Das Internationale Gartenfestival in Chaumont-sur-Loire

Gärten im Garten Frankreichs

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Das Château de Chaumont, vor dem Schloss im Rasen die Skulptur aus Redwood von David Nash, 2013. Foto: Heidi v. Lottner

Konkurrenz belebt das Geschäft. Diese ökonomische Binsenwahrheit bestätigt sich während einer Reise durch die Loirelande buchstäblich auf Schritt und Tritt. Die im Jahr 2000 als Unesco-Weltnaturerbe klassifizierte 280 Kilometer lange Flussregion ist eine der schlösserreichsten Landschaften Europas und damit ein touristisch spektakuläres Herzstück des spätmittelalterlichen Frankreich. Zu beiden Seiten der Loire sind hier - wie steinerne Zeugnisse eines permanenten Wettstreits - majestätische Königsschlösser und Herrensitze hingestreut, die im 15. und 16. Jahrhundert errichtet oder modernisiert wurden und ihre Glanzzeit erlebten, bevor zu Beginn des 17. Jahrhunderts die königliche Hofhaltung unter Ludwig XIII. und mit ihr sukzessive auch der Adel endgültig nach Paris abwanderten. Die Loireschlösser sind der steingewordene Ausweis fürstlicher Distinktion und Machtfülle, nicht immer frei von triumphalen Gesten der Selbstüberhöhung.

Allen voran steht die "größte Jagdhütte der Welt" - wie das ab 1519 von Franz I. errichtete, monumentale Jagdschloss von Chambord in liebevoller Untertreibung genannt wird. Eine Wegstrecke flussabwärts erhebt sich "der Riese der Loire" - das heute in der 13. Generation noch von der Familie des Duc de Brissac bewohnte gleichnamige Château - mit sieben Stockwerken und nicht weniger als 204 Zimmern. Am mittleren Flusslauf konkurrieren gleich mehrere Schlösser um das Privileg der ersten repräsentativen - und seinerzeit modernsten - Treppe nach italienischem Vorbild auf französischem Boden. Flussaufwärts bewahrt das wehrhafte Château von Sully eine spätmittelalterliche, eichene Kielbogendecke von schwindel-erregender Scheitelhöhe. Die Aufzählung solch architektonischer Superlative ließe sich beliebig fortführen.

Gärten im Loiretal - das historische Erbe

Kaum weniger selbstbewusst beziehungsweise prestigeträchtig dürften sich ab dem späten 15. Jahrhundert die fürstlichen und königlichen Bauherren auch bei der Anlage und Ausgestaltung ihrer Garten- und Parkanlagen gebärdet haben. Doch anders als im Fall der Schlossbauten haben ihre Gartenschöpfungen die Zeiten nicht überdauert. Wenn wir heute in den Loirelanden auf Gärten des 15. oder 16. Jahrhunderts treffen - die Lustgärten der Diane de Poitiers und der Katharina d'Medici am Schloss von Chennonceau oder den spektakulären Garten des Château de Villandry -, dann sind es moderne Rekonstruktionen oder freie Nachschöpfungen zeittypischer Gartenformen. Erst aus dem 19. Jahrhundert haben sich vielgestaltige Landschaftsgärten mit beeindruckenden Bäumen in wenig verändertem Zustand erhalten.

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Lageplan der Domaine mit Schloss (A), Wirtschaftsgebäuden (C, F–K), Festivalgärten (D, 1–24), historischem Park (B), Le Parc des Prés du Goualoup (unten). Abb.: Domaine de Chaumont
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Unter dem Vordach des Reitstalls der Domaine de Chaumont drängt sich die mit vergoldeten Magnolienblättern bedeckte, gasgefüllte Kugel von Klaus Pinter, 2013. Foto: Domaine de Chaumont, Eric Sander
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Die blaue Empfindung (Le sentiment bleu), Hommage an Derek Jarman, Italien. Der Garten folgt dem blauen Grundton des Farb-konzepts der Domaine und spielt zugleich auf den Film "Blue", den letzten des Regisseurs Jarman, an. Foto: Heidi v. Lottner
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Die Wohlgerüche des Weinbergs (Les parfums du vignoble), Frankreich. Bordeauxrote Stäbe und Regalwände zwischen Weinreben, die Sortennamen tragen, zu dunkelroten Fässern gebogene eiserne Fassreifen und Flaschenkorken erzeugen als stumme Accessoires die Illusion eines Grand Cru. Foto: Heidi v. Lottner

