Einladende Freiräume für ein entspanntes Miteinander

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Freiraumplanung
"Auf gleicher Höhe". Foto: Nicola Exner, Fotowettbewerb "Summer in the City 2013" der Landeshauptstadt Kiel.

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren." Dieser Satz aus Artikel 1 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist der Bezugspunkt einer neuen Debatte zur Reduktion von Barrieren und zur Herstellung von Gleichbehandlung unter dem Begriff "Diversity" (Vielfalt). Bezogen auf den Freiraum wurden bisher schon einige Facetten des Themas intensiv diskutiert, zum Beispiel die Anforderungen an gendergerechte, sichere, barrierefreie und mehrere Generationen ansprechende Stadt- und Freiräume. Was aber bisher fehlt, ist eine systematische Verschränkung der Debatte über Freiraumqualitäten mit wesentlichen menschenrechtlichen Anforderungen.

Das Diversity-Konzept ist sperrig, birgt aber Innovationspotenzial

Die Wurzeln des Diversity-Konzeptes liegen in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Benachteiligungen sollen aufgespürt und abgebaut sowie der Blick auf ein respektvolles Miteinander und die Chancen von Vielfalt gelenkt werden. Übertragen auf Freiräume und öffentliche Räume bedeutet dies, dass Gärten, Parkanlagen, Plätze und Straßen einladend gestaltet sind und dass niemand ausgeschlossen oder diskriminiert wird. Ein störungsfreies, sich gegenseitig inspirierendes Miteinander von allen Menschen im Freiraum ist sicher eine idealtypische Forderung. Ebenso wie in der Gesellschaft im Allgemeinen gibt es auch im Freiraum widerstrebende Interessen und Konflikte. Sie können aber mithilfe des Diversity-Ansatzes auf eine neue Art und Weise bearbeitet werden. In Bezug auf Diversity haben sich sieben Kerndimensionen herausgebildet, die im Wesentlichen den Diskriminierungsgründen des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) entsprechen und die sich auch auf den öffentlichen Freiraum beziehen lassen müssen. .

  • Geschlecht/Gender: Können sich Jungen und Mädchen, Männer und Frauen gleichermaßen entfalten? Setzen sich produktive und reproduktive Zwecke im Freiraum gleichberechtigt durch?
  • Lebensalter: Finden alle Altersgruppen attraktive Freiräume? Welche Anforderungen haben Menschen unterschiedlichen Alters in einer älter werdenden Gesellschaft an die Freiräume? Vermischen sich die verschiedenen Altersgruppen?
  • Befähigung/Behinderung: Welche physischen Barrieren müssen abgebaut werden? Werden Freiräume so organisiert, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten sich hier ohne weiteres zurechtfinden?
  • Ethnische Herkunft, Hautfarbe und Bürgerstatus: Sind Freiräume und Freiraumaktivitäten so reglementiert, dass sie Menschen einer bestimmten ethnischen Herkunft oder ohne Bürgerstatus ausschließen? Gibt es einen Schutz gegen rassistische Übergriffe?
  • Religion und Weltanschauung: Sind Freiräume religiös oder weltanschaulich möglicherweise so deutlich markiert, dass sich Angehörige anderer Religionen und Weltanschauungen hier nicht wiederfinden oder gar diskriminiert fühlen?
  • Sexuelle Identität: Können im Freiraum unterschiedliche sexuelle Identitäten offen gezeigt werden?
  • Sozialer Status/Lebenslage: Gibt es ökonomische Eintrittsbarrieren, durch die bestimmten Menschen der Zugang zu Freiräumen verwehrt ist? Ist ein konsumfreier Aufenthalt möglich oder sind Rast- und Ruheplätze mit einem Konsumzwang verknüpft?

Quer dazu liegen Fragen der Sicherheit und des Wohlbefindens, die je nach Perspektive unterschiedlich formuliert werden. Freiräume sollen funktional und schön sein. Welchen Beitrag kann also eine an Diversity ausgerichtete Baukultur leisten? Was ist konkret zu tun?

