Anpassungsleistungen gegen Hitze und Wind – Gehölze werden kleiner

Gehölze unter Extrembedingungen

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Extremwetter Gehölze
Weinrose. Auch hat sie auffällig wenige Früchte. Und wenn, sind ihre wenigen verschrumpelt. Warum? Was ist da los? Foto: Reinhard Witt
Extremwetter Gehölze
Weißdorn. Anfang Oktober sind quasi alle Eingriffeligen Weißdorne, Hunds- und Weinrosen oder Schlehen dieser Küstenhecke entweder schon im braunen Herbstkleid oder sind komplett entlaubt. Das ist mindestens einen Monat zu früh! Foto: Reinhard Witt

Wir begeben uns auf Erkenntnisreise. Dabei werden wir besonders Grenzbereiche unter die Lupe nehmen: Standorte, an denen die Pflanzenarten zu kämpfen haben. Hier zeigt sich schnell die ökologische beziehungsweise genetische Kapazität einer Art beziehungsweise von Individuen. Auf gut mit Wasser versorgten Böden werden wir momentan kaum den Spuren des Klimawandels begegnen. Auf mageren, trockenen Plätzen eher.

Wir begeben uns deshalb in die Kampfzone, dahin, wo Gehölze ohnehin einen schweren Stand haben. Dort dürften wir die Beobachtungen finden, die zu verstehen helfen, was mit den Gehölzen in derzeit noch durchschnittlichen Regionen passieren wird. Denn es ist davon auszugehen, dass sich die Klimazonen verschieben. Folglich bekommen wir Extremstandorte an Plätzen, an denen derzeit alles noch so ist wie immer. Das wird uns möglicherweise nicht so sehr treffen, wenn wir vorhersehen können, was geschieht.

Extremlagen helfen verstehen

Die Route führt an die Ostseeküste nach Heiligenhafen. Doch werden wir dort neue Erkenntnisse gewinnen? Schließlich regnet es dort ziemlich durchgehend das ganze Jahr: 2018 waren es 550 Millimeter, im Durchschnitt sind es 637 Millimeter - nicht viel, aber es sollte reichen.

Der Weg entlang der Steilküste passiert von Wildsträucherhecken gesäumte Wiesen. Die Hecken sind alle windschnittig, andauernd heftige Winde mit rasiermesserscharfer Salzkristall- oder Sandfracht haben die Sträucher die Flucht ergreifen lassen. Da sie dummerweise festgewachsen waren, schafften sie nur den Ansatz des Türmens: Sie neigen sich stark vom Wind weg, einige im 45-Grad-Winkel.

Auffallend ist der frühe Herbst: Bei einigen Arten Wochen, bei anderen Monate vor dem eigentlichen Laubfall zeigen sich die Sträucher braun oder oftmals sogar komplett entlaubt. Sie sehen aus als wäre schon tiefster Winter. Viel zu früh.

Warum also haben sie sich selbst ihre Nahrungsgrundlage entzogen und die Energie spendenden Blätter abgeworfen?

Ein Rätsel. Die Böden sind hier oft gar nicht so schlecht, enthalten feuchtigkeitsspeichernden Lehm oder lehmige Sande. Und da auch die Wasserversorgung an der Küste relativ stabil ist, gäbe es normalerweise beste Voraussetzungen für eine hohe Wildsträucherhecke. Nur: Diese Bilder sprechen dagegen.

Zur Auflösung kommen wir in der Senke eines Steilabbruchs. Hier öffnet sich ein windgeschützter Abhang vor unseren Augen. Das Bild ist komplett ausgewechselt. Anders als die Flächen oben grünt alles. Mehr noch: Eingriffeliger Weißdorn oder die Wein- und Hundsrosen von oben tragen massenhaft Frucht. Die Sträucher sehen vital aus und fanden auch keine Notwendigkeit, sich vor dem stürmischen Wind zu krümmen: Sie sehen genauso aus, wie man sie sich vorstellen würde.

