Ein Blick auf die brasilianische Metropole São Paulo

Die Wiederentdeckung der Stadträume

von:
Internationale Gärten Stadtklima
Ansicht des Ibirapuera-Parks, gesäumt von Hochhäusern. Der Park, der größte der Stadt, wurde 1954 nach den Plänen von Burle Marx angelegt. Foto: Smaniotto 2011

... Und du warst ein schwieriger Anfang

Ich vertue, was ich nicht kenne

Und wer aus dem Traum einer anderen glücklichen Stadt kommt

lernt schnell Dich als Realität aufzufassen

Weil Du das Gegenteil vom Gegenteil

vom Gegenteil vom Gegenteil bist ...*


... E foste um difícil começo

Afasto o que não conheço

E quem vem de outro sonho feliz de cidade

Aprende depressa a chamar-te de realidade

Por que és o avesso do avesso

Do avesso do avesso...*



Die brasilianische Metropole São Paulo gehört zu den Städten, in denen die Emotionen extrem sind. Auf den ersten Blick ist sie einschüchternd und überwältigend. Man kann nicht sagen, dass die Stadt schön oder angenehm ist, dennoch ist sie es auf ihre eigene Art. Mit 11,2 Millionen Einwohner und 19,6 Millionen in der sogenannte Makrometropole (IBGE 2011) ist São Paulo die größte Stadt Brasiliens und je nach Dateninterpretation einer unter den zehn größten Ballungsräumen der Welt. Benannt zu Ehren des Heiligen Paulus, ist São Paulo vor allem vieles in einem: es ist die wichtigste Industrie- und Handelsdrehscheibe Südamerikas, die Hauptstadt des gleichnamigen Bundeslandes, gilt als die reichste Stadt Brasiliens und übt einen starken Einfluss auf Handel und Finanzen sowie Kunst und Unterhaltungsindustrie weit über ihr Grenzen hinaus aus. Die Makrometropole fasst 153 Städte zusammen, in denen 15,6 Prozent der gesamten Bevölkerung Brasiliens leben, aber auf nur weniger als 0,5 Prozent seines Territoriums werden 27,5 Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts produziert (IBGE 2011).

Lateinamerika und vor allem Brasilien weisen ein außerordentlich hohes Maß an sozialer Ungleichheit auf. Die Städte konzentrieren gleichzeitig Reichtum und gute Beschäftigungsmöglichkeiten sowie eines der schroffsten Gesichter der Armut: das Leben in den Elendsvierteln, in Brasilien Favelas genannt. São Paulo spiegelt diese Disparitäten wider, sie zeigt die rücksichtslose und brutale Segregation einer brasilianischen Großstadt.

São Paulo entstand um 1554 als kleine Siedlung um ein Jesuiten-Kloster und blieb bis zum Ende des 19. Jh. relativ unbedeutend. Sein Aufstieg begann mit dem Kaffeeanbau im westlichen Hochland Brasiliens. Dank seiner günstigen Lage zwischen den Plantagengebieten und dem Exporthafen Santos, boten sich hervorragende infrastrukturelle Voraussetzungen für das Wachstum der Stadt, welches auch durch eine gezielte Einwanderungspolitik, die die benötigten Arbeitskräfte für die Kaffeeplantagen sicherte, gefördert wurde.

São Paulo wuchs im 20. Jahrhundert geradezu explosiv an. Die Bevölkerungszahl stieg von 65.000 (1890) auf 250.000 im Jahr 1900. Bereits 1934 wird die Millionengrenze überschritten und bis 1950 verdoppelte sich die Stadtbevölkerung. Um 1960 wird die 5-Millionengrenze erreicht und wuchs auf 8,4 Millionen im Jahre 1970 (IBGE). Nicht nur die Binnen- sondern auch die Einwanderung aus dem Ausland spielt hierbei eine große Rolle und ist ein sehr wichtiger Faktor der demographischen Zusammensetzung, Struktur und Geschichte der Besiedlung Brasiliens. Das Land wurde im Laufe seiner Geschichte Heimat für einen der größten Einwandererströme. Um die Jahrhundertwende sollen bereits ein Drittel der Einwohner São Paulos italienischen Ursprungs sein, ferner auch die erste große japanische und libanesische Gemeinde außerhalb der Ursprungsländer. Zudem gilt São Paulo als die größte deutsche Industriestadt. Kaum ein deutsches Großunternehmen unterhält hier nicht eine Niederlassung und es werden sogar jeweils mehr Arbeitnehmer als in Deutschland beschäftigt (CBA).

