Belgrads Stadtmassiv

Durch Maß und Regel erst entsteht Europas Stadtraum

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Geschichtssuche und Alltagsgegenwart in Belgrad. Foto: Dirk Manzke
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Alte Kähne, umgerüstet zu schwimmenden Restaurants am Donauufer. Foto: Dirk Manzke
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Improvisierende Kleinanbieter im Rücken der großen Einkaufsmeilen. Foto: Dirk Manzke

Belgrad, die Hauptstadt der jungen Republik Serbien, schimmert und schlummert zugleich. Neben Bukarest, Zagreb, Tirana oder Podgorica gilt sie als eine der großen, unbekannten Bekannten Ost- und Südosteuropas. Wo Save und Donau ineinanderfließen, schiebt sich einer Zäsur gleich die alte Festung mit ihrem Kalemegdan-Park gegen die Ufer. In den umliegenden Anhöhen und Niederungen weitete sich die Besiedlung etwa seit dem 7. Jahrhundert und verfestigte sich zu einer unverwechselbaren Stadtform zwischen mehreren Kulturen, die bis heute in Fragmenten noch ablesbar sind. Belgrad nahm eindringliche Gesten der Moderne in sich auf, ertrug den gewaltigen Entwicklungsschub im sozialistischen Jugoslawien. Nun aber droht diese Stadt sich räumlich zu verflüssigen und in ihrer widerspruchsreichen und zugleich geplanten Dimensionierung entstellt zu werden.

Vorweggenommen: Es geht hier nicht darum, "den Typus der historischen europäischen Stadt auch als Muster für die Zukunft zu retten...".1 Vielmehr geht es um eine gelenkte Balance der Dimensionierung von Absicht, Beteiligung, Planung, Nachhaltigkeit und Angemessenheit mit dem Ziel, nicht "eine restaurative Stadtauffassung"2 europäischen Zuschnitts zu entwickeln, sondern globale Rauminvestitionen mit lokalen Kontexten zusammenzuführen. Erinnert wird an das europäisch Sinnvolle, das in der globalen Totale unterzugehen droht. Es verdient größte Aufmerksamkeit, wenn eine der wunderbaren südosteuropäischen Städte nach Maß einer Laune zugerichtet werden könnte, ohne dabei die besten Kenntnisse europäischer Stadtentwicklung aufzurufen. Es ist an der Zeit, sich grundlegend der humanen Tradition des europäischen Städtebaus zu erinnern. Schon "in den mittelalterlichen Kommunen war Städtebau (die) ... Förderung von Gemeinschaftsinteressen. Eine detaillierte Gesetzgebung beschnitt generell die Rechte privater Bauherren, um öffentlichen Bauwerken, vorrangig den Straßen, die Priorität vor Partikularinteressen zu sichern. Der Erfolg war durchschlagend: Innerhalb weniger Jahrzehnte entstanden in Siena und Florenz geordnete Stadträume, die hygienische und verkehrstechnische Standards setzten, aber auch zum innenpolitischen Faktor wurden, weil sie wesentlich zur Disziplinierung rivalisierender Eliten beitrugen."3 Solch erfahrungsgesättigtes Wissen darf nicht aufgegeben werden.

Gegenwart in Südosteuropa

Mit Blick auf ein Europa sich annähernder Interessendurchsetzung in noch nicht gemeinsamer Symbiose und unter dem Druck globaler Städte-Verähnlichung kommen mit EU-Kandidat Serbien und Belgrad subtile Perspektiven in den gesamteuropäischen Städtebau. Noch ist in südosteuropäischen Regionen die Geschichte nicht ins Lehrbuch politischer Illusionslosigkeit abgelegt. Vieles brodelt, ist unabgeschlossen, kann emotional aufgeladen auf die Straße treten. Demokratie, nach sinnlosen Diktatur- und Kriegsjahrzehnten einmal vor gut 15 Jahren als Orientierung aufgegriffen, ist mit spannungsreichen und widersprüchlichen Erfahrungen durchsickert. Ermutigung und Enttäuschung drohen unreflektiert ineinander verschränkt die Chancen eines integrierenden Europas zu verwirken. Wer aufmerksam nicht nur durch ein europäisches Stadtzentrum geht, sondern die Peripherie aufsucht, der muss angesichts explodierender Armut, Ausgrenzung und Ungleichverteilung spüren, dass wir von einem Jahrhundert gewaltfreier Souveränität entfernt bleiben könnten. In den letzten beiden neoliberal an Effizienz wütigen Machenschaftsjahrzehnten konnte Demokratie in Osteuropa nur schwer und zweifelhaft vermittelt werden. Das Geschehende ließ sich kaum mit dem abgleichen, was erhofft wurde. Gerade der Balkan dürfte so als in die Gegenwart transformierter Historienraum ein Abbild von aufblühender Hoffnung und jäher Verzweiflung sein.

