Gärten und Parks als naturdialogische Räume

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Der Garten Little Sparta in den schottischen Pentland Hills, gestaltet von Ian Hamilton Finlay und Sue Finlay. Fotos: Jürgen Milchert

Unser Gartenbild setzt traditionellerweise ein freundliches Naturbild voraus. Für uns ist die Natur sanft und mild, obwohl uns die täglichen Anschauungen und abendlichen Fernsehnachrichten oft eines Anderen belehren. Der Garten steht für eine friedliche, freundliche und sanfte Natur. Im Garten leiht die Natur einer humanen Idee ihren Formen- und Farbenreichtum. Im Garten und im Park geht es darum, die Natur mit Hilfe der Gartenkunst zu veredeln, was oftmals auch eine Art Zähmung bedeuten kann.

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Garten und Gärtner.
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Faszination des Baumes.

Vielleicht ist dies nicht nur aus kultureller Sicht legitim, sondern auch eine unserer Aufgaben auf dieser Erde, den man auch als Planet der Lebendigen bezeichnen kann. Mit der Entstehung des Gartens ist also auch ein Stück Zivilisierung der Natur verbunden. Im Garten ist der "Frieden mit der Natur" Programm. Der Garten wird zur eigenen Gartennatur. Der Gärtner ist seit vielen Jahrhunderten in diesem Sinne ein Wegebereiter menschlicher Kulturleistung. Der Garten ist auch ein durch Gedanken gefasster und definierter Ort. Er betont die Bedeutsamkeit des Menschen für die Evolution: Ohne den Menschen wäre die Erde leerer, auch für die belebte und unbelebte Natur und ihr wechselseitiges Zusammenleben. Gärten und Parks werden zu gelebten Räumen, in dem sich Mensch und Natur vielleicht sogar in dialogischer Weise treffen. In der Tradition der abendländischen Philosophie gibt es eine "gewordene" Natur ("natura naturata"), die man als außermenschliche Natur verstehen kann und eine "schöpferische" Natur ("natura naturans"), die der Mensch selber ist. Vielleicht verbinden sich im zukünftigen Garten als "humaner Menschenpark" diese beiden Ebenen der Natur zu einer neuen qualitativen Einheit. So wie sich vor etwa 100 Millionen Jahren die Blütenpflanzen und die sie bestäubenden Insekten in der Evolution gleichzeitig herausbildeten und aneinander entwickelten und daraus die Schönheit der Gartennatur entstand, so könnte ein heutiges Projekt darin bestehen, die menschliche und die außermenschliche Natur im Garten zusammen zu führen.

Es gibt Anzeichen dafür, dass es eine innere Logik der Gartengeschichte gibt, die in einer Art "Aufeinanderzugehen" von Mensch und Natur besteht. Der Garten wird damit zur eigenen, zur neuen Natur. Zunehmend erblicken wir im und über dem Garten oder Park die Natur. Gärten und nicht Wildnisse sind unsere zivilisatorischeren Zugänge zur Natur. Während überall ein gravierender Rückgang der Artenvielfalt zu beobachten ist (vgl. Wuketits 2003), werden in unserer Menschen gemachten Natur neue Bilder und eine neue Artenvielfalt erzeugt.

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Vorgeschichtslandschaft in Irland: Weltkulturerbe „New Grange“.
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Der Baum und der Wald.

Diese Überlegungen sind auch spannend vor der gegenwärtigen Diskussionen in der Kunst und der Philosophie zum Thema "Koevolution" (Riechelmann und Oetker 2015). Wir verändern unsere umgebende Natur und werden von ihr verändert. Man merkt dies insbesondere bei den Haustieren, die sich mit den Menschen verändern, man merkt dies aber auch in umgekehrter Weise bei den Haustierhaltern, die sich ebenfalls im Umgang mit den Tieren verändern. Übrigens boomen die Tierfriedhöfe, während die Menschenfriedhöfe brachfallen: Eine kulturell durchaus problematische Entwicklung.

