Freizeitrouten und Nahmobilität im suburban-ländlichen Raum
Multicodierung mal anders gedacht
von: Dr.-Ing. Sandra Sieber
Die Premiumstufe
Das erste Teilstück der Radschnellverbindung Frankfurt-Darmstadt wurde 2019 eigeweiht, Ende 2024 waren circa elf Kilometer der insgesamt rund 30 Kilometer fertiggestellt, weitere neun Radschnellverbindungen im Ballungsraum sollen folgen, ausgelegt auf jeweils mehr als 2000 Radpendelnde pro Tag. Der Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main mit rund 2,4 Millionen Ortsansässigen liegt in der Mitte der Metropolregion FrankfurtRheinMain (5,9 Millionen Ortsansässige). Das räumlich enge Patchwork von Großstädten und ländlich anmutenden Orten macht es zur typischen Zwischenstadt. Die hohe Dichte an Siedlungen könnte Ballungsräume eigentlich attraktiv für die Radnutzung im Alltag machen, innerorts wie überörtlich. Teils separat geführte Radschnellverbindungen, auch Radschnellwege genannt, stellen aktuell den höchsten Ausbaustandard im Alltagsradverkehr dar. Entsprechend anspruchsvoll ist die Trassenfindung und -führung, was sich in der langen Planungs- und Realisierungsdauer niederschlägt. Mit ihren hohen Standards sind sie dennoch ein visionärer Baustein bei der Stärkung der Radmobilität im Alltag und der Nahmobilität1 in Ballungsräumen, gerade mit Blick auf Sicherheit, Frequentierung und die mögliche Durchschnittsgeschwindigkeit.
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Der Einstieg – Vom Freizeitradverkehr zum Alltagsradverkehr
Die hohe Qualität der Radschnellverbindungen macht diese auch für den Freizeitradverkehr attraktiv, sei es als neue Attraktion, für den Ausflug in den Nachbarort oder als Teilstück einer längeren Radwanderung. Im Alltag spielt das Rad bislang, bundesweit wie in Hessen, eine untergeordnete Rolle: Gut 50 Prozent der Bevölkerung nutz das Rad seltener als monatlich bis gar nicht2. Von den Personen, die das Rad regelmäßig nutzen, geben deutschlandweit fast 25 Prozent an, in der Woche zwischen zehn und 30 Kilometer mit dem Rad zurückzulegen, 15 Prozent kommen auf 30 bis 50 Kilometer und fast 15 Prozent kommen immerhin noch auf bis zu zehn Kilometer3. Als Gründe gegen das Radfahren werden zumeist die Komfortaspekte des Autos genannt (leichter Transport von Personen/Dingen, Witterungsschutz, höheres Tempo), aber auch Sicherheitsbedenken und soziale Faktoren (Rad ist im eigenen Umfeld nicht üblich/prestigeträchtig)3.
Mit Blick auf die Auto-Distanzen muss das durchaus nicht entmutigen, denn auch beim Auto sind im Durchschnitt rund zwei Drittel aller Fahrten im Alltag kürzer als zehn Kilometer2. Die tägliche (einfache) Pendelstrecke liegt im Mittel bei 16 Kilometer, in Großstädten und Metropolregionen leicht darunter, im kleinstädtisch-dörflichen Raum leicht darüber, aber immer noch unter 20 Kilometer2. Eine andere spannende Zahl: rund 30 Prozent aller Fahrten entfallen auf den Freizeitverkehr mit durchschnittlichen Wegelängen von 15 Kilometern2.
Die Etablierung von E-Bike und Pedelec macht das Rad auch für neue Gruppen und Anlässe interessant: Schon 2017 wurden gerade Dienstfahrten mit dem Rad überwiegend mit E-Bike und Pedelec unternommen und auch Personen über 60 sowie Personen im ländlicheren Raum setzten seit Jahren auf E-Bike und Pedelec, was wiederum die überwundenen Distanzen mit dem Rad steigen lässt2.
Mit Blick auf elektrisch unterstützte Räder und die Erfordernisse einer alternden Gesellschaft und die hohe Quote der nichtradelnden Personen wird klar, wie wichtig sichere und attraktive Radrouten mit guter Orientierung sind. Wenn die Förderung der Nahmobilität ein ernsthaft verfolgtes Ziel ist, muss Mobilität von den schwächsten Gruppen aus gedacht werden. Grade im suburban-ländlichen Raum dockt hier die Frage an, wie eine nicht auf das Auto angewiesene Mobilität in einer alternden Gesellschaft aussehen kann. Mit Blick auf die Distanzen, die mit dem (elektrisierten) Rad zurückgelegt werden können, birgt der Bestand an Radrouten ein enormes Potenzial: Hessen kommt zum Beispiel auf circa 25.000 Kilometer ausgeschilderte Freizeitrouten und an den Bundes- und Landesstraßen auf rund 2500 Kilometer Radverkehrsanlagen inklusive Mehrzweckstreifen.