Stigma Ost

Wege zu demokratischen Verhältnissen fern aller Ressentiments sind kompliziert. Ein 2014 bekannt gewordener Fußball-Eklat in Belgrad muss als Beispiel unverarbeiteter Vergangenheit gelesen werden: Ein Mann lenkte eine Drohne mit einer Fahne, auf dem die Umrisse Großalbaniens zu sehen waren, auf das Fußballfeld des EM-Qualifikationsspiels Serbien gegen Albanien. Damit wurde der noch immer schwelende Kosovo-Konflikt erneut anschaulich.4 Oder eine andere Nachricht: Ein deutscher Homosexueller wurde in der Belgrader Innenstadt von einer Gruppe junger Männer angegriffen und lebensgefährlich verletzt.5 So verstärkt sich das Stigma Ost als konfliktgeladene, unsichere Region. Das voreingenommene Bild zurückgebliebener Städte und Lebensformen findet mehr Verbreitung als die Lust, sich in das Innova-tionsvermögen osteuropäischen Denkens und Handelns hinein zu versetzen. Improvisation etwa ist in Belgrad kein notorischer Förderprogrammpunkt, sondern gelebter Alltag und oft Existenzgrundlage. Das ist ermutigend. Und doch: Auf bessere Zeiten hoffend, schwankt Serbien und die 1,4-Millionen-Stadt Belgrad zwischen Nationalismen und europäischer Öffnung. Gegenwärtig sollte es um eine möglichst sortierte Einfahrt in ein verbindendes, erst noch zu konstruierendes Europa gehen. Für den nervösen Balkan und für Serbien ließe sich hier ein Kompass finden, in dessen Zukunft befriedende Anker gesetzt und emotional getriebene Konflikttreiber kontrollierbar wären.

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Spätnachmittag auf der Restaurant- und Handwerksmeile Skadarlija. Foto: Dirk Manzke
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Klassische Moderne in Belgrad - Palata Albanija auf dem Terazije. Foto: Dirk Manzke
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Sozialistische Sozialmoderne hinter gründerzeitlichen Stadtvillen. Foto: Dirk Manzke
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Alltag vor dem Hotel Moskau auf dem Terazzije. Foto: Dirk Manzke
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Abzuräumende Bahngleise auf dem künftigen Baufeld am Save-Ufer mit Blick auf den Belgrader Höhenrücken. Foto: Dirk Manzke

Dimensionierung der Gegenwart - Städtebau mit Belgrad

Ein entstehendes Europa ohne Gewalt wird sich auch im Umgang mit seinen großartigen Stadträumen abbilden. Der serbische Schriftsteller Bora ?osi?, der sich mit städtischen Umfeldern auseinandersetzt, meint: "... die Welt dringt in unser Dasein ein, nicht nur mit ihrer weltlichen Energie, sondern auch mit deren Gestalt, die wir selbst in uns aufnehmen, indem wir in der Tiefe des eigenen Wesens ihr Ebenbild ablagern."6 Wohl auch deshalb ließ sich einer beglückend inneren Haltung des Verständigens gleich immer wieder ein Aufleben der Stadt ausloten. Städte sind im lang besiedelten Europa vorgeprägt. Erst so werden sie von Generation zu Generation angeeignet. Stadt ist "ohnehin der Raum, der zu immer neuen Umwandlungen herausfordert",7 und dabei doch ein vertrauter Speicher des Aufgehobenseins. Belgrad trägt diese Historienschübe räumlicher Balance und zeitlicher Nachvollziehbarkeit in sich. Noch spürt man die Stille der alten Herkunftsräume von der Festung über Reste osmanischer Wohnarchitektur wie das Cafe "?" bis zur grob gepflasterten Traditionsstraße Skadarlija, erahnt das Gedränge der Moderne für disparate Raumkonstruktivismen um den berühmten Palata Albanija am Terazije und erträgt den spröden Monumentalismus sozialistischer Programmarchitektur von Novi-Belgrad mit seinen Großplattenvariationen, Wohnskulpturen und weiten Freiräume.

