Perspektiven für die Stadt nach dem Ende der Braunkohle

Eine neue Landschaft entsteht in Welzow

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Tagebau-Rekultivierung Renaturierung
Blick vom Welzower Fenster in den Tagebau Welzow-Süd 2016. Foto: Christine Fuhrmann
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In der Lausitz werden eiszeitlich abgelagerte Sande mit Hilfe von Förderbändern zu einem Bandabsetzern im rückwärtigen Raum des Tagebaus transportiert. Foto: Maik Vest

Wer am Welzower Fenster steht, ist umgeben vom Braunkohletagebau. Wo heute noch die Sohle des Tagebaus zu sehen ist, sollen im Jahr 2035 Obstbäume blühen, Weinreben und Esskastanien wachsen. Terrassen ziehen bis in die Stadt, ein Regenwasserrückhalteteich lädt zum Verweilen ein und eine Mountainbike-Strecke lockt Radsportler aus der gesamten Lausitz.

Noch ist das eine Vision. Doch schon in zwei Jahren werden im Tagebau Welzow-Süd die Absetzer den Abraum, die Kohle bedeckenden Bodenschichten aus der Braunkohlegewinnung, aufschütten.

Für Welzow bietet sich dabei die einmalige Chance, eine einzigartige, 110 Hektar große Landschaft entstehen zu lassen, deren Entwicklung und Nutzung allein in den Händen der Stadt liegt. Der Lausitzer Energiekonzern LEAG ist zur nachnutzungsfähigen Herstellung der Bergbaufolgelandschaft laut Braunkohleplan verbindlich verpflichtet und übernimmt die nötigen Erdarbeiten.

Mit dem absehbaren Ausstieg aus dem Braunkohlebergbau steht die Lausitz vor großen Herausforderungen. Auch Welzow wird sich neu erfinden. Der Tagebau hat die Stadt mit ihren 3500 Einwohnern und die Region über Generationen wirtschaftlich, sozial und kulturell geprägt. Nun steht sie vor einem Transformationsprozess, der Herausforderung und Chance zugleich ist.

In Zusammenarbeit mit einem interdisziplinären Team an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) verfolgt die Stadt eine gänzlich neue Strategie der städtebaulichen und landschaftlichen Entwicklung. Forscher und Studierende entwickeln speziell hier in Welzow neue Ideen für eine nachbergbauliche Landschaft.

Bereits im Dezember 2016 fand ein studentischer Ideenwettbewerb zur Gestaltung der stadtnahen Bergbaufolgelandschaft unter dem Titel "Welzow extended" statt. Etwa 20 Studierende des Studiengangs Stadt- und Regionalplanung der BTU entwickelten neue Ideen zur Nutzung und Gestaltung der Flächen. Herausgekommen sind dabei unter anderem Konzepte für einen Mountainbike-Park, für ein Waldlabor, sowie für einen Wildpark mit Wisenten und Wildpferden.

Weil die Stadt Welzow an dieser Stelle thematisch und fachlich im wahrsten Sinne des Wortes "Neuland" betritt, erfolgte im Zeitraum von zwölf Monaten die Erarbeitung einer vertiefenden Studie durch das Team der BTU.¹ Die Zielsetzung bestand darin, aufbauend auf den Ergebnissen der bisherigen studentischen Arbeiten, neue Leitbilder und Strategien zur integrierten Gestaltung der stadtnahen Bergbaufolgelandschaft zu entwickeln. Neben der Analyse und einer Leitbildentwicklung wurde die Vorzugsvariante mithilfe einer 3D-Modellierung der neuen Landschaft mit einer attraktiven und außergewöhnlichen Gestaltung entwickelt.

Die Erarbeitung der Studie erfolgte in enger Abstimmung und Begleitung der kommunalen Arbeitsgruppe Kohle der Stadt Welzow. Besonders wichtig ist der Stadtverwaltung und dem Bearbeitungsteam die Teilhabe der Einwohner von Welzow am gesamten Planungsprozess. Den Menschen soll so ein Stück weit die Selbstbestimmung über die Gestaltung ihrer Umwelt zurückgegeben werden. In mehreren Workshops mit Fachexperten und Studierenden sowie im Rahmen einer Bürger-Werkstatt im Juni 2018 wurden bereits zahlreiche Vorstellungen und Wünsche aus der Bevölkerung in die zukünftige Gestaltung mit einbezogen.

