Entstehung der 391 Hektar großen Hamburger Begräbnisstätte

Gartendenkmal Friedhof Ohlsdorf

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Friedhöfe
Blick vom Verwaltungsgebäude über die "Cordes-Allee" nach Osten, um 1920. Foto: Museum Ohlsdorf

Der in Hamburg gelegene Friedhof Ohlsdorf ist aufgrund seiner gestalterischen Einzigartigkeit und Qualität als bedeutendes Garten- und Kulturdenkmal und Gesamtkunstwerk von internationalem Rang anzusehen. Um den aktuellen Änderungen in der Bestattungskultur besser entgegentreten zu können und auch in Zukunft einen wirtschaftlichen Friedhofsbetrieb unter Berücksichtigung denkmalpflegerischer sowie natur- und artenschutzrechtlicher Belange zu gewährleisten, wurde 2015 von der Freien und Hansestadt Hamburg, Behörde für Umwelt und Energie (BUE) und den Hamburger Friedhöfen -AöR- die Entwicklung der "Nachhaltigkeitsstrategie Ohlsdorf 2050" in Auftrag gegeben. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau- und Reaktorsicherheit im Rahmen "Nationale Projekte des Städtebaus" gefördert. Den Auftrag zur Erarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategie erhielt das Berliner Büro bgmr Landschaftsarchitekten1, zusammen mit der Landschaftsarchitektin Katrin Lesser, die den gartendenkmalpflegerischen Fachbeitrag erarbeitete. Dabei konnte zwar auf einige in den vorangegangenen Jahren bereits gefertigte Gutachten und Fachbücher2 zurückgegriffen werden, dennoch waren umfangreiche ergänzende Recherchearbeiten notwendig.

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Entstehung unter Wilhelm Cordes

Die Geschichte des Ohlsdorfer Friedhofes begann im Jahr 1873, als in Hamburg die "Commission für die Verlegung der Begräbnißplätze" gebildet wurde, die die Einrichtung eines "Centralfriedhofs" für alle Konfessionen vorantreiben sollte. Zwei Jahre später wurde ein 126 Hektar großes Gelände in der Ohlsdorfer Feldmark angekauft und 1876 eine zunächst sechs Hektar große Begräbnisstätte eingerichtet. Als provisorische Kapelle mit Büro diente anfangs ein vorhandenes Bauernhaus. Die feierliche Einweihung fand am 1. Juli 1877 statt.

Franz Andreas Meyer (1837-1901), als leitender Oberingenieur für die Belange des öffentlichen Grüns in Hamburg zuständig, verfasste erste Pläne, wurde aber bald durch den Architekten Johann Wilhelm Cordes (1840-1917) abgelöst, der 1879 zum Friedhofsverwalter aufstieg. Cordes entwickelte in den folgenden fast 40 Jahren einen Friedhof im damals typischen "gemischten Stil", in welchem landschaftlich geschwungene Hauptwege dominierten und ein untergeordnetes geradliniges Wegesystem die Grabfelder erschloss. Da Ohlsdorf und somit der Friedhof für damalige Verhältnisse weit außerhalb der Stadt lag, wollte der Planer durch künstlerisch gestaltete Grünanlagen die Attraktivität des Ortes erhöhen. Er entwarf organisch geformte Teiche und natürlich wirkende Bachläufe, über die teils schmiedeeiserne Brücken führten. Hochwertig bepflanzte Grünanlagen in landschaftlichen Formen mit künstlichen Hügeln zogen sich durch den Friedhof und umschlossen die Gewässer3. Ein als nicht für Bestattungen geeigneter Geländesaum wurde aufgeforstet.

In den folgenden Jahrzehnten wurde weiteres Gelände hinzugekauft und es entstanden neben Wassertürmen und anderen Zweckbauten auch mehrere Kapellen, die zum großen Teil ebenfalls durch Wilhelm Cordes entworfen wurden. Als dieser 1898 zum Direktor befördert wurde, hatte sich der Friedhof bei der Hamburger Bevölkerung bereits zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelt. Ein Höhepunkt für Cordes war dann sicherlich die Pariser Weltausstellung im Jahr 1900, bei welcher der durch Modelle, Pläne und Fotos vorgestellte Friedhof einen "Grand Prix" für Gartenkunst erhielt.