Weit spannender sind da die Erkenntnisse, die in der Gegenwart über die Intelligenz der Tier- und Pflanzenarten gemacht werden. So schreibt der Förster Peter Wohlleben (2015) in diesem Jahr in seinem Bestseller "Das geheime Leben der Bäume", wie sich in den Wäldern ein vernetztes System der Bäume entwickelt hat, das eine große "Intelligenzleistung" voraussetzt. Ähnliches erfährt man von bestimmten Tierarten (Rabenvögel), Meeresbewohner oder Kleinstlebewesen.

Überträgt man eine derartige Sichtweise auf den Gartenraum, so steckt auch in diesem Idealraum eine ganze Menge verborgene Intelligenz. Verbindet sich diese außermenschliche Intelligenz mit der Gartenintelligenz des "grünen Fingers", so beeinflussen, addieren und ergänzen sich diese verschiedenen Lebenskreise zu einer neuen Gartenqualität. Wenn man in diese "Seele des Gartens" einschwingt, so hat dies einen großen Eigengewinn und man macht die Welt ein wenig natürlicher und menschlicher. Legt man ein derartiges Konzept über die Kulturlandschaften, so gewänne man auch hier eine neue Qualität und Naturwahrnehmung. Man kann dies beispielsweise auch in der anthroposophisch ausgerichteten Landschaftsarchitektur beobachten, das die sichtbaren und unsichtbaren Wesen und Kräfte des Gartens optimieren möchte. Warum gibt es keine botanischen Gärten die nicht nach der Systematik der Botanik aufgebaut sind, sondern nach den Systemen des gedeihlichen ja geistigen Zusammenlebens, das mehr beinhaltet als ein Nebeneinander?

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Der Garten als geistige Landschaft: Gesehen im Garten „Little Sparta“ in Schottland.
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Mensch und Baum im Berliner Tiergarten.

Gernot und Hartmut Böhme (2004) kommen in ihrer lesenswerten Studie über die Kulturgeschichte der vier Grundelemente Feuer, Wasser, Erde und Luft zu folgendem Ergebnis: "Natur also wird nicht mehr, wie noch in der Antike und in der christlichen Schöpfungslehre, als das schlechthin Bleibende vorausgesetzt; sie ist nicht geschichtslos, sondern selbst geschichtlich. Sie ist dies, weil mit der Existenz des Menschen die Entwicklung der Natur nicht mehr sich selbst überlassen blieb. Wir befinden uns heute in der Lage, dass wir durch unser geschichtliches Handeln verantwortlich für den Fortgang der Evolution geworden sind. (...) Man kann deshalb die Humangeschichte nicht länger nur als Emanzipation vom Naturzustand verstehen, sondern ebenso als permanente Transformation der Natur selbst. Damit wird der alte Gegensatz von Natur und Kultur obsolet."

Dies gilt auch ganz konkret für den Gartenliebhaber: Wer über seinen Garten redet, redet von sich, von seinen Wunschbildern, Träumen und Alpträumen. Die Biographien der Gärtner und die Biographien ihrer Gärten sind eng aufeinander bezogen. Gute Gartengestalter berücksichtigen dies. Dies gilt insbesondere auch für den Reifeprozess. So wie der Garten sich über die Jahre schönwächst und entwickelt, so entwickelt der Gartenfreund seinen eigenen Schönheitssinn. Was oftmals ganz individuell für den Gärtner gilt, mag auch gesellschaftlich gelten. Man verändert den Garten und verändert sich, schärft sein Sensorium, seine Sinne und verändert auch ein Stück Natur. Daraus erwächst die moralische Verpflichtung, dieses Stück umgrenzte Erde ein wenig an die Natur zurück zu schenken, sie damit zu bereichern, durch neue ästhetische Konzepte, optimierte Blütenformen und Blättertexturen, vor allem aber Pflanzengesellschaften und Gestaltungsformen, die in der Natur so nicht oder noch nicht zu finden sind. In der Entwicklung der eigenen Humanität wird der Garten (gesellschaftlich: der Park) humaner und man harmonisiert dadurch die Natur als eine Art Resonanzraum, jedenfalls ein wenig.