Freizeitrouten folgen meist einem Thema, bei ihrer Planung sind die Attraktivität der Route mit möglichen Points of Interest (POI) und ansprechenden Pausenorten sowie Orientierung, Beschilderung und Aspekte der Sicherheit zentral. Sogenannte Radverbindungen können Teil einer Freizeitroute sein, dienen aber primär der Verbindung mehrerer Orte. Je höher die Bedeutung als überörtliche Fahrradroute ist, umso mehr wird bei der Planung auf eine direkte, sichere Linienführung geachtet (Schnelligkeit vor Attraktivität). Bei Freizeitrouten ist der Weg an sich (Ausflugs-)Ziel, daher werden für die Attraktivität auch Umwege eingeplant (Attraktivität vor Schnelligkeit).


Für zwei Zielgruppen ist die Verbindung von Freizeit- und Alltagsradverkehr besonders interessant: Die "Genussradler" und Familien mit (kleinen) Kindern. Beide Gruppen bevorzugen bei Ausflügen sichere, abwechslungsreiche, als naturnah gelesene Routen, mit gutem Zustand und guter Orientierung (letztlich beides Teilaspekte von Sicherheit). Damit unterscheiden sich diese Gruppen von Rennrad- oder Mountainbikefahrenden, für die sportliche Aspekte im Vordergrund stehen. Wo die Verbindung von Attraktivität, Sicherheit und Orientierung gegeben ist, haben bestehende Freizeitrouten ein großes Potenzial als Einstieg in die Radmobilität im Alltag zu fungieren. These: Alltagsradverkehr funktioniert dort erfolgreicher wo der Freizeitwert und das Fahrerlebnis hoch sind. Umgekehrt: Je trister, grauer und unsicherer die Strecke, desto geringer der Erfolg in der Mobilitätswende. Ausgeschilderte Freizeitrouten und Radverbindungen bieten im Idealfall innerorts wie außerorts Orientierung und Sicherheit. Es macht im besten Fall Spaß auf ihnen unterwegs zu sein, sei es beim Ausflug am Wochenende oder wochentags auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen oder zum Treffen im Freundeskreis.
Im Gegensatz zum Neubau eigener Radstrecken sind attraktive und sichere Freizeitrouten eine Planung im Bestand. Aufwertungen können punktuell durch Optimierungen der Routenführung (Teilstücke mit höherer Sicherheit oder höherer Attraktivität) und Verbesserung der Orientierung (Beschilderung, wiedererkennbare Ausstattungsmerkmale etc.) erreicht werden. Wobei der Aspekt der Sicherheit immer mit dem Zustand der Radinfrastruktur korreliert: Je sicherer die Radinfrastruktur allgemein, um so einfacher wird es, sichere Freizeitrouten und Radverbindungen zu entwerfen.
Synergien zwischen Freizeitrouten und Alltagsradverkehr durch Multicodierungen bieten sich auf mehreren Ebenen:
- Innerorts können Freizeitrouten als ausgeschilderte sichere Passagen die Ortschaften queren (ggf. durch Anpassen der Routenführung oder bauliche Verbesserungen).
- Entwicklung eines sicheren, innerörtlichen Radnetzes auf der Basis von beschilderten Freizeitrouten und Radverbindungen (ggf. durch Flyer, QR-Codes, Internetseite oder Presseartikel publik machen und Radsicherheit auf diesen Routen priorisieren).
- Stärkung überörtlicher Radverbindungen und Wege durch die (abschnittsweise) Zusammenführung mit Freizeitrouten (gute Orientierung, gute Wegequalität und attraktive Wegeführung).
- Vermeidung von "Wege-Wust" durch multifunktional genutzte Routen (Fokussierung und Kostenersparnis etwa bei Beschilderung und Unterhaltung; Bündelung von Verkehrsbewegungen etwa als Teil des Konfliktmanagements, siehe unten).
- Auch die unterschiedlichen Aspekte der Sicherheit lassen sich durch Bündelung von Routen besser planen, umsetzen und kontrollieren.