Ähnlich wie zu Zeiten ihrer Entstehung herrscht unter den Schlössern auch heute noch eine "beinharte" Konkurrenz um Prestige und Vorrang. Zwar nicht mehr um die Darstellung persönlicher und institutioneller Machtfülle, sondern um die Gunst der Touristen, die sich im Besucherandrang durchaus auch ökonomisch niederschlägt. Sowohl in Authentizität wie Originalität, in exotischen wie historischen Inszenierungen, in Gartengrößen, Gestaltungs- und Pflanzenvielfalt, in Pflegeaufwand und Farbigkeit des Gartenflors suchen die Schlösser und deren Gärten einander zu übertreffen. Und in diesem Wettstreit ist ein Gartenfestival ein hervorragendes Alleinstellungsmerkmal.

Das Gartenfestival von Chaumont-sur-Loire

Mit diesem punktet das Schlossgut Domaine de Chaumont nun schon im 22. Jahr höchst erfolgreich. Und das, obgleich das Château de Chaumont, zwischen Blois und Amboise in phantas-tischer Aussichtslage am Hochufer der Loire gelegen, historisch nicht zur allerersten Riege der Schlösser zählt, auch wenn sich illustre Vorbesitzer wie Katharina d' Medici, Diane de Poitiers und Princesse Marie-Charlotte-Constance de Broglie in den Annalen finden. Der Princesse, Tochter und schwerreiche Erbin aus der französischen Zuckerdynastie der Familie Say, und ihrem Gemahl, Prince Amédée de Broglie, verdankt es Chaumont, dass zwischen 1875 und dem Ersten Welt-krieg dort noch einmal großes gesellschaftliches Leben einzog, umfangreich restauriert sowie neu gebaut und die Anlage von Henri Duchêne (1841-1902) mit einem Landschaftsgarten komplettiert wurde.¹

Wie andernorts in Europa ist auch in Frankreich spätestens mit der Charta von Florenz 1981 ein wachsendes öffentliches Bewusstsein für seine historischen Gärten und deren denkmalgerechte Pflege zu beobachten. Und im Rahmen dieser neuen Bewegungen nimmt die Domaine de Chaumont als "terrain d'experience² und "laboratoire et vitrine des jardins"³ eine herausragende Stellung ein. Denn nicht nur das seit 1992 jährlich veranstaltete Gartenfestival, das zu den Vorreitern in der inzwischen weltweiten Geschichte der Gartenfestivals zählt,4 sondern auch die in Chaumont darüber hinaus eingegangene strategisch geschickte Verbindung einer temporären Gartenschau mit den historischen Parkbereichen, ergänzt um wechselnde Kunstausstellungen, verbreiten seinen Ruf in der internationalen Gartenwelt.

Bei allen Aktivitäten wird dabei stetseine enge Verbindung von Natur und Kunst angestrebt. Und in diesem Umfeld agiert auch das auf der Domaine gegründete Centre d'arts et de nature. Es bespielt den historischen Park und seit einiger Zeit zudem eine weite, angrenzende Wiesenebene (Prés du Goualoup) sowie das Schloss samt Ställen und Wirtschaftsgebäuden mit teils permanenten, teils wechselnden Ausstellungen zeitgenössischer Skulptur, mit Installationen und Werken der Fotokunst, sodass schon der Vergleich mit den Filmfestspielen von Cannes oder der Kunstbiennale von Venedig gezogen wurde. Denn schließlich lassen sich auch die dichtgedrängten Festivalgärten als eine Galerie unter freiem Himmel verstehen.