"Die gängige Architekturgeschichtsschreibung, auf der unsere Kenntnis der Moderne europäischer Prägung (von Giedon über Benevolo bis Frampton) basiert, hat um die meisten Länder des Ostens und Südostens Europas einen ... Bogen gemacht."8 Der Belgrader Fundus ist noch nicht gehoben, da wird die Stadt in eine Zukunft gedrängt, die ihr einprägsames Sinnbild empfindsam entstellen könnte.

In Belgrad sein

In dem Film "Rendezvous in Belgrad" von Bojan Vuleti (2013) wird ein alter serbischer Brauch beschrieben. "Bevor man zu einer weiten Reise aufbricht, legt man sich einen Moment auf das Bett."9 Lassen wir uns auf solch mythisch verbindliche Abschiede noch ein? "Dass es sich um ein historisch bedeutsames Gebäude handelt, zeigt die Bronzetafel an der klassizistischen Fassade am Slavija-Platz: 'Das erste McDonald's Restaurant in Belgrad wurde am 24. März 1988 eröffnet.' Das war nicht nur für Jugoslawien eine Premiere, sondern für ganz Osteuropa."10 Es bleibt erstaunlich, wie offensiv Südosteuropa vor den großen geopolitischen Veränderungen agierte. Während sich Millionen Osteuropäer mürrisch in Isolation und Repression zu üben hatten, wagte mit Tito Südosteuropa den Ausstieg aus dem brachialen Sowjetimperium und etablierte mit westlicher Unterstützung einen "blockfreien" Billigsozialismus. Inzwischen hat sich die Geschichte gedreht. Aus der Restsowjetunion ist ein neues Russland entstanden. Damit tritt Russland wieder in die Geschichte Serbiens. Dabei werden krude anmutende "Liebesbekundungen" und "Brüderschaften" ausgesprochen.11

Und so wird Russland nun auch in Belgrad wieder sichtbar. Vor dem schon zur Entstehungszeit opulent aufgezogenen Hotel Moskwa sieht man luxustrainierte Damen in hochhackigen Schuhen und ausladendem Pelz, die über rote Teppiche in das glamouröse Hotel stolzieren. Der russische Reichtum der Wenigen wird als Modus des Erreichbaren zelebriert. Öffentlicher Raum wird Raum unverhohlener Selbstgefälligkeit. Ich selbst entzog mich dieser Szenerie hinter einem geschlossenen Ring von Kameras. Noch im selben Atemzug traf ich in nächster Nähe auf sich einbrennende Armut: dahinvegetierende Greise, bettelnde, ausgestoßene, verlorene Jugendliche mit wunderbar warmen Augen in schmerzlicher Hilflosigkeit. Reichsein in solcher Nachbarschaft wirkt wie zur Schau getragener Zynismus. Es ist entfesselter, unkontrollierter, selbstherrlicher Reichtum, dem etwas Verängstigtes inne wohnt, denn er muss sich resolut verbarrikadieren, um seine zwielichtigen Quellen weiterhin intransparent zu halten.

Dimensionierung der Zukunft - Städtebau ohne Belgrad

Reichtum. Könnte er Belgrad bald völlig überformen, Jahrhunderte alter Geschichte schlicht in einen entrückenden Schatten stellen? Kürzlich soll ein Vertrag unterzeichnet worden sein, der diese Frage aufkommen lässt. "Die in Abu Dhabi ansässige Firma 'Eagle Hills' will in eine neue Siedlung, die im Stadtzentrum am Save-Ufer entstehen soll, den Ankündigungen nach 3,5 Milliarden Euro investieren."12 Die Talniederung zur Save dürfte das sensibelste Bauland in Belgrad sein. Wer dort am Flussufer verweilt, ahnt etwas von Stadtschönheit. Man spürt das topografisch einmalige Stadtmassiv auf den Anhöhen vorm Save und Donauufer. Kompakt versammeln sich die Häuser zu einem Sinnbild europäischer Stadtkultur, das hier seine Autonomie, Eigenart und Verpflichtung entfaltet. Wer vom unbebauten Save-Ufer aus seinen Blick an die Stadt heftet, weiß wie viel Sachverstand erforderlich wäre, um diesem Geschenk mit gebotenem Ernst zu begegnen.

