Eine Handreichung für den interessierten Gartenbesitzer

Die Neutra-Siedlung Marienhöhe in Quickborn

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Gartenstädte Gartendenkmalpflege
Blick in den Straßenraum der Siedlung mit den halböffentlichen Vorgärten kurz nach Fertigstellung, 1965. Foto: Otto Rheinländer

Die Gartenanlagen der Nachkriegsmoderne sind häufig durch das Unverständnis der folgenden Generationen gefährdet. Sie werden damit leichter zur Verfügungsmasse heutigen Baugeschehens. Unpassende Nutzungsanforderungen, wie beispielsweise das zweite und dritte Auto pro Familie sowie notwendige Reparaturen führten in der Vergangenheit zu zahlreichen Veränderungen am Bestand, die mit den ursprünglichen Ideen kaum noch in Einklang zu bringen sind. Anlässlich der Unterschutzstellung der (Neutra-)Siedlung Marienhöhe in Quickborn beauftragte das Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein in Kiel 2005/06 eine Handreichung.

Was ist eine Handreichung? Und warum greift man hier zu diesem Hilfsmittel?

Es ist eine schriftlich fixierte Empfehlung, die sich an den interessierten Gartenfreund und Hauseigentümer in der Siedlung wendet. Gartenkünstlerisch gestaltete Anlagen stellen eine Komposition aus unterschiedlichen Gestaltungsmitteln wie Pflanzen, Wasseranlagen, Relief, Wegen, Bauwerken und Kleinarchitekturen dar. Insbesondere die Pflanzen unterliegen einem steten Wandel, der zum Teil ein bewusst eingesetzter Prozess der Gartengestaltung ist. Korrekturen, Ergänzungen und Erneuerungen an der Vegetation im Rahmen einer kontinuierlichen, fachlich qualifizierten Pflege sind unabdingbare Voraussetzungen für die Erhaltung der Gartendenkmale. Mangelnde oder ausbleibende Unterhaltungsleistungen führen zu Substanzschädigung und Beeinträchtigungen an ihrem Erscheinungsbild.

Die Handreichung will:

  • Freude im Umgang mit den Wohngärten vermitteln
  • praktische Informationen und erprobtes Wissen weitergeben.

Es handelt sich nicht um Vorschriften, sondern um das Angebot einer Hilfestellung. Neben den ganz praktischen Hinweisen enthält diese eine Darstellung der Entwurfskonzeption, Erläuterungen zu den Einzelelementen und Einbauten, Pflegeanleitungen, Pflanzenlisten, Lieferadressen und Ansprechpartner. Hier liegt eine große Verantwortung bei den zuständigen Behörden. Handreichungen sollten ein festes Instrumentarium bei der Erhaltung von Gartendenkmalen sein. Erst das Wissen um die Dinge kann Verständnis auch bei Laien wecken.

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Gartenstädte Gartendenkmalpflege
Ebenerdiger Wohnraum eines kalifornischen Hauses, den ein kleiner umbauter Gartenhoferweitert, o.O., 1960er Jahre Foto: Otto Rheinländer
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Beispiel eines Gartenhofs mit „spider leg“ (Spinnenbein) von R. J. Neutra und den Stabgitterwänden von Gustav Lüttge. Foto: Otto Rheinländer
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Schematische Gartenpläne von Richard J. Neutra und Gustav Lüttge Typ H2 im Vergleich; sie zeigen, dass die streng architektonischen und rechtwickligen Außenräume von Neutra durch Lüttge landschaftlich aufgelockert wurden.
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Entstehung und Standortwahl

Die Siedlung Marienhöhe in Quickborn ist als herausragendes Beispiel der Nachkriegsmoderne von hoher städtebaulicher und landschaftsprägender Bedeutung. Sie entstand ab 1963 auf rund 20 Hektar unbebauter, landwirtschaftlich genutzter Heide- und Waldlandschaft mit günstigem Verkehrsanschluss nördlich von Hamburg. Auftraggeberin war die Hamburger Betreuungs- und Wohnungsbaugesellschaft mbH (BEWOBAU). Man hatte die Absicht, für den gehobenen Mittelstand "attraktive Eigenheime im Grünen" nach den neuesten Standards der modernen Architektur zu schaffen. Deshalb gewann man den international renommierten, in die USA ausgewanderten österreichischen Architekten Richard Josef Neutra (1892-1970) für das Projekt. In Fachkreisen war dieser bekannt durch seine einzigartigen Flachdachbungalows im sonnigen Kalifornien. Neben der Marienhöhe in Quickborn plante und baute Neutra auch die typgleiche Siedlung in Mörfelden-Walldorf bei Frankfurt am Main. Beide Siedlungen zählen zu Neutras Spätwerk. Mit der Gestaltung der Gärten wurde der Hamburger Gartenarchitekt Gustav Lüttge (1909-1968) beauftragt, der mit den norddeutschen Gegebenheiten bestens vertraut war.