Erweiterungen

Die Friedhofsfläche wuchs indessen durch notwendig gewordene Grundstückszukäufe stetig weiter, 1914 umfasste sie etwa 193 Hektar. Cordes fertigte auch für die Erweiterungsflächen Entwürfe im landschaftlichen Stil, starb jedoch 1917. Auf Empfehlung der Friedhofsdeputation stimmte die Bürgerschaft für die Umsetzung der Cordes'schen Pläne, nach denen noch zwei weitere Jahre gearbeitet wurde - gegen die beiden Gegengutachten von Otto Linne (1869-1937) und Fritz Schumacher (1869-1947), die die Baudeputation vorlegte.

Weiterentwicklung unter Otto Linne

1919 wurde Otto Linne, seit 1914 Hamburgs erster Gartendirektor, zum kommissarischen Friedhofsdirektor ernannt. Umgehend entwickelte er neue Pläne im damals üblichen strengen architektonischen Stil der Reformbewegung der 1920er Jahre.

Regelmäßige, geradlinig klare Strukturen und Wegesysteme gliederten nun kleinere, räumlich abgegrenzte und unterschiedlich charakterisierte Friedhofsbereiche mit ihren jeweiligen Besonderheiten, wie Brunnen oder Bepflanzung. Auf sogenannten Musterfriedhöfen sollten sich die Besucher über zeitgemäße Grabsteingestaltung und Grabbepflanzung informieren können.

Linne hatte während seiner Amtszeit einige Widerstände zu überwinden. Mitte der 1920er Jahre wurde er von einigen zeitgenössischen Kollegen in Fachzeitschriften stark angegriffen, da die von ihm entworfenen Bereiche als unpassende Ergänzung zur landschaftlichen Cordes'schen Anlage gesehen wurden. Sogar der Hamburger Künstlerrat mischte sich in die Diskussion und schrieb in einer Stellungnahme 1924: "… müssen wir unumwunden bekennen, daß der neue Teil des Ohlsdorfer Friedhofes ein Fehlschlag ist. … so wirken die kanalartigen, langgestreckten Wasserbecken … in ihrer badewannenartigen Form mit den hohen Böschungen geradezu grotesk."4

Besonders der Hamburger Gartenarchitekt Hermann Koenig, der Lübecker Harry Maaß und Georg Hannig, Direktor des Hauptfriedhofes Stettin, wetterten in langen Beschimpfungstiraden gegen Linne. Unterstützung erhielt dieser durch Erwin Barth, der 1925 in der Gartenkunst schrieb: "Zum Schluß muß ich der festen Ueberzeugung Ausdruck geben, daß die Erweiterung des Ohlsdorfer Friedhofs den Ruhm des alten Teiles als schönsten Friedhof Europas noch in den Schatten stellen wird, aber nur unter der Voraussetzung, daß man dem Schöpfer desselben, dem jetzigen Friedhofsdirektor, freie Hand in der Vollendung des großen Werkes läßt, ..."5

Trotz der Anfeindungen blieb Linne Friedhofsdirektor und das Gelände wuchs stetig weiter. 1933 wurde das von Fritz Schumacher entworfene Krematorium eingeweiht. Heute ist rund um das 2011 denkmalgerecht restaurierte Krematorium das Hamburger Bestattungsforum Ohlsdorf entstanden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden auf dem Friedhof einige Mahnmale, so beispielsweise das Konzentrationslager-Opfer-Mahnmal, welches 105 Urnen mit Erde und Asche aus allen deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern enthält.

Gartendenkmalpflegerische Grundlagen

Bei dem heute 391 Hektar großen Ohlsdorfer Friedhof handelt es sich um eine komplexe Anlage mit denkmalwerten Anlageteilen aus unterschiedlichen Entwicklungsepochen. Teile der Begräbnisstätte wurden zwar über die Jahre überformt, Ohlsdorf kann aber dennoch mit gut erhaltenen Zeugnissen und Grabfeldern aus allen Zeitepochen aufwarten. Darüber hinaus können teilräumliche Einheiten, beispielsweise der "Cordes-" und der "Linneteil", ehemals repräsentative Grünanlagen und übergeordnete strukturelle Gestaltungselemente wie Straßen- und Wegesystem, Knickstrukturen oder auch Wasseranlagen identifiziert werden.

Neben der Untersuchung der Geschichte des Friedhofs Ohlsdorf war es im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie Ohlsdorf 2050 Teil der Beauftragung, erhaltene, wertvolle Gartendenkmalbereiche zu untersuchen und zu benennen, damit diese bei der Erarbeitung eines Leitbildes und der Szenarien durch das Büro bgmr Landschaftsarchitekten6 angemessen berücksichtigt werden können.