Naturschönheit wird traditionell in kulturell geprägten Begriffen ausgedrückt; wie könnte es auch anders sein. Schon Johann Wolfgang von Goethe schreibt in den Wahlverwandtschaften: "So wenig der Gärtner sich durch andere Liebhabereien und Neigungen zerstreuen darf, so wenig darf der ruhige Gang unterbrochen werden, den die Pflanze zur dauernden oder zur vorübergehenden Vollendung nimmt. Die Pflanze gleicht den eigensinnigen Menschen, von denen man alles erhalten kann, wenn man sie nach ihrer Art behandelt. Ein ruhiger Blick, eine stille Konsequenz, in jeder Jahreszeit, in jeder Stunde das ganz Gehörige zu tun, wird vielleicht von niemand mehr als vom Gärtner verlangt". Was Goethe für eine ruhigere langsame und vorindustrielle Zeit beschreibt, sollte im schnelllebigen Heute mit seinen gestiegenen technischen Möglichkeiten erst recht gelten.

Der Garten ist ein der Wildnis abgetrotzter Raum, in dem die Gesetze der menschlichen Zivilisation gelten, die heutzutage zunehmend virtuelle und technische Möglichkeiten besitzt. Der Garten wird zum Zimmer, der Stadtpark zum grünplüschigen Freizeitcenter, in dem man sich gemeinsam aufhält und die Landschaften im Umkreis der Städte entwickeln sich zu erhabenen Stadtparks. Damit wird die Natur zu einer Art erweitertem Wohnraum. Hier gelten die Gesetze des Menschen. Es kommt zu einer Erweiterung des Ich-(Garten) oder Wirgefühls (Park) in den Gartenraum. In den Möglichkeiten der Gartengestaltung schwingt ein emanzipatorisches Moment: So wie der Mensch kein fertiges Produkt ist, sondern erst zum Menschen wird, indem er seine Freiheitsspielräume entwickelt, so ist auch der Garten niemals fertig. So kann Gartengestaltung auch ein Idealraum gestalterischer Freiheit sein, wo sich Natur und Mensch treffen können. Hierfür gibt den positiven Mythos von Arkadien, der auch heutzutage ein große Bedeutung besitzt. Der lateinamerikanische Dichter Octavio Paz erläuterte 1984 beim Erhalt des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels diese zeitlose Sehnsucht: "Im Schoße der versöhnten Natur, unter einer gnädigen Sonne und mitleidigen Sternen leben Männer und Frauen in Muße, Frieden und Eintracht. Die natürliche Harmonie zwischen allen Lebewesen - Pflanzen, Tiere, Menschen - ist das sichtbare Bild der geistigen Harmonie". Wem fällt hier nicht der Idealraum des schönen Gartens ein. Auch darin liegt eine Zukunftsutopie für den heutigen Garten, deren Auswirkungen durchaus ambivalent sind.

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Alter Friedhof in Irland.
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Ein Satz Goethes in den Himmel geschrieben (am Aasee in Münster) auf der Parkwiese liegend zu lesen.

Vielleicht gewinnt der Garten in unserem zukünftigen Verhältnis zur Natur damit einen nie gekannten evolutionären Stellenwert, vielleicht wird er zur grünen Experimentierbühne der mikrogenetischen Revolution. Gibt es im Garten eine Kategorie des "Noch-Nicht-Sein", wie sie der Philosoph Ernst Bloch in seinem Buch "Experimentum Mundi" 1975 ausformulierte: "Dieses gelingt nicht mit der vorhandenen Natur, doch auch nicht, wie die leeren Seelenträume meinten, ohne Natur. Traum vom besseren Leben meint zu guter Letzt, in toto, eine neue Welt, also wieder einen Schauplatz." Kann dieser neue Schauplatz ein völlig neuer Garten sein? Kann ein so interpretierter Garten der Ort zur "Naturalisierung des Menschen und zur Humanisierung der Natur" sein, um ein berühmtes Wort von Karl Marx zu gebrauchen?