Doch solch ein Ansinnen gilt kaum als verpflichtender Wert. "... Die ersten Bauarbeiten - zuerst soll es um ein Zwillings-Hochhaus und einen Wohnturm gehen - sollen im Sommer starten. Um sie in die Wege zu leiten, musste das Parlament kürzlich ein Sondergesetz erlassen, durch welches das Bauprojekt zu einem Vorhaben von besonderem Interesse für den Staat erklärt wurde, was die Lösung der offenen Eigentumsfragen seitens der Stadtverwaltung erleichtern soll."13 Das Großprojekt "Belgrad am Wasser" ist als Superlativ angelegt und könnte zu einer Aufforderung an Europa werden, sich endlich von der für Ultrafinanzierungen offensichtlich hinderlichen Angemessenheit der europäischen Stadt zu verabschieden, um auf die Willkür dehnbarer Investitionsmuster umzusatteln. Deshalb sind gegenwärtig gewaltige Großplakate in die Stadt implantiert. Mit ihnen ist die Anwesenheit der globalen Austauschware in Form von "Belgrad am Wasser" schon vorweggenommen. Der Maßstabswechsel wird per Werbeoffensive in den Alltag gepumpt und erreicht so ein Maß vorwegnehmender Gewohnheit, das die Realität schon erfahrbar macht, bevor sie Wirklichkeit geworden ist.

Kühles Hellblau, durchtönt mit suggestivem Orange weckt einen Machbarkeitssound, mit dem die von Patina und Porosität durchdrungene Stadt glauben soll, in die Zukunft zu fallen, um unliebsame Erinnerungen abwerfen zu können und überstürzt das Zeitliche im Totalitarismus des Raumes aufzulösen. So scheint Zukunft in einem Stadtteil greifbar. Aber kann es ein Entkommen aus der Gegenwart geben? "Die Skepsis gegenüber den hochfliegenden Plänen (der Vorzeit für das Save-Ufer/Anm. Autor) hatte gute Gründe. Seit der Zwischenkriegszeit gab es immer wieder Bestrebungen, Belgrads aus den 1880er Jahren stammenden Kopfbahnhof zu verlegen, das Save-Ufer zu überbauen und ans Stadtzentrum anzubinden, welches auf dem langgestreckten Rücken über dem Zusammenfluss von Donau und Save liegt. 'Die Stadt zum Fluss bringen', hieß die Devise. Doch die Bourgeoisie der 1920er Jahre baute ihre Villen lieber in der Nähe des Königsschlosses auf dem südlichen Hügel von Dedinje. Und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Nordwesten der alten Stadt, zwischen Save- und Donauufer, eine neue sozialistische Stadt gebaut: Novi Beograd. Zuletzt waren es Miloševi?s Parteigenossen gewesen, die im Wahlkampf 1995 das Projekt 'Europolis' am Save-Bogen propagierten. Dazu gehörte sogar ein U-Bahn-Anschluss. Auch dieses Projekt blieb Schall und Rauch."14 Nun also sollen die Zeiten schlagartig geändert werden?

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Ist das neue "Belgrad am Wasser" schon unausweichlich da? Großwerbung für ein Totalprojekt. Foto: Dirk Manzke
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Ruine des spanischen Hauses im Stadtteil Savamala - kreatives Nest für "Urban Incubator" des Goethe-Instituts Belgrad. Foto: Dirk Manzke
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Schöpferische Nutzer im Innenraum der alternativen Gebäudesicherung des spanischen Hauses im Stadtteil Savamala. Foto: Dirk Manzke
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Kreativgalerie im Stadtteil Savamala. Foto: Dirk Manzke
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Markante Brücken, noch sichtbar von der Stadt über dem Save-Ufer.

Belgrad ohne Belgrad bauen?