Und die Besucherzahlen bestätigen das Konzept. Nach Angaben der Veranstalter war von 2007 bis 2012 eine Steigerung der Besucherfrequenz um 100 Prozent auf insgesamt 400.000 Schaulustige zu verzeichnen.5

Die Anfänge und der Fortgang der Erfolgsgeschichte dieses inzwischen 32 Hektar umfassenden Gartenreichs der Domaine de Chaumont, die sich seit 2008 im Besitz der Gemeinde und der Region Centre befindet, sind gut dokumentiert.6

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Der Duft des prächtigen Chaos (Le parfum du chaos magnifique), Spanien. Die Stäbe und Tafeln scheinen zu schweben und wie der Lavendel- und Rosenduft den Betrachter sinnlich zu verführen. Foto: Heidi v. Lottner
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Hinter dem Kleiderschrank (Derrière l\'armoire), Frankreich. Geöffnete Schranktüren markieren am Beginn des überwucherten Gartens den Eingang in ein grünes Märchenreich. Foto: Heidi v. Lottner
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Die Töne sehen, die Farben hören (Voir les sons, entendre les couleurs), Frankreich. Magisch zieht der Kokon im Hintergrund den Besucher in die überschäumende Pflanzenfülle hinein. Foto: Heidi v. Lottner

Die Gärten des 22. Gartenfestivals

Bereits seit Beginn im Jahr 1992 war das Gartenfestival - im Gegensatz zu anderen, kurzzeitigen Gartenevents, die sich ebenso Festival nennen - auf eine mehrmonatige Dauer angelegt. Ein international offener Wettbewerb des 1992 in Chaumont gegründeten Conservatoire international des parcs et jardins et du paysage7 generiert für die Domaine zurzeit jährlich etwa 300 Projekt-Einsendungen, aus denen gut zwei Dutzend Teilnehmer ausgewählt werden - die Handvoll eingeladener Gäste, die eine "Grüne Karte" bekommt, nicht eingerechnet.

Was aber haben ein französischer Bildhauer, ein Parfümier, italienische, französische, spanische, algerische, chinesische, russische und deutsche Landschaftsarchitekten, Botaniker, Grafikdesigner, ein Eventmanager, ein Komponist und zwei französische Studentengruppen gemeinsam? Sie alle gehören zu dem handverlesenen Kreis von 25 professionellen Landschaftsgestaltern und Amateurgärtnern, die in diesem Jahr ihre Entwürfe in Chaumont verwirklichen können. Das 22. Festival findet vom 24. April bis 20. Oktober 2013 statt.8

Die praktische Umsetzung ihres Projekts ist den Wettbewerbsgewinnern weitgehend selbst überlassen. Einzig logistische Unterstützung gewährt die Domaine sowie ein festes Budget von 10.000 Euro, aus dem die Realisierung und das Pflanzgut für die jeweils rund 250 Quadratmeter messenden Festivalgärten zu bestreiten sind.9

Auf dem rund drei Hektar großen, ornamental parzellierten Areal liegen die kleinen Gärten dicht an dicht. Die von dem belgischen Landschaftsarchitekten Antoine Wirtz einheitlich gestalteten Buchenhecken geben jedem Garten einen grünen Rahmen, der allerdings ungeachtet seines perfekten Pflegezustands den Gärten eine räumliche Beschränkung auferlegt, die mehr als einen Teilnehmer sichtlich einengt. Wenn das Festival im Oktober seine Pforten schließt, werden die Gärten zurückgebaut, die Pflanzen veräußert und das Gartengelände für das nächste Jahr erneut vorbereitet.