Welche Möglichkeiten wurden genutzt?

Die Gestaltung von Bergbaufolgelandschaften erfordert einen ganzheitlichen Blick auf die Landschaft. In einem ersten Schritt wurden die Potentiale und Chancen von Stadt, Region und Bergbaufolgelandschaft in den Blick genommen, ein sozialräumlicher Wissensvorrat zusammengetragen und darauf aufbauend neue Leitbilder entwickelt. Einblicke in andere Fachdisziplinen (bspw. Akteurs bezogene Landschaftswahrnehmung, regionalwirtschaftliche Perspektiven, Tourismus) waren anregend, die eigenen Perspektiven zu wechseln.

Die 3D-Visualisierung spielte im Entwurfsprozess eine zentrale Rolle. Sie veranschaulicht das Konzept mittels ansprechender Bilder und übernimmt eine wichtige Funktion bei der Beteiligung der Öffentlichkeit. Die heute vorhandenen digitalen Planungs- und Visualisierungstechnologien ermöglichen es zudem, Zeiträume vorstellbar zu machen und Szenarien zu entwickeln.²

Die Neuentwicklung der Bergbaufolgelandschaft bietet - im Rahmen der bergrechtlichen Vorgaben - die Chance zur Rückbesinnung auf eine vielfältige Kulturlandschaft. Eine nachhaltige Nutzung bildet die Grundlage für die Entwicklung von Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität, Grund- und Oberflächenwasserqualität sowie Ökosystemfunktionen. Zukünftig werden die Anforderungen an eine multicodierte Landschaft weiter ansteigen, die sowohl Nahrungsmittel als auch Biomasse für die stoffliche und energetische Nutzung bereitstellt und auch die Biodiversität und die Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts sicherstellt. Insbesondere die Bedürfnisse der Menschen im Rahmen von Tourismus und Erholung sollen berücksichtigt werden.

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3 Das Konzept Kollaborativer Masterplan Neue Landschaft Welzow soll den Braunkohlenplan um die Entwicklung neuer wirtschaftlicher Nutzungen für die stadtnahe Bergbaufolgelandschaft ergänzen. Über die Anpassung von öffentlichen Freiräumen bis hin zu extensiveren und trockenheitsresistenten Pflanzkulturen sollen zukunftsweisende wirtschaftliche Nutzungen für die neue Landschaft entwickelt werden. Entwurf: Christine Fuhrmann, Hannes Stolle
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4 Regionalanalyse Welzow: Laut Braunkohlenplan sind keine neuen Ansiedlungen in der nachbergbaulichen Landschaft Welzow-Süd vorgesehen. 3D-Modell: Christine Fuhrmann, Hannes Stolle
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Szenario 2035: Neue Landschaft Welzow, Blick nach Osten in die Bergbaufolgelandschaft. 3D-Visualisierung: Christine Fuhrmann, Hannes Stolle

Selbstbestimmung über die Gestaltung und Nutzung

Eine große Herausforderung war es, die Bürgerinnen und Bürger zu motivieren, sich zu beteiligen - auch weil manche es nicht gewohnt sind, ihre Meinung vor vielen Menschen kundzutun. Innovative Beteiligungsformate dienen in Welzow dazu, die Menschen zu ermutigen, sich einzubringen. Durch die Arbeit mit Studierenden ist die Berührungsangst der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr so groß. Mit viel Liebe zum Detail gestalteten sie im Juni 2018 eine Meinungsbox mit Postkarten. Die Meinungsbox ermöglicht es jedem, seine Ideen und Anregungen einfließen zu lassen. Sie birgt auch den Vorteil, dass Aspekte mitgeteilt und berücksichtigt werden können, die einem nicht sofort eingefallen sind und reflektiert werden müssen. Nachdem die Meinungsbox für zwei Wochen im Welzower Rathaus stand und viele Postkarten aufgenommen hatte, begann die Auswertung. Die Anregungen der Bürgerinnen und Bürger dienten sodann als Grundlage für die weitere Bearbeitung der Neuen Landschaft Welzow.

Integrierte Entwicklungskonzeption Neue Landschaft Welzow

Das aus der Integrierten Entwicklungskonzeption hervorgegangene Gestaltungskonzept hat als starkes Motiv eine Terrassengestaltung mit einer räumlichen Ausrichtung in Richtung Süden beziehungsweise Südost/Südwest. Dabei wurde vorgeschlagen, die bislang räumlich eher trennenden Flächen der Hochkippe in die Gestaltung teilweise mit einzubeziehen, um eine bessere Verbindung zur Stadt herzustellen.