Planungsmethodisch gibt es hier nichts zu berichten, als aufmerksam das Nichtaufrufen demokratischer Anforderungen zu beobachten. Ein arabischer Großinvestor im Gewand des Unternehmens "Eagle Hills" trifft auf den serbischen Ministerpräsidenten Aleksandar Vu?i? und von da an läuft, vorläufig jedenfalls, alles per Verordnung stereotyp von oben nach unten. Es gibt trotz vielfältiger Anregung keinen europäischen Städtebauwettbewerb. Niemand wird beteiligt. Niemand wird gefragt. Die lokale Fachwelt etwa der Universität wird ausgeblendet. Positionen der internationalen Fachpresse werden nicht zur Kenntnis genommen. Der gewachsenen Vor-Ort-Lebenswelt im Umfeld des Save-Ufers wird gekündigt. So reduziert sich das politische Machtverständnis des EU-Kandidaten Serbien in seiner Hauptstadt auf Eigenermächtigung. Politik agiert als Autoritätskonstrukt hinter verschlossenen Türen. Sollten sich diese öffnen, schäumt es Versprechungen, die jede Differenzierung ausblenden. So wird Belgrad lediglich zum Standortfaktum umgerüstet, indem eine administrative Regierung die Stadt zum Glitzermärchen umplakatiert und später womöglich umbauen lässt. Das ist Herrschaftsgebaren ohne Sachverstand.

Wer sich die Pläne und Modelle genau anschaut, wird gewahr, dass es um globales Mainstream geht. Die Großankündigungen der serbischen Politik und der entsprechenden Investoren täuschen darüber hinweg, dass man Belgrad seiner durchwachsenen stadträumlichen und landschaftlichen Souveränität berauben könnte. So sind die subtilen Höhenbewegungen, die die Stadt an ihren beiden Flüssen prägen, im Modell weggelassen. Plötzlich steht die topografisch so prägnante Stadt in flacher Ebene.

Ernüchternd fällt der Blick auf den viel umworbenen Stadtraum. Zentrierung auf ein austauschbares Hochhaus. Steif abgestellte Hochhäuser, die sich gegenseitig stören. Stupide Fassadenkolosse ohne sinnliche Gestaltambition. Lärmdurchlässige Hofsituationen ohne erkennbare Wohnqualität. Energie- und Ressourcenintensive Gebäudefreistellung. Ermüdend gleichförmige Straßenquerschnitte. Ausblendung des Fußgängererlebens in überbreiten Straßenräumen. So entsteht eilfertige Stadtware, die einer aufpolierten Kopie von Novi New Belgrad gleich kommt, allerdings ohne das in den 1970er-Jahren absichtsvolle räumliche und soziale Städtebauniveau zu erreichen.

Was dort angestrebt wird, ist die Hyperdimensionierung einer auf sich selbst bezogenen Privatstadt, die in allen Facetten Glamour sein soll, ohne das Thema Stadt in den Nuancen Belgrads im europäischen Städtekontext zu streifen. Schon jetzt sind die Umgangsformen in dem, was öffentlicher Raum sein soll, zu erahnen: Videokameras, Sperrzäune, Polizeipräsenz, soziale Gleichschaltung etwa ab dem mittelständigen Angestelltenniveau aufwärts. Um der wirtschaftlichen Talfahrt Serbiens zu begegnen, strengt die Regierung unter Ministerpräsident Aleksandar Vu?i? ein Monumentalkonstrukt an, das einer gebauten Ohnmacht gleichkommt. Die Erfahrungen einer Stadt der Vielfalt werden einem Design der Einfalt überlassen. Was nun Stadt am Save-Ufer zu sein hat, bestimmt ein Hyperinvestor, der sich seine Stadt nach eigenem Ermessen schafft und dafür eine europäische Regierung gefunden hat, die seine Interessen vertritt. Sollte es tatsächlich zu dieser Investmanifestation kommen, wird es vor Belgrads Kernstadt eine übermächtige Gegenstadt geben, die als Referenz für die Gleichförmigkeit des globalen Einerleis steht.

Und der Zugang zum Flussufer der Save? Im Präsentationsmodell scheint eine am Event orientierte Lichterkette angedeutet. Über den Eintrittspreis in diese Beglückungsmeile eines privatisierten Save-Ufers war bisher noch nichts zu lesen. Oder sollte die Vu?i?-Regierung das Selbstwertgefühl bei den Verhandlungen mit dem Unternehmen "Eagle Hills" aufgebracht haben, um sich den öffentlichen Raum für ein authentisches Belgrader Stadtleben zu sichern? Dann wäre es auch interessant zu erfahren, was man mit der gegenüberliegenden Uferseite vor hat. Schließlich wartet da der Glanzblick zur Eigendarstellung von "Belgrad am Wasser", indem das alte Belgrad wegignoriert sein wird.