Wie in allen früheren Jahren steht auch das 22. Gartenfestival 2013 unter einem Motto: "Jardins des sensations" - "Gärten der sinnlichen Empfindungen".10 Die Assoziationsbreite des Themas lässt vermuten, dass, nicht unähnlich dem das Festival einführenden Zitat des französischen Lebensphilosophen Henri Bergson aus seinem Werk "Matière et mémoire" (1896), auch die Auswahl der Wettbewerber 2013 eher philosophischen als formalen Kriterien gefolgt ist. Wie der begrenzte Platz und das Wettbewerbsverfahren theoretische Konzepte gleichfalls begünstigen dürften. So greifen die Entwürfe, mit Ausnahme maurischer Anklänge in einem algerischen Garten, auch weder Gartentraditionen auf noch nehmen sie Bezug auf ihre Umgebung. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Bepflanzungen der Festivalgärten dem auf einen blauen Grundakkord gestimmten allgemeinen Farbkonzept der Domaine folgen.

In den Gärten selbst begegnet dem Besucher zunächst ein Kaleidoskop formal abwechslungsreicher, farbig gedämpfter, malerischer und duftender Kreationen, die mit unterschiedlichen Mitteln eine Reise durch die Welt der fünf Sinne eröffnen. Erst in einem zweiten Schritt wollen die Gärten - in der Diktion ihrer Entwerfer - als "poetische Augenblicke, musikalische Kompositionen, Kindheitserinnerungen, Augenblicke des Außer-sich-seins oder als impressionistische Bilder" verstanden werden. Boden- und Pflanzenfarben vermischen sich dabei mit "saveurs, flaveurs, fragrances melées", steigern sich in einem weißen Garten - "Der Duft von Weiß" (Le parfum du blanc) zweier italienischer Entwerfer oder im Dunkelrot in "Die Wohlgerüche des Weinbergs" (Les parfums du vignoble) zu sinnlicher Präsenz oder im wilden Dunkelrot in "Die Wohlgerüche des Weinbergs" (Les parfums du vignoble) zu sinnlicher Präsenz.

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Der Fluss der Sinne (La rivière des sens), Frankreich. Die Pergola, die sich wie ein Fluss ohne Mündung durch das sie umschlingende Grün windet, zwingt auch den Besucher, sich in die wogenden Pflanzenwellen zu stürzen, die ihn am Schluss wieder ausspeien werden. Foto: Heidi v. Lottner
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Shodo Suzuki, L\'Archipel de Shodo Suzuki, 2013. Installation im Prés du Goualoup. Über dem unbeweglichen Wasserspiegel "schweben" glänzend schwarze Granitbrocken: Sinnbild der gefährdeten Lage Japans am Rand eines unheimlichen Tiefseegrabens. Foto: Heidi v. Lottner
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Yu Kongjian, Quadrat und Rundung (Carré et rond), 2013. Installation im Prés du Goualoup. Himmel und Erde, Grundelemente des chinesischen Gartens, hat der Architekt und Pritzker-Preisträger des Jahres 2012 hier in geometrische Grundformen aus Wasser und Bambus umgesetzt. Foto: Heidi v. Lottner

In "Der Duft des prächtigen Chaos" (Le parfum du chaos magnifique) des spanischen Büro BNC verschmelzen sie sinnfällig zu einem synästhetischen Eindruck. Dort entsteht im Durchschreiten eines blauen, duftenden Lavendelteppichs und weißer Rankstäbe sowie angesichts weißer, das Sonnenlicht einfangender Holztafeln im Gartengrund ein wohllautender, sinnlich mehrfach gesättigter Eindruck.

Auffallend häufig werden zur Beschwörung "der sinnlichen Empfindungen" dem Licht und dem Schatten, der Luft und dem Wind sowie den Tönen mess- und fühlbare sinnliche Qualitäten beigelegt, wie in "Courir pour voir le couleur du vent" (Laufen, um die Farbe des Windes zu sehen) oder "Voir les sons, entendre les couleurs" (Die Töne sehen, die Farben hören), ohne dass allerdings die Gestaltung selbst diese Ansprüche immer plausibel einlöste. Ein solches Urteil mag sich relativieren, wenn während der "Nocturnes" zwischen Juli und August die in den Gärten versteckten Lichtquellen die Parzellen illuminieren. Immer aber wird in den Gärten mit taktilen Reizen ebenso wie mit Oberflächenstrukturen gearbeitet und es werden demonstrativ auch olfaktorische Sensationen geboten ("Les sniffettes").