Warum? Um diese Frage beantworten zu können, laden wir dazu ein, noch einmal mit hochzukommen zu den schrägen Windhecken. Genau: Anorak überziehen, es ist zwar brütend heiß, trotzdem weht ein schneidender Wind.

Hier stehen wasserbedürftige Wildsträucher in steifer Brise. Mag der Boden noch so feucht sein. Der immerwährende Wind bläst ständig Feuchtigkeit von den Spaltöffnungen der Blätter und trocknet den Strauch selbst bei + 15 Grad Celsius aus wie ein kalter Föhn. Und was ist noch viel schlimmer als ein kalter Föhn? Richtig, ein warmer. Denn wenn es heiß wird da droben, richtig heiß, weht der Wind trotzdem. Windtage geraten zu Dursttagen. Schließlich muss der Strauch sich retten, wenigstens für dieses Jahr und schmeißt in seinem Elend die Blätter ab. Hilfe, war knapp. Allerdings suboptimal, denn er nimmt sich wertvolle Zeit der Energieproduktion. Er stellt sozusagen die Überlebensmaschinerie aus. Notaus.

Wir durchschreiten gedankenverloren weiter die Senke. Wind als Feuchtigkeitsräuber klingt irgendwie plausibel - oder? Nur an einer Stelle werden wir stutzig. Dass wir weiter oben bereits abgestorbenen Schwarzen Holunder entdeckten, passt ins Schema. Dieser Feuchtigkeit liebende Siedler nährstoffreicherer Böden überschreitet im vollen Wind viel schneller seine Kapazität als Trockenheit vertragende Weißdorne oder Wildrosen. Doch warum geht er auch in der Senke ein? Die Grenze ist in diesem Fall seine Größe. An Grenzstandorten können die Arten sich ab einer bestimmten Wuchshöhe nicht mehr selber versorgen. Sie sterben ab. Beim Holunder ist diese Absterbehöhe beziehungsweise -grenze eher erreicht als bei wärmeliebenden Arten. Da nutzt auch der Rückzug in eine Senke am Ende nichts.

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Kommen wir zurück zum Klimawandel: Er bringt heißere Sommer, mehr Dürre, aber immer noch Meerwind und vielleicht sogar mehr Wind. Das bedeutet, dass das Notaus eines vorzeitigen Laubabwurfs häufiger hintereinander kommen könnte, als gut wäre. Dann kämen auch wärmeliebende und trockenheitserprobte Siedler wie Wildrosen oder Weißdorn und Schlehen an ihre Grenze. Ein-, zwei-, dreimal können sie vorzeitig die Saison abbrechen. Aber jedes Mal verlieren sie mehr Kraft für den nächsten Frühjahrsaustrieb, die Bildung von Blattmasse, Blüten und Beeren. Die Notaus-Strategie führt auf Dauer zum Tod. An Grenzstandorten der heutigen Zeit sehen wir also, was zukünftig auch an jetzt noch völlig normalen Standorten passieren wird, sobald auch sie wegen des Klimawandels die neuen Grenzstandorte werden. Das ist keine positive Nachricht.

Neben diesen deprimierenden Erfahrungen vom Leben und Sterben an Grenzstandorten enthält dieser Abschnitt jedoch auch eine zukunftsträchtige Erkenntnis. Klein- und Kleinststandorte mit mikroklimatischen Vorteilen können selbst unter extremen Bedingungen eine Lösung für Pflanzen im Klimastress sein. Das wäre der nächste Beitrag.

Sogar Reisen quasi ans andere Ende Mitteleuropas brachte ähnliche Erkenntnisse. Selbst in der Südsteiermark oder in Niederösterreich litten Gehölze an Extremstandorten eher und mehr als auf besseren Böden. Speziell betrifft das natürlich Arten, die durch Vogelverbreitung an einem ungünstigen Standort gelandet sind, für sie also an einem Grenzstandort. So hat ein prinzipiell feuchte, nährstoffreiche Standorte bevorzugendes Pfaffenhütchen auf einem Trockenrasen von Haus aus schwer zu kämpfen. Wird es noch heißer als gewöhnlich, wird seine Toleranzgrenze überschritten. Ein frühzeitiger Laubfall und - falls absterbend - eine mit aller und letzter Kraft geleistete auffällig starke Fruchtbildung sind Anzeichen von Individuen im Klimastress.