Als Nutzung ist auf den mit Höhenunterschieden von jeweils ca. 3 bis 5 Meter konzipierten Terrassen der Anbau landwirtschaftlicher Produkte vorstellbar. Durch die Terrassenlandschaft ziehen sich Wegestrukturen, die mit besonderen Orten der Stadt verbunden sind.

Insgesamt entsteht das Bild einer kleinteiligen Struktur der Landschaft, die für den Menschen als Erholungsort attraktiver ist, als es die Monokultur der konventionellen Rekultivierungsflächen wäre. Die neue Landschaft wird zum Laboratorium mit besonderen mikroklimatischen Situationen, botanischen Experimenten und neuen innovativen Konzepten für kollektive Räume in der Niederlausitz. Mit der Transformation des Tagebaurandes in eine nach Süden ausgerichtete terrassierte Halboffenlandschaft, in der Landwirtschaft, Wein- und Obstanbau dominieren, werden die historischen Wurzeln der Lausitzer Kulturlandschaft in die Gestaltung mit einbezogen. Dadurch kann die Stadt Welzow zum Impulsgeber für den Strukturwandel werden und langfristig regionalen und überregionalen Akteuren die Möglichkeit bieten, die Zukunft produktiv mitzugestalten.

Die Gestaltung der stadtnahen Bergbaufolgelandschaft übernimmt in Welzow eine Schlüsselrolle für eine bessere Akzeptanz. Sie hat bei diesem Entwurfsprozess eine große Bedeutung als Verbindung zwischen Landschaftsbild, Nutzung, sozialem Halt im Raum und wirtschaftlicher Tragfähigkeit. Wichtig ist in diesem Prozess, neue Ziele zu formulieren und die ungewisse Zukunft mitzudenken.

Die integrierte Entwicklungskonzeption Neue Landschaft Welzow wurde am 5. Dezember 2018 vom Stadtrat beschlossen. Es wurde empfohlen, die darin enthaltene Vorzugsvariante einer terrassierten Reliefgestaltung entsprechend nachfolgender Prämissen zur Umsetzung freizugeben und dem Bergbauunternehmen LEAG die maßgeblichen Anforderungen an die Reliefgestaltung zu benennen.³ Dazu gehören:

  • Terrassen mit Höhenunterschieden von jeweils ca. 4 bis 5 Metern, geotechnisch gesichert durch ca. 1 Meter breite Minicatchments sowie durch Findlinge aus dem Tagebau als Erosionsschutz und landschaftsgestalterisches Element (Sichtbarmachen des Bergbaus)
  • Erhalt des Aussichtspunktes Welzower Fenster und Integration als Aufenthaltsbereich in die neue Landschaftsgestaltung mit Informationsangeboten
  • Herstellung eines Retentionsbeckens als Regenwasserreservoir im östlichen Bereich mit einer Größe von mindestens 1 Hektar, in Teilbereichen zur dauerhaften Wasserhaltung ausgestaltet.
  • Anbindung an die öffentlichen Grünräume der Stadt und der Bergbaufolgelandschaft durch die Herstellung von Rad- und Wanderwegen respektive Wirtschaftswegen durch die Neue Landschaft Welzow
  • Gestaltung des Nordareals mit wechselnden Hangneigungen und entsprechender Reliefausformung für eine Sport- und Freizeitnutzung (z. B. Mountainbike-Parcours)

Lehre, Forschung und Gestaltung: Interdisziplinäre Methoden und neue Konzepte für die nachbergbauliche Landschaft

Durch die seit einigen Jahren bestehende Kooperation zwischen dem Fachgebiet Landschaftsarchitektur der BTU und der Stadt Welzow erhalten Studierende die Möglichkeit, ihre Lernfelder in der Praxis zu erproben, und die Stadt die Chance, ihre Entwicklungsthemen vor dem Forschungs- und Wissenshintergrund einer international agierenden Hochschule auszuloten.