Kaffeeverarbeitung und -export ließ die Stadt zum Kern der brasilianischen Wirtschaft werden. Diese Position wurde mit der Industrialisierung ab den 1950er Jahren gefestigt, was wiederum auch Arbeitskräfte aus den verschiedenen Regionen des Landes anzog, so dass São Paulo auch ein Verschnitt von Brasilien wurde. Sampa, wie die Stadt liebevoll genannt wird, ist eine kulturell vielfältige, eine pulsierende, dynamische und kosmopolitische Metropole. Doch inmitten der grauen Betonbauten gibt es auch Oasen wie quirlige Ausgehviertel oder ruheversprechende Stadtparks.

Eine Stadt im Dauerstau

In einem derart außerordentlich dynamischen Verstädterungsprozess, einhergehend mit eklatanten Versäumnissen der Politik, einer unzulänglichen Verwaltung und einem übermächtigen Einfluss des Immobilienmarkts, werden viele Grundbedürfnisse weitgehend nicht gedeckt: es fehlt an erschwinglichem Wohnraum, einer ausreichenden Trinkwasserversorgung und Abwasserbehandlung und gutem und bezahlbarem Nahverkehr.

São Paulo ist eigentlich ein diffuses, großräumiges Gebilde mit mehreren Zentren und einem Nebeneinander von Extremen. Seine Stadtstruktur beherbergt eine Vielzahl von Einheiten unterschiedlicher Größe, Dichte und Formen, in denen Reichtum und Armut dicht bei einander liegen. So grenzen hochverdichtete Wolkenkratzerviertel an dorfähnliche Quartiere, alte verschmutzte Industrieareale an hochmoderne High-Tech-Produktionsanlagen.

Für Neto und Shirahige (2008) gilt São Paulo als ein beispielhafter Ausdruck des Paradigmas konsumorientierter Zivilisation: die Fahrzeugflotte soll die weltweit zweitgrößte sein, übertroffen nur von Tokio, sie wächst achtmal schneller als die Bevölkerung. Die Stadt, die unter der Ägide der Automobilindustrie zu einer Megametropole wuchs, lebt mit chronischem Verkehrskollaps und im Dauerstau. Das bisherige Mobilitätmodell der Stadt, auf das Auto zentriert, führt (und man nimmt dieses in Kauf) zu hohen sozialen Kosten und zu einer Art negativer Externalität (wie man in der Verkehrswirtschaft die Kosten nennt, die nicht direkt dem Verursacher, sondern Dritten oder der Gesellschaft angelastet werden): Luftverunreinigung, Zeitverschwendung, Stress, Gesundheitsschäden, Lärmbelästigungen, Unfälle, Behinderungen der anderen Verkehrsarten und Mangel an öffentlichen Freiflächen. Neto und Shirahige (2008) meinen hierzu, dass São Paulo seinen öffentlichen Raum zu Gunsten des Autos aufgab und damit seine Seele verlor.

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Blick über die Stadt – im Vordergrund der Park Dom Pedro II, der durch Verkehrsinfrastruktur zerstückelt wird. Foto: Smaniotto 2011

Ein unkontrolliertes Wachstum über mehrere Jahrzehnte verschärft Verzerrungen und entlarvt eine Art Symbiose zwischen dem Prozess der Stadtproduktion und der Unausweichlichkeit dieses Mobilitätmodells. Trotz verbreiterter Straßen, protzigen neuen Brücken, Schnell- und Hochstraßen funktioniert es nicht: der Stadtverkehr ist zu einem Alptraum der Paulistanos (Einwohner der Stadt) geworden, die viele Stunden ihres Lebens im Stau verbringen. Geschätzt gehen jährlich 316.000.000 Stunden im Stau verloren. Die Durchschnittsgeschwindigkeit des Verkehrs nimmt ständig ab, von 30 km/h (2007) auf 25 km/h (-16,6 Prozent, 2010). In den Rushhours ist diese im gleichen Zeitraum von 17 km/h auf 15 km/h (-11,7 Prozent) gesunken. Sogar ein Pferdegespann wäre schneller unterwegs. Die U- und S-Bahn-Netze sind sehr bescheiden im Vergleich zur Ausdehnung des Siedlungsraumes und wachsen nur sehr langsam.

