Biodiversitätsprojekte für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung

fokus-n - Wissensportal für naturnahe Freiräume

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Biodiversität
1 Dachbegrünung in der Wohnsiedlung Egg (Kanton Zürich). Foto: Binding Stiftung

Der Druck auf grüne Freiräume im Siedlungsgebiet steigt laufend. Bauliche Verdichtung, zunehmende Trockenperioden oder intensivere Erholungsnutzungen tragen dazu bei. Werden Freiräume hingegen naturnah geplant, realisiert und gepflegt, können damit wichtige Anliegen einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung umgesetzt werden (Bundesamt für Umwelt BAFU, 2022; Küffer et al., 2020): Biodiversität fördern, Hitze mindern, natürliche Ressourcen schonen, ökologische Kreisläufe schließen und die Aufenthaltsqualität erhöhen.

Zahlreiche Gemeinden und Städte haben den Bedarf an naturnahen und biodiversen Freiräumen im Siedlungsgebiet erkannt. Die ergriffenen Maßnahmen zielen vorwiegend auf öffentliche Flächen ab (z. B. Parkanlagen, Friedhöfe, Verkehrsbegleitgrün). Allerdings ist in Siedlungsgebieten der Anteil an privaten und halböffentlichen Freiflächen hoch. Beispielsweise befindet sich in der Stadt Zürich über 60 Prozent des Baulandes in halböffentlichem oder privatem Eigentum (Brenner, 2016). Folglich hat auch die Qualität dieser Räume einen großen Einfluss auf die Biodiversität. Diese hat jedoch in Bauvorhaben einen geringen Stellenwert (Di Giulio et al., 2018; Küffer et al., 2020): Zum einen fehlt es an Informationen, Vorgaben und Kontrollmechanismen; zum anderen bestehen nach wie vor Vorurteile und Unklarheiten in Bezug auf biodiversitätsfördernde Lösungen.

Hinzu kommen komplexe Akteurs-Konstellationen. Neben der Bauherrschaft, Investor:innen und den späteren Nutzenden sind weitere Akteur:innen involviert, deren Werthaltungen, Interessen und Ansprüche sehr unterschiedlich und deren fachliche Hintergründe divers sind. Die einzelnen Gruppen sind kaum miteinander vernetzt und bringen wenig Verständnis für die Vorstellungen, Bedingungen und Praktiken der anderen auf. Vielen relevanten Akteursgruppen mangelt es zudem an notwendigem Fachwissen (Di Giulio et al., 2018).

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2 Staudenbepflanzungen aus vorwiegend einheimischen Arten fördern eine vielfältige Fauna. Foto: Forschungsgruppe Grünraumentwicklung
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3 Ruderalvegetation in Cham (Kanton Zug). Foto: Einwohnergemeinde Cham

Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt

An dieser Stelle setzt das Forschungsprojekt Fokus Biodiversität der Forschungsgruppen Grünraumentwicklung, Pflanzenverwendung und Vegetationsökologie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW an. In Zusammenarbeit mit zehn Schweizer Städten (Aarau, Bern, Cham, Kreuzlingen, Luzern, Neuchâtel, Schaffhausen, Thun, Wädenswil und Zürich) und mit Unterstützung des Bundesamts für Umwelt (BAFU) wurden Planungs- und Umsetzungshilfen für die Praxis entwickelt, die alle Beteiligten darin unterstützen, Biodiversitätsprojekte, Freiräume und Gebäudebegrünungen naturnah zu planen, zu realisieren und zu pflegen.

