Nicht alle Kinder müssen alle Spielgeräte nutzen

Für jeden etwas - Inklusive Spielräume

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Spielräume in der Stadt
1 Balancieren fördert die Selbstwahrnehmung und steigert die eigenen Fähig- und Fertigkeiten. Anfangs noch mit Hilfe von Größeren: Gelebtes Miteinander ist Inklusion. Foto: Massstab Mensch

Selina B. hat es fast geschafft: nur noch wenige Schritte auf der Slackline trennen sie von ihrem Ziel. Hochkonzentriert, das Gesicht nach oben gerichtet, Arme weit von sich gestreckt meistert sie diese akrobatische Übung. Am Ziel wird sie absteigen, ihren weißen Stock entfalten und vielleicht ihren Weg zurück zum Anfang nehmen. Selina B. ist blind. Sie liebt diesen Spielplatz, weil sie sich hier sicher fühlt, um darauf alleine zu spielen und weil er ihr Herausforderungen bietet. Wie diese Slackline, auf der man nicht sehen können muss, nur balancieren.

Die Forderung nach barrierefreien Spielplätzen stellt viele Kommunen, Planer und Landschaftsarchitekten vor Probleme. Nicht zuletzt weil bislang großenteils Verwirrung über die verschiedenen Bezeichnungen herrscht: Was ist barrierefrei? Was behindertengerecht? Und ab wann spricht man von inklusiv? Neuanlagen werden - wenn überhaupt - am ehesten behindertengerecht geplant. Häufig wird barrierefrei als "rollstuhlgerecht" interpretiert und umgesetzt - und zwar unabhängig davon, ob es im Einzugsbereich eine relevante Zahl an Rollstuhlfahrern gibt.

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2 Das zwei Sinne-Prinzip ist grundlegend für Inklusive Spielräume: Tastbare, unterschiedlich farbige Punkte leiten Nutzer zu einem berollbaren Spielangebot. Foto: Massstab Mensch

Was Inklusion bedeutet

Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch dabei sein und nach seinen eigenen Fähig- und Fertigkeiten mitmachen kann. Wie inklusive, beziehungsweise barrierefrei erreichbare Spielräume aussehen können und was bei ihrer Planung zu beachten ist, beschäftigt den "Arbeitskreis Inklusion des Normungsausschuss NA 112-07-01 AA Spielplatzgeräte" (im Folgenden: AK Inklusion).

Zwar gibt es keine Definition von Barrierefreiheit für Spielplätze, wohl aber verschiedene Gesetze und Konventionen: das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), die UN-Behindertenrechtskonvention von 2009 und verschiedene Normen, die auch barrierefreie Spielplätze berücksichtigen, wie die DIN 33942 "Barrierefreie Spielplatzgeräte" oder die DIN 18034 "Spielplätze und Freiräume zum Spielen".

Das BGG definiert "Barrierefreiheit" in § 4: Anlagen, Verkehrsmittel und Gebrauchsgegenstände gelten demnach als barrierefrei, wenn sie in allgemein üblicher Weise ohne besondere Erschwernisse und grundsätzlich ohne fremde Hilfe nutzbar sind.

Überträgt man diese Definition direkt auf Spielplätze, käme eine unmögliche Forderung heraus: Es würde nämlich bedeuten, dass Spielplätze für Kinder jeden Alters und unabhängig von jeglichen motorischen oder kognitiven Einschränkungen nutzbar sein müssen.

Spielplätze werden jedoch bewusst mit "Einstiegsschwellen" angelegt. So können Krabbelkinder beispielsweise über eine Rampe auf eine Ebene eines Spielplatzgerätes gelangen, während größere Kinder etwa über Leitern eine andere Ebene erklettern können. Dies verhindert, dass Kinder ein für sie noch nicht geeignetes Gerät nutzen. Ein Kind soll und darf auf einem Spielplatz nur dorthin gelangen, wo es die Gefahren selbstständig wahrnehmen und beurteilen kann. Dies ist individuell verschieden, hängt von Alter, Entwicklungsstand und kognitiven sowie motorischen Fähigkeiten ab.

Inklusive Spielräume machen Angebote, die jeder entsprechend seinen Möglichkeiten nutzen kann - unabhängig von einer Behinderung. Es gilt der Grundsatz:

"Ein Spielplatz muss allen Kindern Spielmöglichkeiten bieten, aber nicht jedes Spielgerät muss von jedem Kind nutzbar sein."

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3 Berollbare Hackschnitzel und Rampen: Nicht nur Geräte sollen selbstständig nutzbar sein. Auch die Erreichbarkeit ist nach dem Zwei-Sinne- und Zwei-Wege-Prinzip ein wesentliches Kriterium für inklusive Spielräume. Foto: Massstab Mensch

Die Wünsche sind dieselben

Unbeschwerte Spielerlebnisse sind für die kindliche Entwicklung unverzichtbar. Fast alle Kinder möchten klettern, schaukeln, rutschen, wippen und gestalten. Kinder suchen Herausforderungen und ein bisschen Nervenkitzel - in jeder Entwicklungsstufe und entsprechend der individuellen Fähig- oder Fertigkeiten. Die DIN 18034 gibt vor, wie dieses kindliche Grundbedürfnis in der Spielplatzplanung umgesetzt werden kann.