Auch wer die Natur in ihrem christlich religiösen Kontext als Schöpfung betrachtet, muss eine besondere Verantwortung für dieses "fünfte" Evangelium empfinden. Papst Benedikt XVI stellt in seinem lesenswerten Buch über Jesus von Nazareth (2007) eine derartige Sichtweise in großer Deutlichkeit her: "Sind nicht die Oasen der Schöpfung, die zum Beispiel um die Benediktinerklöster des Abendlandes entstanden sind, Vorgriffe auf die Versöhnung der Schöpfung, die von den Gotteskindern kommt, wie umgekehrt etwa Tschernobyl erschütternder Ausdruck der im Gottesdunkel verknechteten Schöpfung ist". Papst Franziskus I scheint diesen Aspekt noch stärker zu betonen, wenn er diesen Aspekt - zu sehen auf der EXPO 2015 im vatikanischen Pavillon -mit dem sozialen Elend in den typischen Slumgebieten kombiniert.

Bisher wurde die Koevolution zwischen Mensch und Natur nur als Vorgang gesehen, in dem der Mensch seine Sinne an der außermenschlichen Natur entwickelt, schärft und durchsetzt. Über seine Haustiere, Tierzüchtungen, Nutzpflanzen und den Kulturfolgern beeinflusst der Mensch immer stärker die Evolution. Der englische Biologe Rupert Sheldrake hat diesen Zusammenhang mit seinem Modell der "morphogenetischen Felder", die eine Art unbewusste verbindende Resonanzebene darstellen, eindrucksvoll beschrieben: Über eine vierte Dimension, die so genannte morphogenetische Resonanzebene, stehen die Tier- und Pflanzenarten in Kommunikation untereinander und mit den Menschen in Verbindung. Deshalb sind gerade die Haustiere, Nutzpflanzen und Zierpflanzen für die Evolution der Natur so wichtig, denn sie machen die Evolution "humaner" und den Menschen "natürlicher". Im Umgang mit den Pflanzen des Gartens, im Umgang mit den Haus- und Gartentieren kommt es also zu einer nonverbalen wechselseitigen Kommunikation. Der Garten und in gesellschaftlicher Hinsicht der Park werden zu Schulungsräumen, wo Mensch und Natur sich begegnen, gegenseitig voneinander lernen. Wir nähern uns den Tieren und Pflanzen und jene werden uns ähnlicher, also "menschlicher". In den Gärten und Parks gelten nicht mehr die Gesetze des "Fressens und Gefressenwerdens", sondern hier ist im Sinne Platons eine "große goldene Kette", eine große Gemeinschaft gegenseitiger Anziehung aller Lebewesen zu beobachten, die durch Sympathie untrennbar miteinander verbunden sind. Die Natur im Garten in Form von Pflanzen und Tieren ist einem nicht gleichgültig, sie ist auch selber nicht die nichts erschütternde emotionslose Urmutter, sondern als Menschen begegnen wir ihr persönlich und emotional. Auch sie ist parteilich, verzeiht uns keine Irrtümer. Kein anderer Raum wird schon heute derart selbstverständlich mit dem Heilaspekt in Zusammenhang gebracht wie der Garten. Der Garten wird zum therapeutischen Raum. Der "Menschenpark" könnte in diesem Sinne zu einer echten Koevolution zwischen Mensch und außermenschlicher Natur beitragen.