Nicht immer gelingt es auf den kleinen Gartengründen, Räume oder gar Raumfolgen zu schaffen. Wenn der Besucher durch einen geöffneten Schrank hindurch den dahinterliegenden, verwirrenden Gartenraum einer französischen Studentengruppe betritt ("Derrière l'armoire" - Hinter dem Kleiderschrank), so bedarf es ausführlicher Erläuterungen, welches widerstreitende Raumempfinden sich beim Durchstreifen des grünen Terrains einstellen soll. Geometrisch konzipierten Gärten gelingt eine Raumillusion auf der begrenzten Fläche leichter. Optische Mittel helfen dabei. So sind bei "La jetée" (Die Hafenmole) der französischen Architekten César Gourdon und Amélie Busin fünf ansteigende Spiegelreihen derart übereinander platziert, dass beim Hineinschreiten in den Garten die Spiegelungen den Raum zu weiten scheinen und sich die Illusion eines irrealen Raumkontinuums einstellt. Noch weiter treibt das illusionistische Spiel mit Realität und Irrealität, mit Innen- und mit Außenwelt ein unzugänglicher weißer Kubus ("Outside in ou le jardin de l'infini" - Außen - Innen oder der Garten der Unendlichkeit) aus Deutschland und Mexiko, der einen Wald nur im Kopf des Besuchers evoziert. Welche reale Raumerfahrung auf wenig mehr als 200 Quadratmetern Grundfläche möglich ist, zeigt eine über den Gartengrund mäandrierende Pergola, die den Besucher aufnimmt und kalkulierte Durchblicke auf Duftkräuter und Nektarpflanzen freigibt (La rivière des sens - Der Fluss der Sinne).

Während Bodenstrukturen - oft im Hell-Dunkel-Kontrast - häufig als Gestaltungsmittel dienen, wird mit Wasser eher selten gearbeitet, wenn man von einem Teegarten ("Jardin des rizières") und einem, geschickt mit Begrenzungen und Reflexen spielenden Lounge-Deck ("En apesanteur") absieht. Auch dies sicher ein Tribut an die geringen Gartengrößen. Was einen französischen Architekten, zwei Biologen und einen Bühnenbildner im Umkehrschluss aber überzeugend dazu inspiriert hat, einen gartengroßen, jedoch wasserlosen, dafür mit Erde verfüllten und verkrauteten Pool zivilisationskritisch gegen den Vorstadttraum vom eigenen Schwimmbad vorzuführen ("Saute qui peut" - Es springe, wer kann).

Beobachtet man den Besucherschwarm in den Festivalgärten, so lässt sich dieser weder von deren Heterogenität noch den konzeptuell blumigen Begleittafeln gängeln oder einschüchtern. Vielmehr folgt er unaufgefordert dem Rat der Direktorin der Domaine und des Festivals, Madame Chantal Colleu-Dumond: "Besuchen Sie uns und nehmen Sie unsere Ideen mit nach Hause." Dass für die Veranstalter aber durchaus die Form eines Gartens über dessen gedankliches Konzept siegen kann, lässt das Urteil der Direktorin vermuten. Sie versteht sich dem Vernehmen nach speziell zu zwei Kreationen des Festivals: dem taktilen, interaktiven Klangbaum des französischen Musiklabels akousthéa ("Le jardin à fr^oler") sowie zu der Strohlandschaft: "Paysage à gouter" (Eine Landschaft zum Schmecken).¹¹

