Bestandsreduzierung bei wachsender Nachfrage in den Großstädten

Entwicklungen und Perspektiven im Kleingartenwesen

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demografischer Wandel Kleingärten
„Kleingartenidylle“, Mülhausen, Sept. 2012.

Im Frühjahr 2014 feierte das Kleingartenwesen sein 200-jähriges Bestehen. In Kappeln an der Schlei wurden 1814 die ersten kirchlichen Armengärten gegründet. Armengärten - ein Begriff, der die Anfänge, die gesellschaftlichen, politischen und sozialen Kausalitäten erfasst, die zur Etablierung dieser Art von städtischem Grün geführt haben. Sind doch die Anfangsgeschichte und die Struktur des Kleingartens ein Spiegel der deutschen Sozialgeschichte. Sie zeigen die politisch-bürokratischen Strategien zur Bedürfnisbefriedung bei den Ärmsten der Armen.

Ein probates Mittel zur Schaffung von Ruhe in der Gesellschaft. Die Römer nannten es "Panem et circensis". Statt befreundete Schluckspechte in der Kneipe sollte der Vater Frau und Kinder im Garten treffen. Nicht in politischer Diskussion sollte die Fantasie verführt, sondern mittels Fitnessprogramm der Boden durchwühlt werden (Leppert, 2009). Es galt: Nur ein gesunder und brav denkender Arbeiter war ein produktiver Arbeiter.

Seit dem ist viel passiert. Den Durchbruch erlebte das Kleingartenwesen nach dem 1. Weltkrieg. Es erfolgte eine umfassende rechtliche Absicherung für die Kleingärtner. Nach dem 2. Weltkrieg wurde der gesetzliche Schutz beibehalten und mit der Verabschiedung des Bundeskleingartengesetzes im Jahr 1983 reformiert. Gegenwärtig steht das Kleingartenwesen erneut vor großen Herausforderungen. Tiefgreifende Veränderungen in Gesellschaft und Stadtraum, im tradierten Wertekodex und im Verhältnis Mensch-Natur stehen an.

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demografischer Wandel Kleingärten
Berliner Kleingärten mit hohen Lärmimmissionen zwischen Bahngleisen am Westhafen.

Die Situation in Europa - Rahmenbedingungen der Kleingartenentwicklung

Wesentliche Rahmenbedingungen für die Entwicklungen im Kleingartenwesen sind der Kleingartenbestand und die Bevölkerungsentwicklung. Im Rahmen diverser Studien- und Forschungsarbeiten (unter anderem Fischer, 2014) wurden für einige im Office International organisierte Kleingartenverbände wesentliche Entwicklungen untersucht. Erkennbar ist die sehr unterschiedliche Kleingartendichte in Europa; zudem wird deutlich, dass Leerstand das Ergebnis einer stagnierenden Bevölkerungsentwicklung bei gleichzeitig hoher Kleingartendichte ist (Fischer, 2014). Diese Aussage trifft insbesondere auf Dänemark zu. In Ländern mit starkem Bevölkerungswachstum und geringer Kleingartendichte kann die Nachfrage nach Kleingärten dagegen nicht gedeckt werden. So existieren in England etwa 50 Prozent weniger Kleingärten, als laut Wartelisten benötigt werden. In London ist die Situation besonders kritisch: "…you may not live long enough to get a garden!" (Doherty, 2013). Der Grad der bedarfsgerechten Versorgung mit Kleingärten ist zudem von der Kleingartenkultur und den klimatischen Bedingungen eines Landes abhängig. So sind die Nachfrage und damit auch der Bestand an Kleingärten in den nordeuropäischen Ländern wesentlich geringer als im europäischen Durchschnitt.

Die Situation in Deutschland

Das Kleingartenwesen Deutschlands befindet sich in einem deutlich erkennbaren Wandel. Die Veränderungen sind je nach Bundesland und Stadt sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht bemerkenswert und zudem durch sehr gegensätzliche Entwicklungen in Großstädten und in strukturschwachen Regionen geprägt.