Der Raum wird knapp und damit auch die Möglichkeiten, den Autos mehr Platz zu widmen. Der Ausbau von Schnell- und Hochstraßen durch das Siedlungsgeflecht hindurch wird zunehmend schädlicher für die Gesamtstadt. Damit werden unüberwindbare Schneisen geschaffen, die die Stadtviertel trennen, mit allen negativen Folgen.

Zunehmend wird es auch für Autofahrer schwierig. Um zumindest die Anzahl der Autos auf den Straßen zu verringern, hat die Stadt ein Rotationsystem eingeführt, nach dem jedes Fahrzeug einen Tag pro Woche aussetzen muss. Viele umgingen diese Einschränkung, in dem sie sich einfach ein zweites Fahrzeug anschafften. 2008 wurde der Lkw-Verkehr in der erweiterten Innenstadt stark eingeschränkt und heute wird über eine Mautgebühr nach Londoner Modell nachgedacht. Aber solange diese restriktiven Maßnahmen nicht mit einer Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs einhergehen, wird kaum weitgehender Erfolg zu verbuchen sein.

Die Straße als Verbindungselement wird monofunktionell benutzt, büßt an Aufenthaltsqualitäten ein. Diese verarmte Stadtlandschaft prägt damit in besonderer Weise die Wahrnehmung der gesamten Stadt. Mit der Abnahme von Lebensqualität und dem unverhältnismäßig langem Transport von Waren und Personen wird die Stadt immer weniger attraktiv für dynamische Unternehmen und qualifizierte Arbeitskräfte.

Die Realität ist, dass das Entwicklungsmodell der Stadt die Nutzung des Autos fördert und den Verbrauch von großen Flächen in Kauf nimmt, öffentlich wie privat, und nicht den Bedürfnissen der Bevölkerung nach Mobilität nachkommt. Mit dem Ziel, den Mobilitätsplan São Paulo 2040 aufzustellen, wird in diesem Moment die Frage nach der (i)Mobilität in der Stadt angeregt diskutiert und über Alternativen nachgedacht. Ein Mobilitätsmodell zu ändern ist ein langer Prozess und verlangt eine vertiefte Reflexion über das gesamte Verständnis von der Stadt.

Cidade Limpa - ein Kampf an mehreren Fronten

Um die Licht- und Visual-Verschmutzung in den Griff zu bekommen trat am 1. Januar 2007 das sogenannte Gesetz für die saubere Stadt (Lei Cidade Limpa) in Kraft, ein Gesetz, dass die Außenwerbung in der Stadt reguliert. Seitdem sind alle Plakate, Banner, Großflächenwerbung, Pylone, Gebäudebeschriftungen und anderes verboten und mussten bis September 2007 entfernt werden. Als Alternative blieb die Möglichkeit, das öffentliche Stadtmobiliar wie Bushaltestellen, öffentliche Werbetafeln und Straßenschilder zu verwenden. Dieses Gesetz wurde sehr polemisch und heiß diskutiert. Man sprach von einer Rückkehr in die Dunkelheit und Fotoserien mit Vorher-Nachher-Bildern kursierten reichlich im Internet. Die Werbung aus dem Stadtbild zu verbannen war auch ein gewagter Schritt, denn São Paulo hat sich international als eine Stadt der Werbung etabliert. Dieser kreative Wirtschaftszweig verbucht 3,5 Prozent der Arbeitsplätze und verzeichnete zwischen 2006 und 2009 einen Zuwachs von 9,1 Prozent, gegenüber einer generellen Wachstumsrate der Beschäftigung von 8,3 Prozent (Fapesp 2008). Die kreative Wirtschaft ist wichtig für die Stadt, nicht nur für die Kapazität neuer Arbeitsplätze, sondern auch für deren Qualität (bessere Ausbildung und bessere Vergütung).

Die Entfernung der Außenwerbung hat neben einer radikalen Gesichtsveränderung der Stadt allerdings ein anderes Problem bloßgelegt: durch die Verblendung etwa durch Werbetafeln sind die Fassaden vieler Gebäude nicht instand gehalten worden und bieten nun "nackt" ein eher desolates Bild.

Auch der Umgang mit Einkaufstüten aus Plastik wandelt sich jetzt. Was in Deutschland seit langem verbreitet ist, wurde erst Ende Januar 2012 mit dem Inkrafttreten eines Gesetzes radikal verändert: das Verbot von kostenloser Bereitstellung von Plastik-Einkaufstüten in jedwedem Geschäft, von den großen Hypermärkten bis zum Tante-Emma-Laden. Diese müssen nun biologisch-abbaubare Tragetaschen zum Verkauf anbieten. Mit dieser Maßnahme zielt man auf eine Reduzierung von Umweltbelastungen und einen Wechsel im Konsumverhalten der Bürger ab. Diese Maßnahme wird vehement von Umweltgruppen unterstützt, aber auch sehr kontrovers diskutiert.