Dieser französische Garten bezieht eindeutig ökologische Positionen, wenn er die in den USA praktizierte Anbautechnik des "straw bale gardening" übernimmt und zu einem begehbaren Landschaftsrelief aus bepflanzten Strohballen verdichtet, die sich allerdings nach dem ersten Drittel der in diesem Jahr extrem nassen Sommersaison bereits in ein unpassierbares Chaos aufzulösen begannen. In die ökologische Richtung zielt auch "Des meules impressionantes" (Über eindrucksvolle Schober) des französischen Bildhauers Robin Godde, der sich in einem Wortspiel der "Heuhaufen" des Impressionisten Claude Monet bemächtigt, mit ihnen aber nicht mehr auf die von Impressionisten untersuchten Lichtstimmungen abzielt, sondern mittels realer Strohsetzungen an alte, schon fast verschwundene Erntetechniken erinnert. Eindeutig kämpferische Position bezieht ein französischer Beitrag, der fünf akkurate, grüne Pflanzenkolonnen in schwarzen Erdsäcken aufbietet, die stechen, stinken, den Gesichtssinn und den Geschmack beleidigen ("Qui s'y frotte, s'y pique!" - Wer sie berührt, der sticht sich!). Was im Rahmen des Festivalprogramms nur bedeuten kann: Auch im Reich des sensuellen Wohllauts schlägt die Natur zurück.

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Die Hafenmole (La jetée), Frankreich. Die auf Eisenstäben montierten Spiegel reflektieren im Rückgriff auf barocke Praktiken das Licht und eine fragmentierte Objektwelt. Foto: Domaine de Chaumont, Eric Sander
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Der Garten der leichten Berührung (Le jardin à fr_ler), Frankreich. Lianen und Schnüre ergreifen den arglos unter das Geäst Tretenden, bedrängen ihn mit fremden Lauten aus den Tiefen eines urweltlichen Waldes. Foto: Heidi v. Lottner
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Über eindrucksvolle Schober (Des meules impressionantes), Frankreich. Nur in wenigen Ländern Ostmitteleuropas trifft man heute noch auf die kunstvoll aufgesetzten Heu- und Getreide-schober: fragile Architekturen aus Abertausenden von Halmen. Foto: Domaine de Chaumont, Eric Sander

Le Parc des Prés du Goualoup

Konzeptionell nicht voneinander zu trennen sind der historische Landschaftspark mit den dort fest installierten Kunstwerken von den entsprechenden Neuzugängen auf dem etwa zehn Hektar großen Wiesengrund Prés du Goualoup, den seit 2011/12 Louis Benech überarbeitet und der mit zum Gartenfestival zählt. 2013 sind dort mehrere raumgreifende Installationen neu hinzugekommen: unter anderem die Arbeit eines japanischen Landschaftsarchitekten - "L'Archipel de Shodo Suzuki" - und die minimalistische Umsetzung eines traditionellen chinesischen Gartens von Yu Kongjian. Sie verteilen sich in noch lockerer Streuung über das weite Grasland, setzen aber mit den dort bereits vorhandenen Installationen starke, bleibende Akzente.

Mit der permanenten Vermehrung seiner landschaftsgebundenen Installationen zielt die Domaine deutlich über den reinen Gartenevent der Festivalgärten hinaus. Und bestätigt einmal mehr ihren Anspruch, im "Garten Frankreichs" - so Rabelais über die Touraine - in die Riege europäischer Kunstbiennalen aufzusteigen. Gut möglich, dass sich damit dem kritischen Vorwurf entgegenwirken lässt, das Gartenfestival, dessen Anpflanzungen in den wenigen ihnen gewährten Monaten kaum Zeit haben, zu einem Ganzen zusammenzuwachsen, könnte durchaus Züge des Konsumismus tragen.¹² Ganz praktisch bringt ein Festival aber auch zusätzliche Abwechslung in die historischen Gärten, regt lokale Besucher zum wiederholten Besuch an und dient so nicht zuletzt der breiten Profilierung der Domaine de Chaumont. Ob das Gartenfestival 2013 entscheidend neue Impulse für die europäische Garten- und Landschaftsarchitektur setzt, muss allerdings einmal mehr die Zukunft zeigen.