Freiräume als zugängliches System aus mono- und multifunktionalen Orten

Monofunktionale Freiräume sind per definitionem auf einen Zweck hin optimiert, sie wirken also gegenüber anderen Nutzungsinteressen ausschließend. Im Umkehrschluss gilt allerdings nicht, dass multifunktionale Räume deshalb grundsätzlich das Nonplusultra sind. Multifunktionale Konzepte waren in den 80er Jahren en vogue, bis festgestellt wurde, dass Plätze, die eigentlich für alle da sein sollten, letztlich für niemanden mehr interessant sind oder von dominanten Gruppen in Besitz genommen werden. Wir brauchen also ein Freiraumkonzept mit Antworten auf die Frage, wo welche monofunktionalen und welche multifunktionalen Orte sinnvoll sind. In der Zukunft benötigen wir wahrscheinlich weniger hochspezialisierte Leichtathletikwettkampfbahnen, dafür mehr Laufstrecken am Wasser. Den einseitigen Ausbau des öffentlichen Raums für Autos müssen wir zugunsten unterschiedlichster Fortbewegungsarten überwinden.

Nicht jede Nutzungseinschränkung bedeutet eine Diskriminierung

Unterschiedliche Nutzergruppen sind unterschiedlich erfolgreich bei der Aneignung von Freiräumen. Sie sind besser oder schlechter organisiert, wirken mehr oder weniger ausschließend oder sind unterschiedlich empfindlich gegenüber anderen Nutzungen. Ein entspanntes Miteinander braucht aber auch manchmal Bereiche, die exklusiv für eine Gruppe reserviert sind, wie zum Beispiel Spielplätze für Kleinkinder oder Nacktbadezonen. Andere Gebiete, wie zum Beispiel Schrebergartenkolonien, müssen sich in Zukunft mehr öffnen: Bürgerinnen und Bürger mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund haben unter Umständen auch unterschiedliche Ansprüche an die Nutzung ihres Gartens. Diesen sollte Geltung verschafft werden. Eine solche Forderung kann zum Beispiel auch an Sport-, Naturschutz- und Kulturvereine gerichtet werden, zumal sie häufig mit öffentlichen Mitteln gefördert werden.

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So wenig Schilder wie möglich, so viele wie nötig. Das Aushandeln, Erklären und Durchsetzen von Regeln im Freiraum ist eine Aufgabe, die mehr Phantasie und Sorgfalt benötigt. Fotos: Gesina Schindler
Freiraumplanung
Intensiv genutzte Parkanlagen, wie der Englische Garten in München, funktionieren nicht mehr nach dem Prinzip "Leben und Leben lassen". Foto: Bettina Oppermann

Zunächst geht es darum, unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen, Verträglichkeiten und Unverträglichkeiten zu erkennen. Auflagen und Nutzungseinschränkungen mit Diversity-Funktion können dazu dienen, empfindlichen Nutzungsansprüchen mehr Aufmerksamkeit zu widmen und mehr Raum zu geben. Im Sinne eines demokratischen Miteinanders sind Minderheiten vor besitzergreifenden Ansprüchen der Mehrheit zu schützen.

Nutzungsregeln aushandeln und durchsetzen

Nutzungsordnungen für Parks und Gärten oder auch öffentliche Plätze existieren in vielen Städten. Ob und wie sie kulturelle Dominanzmuster festigen oder wie sie hinsichtlich gegenseitiger Rücksichtnahme besser formuliert werden könnten, ist eine interessante Forschungsfrage. "Manieren für Draußen" manifestieren sich auf Schildern und Broschüren aller Art. Indem Symbole und Piktogramme unterschiedliche Lebenswirklichkeiten abbilden, können stereotype Darstellungsformen gegen den Strich gebürstet werden: "Familienbereiche" können nicht nur über Abbildungen mit "Vater, Mutter, Kind" gekennzeichnet werden, sondern auch über Illustrationen einer Gruppe aus Erwachsenen und Kindern.

Ebenso ist die Verwendung von leichter und einfacher Sprache - und von Fremdsprachen - eine wichtige Voraussetzung in der Planungskommunikation. Das Erlernen der unterschiedlichen Sprachniveaus von allgemeiner, einfacher und leichter Sprache wäre eine sinnvolle Weiterbildungsmaßnahme für viele.