Städtebauliche Konzeption und landschaftliche Einbindung

Bei der städtebaulichen Planung berücksichtigte Neutra vorhandene Landschaftsstrukturen wie die Knicks¹) und die topografischen Gegebenheiten. Ihr Verlauf bestimmte die Aufteilung der Grundstücke. Während die Siedlung in Mörfelden-Walldorf in einen bestehenden Kiefern-Buchenwald hineinkomponiert wurde, sollte sich in Quickborn erst im Laufe der Jahre durch die Neuanpflanzung standortgerechter Baumarten wie Waldkiefer, Erle und Birke ein schirmartiger, lockerer, lichtdurchlässiger Baumbestand entwickeln. Die Landschaft strömt gewissermaßen in den Siedlungsraum ein: "... denn hier wird im Planen die gewachsene Landschaft zur gemütsmäßigen Regel und Matrix des menschlichen Wohnungswohlseins gemacht".²) Neutra bezeichnete seine Wohnsiedlungen auch als "Wohn- und Lebensankerplatz". Neben der organischen Eingebundenheit seiner Bauten in die umgebende Landschaft und Natur waren Neutra auch die individuellen Wünsche seiner Bauherren wichtig. Für die einzelnen Häuser konnten deshalb wie in einem Baukastensystem die Materialien und Formen der verschiedenen architektonischen Elemente und Ausstattungsgegenstände ausgewählt werden; die Elemente selbst waren jedoch vorgegeben. So konnte bei hoher Individualität ein einheitliches, harmonisches Siedlungsbild entstehen.

Das Siedlungsgrün - öffentliche, halböffentliche und private Freiflächen

Neutra gliederte den Außenraum in ein abgestuftes System aus öffentlichen, halböffentlichen und privaten Bereichen. Als öffentliche Freiflächen sind die Verkehrs- und Straßenräume und die fußläufigen Grünverbindungen anzusehen. Haus und Straße sollten nicht durch die in Deutschland üblichen repräsentativen Vorgärten mit ihren Einzäunungen voneinander getrennt, sondern nach Neutras Vorstellung durch eine offene, parkartige Grünfläche ohne Barriere zum Wohnhaus verbunden werden. Auch in den privaten Bereichen zwischen den Häusern war ein fließender, offener Raum vorgesehen, wie er in den USA bis heute vorherrscht. Gerade dieser Aspekt des nachbarschaftlichen Wohnens konnte sich jedoch in der bundesrepublikanischen Gesellschaft nicht durchsetzen. Dem Bedürfnis nach Abgrenzung versuchte Lüttge in Form von Hecken und Stabgitterwänden Rechnung zu tragen, ohne die Großzügigkeit des Gesamtkonzepts zu gefährden. Er grenzte die Grundstücke zwar durch höhere Bepflanzung und Rankwände gegeneinander ab, aber Zäune im eigentlichen Sinne gab es nicht. Das Bedürfnis nach festen Abgrenzungen des eigenen Heims zum Nachbarn - statt Hinwendung und Öffnung zu einer Gemeinschaft - ist bis heute in der Siedlung Marienhöhe³) wie andernorts ungebrochen und erschwert es oft, den ursprünglichen Geist des Projekts zu wahren oder wieder herzustellen.

Analog zu den Häusern herrschte auch in den Außenräumen die architektonische Ordnung als oberstes Formprinzip. So wie die Innenräume eines Hauses bestimmten Funktionen etwa dem Wohnen, Schlafen, Kochen zugeordnet werden, so wurden auch im Garten verschiedene offene und geschlossene Flächen und Räume sowie sogenannte Wohnhöfe4) angelegt. Diese gliedern sich in einen Einfahrtsbereich mit Garage, den Vorgarten, eine Terrasse, eine zentrale Rasenfläche als Sonnenplatz mit begleitenden Pflanzbeeten, einen Küchenhof, einen Wäschetrockenplatz und einen kleinen Wirtschaftsgarten. Ähnlich wie Neutra für die Gebäude entwickelte Lüttge für die Gärten eine Reihe sich wiederholender charakteristischer Elemente, die zwar individuelle Variationen erlaubten, aber ein einheitliches Gesamtbild garantierten.