Im März 2018 waren landschaftsorientierte Entwicklungsoptionen für die stadtnahe Bergbaufolgelandschaft Welzow (Winter School Welzow 2018 - Future Landscapes) das Thema. 2019 stand die Qualifizierung von städtischen Räumen mit Schnittstellencharakter zwischen der Stadt und Bergbaufolgelandschaft im Mittelpunkt der studentischen Arbeiten (Werkstatt Welzow - Transformation Landscapes).

Tagebau-Rekultivierung Renaturierung
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Die Leitideen und das Entwurfskonzept Neue Landschaft Welzow wurden mit Fachleuten aus unterschiedlichen Disziplinen in Workshops, Expertengesprächen und Fachveranstaltungen einer kritischen Prüfung unterzogen. Expertenwerkstatt im Welzower Rathaus, April 2018. Foto: Christine Fuhrmann
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Mit einer Postkarte, die vor der Bürgerwerkstatt verteilt wurde, sollten die Bürgerinnen und Bürger vorab auf die Veranstaltung eingestimmt werden: Sie beinhaltete neben der Ankündigung der Veranstaltung auch Fragen zum Landschafts- und Naturverständnis der Interessierten. Foto: Christine Fuhrmann

Future Landscapes

Zielsetzung der Winter School mit Entwurfsworkshop war es, neue Leitbilder und Strategien zur integrierten Gestaltung der Bergbaufolgelandschaft Welzow-Süd zu entwickeln. 24 Studierende höherer Mastersemester aus unterschiedlichen Ländern arbeiteten einerseits gemeinsam, andererseits konzentriert auf individuelle Entwürfe, an Vorschlägen für die Transformation von Stadt und Region nach der Kohle. Die unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen und das Zusammentreffen im wissenschaftsgeleiteten Diskurs erweiterten die Perspektiven.4

Thematisch verknüpfte die Winter School Fragestellungen im Spannungsfeld zwischen grüner Flächennutzung, Transformationsräumen und anderen aktuellen Themen der Stadt- und Regionalentwicklung (Klimaschutz, sozio-demografischer Wandel, wirtschaftliche Veränderungen, neue Mobilität, Flächenmanagement, regionale Einbindung, Biodiversität, integrierter Naturschutz, Energiewende). Als übergeordnete Herausforderung stellte sich die Frage, wie innovative Ansätze im Kontext der bergmännischen Rahmenbedingungen und begrenzten ökonomischen Ressourcen aussehen können. Mit dem Prozess der Wiederherstellung war zudem die Chance einer topographischen Neugestaltung der Landschaft verbunden.

In welcher Landschaft wollen wir leben?

Das Format einer interdisziplilnären Winter School bot die Chance, sich über unterschiedliche Sichtweisen von Planern, Designern, Wissenschaftlern und lokalen Akteuren (Landwirte, Unternehmer, Vereine usw.) klarzuwerden.

Es ging bei Future Landscapes darum, modellhaft praxistaugliche Wege zu finden. Das können nachwachsende Rohstoffe sein, das könnten aber auch neue Tourismusfelder oder die Entwicklung von Modellprojekten (experimentelle Landwirtschaft, Botanik, alternative Lebensformen) und ganz andere bisher noch nicht erprobte Maßnahmen sein, die der ausgeräumten Landschaft wieder ein Gesicht geben. Die Entwürfe sollten neue integrierte Ansätze, innovative Ideen und kreative Konzepte der Landschaftsplanung und -entwicklung enthalten, aber zugleich "mit einem Fuß auf dem Boden" stehen, sprich realisierbar sein. Die übergeordnete Herausforderung der Realisierbarkeit unterschiedlicher ingenieurbiologischer, ökologischer und bergmännischer Anforderungen und sozio-ökonomischer Bedarfe war beim Entwurfsprozess zu berücksichtigen.

Die Ergebnisse wurden zum Abschluss in einer öffentlichen Veranstaltung und Ausstellung in der Dorfschule Welzow von den Studierenden präsentiert.