Vielleicht kann nicht nur der Garten durch den Menschen humaner werden, sondern vielleicht auch die Natur dazu beitragen, den Menschen zu "befrieden". Die zivilisatorische Schale des Menschen ist hauchdünn, das ist eine Lehre aus Geschichte und Gegenwart und wird gerade aktuell im Rahmen von Kriegen, Vertreibungen, Flüchtlingsströmen und großem Elend erfahrbar. Unter unserer humanistischen Schale lauert die innere Wildnis, nicht nur das äußere Klima scheint sich zu erwärmen, sondern auch die Innenwelt der Menschen. Da braucht es Räume, in denen sich Humanität im Miteinander abbilden kann. Da kann der Garten zum grünen Bild der Humanität werden. Wir bewegen uns aufgrund der immer deutlicher werdenden wechselseitigen Abhängigkeit von menschlicher und außermenschlichen Natur auf eine Art "Zeitgenossenschaft" - hin zur außermenschlichen Natur. Die Natur wird zum Partner und bekommt in Form der Pflanzen und Tiere ein persönliches Gesicht. Sie verliert ihre Anonymität.

Seit der Renaissance und vor allem im 19. Jahrhundert werden Pflanzen im Garten als Individuen "gefeiert", gewinnen Individualität. So bewirken die exotischen Gartengewächse, dass man sich an einem Ort in die Weite der Welt "ausdehnen" kann, die ganze Welt auf kleinem Raum im Garten versammelt. Im Garten sind die Pflanzen den Gesetzen der Evolution entzogen, fragile Spezialisten, die sonst nur in den Lücken vorkommen, erhalten großzügigen Lebensraum, der alte Rosenstock, der alte Baum wird sorgsam über sein natürliches Alter hinaus gepflegt und erhalten. Drastisch führt uns die ökologische Krisensituation einen möglichen gemeinsamen Untergang vor Augen. Das zivilisatorische Zerstörungspotenzial des Menschen ist derart gewaltig und "unkontrolliert", dass der Blick auf die natürlichen Maßstäbe im Gartenraum und die zahlreichen Gartenindividuen dazu beitragen kann, ökologische Zusammenhänge zu erkennen und in Form natürlicher Veränderungsprozesse zu relativieren.

Im Idealbild des Gartens deutet sich nun die alte "göttliche" Utopie des friedlichen Ortes an, an dem sich die Natur nach humanen Gesichtspunkten organisiert, wo also Löwe und Lamm friedlich nebeneinander leben (sollen). Der Garten wird zum Idealraum der kulturellen Humanisierung von Mensch und Mensch und Mensch und Natur. Hier geht man friedlich miteinander um, hier gilt nicht das Recht des Stärkeren. Die friedliche Welt in unseren besseren Träumen, die kleine Welt im Garten und die etwas größere Parkwelt des Friedlich-Freundlichen Nebeneinanders nähern sich an. Vielleicht stellt dies das Modell des "neuen Menschen gemachten Paradiesgartens" dar, der durch allerlei genetische, technische, architektonische und gartenbautechnische Instrumente für eine zukünftige Welt des friedlichen Miteinanders steht.

Musste man in der Renaissance noch mit den beweglichen Automaten, also mechanischen Tieren und Pflanzen vorlieb nehmen, so bieten uns heute spannendere Möglichkeiten. Indem im Zuge der neuen gentechnischen Möglichkeiten die Materie selber zum Raum menschlicher Gestaltung wird, verändern sich auch unsere räumlich-architektonischen Möglichkeiten. Auch der Aufenthalt im Garten macht friedlicher. Im Garten gilt ohnehin traditionellerweise nicht das Recht des Stärkeren, sondern jede Kreatur hat ihren Platz innerhalb seiner bewusst gewählten Schönheits- und Seltenheitsgrenze. Gärtner waren immer schon Leute, die die Natur leiten, lenken und beeinflussen. Vielleicht liegen im genmanipulierten Zeitalter auch große Chancen. Neue mikrogenetische Möglichkeiten dürften den Garten revolutionieren, Gartenunterhaltung wird zum rechnergesteuerten Spiel. Neue genveränderte Pflanzen lassen klimatische Grenzen und ungünstige Standortbedingungen verschwinden, werden anspruchsloser, blütenfreudiger und in jede Richtung formbarer: Anything Goes. Der Garten als Reservat humaner Schönheit und friedlicher Utopie.