Großstädte

Die urbanen Verdichtungsgebiete sind von sehr unterschiedlicher Kleingartendichte geprägt. In Leipzig ist diese mit 7,6 Kleingärten/100 Einwohnern (EW) sehr groß, in Stuttgart mit "nur" 0,5 Kleingärten/100 EW sehr gering. Im Durchschnitt liegt die Kleingartendichte in zehn ausgewählten Großstädten bei 2,4 und damit deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt von 1,2 Kleingärten/100 EW. Aus der partiellen Betrachtung der Kleingartendichte lassen sich aber keine Rückschlüsse auf die Versorgungssituation in den Städten ziehen. So gibt es in Leipzig trotz hoher Kleingartendichte nur wenige freie Parzellen (Mitteldeutscher Rundfunk, 2014).

Nach Mitteilung von Günter Landgraf, Präsident des Berliner Landesverbandes, beträgt die Wartezeit in Berlin zwischen drei und sechs Jahren, auf der Warteliste für einen Kleingarten stehen 12.000 Bewerber. Zudem besteht in der Stadt aufgrund des Bevölkerungszuwachses ein Bedarf von zusätzlich 3000 bis 6000 Kleingärten (Landgraf, 2014). Dagegen sind in München mit 1000 Interessenten bei einer Kleingartendichte von nur 0,6 vergleichsweise wenig Einwohner an einem Kleingarten interessiert. Auch in Bremen, Köln und Hamburg werden Kleingärten über Wartelisten vergeben.

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Kleingartendichte ausgewählter Länder Europas (Bevölkerungszahl nach Statista, 2013; Anzahl der Kleingärten nach Office International, 2013)
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Kleingartendichte ausgewählter Großstädte Deutschlands.

Vor dem Hintergrund solcher Wartelisten ist die Bestandsentwicklung der Kleingärten in zahlreichen Großstädten besorgniserregend: In Berlin hat sich die Zahl der Kleingärten seit dem 2. Weltkrieg halbiert (Paul, 2014). Zudem wird befürchtet, dass mit dem Erlöschen der Schutzfrist im Jahr 2020 weitere Berliner Kleingärten verschwinden werden. In Hamburg ist die Situation ähnlich. Hier werden jedoch in der Regel Ersatzflächen angeboten (Jung, 2011).

Auch die Nachfrage der Bevölkerung nach Kleingärten differiert sehr stark. Für alle Großstädte ist jedoch eine chronische Unterversorgung mit Kleingärten bei gleichzeitiger Bestandsreduzierung und wachsender Nachfrage festzustellen.

Neben dem rein quantitativen Versorgungsgrad mit Kleingärten gilt es, bei dem aktuellen gesellschaftlichen und städtischen Wandlungsprozess auch die qualitativen Aspekte etwa hinsichtlich Größe und Nutzungsstruktur zu betrachten. Es ist zu erwarten, dass sich der sogenannte Megatrend Individualisierung (Opaschowski, 2002) mit einer deutlichen Zunahme der Ein-Personen-Haushalte auch im Kleingartenwesen deutlich auswirken wird. Die stagnierende Zahl der Familiengründungen kann zu einer geringeren Nachfrage führen. Andererseits können neue "Pachtgemeinschaften" entstehen, zum Beispiel mehrere alleinstehende Personen mit unterschiedlichen Lebens-, Arbeits- und Wertvorstellungen. Qualitativ sind mit einer verstärkten Nachfrage solcher neuer Pachtgemeinschaften Veränderungen des Angebots verbunden, etwa hinsichtlich der Parzellengröße und der angestrebten Nutzungsoptionen.

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Entwicklungstendenzen des Kleingartenwesens in strukturschwachen Regionen.

Ein weiterer Megatrend, die Entwicklung zur multikulturellen Gesellschaft, ergibt sich aus der steigenden Zahl an Zuwanderern. Besonders deutlich ist diese Entwicklung in den Großstädten. Etwa 15 Prozent der Bevölkerung Hamburgs und Berlins sind ausländischer Herkunft (konsalt GmbH, 2003). In Köln hat jeder dritte Einwohner einen Migrationshintergrund (Stadt Köln, 2010). Diese Entwicklung wird die verstärkte Kleingartennachfrage aus dem Kreis der ausländischen Bevölkerung deutlich prägen (konsalt GmbH, 2003).