Kombinierte Beteiligungsverfahren statt Einladung an alle

Menschen sind unterschiedlich und haben gleichzeitig auch Gemeinsamkeiten. Die Diversity-Dimensionen bieten zwar ein Analyseraster, um unterschiedliche Gruppen zu identifizieren, sind aber nur bedingt geeignet, Lebensrealität zu beschreiben. Kein Mensch kann auf eine einzige Gruppenzugehörigkeit reduziert werden. Auch Menschen einer Herkunftsgruppe unterscheiden sich zum Beispiel nach Lebensalter, Geschlecht und sexueller Orientierung. Gesellschaftlich erfolgreiche Menschen können einen Migrationshintergrund haben oder nicht, hoch gebildete Menschen können sich in einer prekären Lebenslage befinden. Bisher fehlen die quantitativen und qualitativen Daten, um diese Lebenslagen und Interessen für eine bessere Freiraumplanung zu erfassen. Am ehesten sind sozialräumliche Konzepte geeignet, die Bevölkerungsstruktur im Einzugsgebiet der jeweiligen Räume zu identifizieren. Eine weitere Möglichkeit ist, die Belange der Gruppen von diesen direkt und persönlich zu erfahren. Da sich nur bestimmte Gruppen selbst aktiv einbringen, müssen Partizipationsangebote aufsuchend, motivierend, kulturelle Grenzen überschreitend und inklusiv ausgerichtet werden. Manche Minderheiten sollten besonders angesprochen werden. Das Einladungsverfahren per Los nach dem Modell der Planungszelle von Peter C. Dienel ist besser geeignet als eine Ankündigung "für alle", die dann nur die "üblichen Verdächtigen" auf den Plan bringt.

Diversity birgt einige Fallstricke in sich, einfache Appelle reichen nicht

Der Versuch, Diversity mit dem Kürzel " . . . für alle" auf den Punkt zu bringen, hört sich einladend und menschenfreundlich an. Letztlich zeigt dies aber, dass zu wenige Gedanken in die Beantwortung der Frage investiert wurden, wer welche Freiräume warum wie nutzt. Eine multifunktionale Gestaltung "für alle" spricht schließlich niemanden an. Der Anspruch einer gleichberechtigen Nutzung "für alle und überall", verkennt, dass Freiräume per se bereits unterschiedliche Potenziale haben und dass allein deshalb differenzierte Nutzungskonzepte erforderlich sind. Auch eine Kommunikation "für alle" kann es nicht geben, gegenseitiges Verständnis wird nur im konkreten Dialog mit explizit Angesprochenen erreicht.

Mit Baukultur und Freiraumgestaltung werden soziale Probleme nicht gelöst. Dennoch bieten Plätze und Parks eine gute Beobachtungsbasis. Sich auf einer Wiese an einem Sommersonntagnachmittag wohlfühlen, einen Platz im Trubel des Feierabends passieren, sich im Stadtraum sportlich mit eigener Muskelkraft bewegen oder etwa gärtnern in Wohnungsnähe. Was verstehen verschiedene Menschen darunter? Wer fehlt am konkreten Ort und was muss passieren, damit diese Gruppen sich dort auch wirklich eingeladen fühlen? Auf diese Fragen Antworten zu finden, dazu trägt der Diversity-Ansatz bei. Er hilft, Perspektivwechsel vorzunehmen und Routinen zu hinterfragen.

Wir danken den Studierenden der Leibniz Universität Hannover und der Fachkommission "Frauen in der Stadt" des Deutschen Städtetags für die anregende Diskussion zum Thema. Das Forum für Genderkompetenz in Architektur, Landschaft und Planung der Leibniz Universität hat uns inhaltlich und materiell unterstützt.

Autorin

Landespflegerin, Professorin am Institut für Freiraumentwicklung an der Leibniz Universität Hannover

Autorin

Oppermann Beratung Berlin, Eine Welt der Vielfalt e.V.

Autorin

Landeshauptstadt Hannover, Fachbereich Umwelt und Stadtgrün

Autorin

Freiraumentwicklung

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