Das Projekt verfolgte während dreieinhalb Jahre das Ziel, bestehendes Wissen aus Forschung und Praxis zusammenzutragen, verständlich und systematisch aufzubereiten und einfach zugänglich zu machen. Dazu wurden Literaturrecherchen durchgeführt - im Zentrum stand aber der Austausch mit Fachleuten aus den Städten und Gemeinden sowie wichtigen Akteursgruppen, wie zum Beispiel aus der Landschaftsarchitektur, dem Gartenbau oder dem Facility Management. In regelmäßigen Workshops und Fokusgruppendiskussionen wurden die erarbeiteten Inhalte diskutiert, erweitert und geschärft. Dabei wurden Gestaltungsansprüche und Nutzungsmöglichkeiten mit Aspekten der Biodiversitätsförderung in Einklang gebracht, welche die heutige Planung und Umsetzung oftmals vernachlässigt. Ebenso wurden Synergien zwischen Maßnahmen der Klimaanpassung und Hitzeminderung und vielfältigen Maßnahmen der Biodiversitätsförderung herausgearbeitet.

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4 Startseite der Web App fokus-n mit den Hauptbereichen Grundlagen, Fachthemen und Profile. Abbildung: fokus-n
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5 Die Web App fokus-n betrachtet stets alle Lebenszyklusphasen von Freiräumen. Abbildung: fokus-n

Zentrales Wissensportal

Um die erstellten Planungs- und Umsetzungshilfen den Zielgruppen einfach zugänglich zu machen, wurde die Web App fokus-n entwickelt. Diese fungiert als zentrales Wissensportal für Biodiversitäts- und naturnahe Freiraumprojekte. Im Zentrum des Portals steht die Förderung von einheimischen und standortgerechten Pflanzen- und Tierarten, der Erhalt und die Erhöhung der Lebensraum- und Strukturvielfalt sowie deren Vernetzung.

Die Web App ist in vier Hauptbereiche gegliedert:

  • Der Bereich Profile beinhaltet Planungs- und Umsetzungshilfen zu einzelnen Freiraumelementen (z. B. Ruderalvegetation, Blumenrasen, Dachbegrünung).
  • Fachthemen behandeln übergeordnete Aspekte, die für naturnahe Freiräume im Siedlungsgebiet wichtig sind (z. B. Regenwassermanagement, Pflanzenverwendung, Wildtiere).
  • In den Grundlagen sind praktische Hinweise für den Planungs- und Umsetzungsprozess von Projekten zu finden.
  • Ein ausführliches Glossar definiert wichtige Fachbegriffe und liefert zusätzliche Hintergrundinformationen.
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6 Zu sämtlichen Profilen auf der Web App werden die optimalen Standortbedingungen definiert (Beispiel Ruderalvegetation). Abbildung: fokus-n
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7 Die Web App definiert Massnahmen einer naturnahen Pflege im Jahresverlauf (Beispiel Ruderalvegetation). Abbildung: fokus-n

In Lebenszyklen denken

Für eine erfolgreiche Biodiversitätsförderung ist der ganze Lebenszyklus eines Freiraumes zu berücksichtigen: Planung, Realisierung, Pflege und Rückbau. Die Erfahrung zeigt, dass eine naturnahe und biodiverse Freiraumplanung oft zu spät in den Planungs- und Umsetzungsprozess eingebracht wird und wichtige Entscheide dann bereits gefällt wurden, was den Handlungsspielraum erheblich einschränkt. Die Web App fokus-n stellt daher Planungs- und Umsetzungshinweise für sämtliche Phasen bereit. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der fachgerechten naturnahen Pflege, da diese sicherstellt, dass Freiräume ihre Funktion langfristig und dauerhaft erfüllen können.

Es wird zudem darauf hingewiesen, welche Maßnahmen zu welchem Zeitpunkt in einem Bauprojekt - egal ob bei der Umgestaltung einer bestehenden oder bei einer neuen Anlage - relevant sind.