Ein wichtiger Aspekt sind Spielangebote, die unterschiedliche Sinne und Fähigkeiten ansprechen und so vielschichtige Herausforderungen bieten. Spielplätze sprechen idealerweise alle Sinne an: Pflanzen für Optik, Haptik und den Geruchssinn, der Einsatz verschiedener Materialien ermöglicht unterschiedliche taktile sowie optische Erlebnisse und Angebote, mit denen Geräusche erzeugt werden können, bringen die akustische Welt mit ein. Je abwechslungsreicher die Auswahl, desto mehr bindet sie alle Kinder mit ihren individuellen Fähigkeiten ein. Ein Kind mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung, kann ein Spielangebot eventuell teilweise nutzen oder auf andere ausweichen, die seinen Fähigkeiten entsprechen.

Wichtig ist außerdem die Anordnung der Spielplatzgeräte: Ermöglicht sie verschiedene Spielabläufe? Sind die einzelnen Angebote so verteilt, dass sie nicht gleich auf einen Blick überschaubar sind, sondern bieten sie die Möglichkeit zu Entdeckungen? Ein Spielplatz mit differenzierten Bereichen bietet sehr viele integrative und inklusive Aspekte. Gibt es die Möglichkeit, zunächst aus sicherer Entfernung zu beobachten, was und wie die anderen Kinder etwas machen? Bietet der Platz Rückzugsorte?

Auch so genannte "befestigte" Flächen sind für alle Kinder nutzbar: Kleinkinder befahren sie mit Bobbycar oder Dreirad, größere mit dem Fahrrad oder auf Inlinern und für Rollstühle sind sie ebenfalls geeignet. Sind diese Flächen darüber hinaus modelliert oder verfügen über gestaltete Hindernisse, bieten sie Kindern zudem den Anreiz, entsprechende Fertigkeiten zu entwickeln, die Hindernisse schneller oder leichter zu bewältigen.

Wichtig ist es darüber hinaus, Spielgeräte und Spielplätze nicht isoliert zu betrachten, sondern auch das Umfeld im Blick zu haben. So sollte bei der Planung unbedingt die barrierefreie Zugänglichkeit berücksichtigt werden (entsprechende Regelungen enthält die DIN 18040-3).

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4 Inklusive Spielräume sprechen mit Spielangeboten gezielt die unterschiedlichen Sinne an und geben so Anreize: Sehen, Hören, Fühlen, Tasten, Schmecken, Riechen. Foto: Massstab Mensch

Eine Matrix für unterschiedliche Fähigkeiten

Diese allgemeinen Überlegungen zeigen, dass die Planung eines barrierefreien Spielplatzes grundsätzlich denselben prinzipiellen Kriterien folgt, wie die eines nicht barrierefreien. Die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten inklusiver Spielräume gehen weit über die Installation einer Rollstuhlschaukel hinaus. Zumal eine solche Rollstuhlschaukel einerseits den Rollstuhlfahrer stigmatisiert und andererseits für Kinder ohne Rollstuhl nutzlos ist. Ein solches spezifisches Spielplatzgerät wird zudem den vielen anderen möglichen Einschränkungen und Behinderungen nicht gerecht.

Der Arbeitskreis Inklusion arbeitet deshalb an einer Matrix, welche Aspekte bei einem inklusiven Spielraum berücksichtigt werden müssen. Dies fließt in ein Bewertungssystem mit Punkten ein. Erreicht ein Spielplatz durch Geräte, räumliche Anordnung, Materialien etc. eine bestimmte Punktzahl, erhält er das Prädikat "Inklusiver Spielraum".

Dieses System ist sehr flexibel, da es nicht den einen barrierefreien Musterspielplatz definiert, der dann als Standard vielfach kopiert wird, sondern viele verschiedene Möglichkeiten eröffnet. Ein weiterer Vorteil: Das Bewertungssystem lässt sich auch auf bestehenden Spielplätzen anwenden.

Fazit

Spielplätze die nach den vorgenannten Kriterien bestimmte Schwerpunkte und Schwierigkeitsstufen berücksichtigen sind flexibel. Zwar wird nicht jedes Kind jedes Angebot nutzen können, aber jedes Kind findet auf jedem dieser Spielplätze etwas, das es kann und das ihm Spaß macht. Ein gutes Beispiel ist das Balancieren: breite, eckige Holzbalken für die ganz Kleinen und jene, die motorisch eingeschränkt sind, Rundbalken für etwas Mutigere und Geübte, Seile oder Slacklines für "Profis". Eine solche Abstufung bietet den Ansporn, sich schrittweise an die nächsthöheren Schwierigkeitsstufen heranzuwagen. Balanciergeräte eignen sich im Übrigen auch für blinde Menschen. Dieses Beispiel unterstreicht den oben genannten Grundsatz, dass ein Spielplatz allen Kindern Spielmöglichkeiten bieten sollte, aber nicht jedes Spielgerät von jedem Kind nutzbar sein muss.

"Inklusiver Spielraum - wie geht das?"

Dies war das Schwerpunktthema der 3. Fachtagung für Kindersicherheit auf Spielplätzen im Oktober 2019.

Für alle Interessierten: Die 4. Fachtagung für Kindersicherheit auf Spielplätzen findet im nächsten Jahr, 15. bis 17. Oktober 2021, statt.

Die Veranstaltung richtet sich an alle mit der Planung, dem Bau, der Einrichtung, Inspektion und Wartung von Spielpla?tzen Bescha?ftigte. Weitere Informationen: www.massstabmensch.de

Dipl.-Ing. (FH, MPA) Peter Schraml
Autor

Sachverständiger für Spielplätze und Obmann des Arbeitskreises Inklusion

Massstab Mensch

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