Die Versorgung mit Frei- und Erholungsräumen

Die Fachdiskussion um Freiräume in São Paulo - und generell in Brasilien - ist sehr jung und entfaltet sich besonders seit den 1980er Jahren. Ein Pioniereinsatz wird Prof. Felisberto Cavalheiro (1945-2003) zugeschrieben, der in Hannover promoviert hat (Nucci, Valaski (2009). Diese Autoren liefern auch in ihrem Artikel eine gute Übersicht über die Auseinandersetzung mit Freiraumentwicklung in Brasilien.

Die Situation in São Paulo ist durch seine Größe, Dichte und Dynamik besonders kritisch. Die rasante Urbanisierung ließ fast keine Freiflächen im Stadtgebiet übrig, dies führt zwangsläufig zu einer schlechten Lebensqualität und der Zerstörung von wichtigem Lebensraum für Flora und Fauna. Die heute noch verbliebenen Freiflächen sind extrem von Immobilienspekulation bedroht. Hinzu kommt die Tatsache, dass im öffentlichen Freiraum auch Platz für Einrichtungen der Stadtverwaltung oder Kulturbauten gefunden werden muss, da die Stadt selbst kaum eigenen Grund besitzt. Dies wird in den folgenden beschriebenen Projekten deutlich.

Bei einem Besuch beim Amt für Parks und Grünflächen der Stadt wurden erarbeitete Rechnungsmodelle für die Ermittlung der Freiraumsituation und vor allem für den Bedarf präsentiert. Dazu sind verschiedene Versorgungskarten mittels GIS verfasst worden. Die Ergebnisse sind immer sehr ernüchternd, egal welche Bevölkerungsdaten oder Planungsgebiete zugrunde gelegt wurden. Außer in den Randgebieten um die vorhandenen Grünflächen herum sind die Ergebnisse dramatisch negativ. Diese rein quantitative Beurteilung, ob ausreichend Freiräume vorhanden sind, ist prinzipiell nachvollziehbar. Dennoch lässt die Nicht-Berücksichtigung von Qualitätsfaktoren wie Erreichbarkeit, Nutzbarkeit oder stadtökologischen Wirkungen, deren Ermittlung einen hohen Aufwand darstellt, ein verzerrtes Bild entstehen.

Laut des Städtischen Barometers für Lebensqualität (Observátorio), kann São Paulo nur 5,6 Quadratmeter Grünfläche pro Einwohner zur Verfügung stellen. Diese unzureichende Grünversorgung wird noch durch eine sehr unausgeglichene Verteilung im Stadtgebiet verschärft. Während die großen Stadtparks und Schutzgebiete, die den Gesamtdurchschnitt erhöhen, sich eher in den Randregionen befinden, erreicht der Wert in mehr als einem Drittel der Stadtbezirke unter einem Quadratmeter pro Einwohner. 24 Prozent des Stadtgebietes befinden sich unter verschiedenen Schutzarten, darunter drei Nationalparks, die insbesondere im Osten an den Atlantischen Regenwald grenzen. Wegen der Art der Eingliederung in die Stadt sind die Grünflächen als Erholungsräume für die meisten Stadtbewohner unzureichend und/oder zu weit vom Wohnort entfernt. Kinder und Jugendliche müssen gefährliche Straßen zum Spielen im Freien benutzen.

Dennoch verfügt die Stadt über kostbare Oasen, wie den Ibirapuera-Park. Diese grüne Lunge gehört mit 1,584 Quadratkilometern zu einem der größeren Naherholungsorte der Stadt. Er entstand in den 1950er Jahren auf einem Sumpfgelände und trägt die Unterschrift von Burle Marx und Otavio Mendes. Eine andere Oase ist der Trianon Park, der inmitten des Finanzzentrums ein kleines Überbleibsel (8600 Quadratmetern) des Regenwaldes schützt.

In den vergangenen 20 Jahren elf neue Parks

In den vergangenen 20 Jahren konnte die Stadt elf neue Stadtparks einweihen. Aber politische Prioritätensetzung, knappe finanzielle Ressourcen und Mangel an neuen verfügbaren Flächen in der konsolidierten Stadtstruktur machten das Vorhaben zu einer großen Herausforderung. Aufgrund der desolaten Situation ist jeder neue Freiraum ein enormer Gewinn für die Bewohner und für die Stadtökologie. Um auch den sozialen Zusammenhang und den sozialen Frieden zu fördern, muss die Stadt neue Wege gehen und diese machen neue Freiräume interessant.