Alternative Stadtversucher - Städtebau mit Belgradern

In unmittelbarer Nähe allerdings und damit massiv bedrängt von der Fundamentalinvestition des arabischen Emirats ist die Kulturszene und Lebenswelt des Savamala-Viertels. Das alte Hafenquartier mit seiner Geschichte ist ein improvisierender und alternativer Standort Belgrader Raumpioniere, die sich dem Gedanken der Stadt als verbindende Idee zuwenden. "In den letzten zehn Jahren haben sich neben alteingesessenen Gewerbebetrieben trendige Bars, Designstudios und Galerien niedergelassen. ... Tatsächlich erinnert die zaghafte Gentrifizierung mit den gekonnt gesetzten Farbtupfern zwischen rußgeschwärzten Fassaden an die Erneuerung von Ostberliner Quartieren nach der Wende. Das Herzstück der neuen Szene ist das 'Mikser House'. Eine zum Kulturzentrum umgebaute Fabrik, in der ... Kultur- und Bildungsangebote, aber auch kommerzielle Anlässe ..."15 organisiert werden.

Zudem hat das lokale Goethe-Institut mit dem 2013 bekannt gewordenen Projekt "Urban Incubator" zur Belebung des Savamala-Viertels und damit des Save-Ufers beigetragen. Kurator Tim Rieniets spricht von "alternativer Stadtentwicklung" und fokussiert auf die Nachbarschaft zum "Belgrad am Wasser"-Großvorhaben,16 das noch vor zwei Jahren als Tratsch in die Stadt einsickerte. Entsprechend einer Weitsicht der Langsamkeit lässt sich Stadtentwicklung dort als subtiles Gegenmodell zur Totalinvestition erfahren. Reagierend auf den räumlichen Bestand etwa des Spanischen Hauses und sozialen Gegebenheiten im Stadtteil werden soziokulturelle, künstlerische und soziale Projekte angeschoben, die dem Konzept einer Stadt von unten entgegenkommen und die Menschen zum Mitmachen anregen und dadurch anlocken.

Zunächst war "Urban Incubator" auf ein Jahr angelegt.17 Inzwischen müht man sich um Formen einer Verstetigung der zarten Anfänge. Mit differenzierten Begegnungen zwischen Bewohnern, Passanten, Stadtentwicklern, Künstlern, Raumpionieren und anderen Akteuren wurden elementare Grundformen demokratischen Handelns erprobt, wie sie inzwischen auch wieder in etablierten Demokratien eingeübt werden müssten. Neugierde und Skepsis waren aufeinander zu beziehen, indem Bestehendes ernst genommen wurde und ein Weg der kleinen Schritte zu selbstgetragener Stadtteilentwicklung, zumindest aber zu veränderten Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsformen führte. In ungenutzten Gebäuden und Räumen im Stadtteil Savamala konnten Interventionen in Form von Workshops, Ausstellungen, Diskussionen, Feierlichkeiten und Konzerten erlebt werden, die ermutigten, auch in Kleinstschritten an der Entwicklung Belgrads teilzuhaben. Lang ist die Liste der verwirklichten Kleinprojekte. Klangprojekten, literarische Reflektionen und alternativen Kunstausstellungen wirken bis heute wie ein zu schnell verdämmernder Hauch von Lebenslust. Bewusst zelebrierte Nachbarschaft und ungewöhnliche Begegnungen zwischen sich anregenden Menschen bleiben die wertvollsten Ergebnisse dieser Art Stadtentwicklung. "In einem Kommentar für DANAS erklärt der Direktor des Goethe-Instituts Belgrad, Matthias Müller-Wieferig, dass es verschiedene Wege gebe, wie sich eine Stadt entwickeln könne, und das die Aktivitäten des Goethe-Instituts ... einen kulturellen, kreativen Ansatz verfolgen würden."18

Inzwischen zeichnen sich einander ausschließende Nachbarschaften am Save-Ufer ab, der Großinvestor mit einer Regierung im Rücken und die Kleinstinitiativen der Transparenz, Beteiligung und Zusammenführung. Entlang dieser Verständnisbrüche von Stadt kündigt sich eine brisante Polarität an. Und doch, trotz der übermächtigen Raumvereinnahmung durch "Eagle Hills", könnte es zu kulturell-kommerziellen Koexistenzen kommen. Die großen Investoren dürften den kleinen, ungestümen Humus, der mit "Urban Incubator" geweckt werden konnte, bald brauchen. Denn ohne differenzierende Alternative wird es kein urbanes Leben geben in den anonymen Glitzerstraßen. Früher oder später wird der Investor auf die Suche gehen nach alternativen Nutzern und Akteuren, die dem Gleichmaß seiner steifen Vorstellungen von Stadt erst das Erträgliche einhauchen. Jedenfalls gibt es Hinweise, dass der Wüsten-Investor registriert hat, dass sich um seinen künftigen Stadtteil herum bereits eine funktionierende Stadt mit dem Namen Belgrad befindet. Der aktuell agierenden serbischen Regierung muss man das ganz sicher noch erklären.