Im Ergebnis entstanden sechs ganz unterschiedliche Ideen für eine mögliche Gestaltung der Folgelandschaft rund um die Stadt Welzow. Die Konzepte reichen von Landschaften, wie sie von den Tagebaugeräten hinterlassen wurden, mit Hängen und Flächen, die sich beispielsweise für den Weinanbau oder die Tierhaltung eignen könnten, bis hin zu einer Vision einer bunten, mit Obst- und Gemüseanbau sowie Sonnenblumenfeldern ebenfalls überwiegend landwirtschaftlich genutzten, aber auch für Ferien- und Freizeitaktivitäten geeigneten Landschaft. Welzow könnte künftig vielleicht auch an einem See mit attraktiven Wohn- und Freizeitangeboten liegen, umgeben von landwirtschaftlichen Nutzflächen, oder es könnte eine ebenfalls vorwiegend landwirtschaftlich genutzte Terrassenlandschaft mit gläsernen Gewächshäusern entstehen. Eine weitere Idee stellt den nachwachsenden Rohstoff Holz und eine sich daraus entwickelnde Forstwirtschaft und Holzindustrie in den Mittelpunkt, die nach dem Braunkohletagebau alternative Arbeitsplätze und alternative Brennstoffe liefern könnte.

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Winter-School Welzow, Gruppenbild mit teilnehmenden Studierenden, Lehrenden und Bürgern, März 2018. Foto: BTU
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Die Stadt Welzow steht vor einer großen Herausforderung sich als Landschaft neu zu erfinden. Während im Süden der Stadt der Tagebau seinen Raum einnimmt, laufen die Planungen für die Gestaltung der neuen Landschaft. Entwurf und 3D-Visualisierung: Christine Fuhrmann, Hannes Stolle.

Werkstatt Welzow 2019 -Transformation Landscapes

Im März 2019 fand eine weitere Werkstatt Welzow zur Transformation von Stadt und Landschaft statt, die die Ergebnisse der vorangegangenen Winter School aufgreift. Sie befasste sich mit der Priorisierung von Vorstellungen für die zukünftige Entwicklung der 'postcoal'-Landschaft. Die Werkstatt wurde erneut in Kooperation mit der BTU und lokalen Akteuren umgesetzt.

Als Arbeitsform wurde ein viertägiger Stegreifentwurf gewählt. Dem schnellen und intensiven Eintauchen in den räumlichen und sozialen Kontext (Immersion) für die Studierenden durch Vorträge, die Besichtigung des aktiven Tagebaus und Gespräche mit Protagonisten der Entwicklung aus der Stadt - Politik, Verwaltung, Braunkohleplanung - folgten eigene Begehungen in den Schwerpunktorten der Verflechtung von Stadt und der Bergbaufolgelandschaft. Mit dem Fokus auf die urbane Architektur, die physische Planung im Verflechtungsbereich von Stadt und Landschaft sowie im Gespräch über Governance als eine auf die Akteure und die Bedürfnisse der Bevölkerung ausgerichtete Form der partizipationsorientierten Umsetzung von Planungen näherten sich die Studierenden ihren Objektbereichen. In der kurzen Zeit von zwei Arbeitstagen wurden blitzlichtartige Lösungsvorschläge erarbeitet, die alle weit über die bisherigen planerischen Arbeitsstände in der Stadt Welzow hinausweisen.

Sechs Konzeptideen

Ein gemeinsames Ziel der Entwürfe war es, beispielhaft Ankerprojekte für die Entwicklung vorzustellen. Sie reflektieren die Potentiale, die in Welzow aus dem sicheren, wenn auch nicht genau terminierbaren Kohleausstieg abgeleitet werden können und müssen. Diese Herausforderung, an der die Zukunft der Stadt 'festgemacht' werden muss, bietet sich in Stadträumen und ihren geschichtlichen Verflechtungen mit der Landschaft. Zwei Arbeiten nehmen die Möglichkeiten auf, die sich mit der Nutzung der traditionsreichen Rathsburg für die Stadtbevölkerung bieten. Zwei Projekte befassen sich mit der Weiterentwicklung um den neuen Zentralen Platz und das zur Umnutzung bereitstehende Feuerwehrgebäude der 1920er-Jahre. Zwei weitere Projekte nutzen technische Innovationen zur Qualifizierung der Stadt im Wandel hin zu postindustriellen Realitäten.

Innovative Kulturlandschaft und klimaangepasste Landnutzung

Bei der Betrachtung der wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten der Neuen Landschaft Welzow wurden neben den bereits dargestellten Entwicklungspotentialen der Neuen Landschaft Welzow auch die planungsrechtlichen Rahmenbedingungen, die Eigentumsverhältnisse der Tagebauflächen, die Folgen des Klimawandels sowie die Dauer der Wiederherstellung berücksichtigt.