In diesem Sinne käme dem Garten vielleicht eine evolutionäre Funktion als Raum neuer sichtbarer Humanität. Nicht mehr nur der Zufall bestimmt die Evolution, sondern gezielte Auswahl. Endlich gibt es ein Paradies ohne Schuldbewusstsein, kein Sündenfall existiert, da man sich gegenüber keinem Schöpfergott rechtfertigen muss. Der Gärtner ist traditionell der Berufstand, der erfolgreich seit hunderten von Jahren Auslese betreibt. Nun gibt es neue fantastische Möglichkeiten! Das Paradies findet jetzt, hier und heute statt, sowohl als Nutzgarten als auch als Ziergarten. Peter Sloterdijks provozierend hingeworfene Metapher "Menschenpark" bekäme damit eine positive utopische Bedeutung. Der Mensch organisiert mit den neuen genetischen Möglichkeiten nicht nur seine eigenen Erbanlagen und Lebensentwürfe, sondern nutzt die grüne Umwelt als Spielwiese neuer Möglichkeiten im Mensch/Natur-Verhältnis. Traum und Albtraum, Utopie und Hybris liegen in dieser Utopie dicht nebeneinander. Die große Frage der Zukunft wird sein, ob sich dieser "Friede mit und in der Natur" als großartiges Humanitätsprojekt entwickelt, oder als seelenlose Hölle entpuppt, als apokalyptisches Zukunftsprojekt völliger Manipulation.


Literatur

Benedikt XVI: Jesus von Nazareth, Herder Verlag, Freiburg 2007.

Bloch, Ernst: Experimentum Mundi. Frankfurt 1975.

Böhme, Gernot und Hartmut Böhme: Feuer, Wasser, Erde Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente. München 2004.

Eliade, Mircea: Das Heilige und das Profane. Hamburg 1957.

Flessner. Berndt: "Transhumanisten und Extropianer auf ihrem Weg zur Allmacht und Unsterblichkeit". In Kursbuch 164. Zeitverlag Hamburg 2006.

Goethe, Johann Wolfgang von: Wahlverwandtschaften. Stuttgart und Augsburg 1858.

Jencks, Charles: A garden of cosmic speculation: London 2003.

Levi-Strauss, Claude: Das wilde Denken. Frankfurt 1973.

Ludwig Forum Für Internationale Kunst (Hg.): Natural Reality. Aachen 1999.

Milchert, Jürgen: "Auf der Suche nach der Sprache der Natur". In: Gartenpraxis, Heft 3/2005, S. 36-42.

Riechelmann, Cord und Brigitte Oetker (Hg.): Zu einer Ästhetik des Lebendigen. Jahrbuch für moderne Kunst. Sternberg Press.

Schama, Simon: Der Traum von der Wildnis. Natur als Imagination. München 1996.

Sheldrake, Rupert: Die Wiedergeburt der Natur. Bern 1992.

Sloterdijk, Peter: Regeln für den Menschenpark. Frankfurt 1999.

Steiner, Rudolf: Geistige Wesenheiten in der Natur. Stuttgart 1992.

Wohlleben, Peter: Das geheime Leben der Bäume. München 2015.

Wuketits, Franz M.: Ausgerottet - Ausgestorben. Über den Untergang von Arten, Völkern und Sprachen. Stuttgart und Leipzig 2003.

Prof. Dr. Jürgen Milchert
Autor

Hochschule Osnabrück

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