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Quickborn, Marienhöhe, Beispiel intensiv gestalteter Stauden- und Rosenbeete mit schwebender Steineinfassung aus Waschbeton heute. Foto: Gudrun Lang
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Quickborn, Marienhöhe, Beispiel intensiv gestalteter Stauden- und Rosenbeete mit schwebender Steineinfassung aus Waschbeton kurz nach der Entstehung. Foto: Otto Rheinländer

Die flachen Haustypen stehen einzeln oder bilden Zweiergruppen. Im Anschluss an die dem großen Wohnraum vorgelagerte Terrasse sind kleine Wohnhöfe entwickelt worden, die pflanzlich außerordentlich intensiv behandelt werden, sodass über das ganze Jahr hinweg ein buntes Gartenbild entsteht. Einzelne Entwürfe enthalten auch flache Vogelbäder oder kleine Pflanzbecken in welchen Wasserpflanzen gut gedeihen. Das Hauptmerkmal dieser kleinen Gärten ist die absolute Intimität und eine Komposition von Pflanzen, die aufeinander abgestimmt den Garten zu einer "festlichen Wohnstube" machen und auch im Winter durch Verwendung von wintergrünen Blatt- und Nadelgehölzen ein vollständiges Bild vermitteln.5)

Charakteristische Elemente und Einbauten

Neutras Häuser greifen mit mannshohen Mauerscheiben als Raumabschluss am Ende der Terrassen in den Garten hinein. Diese bieten neben ihrer Funktion als Sicht- und Windschutz Rankern eine Kletterhilfe. An Stellen, wo solche Mauern nicht vorgesehen waren, ein Sichtschutz aber dennoch notwendig erschien beispielsweise als Abgrenzung zum Nachbargrundstück oder zur Wohnstraße, entwarf Lüttge Rankwände aus Holzstäbchen und Eternitplatten mit und ohne Sitzbank.

Vom Haus ausgehend wurden die befestigten Terrassen und die anschließenden Wegeflächen orthogonal angeordnet. Entsprechend dem Zeitgeschmack kombinierte Gustav Lüttge hellen Waschbeton mit dunklen, anthrazitfarbenen Betonplatten und entwickelte hieraus Streifen- und Schachbrettmuster, Rasterungen aus hellen Platten mit dunklem Feld und umgekehrt dunkle Felder mit hellen Plattenbändern. Der Werkstoff Beton war ein wesentliches Merkmal der neuen, modernen Bauweise von Belägen in den 1960er Jahren.

Alle Gartenräume bekamen eine ruhige, benutzbare Rasenfläche vor der Terrasse, an deren Rändern ursprünglich Pflanzbeete angelegt waren. Haus, Sitzplätze auf der Terrasse und Rasen lagen niveaugleich und waren vom Innenraum einsehbar. Die Gärten bildeten in ihrer Struktur eine absolute räumliche Einheit mit den Wohnräumen. Die konsequente optische Öffnung bedeutete, dass diese voll in den Lebensbereich einbezogen wurden. Mit der Anlage lang gezogener Rasenflächen versuchte Lüttge immer eine Rasenachse zu verwirklichen, die den kleinen Garten in der Diagonale maximal weiten konnte.

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Drei Beispiele verschiedener Haustypen von R. J. Neutra mit dazugehörigen Außenräumen, welche die Verzahnung von Innen- und Außenraum zeigen, gezeichnet von Gustav Lüttge, veröffentlicht in Garten + Landschaft, Heft 1, 1963.
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Kolorierte Zeichnungen von Gustav Lüttge, o.O. um 1960. Die Pfeile markieren die Sichtbeziehungen von Innen-und Außenraum. Bestimmend für das Raumgefühl ist als längste Ausdehnung des Raumes die Diagonale.