Nach den Planungen des Bergbauunternehmens LEAG wird beginnend ab dem Jahr 2021 mit der Schüttung der Bergbaufolgelandschaft im Bereich des östlichen Stadtrandes von Welzow begonnen. Mit der Entlassung der Fläche aus der Bergaufsicht kann frühestens Anfang der 2030er-Jahre gerechnet werden. (Die Kosten für Rekultivierung der Neuen Landschaft sowie die Randflächen an der Altkippe werden von der LEAG getragen).

Die Stadt Welzow kann die Bergbaufolgelandschaft erst zu diesem Zeitpunkt erwerben. Ein zusätzlicher und nachhaltig wirksamer Mehrwert zur Entwicklung der Neuen Landschaft Welzow könnte durch die gezielte Kooperation mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen entstehen. Ein wesentliches Ziel der Stadt Welzow ist es daher, durch die Einbindung außeruniversitärer Partner in die Nachnutzung dieser Neuen Landschaft die Attraktivität des Standortes zu steigern. Damit wird die regionale Wettbewerbsfähigkeit deutlich gestärkt; denn die Entwicklung eines privat-öffentlich-akademischen Bündnisses mit Anwendungsbezug fördert die Bereitschaft von Unternehmensansiedlungen sowie das Investitions- und Innovationsgeschehen. Der Auf- und Ausbau dieser Kooperationen orientiert sich dabei an Themenfeldern, zu denen ein kulturhistorischer Bezug existiert und in denen die Stadt Welzow bereits über etablierte Erfahrungsschwerpunkte verfügt.

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Die Neue Landschaft Welzow soll mit den Freiräumen und Orten der Tagebaugeschichte der Stadt verbunden werden, wie beispielsweise dem Welzower Fenster oder der Gleispromenade mit Schaufelrad. Foto: Stadt Welzow

Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist die Lausitz als niederschlagsarme Region, mit Ihren überwiegend humusarmen sandigen Böden und mit nährstoffarmen Kippsubstraten prädestiniert als Real-Labor und Modellregion für die Entwicklung von Technologien und Dienstleistungen zur Anpassung der Landnutzung an den Klimawandel. Denn schon immer musste sich die Rekultivierung an den klimatischen und die Bodenflora betreffenden extremen Rahmenbedingungen orientieren. Der Rekultivierungsforschung boten sich aber auch immer Spielräume, um neue Landnutzungsformen zu erproben, wie zum Beispiel den Anbau von Wein, die Produktion von Energieholz oder die Anlage von Agroforstsystemen, also die Kombination von Bäumen und Ackerbau auf einer Fläche. Auch diese Ansätze orientierten sich naturgemäß immer an den für die Lausitz typischen geringen Niederschlägen und die Anpassung an ausgeprägte Trockenheit in der Vegetationszeit. Klimatische Extreme, fehlende Bodenfruchtbarkeit und Bodendegradation sind aber nicht nur ein Problem der Lausitz. Vielmehr wird auf der ganzen Welt nach Strategien und Knowhow für die Anpassung von Landwirtschaft und Gartenbau an den Klimawandel gesucht.

Die Stadt Welzow beabsichtigt daher, die stadtnahe Bergbaufolgelandschaft unter Einbezug der Altkippe in eine vielgestaltige Landschaft mit ökonomisch und ökologisch tragfähigen Nutzungsansätzen zu entwickeln. Im Bearbeitungsprozess der Studie Integrierte Entwicklungskonzeption Neue Landschaft Welzow wurde daher der Arbeitsschwerpunkt bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung auf die fachliche und strategische Vorbereitung für eine Beteiligung im WIR-Bündnis Land-Innovation-Lausitz5 gerichtet. Damit soll für die vorgeschlagene Vorzugsvariante bereits ein wirtschaftlich tragfähiger und beschreitbarer Weg der praktischen Umsetzung geebnet werden, da die Suche nach rein-wirtschaftlich ausgerichteten Entwicklungspartnern aufgrund der vorgenannten klimatischen und bodenspezifischen Kriterien keine Aussicht auf Erfolg hätte.

Konkret soll - aufbauend auf der integrierten Entwicklungskonzeption Neue Landschaft Welzow - gemeinsam mit lokalen Akteuren, Raumunternehmer*innen und Forschungseinrichtungen und mit Unterstützung der BTU in den kommenden drei Jahren ein Nutzungskonzept Kollaborativer Masterplan Neue Landschaft Welzow (Reallabor Neue Landschaft Welzow) entwickelt werden.