Erkenntnisse

  • Ständiger Wind kann genauso als Stressfaktor wirken wie Dauerhitze. Er führt zum vorzeitigen Laubabwurf.
  • Das bringt sogar wärmeliebende Arten (Wildrosen, Weißdorne, Schlehen) schneller an ihre Grenzen.
  • Das benachteiligt in besonderer Weise Straucharten mit höherem Wasserbedarf, etwa Schwarzen Holunder oder Rote Heckenkirschen.
  • Grenzstandorte zeichnen schon heute die Entwicklung vor, welche die Lebensbedingungen in bislang noch gemäßigten Gebieten in einigen Jahren oder Jahrzehnten diktieren könnte.
  • Günstig gelegene Kleinstandorte können den Klimastress reduzieren helfen.
  • Unpassende Standorte erhöhen hingegen die Belastung.

Großwüchsigkeit als Problem

Der Schwarze Holunder, der in Heiligenhafen an der Ostseeküste Schleswig-Holsteins schon dieser Tage seine Grenze erreicht, die Weißdorne, Hunds- und Weinrosen, die nicht mehr funktionieren, haben uns auf eine Idee gebracht. Wir müssen Ausschau halten nach einem Klima, das von sich aus den Mangel verwaltet, den immerwährenden Extremstandort suchen. Also gut, Sie sehen das genauso: Wir müssen weiter in den Süden.

Niederösterreich und weiter südlich das Burgenland um den Neusiedler See passen doch hervorragend zu unserer Hypothese, dass es schon heute den Klimawandel abbildende Standorte gibt. Zunächst bekommt die Wachau Besuch. Diese beliebte Tourismusregion zwischen Melk und Krems in Niederösterreich weist ein mildes Klima auf, es regnet traditionell wenig, durchschnittlich um die 500 Millimeter, dafür können Sommer ziemlich heiß ausfallen. Wir lassen Donau und Touristenströme allerdings links liegen und steigen bei Dürnstein auf in steile Hänge mit Weinterrassen und dazwischen immer wieder Halbtrockenrasen. Die Gneisböden tragen nicht allzu viel Humus, aber eben noch genug. Würden keine Rebzeilen stehen, wäre es im schlechtesten Fall eine mediterrane Trockensteppe oder im besseren wärmeliebender Wald. Wir interessieren uns speziell für Gehölze der Trockenstandorte. Sie sind noch so groß, wie wir sie von der Heiligenhafener Küste oder dem Erzgebirge her kennen. Doch viele weisen deutliche Trockenschäden auf.

Das Klima fordert seinen Tribut. Liguster, Wilde Berberitze, sogar Raublättrige Rose und einige der trockenheitsresistenten Mehlbeeren zeigen die bereits bekannten Phänomene: Vertrocknete oder gar keine Blüten, kaum Fruchtansatz und verdorrte Äste als Zeichen großer Hitzebelastung. Diese Standorte sind für Gehölze mit normaler Wuchshöhe grenzwertig. Der Blick über die Halbtrockenrasen zeigt tatsächlich viele in ihrer oberen Hälfte oder ganz vertrocknete Büsche. Normale Bäume humusreicherer Wuchsorte wie eine durch Eichelhäher auf die Felskuppe gepflanzte Walnuss besitzen nicht die Spur einer Chance. Ihr Austrieb wird oberhalb von einem Meter von der Hitze gekappt. Andere Arten halten solche Grenzstandorte besser aus, Kreuzdorn zum Beispiel oder Traubeneichen und Steppenkirschen.

