütterlicher Optimismus wirkt ansteckend: "A seed well-planted can bring you a crop of epic proportions and my kids are proof of that."6 Ein wohlgesetztes Samenkorn kann eine Ernte von epischem Ausmaß erbringen und meine Schüler sind der lebende Beweis dafür!

ANMERKUNGEN

¹ Wie immer danke ich ganz herzlich Dr. Alexander Dorn für die Fotografien, die gemeinsame Reise und die inspirierenden Gespräche. Da Stephen Ritz gerade in Dubai Vorträge über die Green Bronx Machine hielt, danke ich vor allem seiner Ehefrau und Mitstreiterin der Green Bronx Machine, Lizette Ritz, für das ausführliche und informative Interview. Sie hat sich sehr viel Zeit genommen, uns die verschiedenen Elemente des National Helath, Wellness and Learning Center zu erläutern. Weitere Quelle ist die Website der Green Bronx Machine greenbronxmachine.org.

Will man ein Gespür für das enthusiastische Engagement von Stephen Ritz bekommen, so ist das Video seines TED Talk zu empfehlen. Im vorlie- genden Text habe ich mich bewusst auf das Herz- stück der Green Bronx Machine konzentriert, auf die Aktivitäten an der Grundschule C.S. 55. Wei- tere Wirkungsfelder der Organisation sind auf ihrer Website zu entnehmen.

² Zitat aus Beth Flanner:"Diversity in Steam-Ste- phen Ritz Shaping 21st Century Sustainability with his Green Bronx Machine Project", zu finden bei stephenritz.com.

³ Aus: "Interview with Stephen Ritz, Educator and Mentor." New York City Food Policy Center at Hunter College am 25. April 2016.

4 Ganz aktuell: Der TV-Sender ABC bereitet gerade eine Sendung über die Green Bronx Machine vor und filmte einen Tag lang, was im National Health, Wellness and Learning Center Spannendes pas- siert. Ausgestrahlt wird es in einem Back to School Special der Sendung The Chew.

5 "I love arugula, but I really love happy, successful, engaged kids."

6 Zitat aus Beth Flanner:"Diversity in Steam - Stephen Ritz Shaping 21st Century Sustainability with his Green Bronx Machine Project", zu finden bei stephenritz.com.

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