Da die deutsche Bevölkerung gleichzeitig schrumpft ist sowohl eine Verschiebung der Nachfragestruktur wie auch der Mitgliederstruktur bei den Vereinen absehbar. Die Bedeutung des urbanen Grüns "Kleingarten" und der Kleingartenvereine für eine damit verbundene gesellschaftliche Integrationsarbeit wird deutlich steigen - und bedarf vielfacher Unterstützung in wirtschaftlicher und kultureller Sicht. Zudem müssen Vereinssatzungen auf die neue gesellschaftliche Struktur und den Wertekodex der zukünftigen Mitglieder angepasst werden.

Der demografische Wandel zählt zu den wichtigsten und meist diskutierten Zukunftsszenarien. Schrumpfung und Überalterung der Bevölkerung werden als wichtigste Folgen prognostiziert, gleichzeitig prägen Urbanisierung mit dem Drang in die Metropolen die Stadtperspektiven. Nahezu jede urbane Kleingartenentwicklung wird von diesen Faktoren deutlich beeinflusst. Die Gruppe der Erwerbstätigen und Kinder wird deutlich abnehmen, während die Zahl der Senioren steigt. Diese Entwicklung korreliert mit dem typischerweise hohem Alter der Kleingärtner. Die Nachfragerückgänge der Erwerbstätigen können durch die steigende Zahl an Rentnern und Frührentnern ausgeglichen werden. Ähnlich der gesamtgesellschaftlichen Veränderung spiegelt sich die Überalterung auch im Kleingartenwesen immer deutlicher wider, sofern nicht mit neuen Konzepten gegengesteuert wird.

demografischer Wandel Kleingärten
Aufgetürmtes Entsorgungsgut auf einer teilweise beräumten Parzelle in Wittenberge.
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Zukunft „Kleingartenpark“ , Hamburg IGS 2013.

Neben diesen absehbaren Entwicklungen sind Kleingärten in Großstädten besonders vielen Nutzungskonflikten ausgesetzt: Von der Flächenkonkurrenz bis zu Lärmimmissionen durch Verkehrswege und städtebauliche Diskussionen um ein "urbanes Schönheits- und Nutzungsideal"- die Existenz und die vielfachen Funktionen der Kleingärten werden mancherorts immer stärker in Frage gestellt. Manche Diskussion zur Stadtentwicklung wird von Stellungnahmen geprägt wie: "(...) Warum nicht Schrebergärten abreißen, die wertvolles Bauland blockieren, (...) wo es hektarweise Flächen (Kleingärten) gibt, in denen gestutzte Hecken und abgenutzte, halb verwitterte Plastikgartenstühle den Blick auf eine Zukunft des Wohnungsbaus verstellen.

Die Schrebergärten beglücken nur die Besitzer ihrer Parzellen. Es ist ein privatistischer von Zäunen, Hecken und Enge geprägter Entwurf einer lebenswerten Stadt, der oft genug die Unansehnlichkeit und Formlosigkeit jenes Kleinbürgertums extrapoliert. Wer von oben auf dem Anflug nach Berlin gelungene von verweigerter Städteplanung zu unterscheiden lernt, sieht das Ausmaß der Zerstörung, den die Schrebergärten der Sinnstruktur des Stadtganzen zugefügt haben. Wie Favelas der unteren Mittelschicht nagen sie an dem Strukturteppich der Stadt und verblüffen selbst von oben mit einer Scheußlichkeit, die nicht einmal bei der Obstblüte im Frühling oder strahlendem Sonnenschein im Juli relativiert wird", (Poschardt, 2012).

M.Eng. Johannes Fischer
Autor

Regierungsbaureferendar der Fachrichtung Landespflege im Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein

Prof. em. Dr. Klaus Neumann
Autor

Berliner Hochschule für Technik, Präsident der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft (DGG)

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