Die Regionalparkrouten des Regionalpark RheinMain
Der Regionalpark RheinMain (www.regionalpark-rheinmain.de) entwickelt bereits seit 30 Jahren Freizeitrouten im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main, die bekannteste ist wahrscheinlich die Regionalpark Rundroute, die auf 190 Kilometern rund um Frankfurt führt. Das geplante Routennetz soll perspektivisch 1250 Kilometer umfassen. Es reicht dann im Westen bis nach Lorch, nördlich bis in die Wetterau, südlich ins Hessische Ried und im Osten weit in das hessische Kinzig-Auental. Bis heute sind rund 800 Kilometer Regionalparkrouten mit über 350 Erlebnispunkten entstanden. Die Routen bieten Erholungs- und Erlebnisangebote – zu Fuß und mit dem Rad – gleich vor der Haustüre, und das gerade in einem Raum, der nicht als stereotyp schön oder unberührt gelten kann. Erklärtes Ziel der Regionalparkrouten ist es daher, die verbliebenen und manchmal auch vergessenen urban-suburbanen Landschaften des Ballungsraums Frankfurt/Rhein-Main beziehungsweise der Metropolregion zu erschließen und sie erlebbar zu machen, vom Ölhafen bis zur Aue.
Die Regionalparkrouten überschneiden sich oftmals mit den Fernradwegen des Landes Hessen. Bei der Routenkonzeption wird nach Möglichkeit auf bestehende Wege zurückgegriffen, seien es Straßen, Radwege im Sinne der Straßenverkehrsordnung oder auch Wald- und Feldwege. Eine gute Qualität der Wege ist dabei nicht gleichzusetzen mit durchgängiger Asphaltierung. In einer Befragung in Hessen mit Beispielbildern zur empfundenen Sicherheit von Radrouten, kam ein gut ausgebauter landwirtschaftlicher Weg, gerahmt von grünen Weiden, auf Platz eins. Tempo-30- und Tempo-50-Zonen ohne Radinfrastruktur schnitten beim Sicherheitsgefühl am schlechtesten ab ³.
Ein Aspekt der Sicherheit ist auch die Frequentierung selbst. Fest installierte Messstellen4 an Radrouten im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main lassen zumindest punktuell Rückschlüsse auf die Nutzung bestimmter Stecken zu. Die Regionalpark Niddaroute (ca. 100 km) führt von der Mündung in Frankfurt-Höchst bis zur Quelle im Vogelsberg. Die Zählerstelle am Freibad Eschersheim kam im Jahr 2024 wochentags auf durchschnittlich rund 1000 Radfahrende beziehungsweise Zählvorgänge täglich, am Wochenende waren es 1200 Zählvorgänge täglich. Spitzenreiter 2024 an der Zählerstelle war der 1. Mai mit fast 5000 Zählvorgängen. Eine andere Zählerstelle an der Niddaroute bei Bad Vilbel kommt 2024 unter der Woche auf täglich 435 und am Wochenende auf täglich 636 Zählvorgänge im Durchschnitt (Höchstwert 1. Mai: 3400). Die zunehmende Nutzung einer Radroute kann daher zu Konflikten unter Radfahrenden, aber auch zwischen Rad- und Fußverkehr, Auto- und Radverkehr oder zwischen Radverkehr und landwirtschaftlichen Fahrzeugen führen. Dann muss im Bestand auf unterschiedlichen Ebenen managend eingegriffen werden. Die Bündelung von Routen (Vermeidung von "Wege-Wust") kann etwa zur Reduktion von Konflikten zwischen Radfahrenden und landwirtschaftlichen Verkehr führen. Grundsätzlich sind die Regionalparkrouten aber gleichermaßen für Ausflüge zu Fuß wie mit dem Rad ausgelegt.

Nachhaltigkeit als Standortfaktor
Eine zweite Flussroute im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main führt aktuell auf rund 15 Kilometern von der Kinzigmündung in Hanau bis nach Langenselbold im Main-Kinzig-Kreis und soll perspektivisch entlang der Kinzig bis zur Kinzigquelle bei Sterbfritz (Sinntal) weitergeführt werden. In Teilen wird diese als Regionalpark Kinzigauenroute dem bestehenden Radfernwegs R3 folgen, der von Rüdesheim entlang von Main und Kinzig Richtung Fulda führt und bereits jetzt größtenteils befestigt ist. Kinzigauenroute wie R3 verbinden das Zentrum des Ballungsraums Frankfurt/Rhein-Main mit dessen östlichem Rand. Im Main-Kinzig-Kreis selbst leben gut 430.000 Personen – als Teil des Ballungsraums ist er ein attraktiver Wohnort für Pendler, muss in Zeiten des Fachkräftemangels aber auch für sich als Wirtschaftsstandort und für die Arbeitsplätze in der Region werben. Für Radmobilität im Alltag wie in der Freizeit bietet das Kinzig-Auental als zentrale Achse aller Verkehrsträger grundsätzlich eine gute Ausgangslage: In fünf Kilometern kann meist die nächste Ortschaft erreicht werden, es gibt eine zentrale Bahntrasse (Frankfurt-Fulda), die Radmitnahme im Zug ist kostenlos und vor allem führt die Route durch ein abwechslungsreiches Patchwork aus Auewiesen, Weiden, kleineren Waldstücken und Orten mit historischen Ortskernen.