Mehr als 500 Gärten

Wer seinen Rundgang über die Domaine in Ruhe unternehmen will, tut gut daran, sie an einem schulfreien Tag zu besuchen. Zwar mag man den Schulkindern - im Jahr 2012 haben 20.000 das Schlossgut zu pädagogischer Unterrichtung besucht - ihr Vergnügen durchaus gönnen, in den kleinen Parzellen endlich ihrer Größe angemessene Gärten zu durchstreifen, die sie allerdings dann und wann, und dies sehr zum Leidwesen des Obergärtners Gérard Dosba, fälschlich für Abenteuerspielplätze halten. Nicht immer also verschafft die Konkurrenz der numerischen Überzahl zwangsläufig auch das größere Vergnügen.

Mit einem anderen Superlativ ist das Gartenfestival jedoch bereits in die Annalen der Gartengeschichte eingegangen, hat alle Konkurrenten hinter sich gelassen. Über 500 temporäre Festivalgärten sind in den vergangenen mehr als zwei Jahrzehnten entstanden - und vergangen. Sie leben nur in der Erinnerung ihrer Besucher sowie in den Archiven ihrer Schöpfer und der Domaine de Chaumont weiter. Dieser ephemere Charakter unterscheidet die Gartenkunstwerke - trotz ihrer "Bodenständigkeit" - fundamental von beweglichem Kunstgut. Das gelangt nach Ausstellungsende wieder in feste Hände. Doch dieser Unterschied ist ein Grund mehr, Chaumonts Gärten jedes Jahr erneut zu besuchen.

Anmerkungen

1) Zu Chaumont und dessen Park u. a. Florent Tesnier, Germain Loisel, Le Château de Chaumont. Val de Loire (Itinéraires). Centre des monuments nationaux. Editions de patrimoine, Paris 2003, sowie www.domaine-chaumont.fr.

2) 30 ans de création de jardins en France , in: L'Art des jardins, Sonderheft, Winter 2012-2013, S. 46. Dort an Beispielen ein erster Überblick über die gartenhistorischen Initiativen mit weitere Literatur.

3) Connaissance des arts, 24.4.2013. Die Domaine erhielt zudem die Auszeichnung "Jardin remarquable" und der historische Park 2011das Prädikat "Arbres remarquable".

4) Zur Geschichte der Gartenfestivals allgemein siehe u. a. Tim Richardson, 50 Avant Gardeners. Avantgardistische Landschaftsarchitektur und Gartengestaltung, München 2009, S. 265-272.

5) Zu den Besucherzahlen siehe Domaine de Chaumont-sur-Loire: Festival international des Jardins. "Jardins des sensations" (24 avril - 20 octobre 2013) sowie dieselbe: "Centre d'arts et de nature. "Expostions et installations" (6 avril - 11 novembre 2013), S. 55 bzw. S. 39. Beide Veröffentlichungen dienen als Kataloge des Festivals, darin auch alle Namen der bis zu fünf und mehr am jeweiligen Projekt Beteiligten, auf deren vollständige Erwähnung hier in Text und Bilderläuterungen verzichtet wird.

6) Siehe Anm. 5 sowie Anm. 2.

7) Zu Struktur und Aktivitäten der Institution siehe www.conservatoire-jardins-paysages.com.

8) Erläuterungen zum Festivalprogramm siehe Anm. 5, S. 3-5 (Jardins); S. 3 (Expositions et installations), sowie auch www.domaine-chaumont.fr/festival?cat=2Expandable=0.

9) Persönliche Mitteilung von Gérard Dosba, Chef jardinier der Domaine de Chaumont, am 10.6. 2013.

10) Die Themen bis 2007 versammelt Richardson (wie Anm. 4), S. 268. Zu den Folgejahren siehe www.domaine-chaumont.fr.

11) So laut Interview vom 11.5.2013, in: Aujourd'hui en France.

12) Zur Diskussion siehe Jörg Dettmar, Und ewig blüht das Land. Sind Gartenschauen in Zukunft nachhaltig?, in: DGGL-Jahrbuch 2010, S. 70-73.

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