Im Bestand grundiert ist auch die kommende Stadt

In der europäischen Logik von Stadt wuchs auch ein bestimmter Respekt vor Entstandenem. Es ist der Respekt vor Kontinuität und Beständigkeit. Er ist es auch, der zu einer wertvollen Facette der europäischen Stadtentwicklung wider die Extreme beigetragen hat. Da es Nachweise für menschliche Niederlassungen im Raum Belgrad schon aus der frühen Altsteinzeit gibt, ließe sich dieser Respekt, tief in der Zeit gegründet, auch verstehen. Belgrad verknüpft eine lange Geschichte mit unserer Gegenwart. Immerhin ist es der Republik Serbien ja wichtig, zunächst erst einmal eine eigene Geschichte zu konstituieren. Dann aber einer Milliardeninvestition freie Hand im Kernraum serbischer Identitätskonstrukte zu überlassen, bleibt unverständlich.

Bogdan Bogdanovi?, der unvergessene serbische Architekt, Stadttheoretiker, selbstbewusste Hochschullehrer, Erbauer eindringlicher Gedenkstätten und zeitweilige Bürgermeister von Belgrad würde jetzt erneut einen seiner einleuchtenden Texte verlesen: "Wenn mit nichts anderem, so muss die Verantwortung ... zumindest durch ein unzweideutiges Ja oder Nein geteilt werden, durch eine Antwort auf die ganz einfache Frage: Wollen wir die Stadt überhaupt retten, oder wollen wir nicht einmal mehr das?"19.

Anmerkungen

1 Sieverts, Thomas: Zwischenstadt. Braunschweig, Wiesbaden 1997, S.8.

2 ebenda, S. 10.

3 Tönnesmann, Andreas: Pienza - Städtebau und Humanismus. Berlin 2013, S. 154.

4 www.focus.de/politik/ausland/fussball-eklat-in-bel... (Zugriff: 4.12.2014, 14 Uhr).

5 www.spiegel.de/panorama/justiz/deutscher-homosexue... (Zugriff: 05.12.2014, 13 Uhr).

6 ?osi?, Bora: Frühstück im Majestic, Belgrader Erinnerungen. München 2012, S. 39.

7 ebenda, S. 20.

8 Stiller, Adolph: Belgrad - Momente der Architektur. Salzburg Wien 2011, S. 14.

9 www.rendezvous-in-belgrad.de (Zugriff: 4.12.2014, 14 Uhr).

10 www.nzz.ch/panorama/die-pljeskavica-hats-schwer-ge... (Zugriff: 4.12.2014, 14 Uhr).

11 voiceofserbia.org/de/content/dacic-serbisches-und-russisches-volk-nat%C3%BCrliche-verb%C3%BCndete-0 (Zugriff: 12.12.2014, 22 Uhr).

12 www.solidbau.at/home (Zugriff: 05.07.2015, 14 Uhr).

13 ebenda.

14 www.nzz.ch/feuilleton/kunst.../die-stadt-zum-fluss... (Zugriff: 7.7.2015, 15 Uhr).

15 ebenda.

16 you tube: Urban Incubator/ Savamala - a City-Quater Re-Invents Itself (Zugriff: 06.07.2015, 16 Uhr).

17 www.goethe.de/ins/cs/bel/prj/uic/ deindex.htm (Zugriff: 06.07.2015, 17 Uhr).

18 www.goethe.de/ins/cs/de/bel/prs/014/12268263.html (Zugriff: 06.07.2015, 17.30 Uhr).

19 Bogdanovi?, Bogdan: Die Stadt und der Tod. Klagenfurt Salzburg 1993, S. 28.

Autor

Professor für Städtebau und Freiraumplanung

Hochschule Osnabrück

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