So besteht mit dem Kinzig-Auental bereits eine Wegeachse im Main-Kinzig-Kreis, die das Potenzial hat, den Fuß- und Radverkehr zu steigern (Förderung der Nahmobilität) und eine Reduktion des motorisierten Individualverkehrs zu begünstigen (Zielstellung Klimaschutz/Verkehrswende). Mit der Weiterentwicklung der Regionalparkroute könnte auch der Alltagsradverkehr attraktiver und mehr Strecken im Nahbereich von zwei bis fünf Kilometern mit dem Rad zurückgelegt werden. Das Projekt NaTourHuKi (2020-2025, www.natourhuki.de) nahm daher genau diese Stadt-Land-Route im Tal- und Kernraum des Main-Kinzig-Kreises in den Fokus. Durch die im Projekt entwickelten Visionen könnte die Erlebbarkeit der Kinzig im Stadtgebiet von Hanau und im Main-Kinzig-Kreis sowie die Erlebnis- und Aufenthaltsqualität des Radfernwegs R3 verbessert werden, mit dessen Verlauf die neue Kinzigauenroute in Teilen deckungsgleich sein könnte.
Als typische Landschaft der Zwischenstadt ist das Kinzig-Auental sehr gut für einen niedrigschwelligen und nachhaltig orientierten Alltags- und Freizeitverkehr auf der Basis von Rad und Bahn geeignet. Von einer Stärkung des Alltags- und Freizeitradverkehrs können mittel- bis langfristig auch wirtschaftliche Impulse ausgehen: Kultur- und Freizeiteinrichtungen (inkl. Gastronomie) können vom Freizeitradverkehr profitieren, Innenstädte und Ortskerne bleiben attraktiv und lebendig, Unternehmen in der Region können von ihren Mitarbeitenden entspannt und kostengünstig mit dem Rad erreicht werden. Alltags- und Freizeitradverkehr sind daher indirekt auch ein Baustein in einem ganzheitlich ausgerichteten Destinationsmanagement wie es von Spessart Tourismus verfolgt wird (siehe dazu das Selbstverständnis der Spessart Tourismus und Marketing GmbH: www.spessart-tourismus.de/ueber-uns). Im Sinne der Nahmobilität gehören sie auch zu den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung ländlicher Räume, wie im Programm von SPESSARTregional für seine Gebietskulisse im Main-Kinzig-Kreis (www.spessartregional.de). Die touristische Vermarktung als nachhaltige Destination Spessart und das Standortmarketing werden daher im Main-Kinzig-Kreis zusammengedacht, wenn es darum geht, die Region auch als attraktiven, lebedigen Wohn- und Arbeitsort zu vermarkten.
So können Verbesserungen im Freizeitradverkehr oder im Radtourismus auch ein Anstoß für Weiterentwicklungen des Fuß- und Radverkehrs im Alltag werden – als Einladung für Ortsansässige und auch als Argumentationshilfe für Politik und Verwaltung.
Anmerkungen
1) Nahmobilität wird hier primär verstanden als Fuß- und Radverkehr.
2) Quelle: infas, DLR und infas 360 (2018): Mobilität in Deutschland (im Auftrag des BMVI).
3) Quelle: LEA Hessen und sinus (2023): Fahrrad-Monitor 2023 Hessen.
4) Siehe: eco-counter, Dauerzählstellen für den Radverkehr in Hessen, https://hessen-mobil.eco-counter.com
Weiterführende Literatur
Christl Wittmann und Lena Helleisz (2022): Neue Aufgaben des Destinationsmanagements: Zwischen Tourismus und Lebensqualität
Dana Stolte (2024): Freizeit- und Ausflugsradverkehr: Eine Analyse von Typologien und ihrem Bezug zum Außenbereich.