Im Kontext der WIR-Bündnis-Initiative Land-Innovation-Lausitz sollen hierzu alternative Nutzungsoptionen und technologische Ansätze entwickelt und erprobt werden, die eine optimale Anpassung der Produktionssysteme an klimatische Extreme und gleichzeitig eine vielgestaltige, an ökologischen Prinzipien und hoher Wertschöpfung orientierte Landnutzung ermöglichen. Die Welzower Bergbaufolgelandschaft soll so zu einem innovativen Landschaftslabor im Sinne einer Modelllandschaft für eine klimaangepasste, an bioökonomischen Wertschöpfungspotenzialen ausgerichtete und erlebbare Landnutzung mit hohem Identitäts- und Teilhabecharakter werden, zum Beispiel durch klimaangepassten Weinbau und Sonderkulturen wie Esskastanien, Pfirsichen. Diese Herangehensweise bietet eine einzigartige Möglichkeit, im Sinne eines Citizen-Science-Ansatzes die lokale Bevölkerung und regionale Unternehmen in Beratungs- und Lernfunktion einzubinden. Das im Rahmen dieser Initiative entstehende Handlungs- und Entscheidungswissen schafft im lokalen und regionalen Kontext einen Anreiz für individuelle Unternehmensgründungen sowie für die Neuausrichtung bestehender Unternehmen. Beides soll zur Inwertsetzung der bis zum Jahr 2023 entstehenden Terrassenlandschaft beitragen und damit einen direkten Beitrag zur lokalen und regionalen Wertschöpfung und zur landschaftlichen Vielfalt leisten. Das Nebeneinander von Experimental- und Nutzungsflächen und der hierbei angestrebte Austausch zwischen Gesellschaft und Forschung sollen sich zu einem lernenden System entwickeln. Es bietet sich daher an, die in Nachbarschaft zur Hochkippe vorhandene bauliche Infrastruktur mittelfristig zu einem Inkubator für Start-ups und zu einem regionalen Weiter- und Ausbildungs-Zentrum für dem Klima angepasste Landnutzung zu entwickeln, mit einer Ausstrahlung in die gesamte Region und weit darüber hinaus. Dieses Zentrum könnte aus einer Kooperation der Stadt Welzow mit der BTU hervorgehen.

Mit dieser Strategie bietet sich die Chance, die Wissenschaft, die Stadt mit ihren Bürgern und den Energiekonzern LEAG zusammenzubringen, um der Region neue Perspektiven für den anstehenden Strukturwandel zu eröffnen, die Zukunftsfähigkeit und Wirtschaftskraft von Stadt und Region mittel- und langfristig zu stärken, das kulturelle Naturerbe bewusst zu machen und lebenswerte Gemeinschaften aufzubauen.

Literatur

ANMERKUNGEN

¹ Die Studie Integrierte Entwicklungskonzeption Neue Landschaft Welzow wurde von September 2017 bis August 2018 am Fachgebiet Landschaftsarchitektur an der BTU in Zusammenarbeit mit dem Studiengang Multimedia/VR Design, Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, der Stadt Welzow und dem Bergbauunternehmen LEAG durchgeführt. Die Projektleitung oblag Dr. Christine Fuhrmann.

² Das 3D-Modell wurde in Zusammenarbeit mit Hannes Stolle, Studiengang Multimedia I VR-Design, Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, erarbeitet.

³ Damit die Gestaltungsziele der Entwicklungskonzeption in der Betriebsplanung des Berbauunternehmens noch rechtzeitig berücksichtigt werden können, sollte die Entscheidung zur Reliefgestaltung bis Ende 2018 vorliegen.

4 Zur Winter School 2018 kamen Studierende und Lehrende der Studienrichtungen Architektur, Landschaftsarchitektur, Stadt- und Regionalplanung und Design der Fachhochschule Osnabrück, der Hochschule Anhalt, der Technischen Universität Berlin, der Technischen Universität Dresden, der Kunsthochschule Burg Giebichenstein Halle sowie der TU Kaiserslautern an die BTU und in die Lausitz.

5 land-innovation-lausitz.de (16.06.2019).

Dr. Christine Fuhrmann
Autorin

Professur an der Internationalen Hochschule/Fernstudium in Erfurt Landschaftsarchitektur

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