Ein immer wiederkehrendes Element stellte das wegbegleitende, über einer Schattenfuge schwebend gesetzte Bord des Stauden- und Rosenbeets dar. Die Beete mit ihrer überwiegend fremdländischen Bepflanzung standen im bewussten Kontrast zu den natürlich wirkenden lockeren Gehölzgruppen und Bäumen6), die an der Grundstücksgrenze angeordnet waren und verschiedene jahreszeitliche Stimmungen zum Ausdruck bringen konnten. Es beginnt, so schreibt Lüttge, mit den ersten Krokussen, Narzissen und Tulpen, setzt sich dann fort mit blühenden Stauden. Den Kernpunkt des Blühens bilden die neuen, vielblütigen Buschrosen, die von Juni bis zum Frost bei leichter Pflege durchblühen. Sie werden in vielen Fällen ergänzt durch teils remontierende Rankrosen (...) und einzelne Blütengehölze, wie japanische Kirschen, Zieräpfel oder die kanadische Felsenbirne. Weiterhin wird die intensive Bepflanzung noch durch Einjahresblumen gesteigert.7)

Eine große Bereicherung für den Garten sah Lüttge in einer offenen Wasserstelle. Vogelbäder und -tränken sind die kleinsten und billigsten Wasserbecken und ein Ort der Naturbeobachtung. Viele schöne Beispiele wurden von Gustav Lüttge gestaltet und auch veröffentlicht.

Entgegen den von Neutra bevorzugten Unterstellplätzen realisierte die BEWOBAU für ihre deutsche Klientel geschlossene Garagen, die an die Baukörper angegliedert wurden. Die Zufahrten zu den Garagen hatten ursprünglich einen Belag aus Kies. Der Kies und die für die sonstigen Beläge verwendeten Waschbetonplatten ergänzen sich sehr schön in ihrer Materialwirkung.

Ausblick

Die Siedlung Marienhöhe von Prof. Richard Neutra stellt im Norden Hamburgs bis heute eine Besonderheit dar. Während in den Vereinigten Staaten von Amerika die "Ikonen" des Stararchitekten Neutras mittlerweile Spekulationsobjekte sind, die zu Höchstpreisen gehandelt werden, reift hier in Quickborn das Verständnis für dieses Erbe erst in jüngster Zeit heran.

Der Umgang mit dem Bestand der Siedlung hat sich seit ihrer Entstehung mehrfach gewandelt. Die erste Generation der Eigentümer kaufte und baute ihre Siedlungsbungalows noch bei der BEWOBAU, weil sie genau diesen "funktionalistischen Stil" und diesen besonderen Haustyp mit seinen Wohngärten schätzte. Diese Eigentümer kannten Prof. Neutra oft noch persönlich oder hatten direkten Kontakt zu Gustav Lüttge. Sie ließen sich bei der gestalterischen Umsetzung individueller Wünsche beraten. Die Altbesitzer der zweiten und dritten Generation, die nicht von Anfang an dabei waren und keine Wertschätzung für die Siedlung mitbringen, sondern sich durch die Unterschutzstellung eher eingeengt und bevormundet fühlen, sind die am schwierigsten zu überzeugenden Bewohner.

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Quickborn, Marienhöhe, Die Wohnterrasse vor dem Wohnzimmer wurde im Verband aus hellen Waschbetonplatten mit dunklen, anthrazitfarbenen Betonplatten, im Streifenmuster verlegt. Foto: Otto Rheinländer
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Quickborn, Marienhöhe, Beispiel eines Reflecting Pools, dieses spiegelt das Haus, einen interessanten Teil der Landschaft oder eine Pflanze mit einem Teil des Himmels wider. Foto: Otto Rheinländer

Glücklicherweise werden die Siedlungshäuser auf der Marienhöhe heute bei neuen Käufern zunehmend als "Liebhaberstücke" nachgefragt. Mit einem halben Jahrhundert Abstand zur Entstehungszeit gilt die Siedlung, in der man sich wie in "Klein-Kalifornien" fühlt, als en vogue. Wir nähern uns also der Wertschätzung, die zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Siedlung in einem Zeitungsartikel prognostiziert wurde: "[...] Diese Häuser werden auch in 50 Jahren nichts verloren haben. Die Handschrift des großen Meisters der Architektur ist zu deutlich in die Zukunft gerichtet, als dass sie einmal belächelt werden könnte. Das klare Bild, die Linie, die Harmonie der verwandten Materialien, das alles wird seinen Wert und seine Schönheit behalten. [...]"8)

Man besinnt sich langsam auf die Qualität des Entwurfsgedankens und schätzt das daraus resultierende Raumgefüge in Zeiten immer gesichtsloser werdender Neubausiedlungen. Diese "Wiedergeburt" der Wertschätzung für die Bau- und Gartenkunst der Moderne eröffnet neue Chancen für die Siedlung Marienhöhe in Quickborn. Dabei kommt der Handreichung die wichtige Rolle zu, den guten Willen der Eigentümer in die richtigen Bahnen zu lenken.

Dipl.-Ing. Gudrun Lang
Autorin

Freie Landschaftsarchitektin, Hamburg

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