Nebst der phasengerechten Kommunikation wurden auch übergeordnete Anforderungen definiert, welche die Biodiversität, naturnahe Freiräume und Gebäudebegrünungen begünstigen und voranbringen. Dabei wird zwischen Grundsätzen und erhöhten Anforderungen unterschieden. Die Grundsätze sollen in möglichst allen Biodiversitätsprojekten und naturnahen Freiräumen umgesetzt werden - im Sinne von Mindeststandards. In Freiräumen und auf Grünflächen, die weiterreichende Ansprüche an ökologische Qualitäten erfüllen müssen (z. B. im Rahmen des ökologischen Ausgleichs), können Standards gelten, die über die Grundanforderungen hinausgehen - hierfür werden in der Web App fokus-n erhöhte Anforderungen vorgeschlagen.

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8 Potenzial des Profils Ruderalvegetation (Auszug). Abbildung: fokus-n
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9 Blumenrasen enthalten viele blühende Wildpflanzen, vermitteln durch die regelmässige Mahd aber dennoch einen gepflegten Eindruck. Foto: Forschungsgruppe Grünraumentwicklung

Potenziale richtig abschätzen

Unterschiedliche Freiraumelemente - in der Web App Profile genannt - unterscheiden sich bezüglich ihres Einflusses auf die Freiraumqualität. Um diesen Einfluss darzustellen, wurde das Potenzial aller Profile hinsichtlich Biodiversitätsförderung, Siedlungsklima, ökologischem Ausgleich und Nutzungsmöglichkeiten abgeschätzt. Diese Abschätzung unterstützt die standort- und anspruchsgerechte Auswahl der Profile und deren fachgerechte Realisierung und Pflege.

Detailgrad nach Maß

Die Web App fokus-n ist zu einem Portal mit einem breitgefächerten Fundus an übergeordneten Hinweisen, aber auch detaillierten Praxisinformationen herangewachsen. Um dennoch übersichtlich zu bleiben, fasst fokus-n die wichtigsten Inhalte zu jedem Profil und Fachthema kurz und knapp auf einem Faktenblatt zusammen.

Doch die Web App ist nicht "fertig", sondern wächst weiter. Sie wird in Zukunft fortlaufend mit neuen Inhalten zur Biodiversitätsförderung sowie zu weiteren relevanten Themen ergänzt und aktualisiert. Ziel ist es, dass sich das Wissensportal laufend weiterentwickelt, um stets aktuelle Lösungen und Antworten für die sich wandelnden Herausforderungen im Siedlungsgebiet bereit zu stellen.

Hinweis: Das Wissensportal für naturnahe Freiräume und Biodiversitätsförderung steht ab Februar 2023 unter www.fokus-n.ch zur Verfügung.

Quellen

Brenner, M. (2016). Stadt Zürich, Präsidialdepartement: Wem gehört Zürich? Stadt Zürich: Präsidialdepartement. www.stadt-zuerich.ch/content/prd/de/index/statistik/publikationen-angebote/publikationen/webartikel/2016-11-10_Wem-gehoert-Zurich.html

Bundesamt für Umwelt BAFU (Hrsg.). (2022). Musterbestimmungen zur Förderung von Biodiversität und Landschaftsqualität im Siedlungsgebiet.

Di Giulio, M., Pauli, D., Martinoli, D., Krüger, K., & Jacobs, C. (2018). Dialog Immobilien & Biodiversität, planen_bauen_unterhalten, Dokumentation des Symposiums. naturumweltwissen.ch webpdfs/Dokumentation_WEB.pdf

Küffer, C., Joshi, J., Wartenweiler, M., Schellenberger, S., Schirmer-Abegg, M., & Bichsel, M. (2020). Konzeptstudie—Bausteine für die Integration von Biodiversität in Musterbaureglemente. HSR Hochschule für Technik Rapperswil, ILF Institut für Landschaft und Freiraum.

 Reto Hagenbuch
Autor

Leiter Forschungsgruppe Grünraumentwicklung ZHAW, Dozent Freiraummanagement und Urbane Ökosysteme

Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
B.Sc. Tobias Wildhaber
Autor

Umweltingenieur

Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

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