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Verschiedene Informationstafeln erklären die Einzigartigkeit des Platzes und laden zur Reflexion über das Gelände, seine Geschichte und die Stadtflora ein. Foto: Homero Kajita 2012

Victor-Civita-Platz

Der Victor-Civita-Platz, benannt nach dem Gründer eines Verlagsimperiums in Brasilien, liegt im reichen westlichen Stadtteil Pinheiros. Dieser Stadtteil unterliegt seit den 1980er Jahren einem starken Wandel von einem historischen Wohngebiet zu einem Nobel-Geschäftsviertel, wo viele auch internationale Konzerne ihre Niederlassungen haben.

Dieser Platz, der eher einem kleinen Park entspricht, ist das Ergebnis einer Partnerschaft zwischen dem Verlagskonzern und der Stadtverwaltung. Die Geschichte des Platzes beginnt bereits 1997, als der Verlag seinen neuen Hauptsitz gegenüber bezog. Seit 1949 stand hier eine Müllverbrennungsanlage, nach deren Aufgabe 1989 lag das Gelände brach, ein Teil des Geländes wurde noch bis 2006 als Zwischenlager für recycelte Wertstoffe benutzt. All dies bot den Mitarbeitern des Verlages nur den traurigen Anblick einer verwahrlosten Ruine.

Auf Ansporn des Verlags sollte sich die Stadt um das verwahrlose Gelände kümmern. Die Müllverbrennung hinterließ stark belasteten Boden (Dioxin und Schwermetalle). Die Beräumung und Dekontaminierung der Anlage konnte die Stadt sich noch leisten, aber eine vollständige Untergrundsanierung war zu kostspielig. Dieses schränkt die Möglichkeiten einer Folgenutzung der Fläche ein. Nach Vorstellung des Verlages sollte hier ein neues Theater entstehen. Die Stadt allerdings verfolgte dort das eigene Ziel, den Grünflächenanteil und die sozialen Einrichtungen im Stadtteil zu erhöhen. Hierfür musste man mit einem neuen Konzept kommen.

Das Gelände mit einer Fläche mit 13 648 Quadratmetern, bietet Platz für ein breites Bildungsprogramm mit Kursen, Vorträgen und Workshops zum Thema Umwelt, eine Freilichtbühne für 250 Personen, Outdoor-Fitnessgeräte und eine Seniorentagesstätte.

Das Kooperationsprotokoll wurde bereits 2001 unterschrieben, aber wegen der komplizierten Ausgangslage, Interessenkonflikten und kaum vorhandenen Erfahrungen im Umgang mit Dekontaminierung und Folgeschäden dauert es bis 2006, bis sich etwas bewegte. Erst im November 2008 konnte der neue Platz der Öffentlichkeit übergeben werden. Die Idee konnte nur verfolgt werden, weil sie bereits im ersten Memorandum of Understanding (Vereinbarung) verankert war, was den Architektinnen anzurechnen ist. Diese Art Kooperation (für ein Eingreifen in den öffentlichen Raum) stellt ein Novum in Brasilien dar. Der Verlag hat weitere Sponsoren gewinnen können und mit diesen zusammen die gesamte Finanzierung des Projektes übernommen. Ein dafür gegründetes Kulturinstitut übernahm die Pflege und Unterhaltung des Platzes, der öffentliche Zugang bleibt dennoch gewahrt.

Die ersten Entwürfe gehen bis 2001 zurück und tragen die Unterschrift der Architektinnen Adriana Blay Levisky und Anna Julia Dietzsch und des Landschaftsarchitekten Benedito Abbud. Im Anforderungskatalog der Stadt stand der Erhalt aller vorhandenen Bäume sowie das Sicherstellen, dass die zukünftigen Nutzer keinen Hautkontakt mit kontaminierten Flächen haben. Es sollte auch ein stärkeres Angebot für Jugendliche und Senioren berücksichtigt werden. Vom Verlag gab es Vorgaben, die Möglichkeiten für die Ausrichtung von Veranstaltungen mit einzuplanen.