Eine detaillierte Bestandsaufnahme des großen Geländes, die die Basis für ein umfangreiches gartendenkmalpflegerisches Gutachten oder ein Parkpflegewerk sein könnte, war nicht Bestandteil des Auftrages. Gleichwohl wurde der Friedhof in seiner Gesamtheit begangen, der Zustand beispielhaft überprüft, einzelne Bereiche beurteilt und recherchierte Fakten vor Ort mit der Realität abgeglichen. Die grobe Bestandsaufnahme, vielleicht muss sie eher als "Bestandssichtung" eingestuft werden, wurde von der Autorin aufgrund der Ausgedehntheit des Ohlsdorfer Friedhofes an mehreren Tagen mit dem Fahrrad durchgeführt.

Konstitutive Elemente Gartendenkmal Friedhof Ohlsdorf

Der Ohlsdorfer Friedhof steht in seiner gesamten Ausdehnung unter Denkmalschutz. Um die vorhandenen Qualitäten wieder erlebbar zu machen, sind bei der zukünftigen Weiterentwicklung der Anlage einzelne Bereiche zu berücksichtigen, die einer eingehenderen denkmalpflegerischen Steuerung bedürfen. Diese sind durch geeignete Erhaltungsmaßnahmen und fachliche Pflege wieder herauszuarbeiten, zu schützen und wünschenswerterweise auch gartendenkmalpflegerisch wiederherzustellen:

  • Straßen und Wege erschließen und gliedern die Räume und sind in ihrer Ausführung, ihren Querschnitten und der Bepflanzung elementare Bestandteile der ehemaligen Planungen.
  • Von den Planern Cordes und Linne wurden auf dem Gelände verteilt rein repräsentative Grünanlagen gestaltet, die den Friedhof insgesamt attraktiver machen sollten.
  • Historische Vegetationsstrukturen wie ehemalige Alleen, Knicks, Baumtore, Baumgruppen oder auch Hecken sind grundlegende gestalterische Bestandteile des Gartendenkmals.
  • Gewässer sind wichtige Gestaltungselemente. Cordes und Linne planten für die Aufnahme von Drainwasser zahlreiche Gewässer, die sich in ihrem gestalterischen Charakter grundlegend voneinander unterscheiden.
  • Das Anlegen von Sichtachsen ist in der Gartenarchitektur ein wichtiges gestalterisches Element. Sie verbinden Räume, schaffen großzügige Zusammenhänge und dienen der Orientierung.
  • Eine Besonderheit sind die zahlreichen kleinen künstlichen Bodenmodellierungen, die besonders Cordes einsetzte, um Standorte hervorzuheben und kleine Aussichtsflächen zu schaffen. Weiterhin finden sich an mehreren Stellen historische Hügelgräber und Steinkreise, die geschützt sind.
  • Auf dem Ohlsdorfer Friedhof finden sich zahlreiche Ehrenanlagen, Gedenkstätten, Genossenschaftsgräber oder Einzelgrabstätten, die aus denkmalpflegerischer Sicht zu schützen sind.
  • Sowohl im Cordes- als auch im Linneteil gibt es Grabfelder, die aufgrund ihrer Struktur und Gestaltung als typische Elemente des jeweiligen Gestalters zu sehen sind. Diese Grabfelder sollen weiter für Bestattungen genutzt werden, da sie auf diese Weise am besten zu schützen sind.

Für die zukünftigen Arbeitsschritte wird dabei als besonders wichtig angesehen, dass die verschiedenen Gestaltungscharakteristika der beiden maßgebenden Ohlsdorfer Friedhofsplaner, Wilhelm Cordes und Otto Linne, wieder deutlicher ablesbar werden. Es wird in den kommenden Jahren ein enormer Kraftaufwand notwendig werden, die Besonderheiten des Friedhofes als attraktive Beisetzungsstätte, als Denkmal und gleichzeitig größte Hamburger Grünfläche zu erhalten und weiterzuentwickeln. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat mit der Aufstellung der Nachhaltigkeitsstrategie die ersten Schritte veranlasst, die Zukunftsfähigkeit des überaus bekannten und beliebten Friedhofes für Hamburg zu sichern.

Literatur

Architekten- und Ingenieur-Verein zu Hamburg (Hg.): Hamburg und seine Bauten, unter Berücksichtigung der Nachbarstädte Altona und Wandsbeck. Hamburg 1890, Kapitel 17, Friedhöfe und deren Denkmäler, S. 263-274.

Cordes, Wilhelm: Friedhof zu Ohlsdorf-Hamburg. Führer mit Generalplan. Hamburg 1897.

Linne, Otto; M. Frank: Aschengrabmale für den Ohlsdorfer Friedhof. Hamburg o. D. [1924].

Ausschuß für Friedhofsfragen: Der Ohlsdorfer Friedhof. Denkschrift des Hamburger Künstlerrates. In: Der Deutsche Gartenarchitekt 1.1924, H.9, S. 1-7.

Barth, Erwin: Die Erweiterung des Ohlsdorfer Friedhofes zu Hamburg. In: Die Gartenkunst 38.1925, H. 3, S. 45-47.

Maaß, Harry; Hermann Koenig: Der Ohlsdofer Friedhof. In: Der Deutsche Gartenarchitekt 3.1926, H.3, S. 2-6.

Hannig, Georg: Der Friedhof zu Hamburg-Ohlsdorf. In: Der Deutsche Gartenarchitekt 3.1926, H. 6, S. 8-10.

Goecke, Michael; Helmut Schoenfeld: Umgestaltung und Verdichtung alter Grabfelder. Maßnahmen auf dem Hauptfriedhof Hamburg-Ohlsdorf. In: Das Gartenamt 24.1975, H. 8, S. 500-504.

Goecke, Michael: 100 Jahre Hauptfriedhof Hamburg-Ohlsdorf. Vorgeschichte, Entwicklung und Perspektiven. In: Das Gartenamt 26.1977, H.2, S. 85-97.

Leisner, Barbara; Heiko Schulze; Ellen Thormann: Der Friedhof Ohlsdorf und seine Grabmale. Forschungsergebnisse des Forschungsprojektes der VW-Stiftung und der Kulturbehörde Hamburg. Erfassen, Erschließen und Erhalten des Gesamtkunstwerks Hauptfriedhof Ohlsdorf mit dem Schwerpunkt auf der Entwicklung der Grabmalkultur. 5 Mappen, unveröffentlicht. Hamburg 1986.

Lange, Horst-Günter; Dröge, Ruprecht: Friedhof Hamburg-Ohlsdorf. Vorläufige Gartendenkmalpflegerische Leitbildkonzeption. Unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag der Freie und Hansestadt Hamburg, Umweltbehörde, Garten- und Friedhofsamt. Hamburg 1992, mit Ergänzung von 1993.

Schoenfeld, Helmut: Der Friedhof Ohlsdorf. Gräber, Geschichte, Gedenkstätten. Hamburg 2000.

Schoenfeld, Helmut: Der Ohlsdorfer Friedhof. Ein Handbuch von A-Z. Hamburg 2006.

Anmerkungen

1 Siehe in dieser Ausgabe Christiansen/Hübner: "Die Nachhaltigkeitsstrategie Ohlsdorf 2050", S. 19ff.

2 Helmut Schoenfeld hat durch seine zahlreichen Bücher und umfangreichen Kenntnisse über den Ohlsdorfer Friedhof wertvolle Unterstützung geleistet. Horst-Günter Lange und Ruprecht Dröge haben in einzelnen Bereichen bereits Gutachten verfasst oder denkmalpflegerische Wiederherstellungen geleitet und Barbara Leisner, Heiko Schulze und Ellen Thormann haben eine große Anzahl von Grabsteinen kunsthistorisch untersucht.

3 Diese dienten gleichzeitig der Entwässerung des feuchten Geländes.

4 Ausschuß für Friedhofsfragen: Der Ohlsdorfer Friedhof. Denkschrift des Hamburger Künstlerrates. In: Der Deutsche Gartenarchitekt 1.1924, H. 9, S. 1-7.

5 Barth, Erwin: Die Erweiterung des Ohlsdorfer Friedhofes zu Hamburg. In: Die Gartenkunst 38.1925, H. 3, S. 45-47.

6 Siehe in dieser Ausgabe Christiansen/Hübner: "Die Nachhaltigkeitsstrategie Ohlsdorf 2050", S. 19ff.

Dipl.- Ing. Katrin Lesser
Autorin

Garten- und Landschaftsarchitektin

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