Die Ideen der Architektinnen überzeugten beide Kooperationspartner, da sie nicht mit einem "klassischen" Gestaltungsplan daher kamen, in dem die Altlastenproblematik unter einer neuen Oberbodenschicht versteckt war, sondern sie legten ein Programm für die Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Kontaminierung des Ortes vor. Sie verwenden das Projekt als Instrument zur Enthüllung des Problems und um zum Nachdenken anzuregen. Der Platz ist ein Raum für Reflexion, Inspiration und Information zu Umweltfragen und Stadtgeschichte.

Das Programm umfasst zwei unterschiedliche Arten von Aktivitäten mit entsprechender Ausstattung. Die erste steht im Zusammenhang mit einer "konventionellen" Grünfläche, mit Räumen zum Verweilen und Erholen, Spazieren und Joggen, die zweite steht für Aktivitäten und Einrichtungen für Umweltbildung und Kultur, wie das Amphitheater und eine Art Freilichtmuseum, der Nachhaltigkeit gewidmet. Ein Lehrpfad bringt den Besucher an Informationen über nachhaltige Technologien, Systeme für Wiederverwendung von Wasser, Solar- und Bioenergie, Dekontaminationsverfahren für Boden und Grundwasser sowie Informationen über die Geschichte des Ortes.

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Die Holzdecke überzieht den Victor-Civita-Platz – sie bildet zugleich den Zutritt und Aufenthaltsräume – die hohen Brüstungen verhindern den direkten Kontakt mit dem kontaminierten Boden. Foto: Homero Kajita 2012
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Die überdachte Freilichtbühne bildet den Mittelpunkt des Platzes. Foto: Homero Kajita 2012
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Verschiedene Teilräume bieten Platz für (Umwelt)Bildung und sportliche Aktivitäten, wie hier für eine Yogagruppe. Foto: Homero Kajita 2012

Das Hauptelement der Gestaltung ist ein Holzdeck aus verschiedenen brasilianischen Holzarten, das schräg über den ganzen Platz verläuft. Dieses dient sowohl zum Schutz der Besucher gegen den direkten Kontakt mit dem kontaminierten Boden, als auch dazu, das Gelände zu gliedern. Alle Pflanzenflächen sind auf Stelzen über eine Teichfolie gebaut und damit isoliert vom kontaminierten Boden. Diese Folie dient auch als Retentionsfläche für die Bewässerung. Die Stelzen sind mit Kokosfaser gefüllt, was durch Kapillarwirkung die Versorgung der Pflanzen sichert. Zusätzliche Elemente sind Pflanzgefäße, Dachbegrünung, ein Kompostierungsbereich (Veranschaulichung des Kompostierungsprozesses) und ein Gemüsegarten für Schulaktivitäten. Die Bepflanzung dient pädagogischen Zielen - so wurden Pflanzen mit therapeutischem Charakter oder für Bioproduktion verwendet. Vertikale Gärten bedecken die kahlen Wände.

Seit 2010 wird der Platz vom neu gegründeten Freundeskreis unterhalten, dem auch andere Unternehmen und Anrainer angehören. Der Victor-Civita-Platz stellt ein einzigartiges Angebot dar: neben einer klassischen öffentlichen Grünfläche wird ein umfangreiches Kultur-, Sport-, Freizeit- und Bildungsprogramm kostenlos angeboten. Mit der Neugestaltung des Platzes gewinnt die Stadt, sie erhält quasi kostenlos eine neue Grünfläche, genauso gewinnt der Verlag, der den Vorteil eines begrünten und damit angenehmen Platzes vor der Haustür hat und sein Sozial- und Umweltengagement demonstrieren kann.

Parque da Juventude - Park der Jugend

Dieser Park mit insgesamt 300.000 Quadratmetern ist ein Komplex, der Grünflächen, Schulen und eine Bibliothek beinhaltet. Das Gelände liegt im nördlichen Stadtteil Carandiru und ist historisch durch Gewalt und Menschenrechtsverletzungen geprägt. Vom 1956 bis 2002 stand hier die nach dem Stadtteil benannte berüchtigte Justizvollzugsanstalt. Diese war einst das größte Gefängnis in Lateinamerika und ein Ort der Gräueltaten wie unter anderem das Massaker vom Oktober 1992, bei dem 111 Gefangene auf noch ungeklärte Weise ums Leben kamen.

2002 wurde ein großer Teil des Gefängnisses abgerissen und die Fläche in einen Park für die Jugend umgewidmet. Der Park liegt inmitten eines Stadtteils mit zwar nur wenigen Erholungsmöglichkeiten aber guter Verkehrsanbindung. Seit der Eröffnung 2003 erfreut sich der Park großer Beliebtheit mit im Durchschnitt 50.000 Besucher pro Woche.

Bis heute konnten nur zwei Drittel der vorgesehenen Fläche für den Park umgestaltet werden. Das restliche Gelände wird immer noch als Frauengefängnis genutzt. Bereits 1999 wurde ein Wettbewerb für die Gestaltung des Geländes ausgeschrieben. Als Sieger ging das Architekturbüro Aflalo & Gasperini zusammen mit dem Büro der Landschaftsarchitektin Rosa Grena Kliass, beide aus São Paulo, hervor. Das Bauprogramm sah neben der neuen Grünfläche Neubauten für eine Stadtbibliothek und eine neue Berufsschule vor. Aus Kliass Konzept kam die Idee, das Gelände in drei Bereiche zu gliedern, einen für Sportanlagen, der zentraler Bereich als Park und der institutionelle Bereich mit Neubauten. Die Landschaft verbindet diese drei Bereiche miteinander - dennoch erfährt jeder seine eigene Gestaltung. Jeder Bereich soll autonom funktionieren. Diese Aufteilung wurde auch für die Bauphasen benutzt. Die Sportanlagen wurden im September 2003 und der Park ein Jahr später der Bevölkerung übergeben. Im Januar 2007 kamen die Bibliothek und Berufsschule hinzu.

Für die Gestaltung des Parks, mit 95.000 Quadratmetern Grundfläche, greift Kliass auf ein reiches Repertoire an Rasen- und Wiesenflächen zurück. Gärten, Haine, Alleen mit Obst- und Ziergehölzen und das im Park integrierte Überbleibsel des Atlantischen Regenwaldes (16.000 Quadratmeter) wechseln sich ab und bieten Räume für vielfältige Nutzungen wie Spielplätze, ein offener Raum für Konzerte und Veranstaltungen, ein ökologischen Lehrpfad, Wander- und Joggingrundwege.

Vorgabe war auch noch, vorhandene historische Bezüge wie eine 600 Meter lange Mauer und die Reste der Gefängniszellen in die Parkgestaltung einzubeziehen. Die Mauer wurde als Kletterwand umgestaltet und die bestehenden Strukturen wurden mit einem Wandelgang überbaut. Wo einst Wachen die Gefangen beobachteten, wird nun eine andere Aussicht geboten.

Der Park besteht aus einem reichlichen Angebot an Erholungs- und Sportaktivitäten für alle Altersgruppen. In der Bibliothek besteht etwa die Möglichkeit kostenlosen Internetzugangs oder sich Hilfe und Tipps über Computer zu holen. In den Sportanlagen können Sportgeräte zum Teil kostenlos ausgeliehen werden. Der Park ist auch Teil eines Projekts für Umweltbildung für Jugendliche - daher der Name des Parks. Geführte Wanderungen und Informationsveranstaltungen über Fauna und Flora sowie Umweltschutz und -verhalten runden das Programm ab.

Der Parque da Juventude hat nachhaltig die Landschaft des nördlichen São Paulo verändert. Er ist nun eine Referenz und ein wichtiger Baustein für das Funktionieren und das Miteinander in der gesamten Stadt geworden.

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Aufsicht auf den Park der Jugend, im Vordergrund der institutionelle Bereich mit Neubauten für eine Berufsschule und Bibliothek. Foto: Homero Kajita 2012
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Die einstigen Gänge, von denen aus die Wachen Gefangene beobachteten, bieten nun eine andere Aussicht auf den Park. Foto: Homero Kajita 2012
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Outdoor-Fitnessgeräte erweitern das Angebot des Parks. Foto: Homero Kajita 2012
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Im Park werden zahlreiche Sportmöglichkeiten, teilweise unter professioneller Anleitung, angeboten. Foto: Homero Kajita 2012

Fazit

Von São Paulo hört man nicht viel und selten Gutes. Dennoch passiert Vieles in der Stadt - und nicht nur negatives - wie die hier angerissen Projekte zeigen. Sie sind Beispiele, die sich durch deren Umsetzung inmitten einer unfreundlichen Umwelt hervorheben.

Die schnell wachsende Bevölkerung und der zunehmende Flächenbedarf für den Verkehr führen zu einer weiteren Verdichtung der Stadt. Dabei gehen Freiflächen verloren, welche einen großen Beitrag zur Lebensqualität leisten könnten. Trotz der wirtschaftlichen Leistungskraft ist São Paulo durch ernsthafte Ungleichheiten gekennzeichnet, diese zeigen sich besonders deutlich in der Umweltsituation und in der Grünflächenversorgung. Seit Jahrzehnten ist São Paulo durch rasantes Wachstum gekennzeichnet, dieses wird aber auch von Verfallen und Verlassen begleitet. Kontrast ist eine der faszinierendsten Facetten der Stadt, hier müssen Projekte als Brücke die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Extreme vereinen. So definieren sich die neuen Grünflächen nicht nur als Erholungsraum, sondern es geht die Verbesserung der städtischen Umwelt gleichzeitig mit einer Erhöhung der Bildungsangebote und sozialem Zusammenhalt einher. Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit sind wesentliche Bausteine aller Grünprojekte der Stadt.

Die hier beschriebenen Projekte werden auch als Lerneffekt verstanden. Somit dient jeder Erfolg, auch der kleinste, als ein beispielhafter Schritt in Richtung eines nachhaltigen Wandels. Dennoch, was São Paulo wirklich braucht, ist eine effizientere Umsetzung von Projekten, die alle verschiedenen Sektoren unter Berücksichtigung der Mobilität integriert. Momentan wird der Strategische Entwicklungsplan São Paulo 2040 - die Stadt, die wir wollen öffentlich diskutiert. Diese strategische Orientierung kann positive Signale setzen.

*Abschnitt des Liedes "Sampa" von Caetano Veloso, der als Neuankömmling in der Stadt 1978 poetisch die Andersartigkeit von São Paulo preist.


Literatur und Anmerkungen

CBA - Câmara Brasil-Alemanha, www.ahkbrasil.com, 10.05.2012.

EPUSP Escola Politécnica da Universidade de São Paulo (2012): O custo de uma vaga na garagem. www3.poli.usp.br, 15.03.2012.

Guerra, Abílio; Aline Alcântara Silva (2011): Conversa Com Anna Julia Dietzsch. Praça Victor Civita - Museu Aberto da Sustentabilidade. Projetos, São Paulo, 11.126, Vitruvius, Jun 2011, Http://Www.Vitruvius.Com.Br/Revistas/Read/Projetos/11.126/3946, 14.02.2012.

IBGE - Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (2010): Senso População 2010, www.ibge.gov.br/, 08.02.2012.

IBGE - Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (2010): Censos Demográficos 1960-1991, 08.02.2012.

Kliass, Rosa Grena (1993): Parques Urbanos de São Paulo e a sua evolução na cidade. Ed. Pini. São Paulo.

Mello-Théry, Neli (2011): Conservação de áreas naturais em São Paulo. In: Estudos Avançados, vol.25, n.71, 175-188.

Neto, Manoel; Flávio Shirahige (2008): Para que as cidades ressuscitem. portalmultirio.rio.rj.gov.br/sec21/chave_artigo.asp, 27.03.2012.

Nucci, João Carlos, Simone Valaski (2009) Freiräume gleich unbebaute Räume? Ein bedeutsames Konzept für urbane Landschaftsplanung in Brasilien. In: Stadt und Grün, 10, 41-53.

O Estado de São Paulo: São Paulo 1/4 da área construída é dos carros. www.estadao.com.br/noticia_sp-14-da-area-construida-e-dos-carros, 30.03.2012.

Prefeitura da Cidade de São Paulo, Secretaria Municipal de Desenvolvimento Urbano: Prefeitura anuncia plano de revitalização para a região do Parque Dom Pedro II. www.prefeitura.sp.gov.br/cidade/secretarias/desenvolvimento_urbano, 15.02.2012.

Prefeitura da Cidade de São Paulo: Velocidade Média no Trânsito. ww1.prefeitura.sp.gov.br/portal/a_cidade/organogramas/índex, 15.02.2012.

Rodrigues, Carla (2011): A economia criativa pode ser a nova forma de mudança no perfil da produção das cidades. In: Pesquisa Fapesp 187, 88-92.

São Paulo, aonde iremos parar? In: Ecologia Urbana, 2007, São Paulo.

Smaniotto Costa, Carlos (2007): Ökonomische Argumente für Grünflächenentwicklung. In: Stadt und Grün 2, p.13-19.

Observatório, Análises Comparativas, Nossa São Paulo. www.nossasaopaulo.org.br/observatório, 17.06.2012.

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Dr. Carlos Smaniotto Costa
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Universidade Lusófona, Interdisciplinary Research Centre for Education and Development- CeiED

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