Es sieht so aus, als läge oberhalb der Weinterrassen die Kampfzone, an der sich Überleben entscheidet. Normale Wuchsgröße wird bestraft, nicht alle schaffen es, ihre arteigene Größe zu entwickeln. Sie werden von Hitzewellen und -sommern immer wieder zurückgeworfen. Hitze macht auf Extremstandorten klein.

Auf einer Felskante entdecken wir schließlich eine Berberitze im Kleinformat, mit 1 Meter nur halb so groß wie andere Exemplare auf dem Hang. Kleinheit als Prinzip? Auch sie zeigt durch die frühe Herbstfärbung eine Extrembelastung an. Aber sie leidet nicht so darunter wie ihre doppelt so großen Kollegen. Bei ihr finden sich keine vertrockneten Triebe.

Das ist so lehrreich, dass wir mit diesem geweiteten Blick noch einmal hinauf müssen. Wir suchen gezielt kleinere und größere Vertreter der gleichen Art. Kleinwüchsige Weißdorne leiden nicht sichtbar, großwüchsige immer. Hochwüchsige einstämmige Mehlbeeren lassen ihre Blätter hängen, kompakten Büschen mit begrenzter Wuchshöhe von 2 Metern geht es gut.

Und noch etwas wird klar. Hier oben gibt es zwar überall Einzelkämpfer, die für sich dem Klima trotzen. Aber gemeinsam wächst es sich besser. Überall stehen Gruppen herum, die relativ gut aussehen. Sie geben sich gegenseitig Schutz und Schatten. So kommt es zu den skurrilsten Kombinationen, die einem Naturgartenplaner wohl kaum einfallen würden: Auf einer Länge von zwei bis drei Laufmetern Raublättrige Rosen zusammen mit Rotem Hartriegel, durchsetzt von Zweigriffeligem Weißdorn, garniert mit Wolligem Schneeball oder Kreuzdornästen. Dazwischen spitzen noch Vogelkirschen heraus. Die Vogelkirschen schon im einstämmigen, nur 2 Meter hohen Miniaturformat. Obwohl hier durchaus Konkurrenzstarke an der Seite von stresstoleranten Spezialisten stehen, scheinen alle zusammen einigermaßen harmonisch klarzukommen. Solche Bilder wie im Flachland, dass etwa Roter Hartriegel mit seinen Wurzelausläufern alles andere verdrängt, gibt es hier nicht.

Erkenntnis

  • Für solche extremen Lagen sind manche Wuchsformen einfach zu groß.
  • Kleinwüchsige Vertreter haben bessere Chancen.
  • In gemischten Gruppen kann man leichter überleben.

 

Kleinwüchsigkeit als Chance

Nach dem Ausflug in die Halbtrockenrasen der Wachau mit ihren sonnenverbrannten Sträuchern geht die Fahrt weiter in den pannonischen Raum mit der Frage im Kopf: Was geschieht in einer noch heißeren, noch extremeren Umwelt? Wie sehen die Gehölze unter solchen Bedingungen aus? Leiden große Exemplare ebenso oder bleiben sie gleich klein?

Wir kurven also mal runter in den Südosten Mitteleuropas, an die Westgrenze der pannonischen Tiefebene Ungarns. Dort wachsen kontinentale Steppenrasen. Standortextreme der Art, wie wir sie suchen. Es fallen zwar um die 600 Millimeter Niederschlag im Jahr, doch selbst, wenn mehr vom Himmel tropft, bewirkt das wenig. Denn die Sommer können hier heiß werden, extrem heiß, die heißesten in ganz Mitteleuropa. Hinzu kommt: Die Böden unserer Wahl sind flachgründig, voller Felsen mit ein wenig braundunklem, fruchtbarem, feinkrümeligem Humus oben drauf. Nach wenigen Zentimetern allerdings erreicht man entweder puren Schotter oder blankes Gestein. Also noch weniger feuchtigkeitsspeichernde Erde als in der Wachau. Echte natürliche Trockenrasen breiten sich vor unseren Augen aus. Wir notieren: Klima im pannonischen Raum ist an sich extrem, am härtesten jedoch auf den hageren Felsköpfen.

Das soll also nun unser Erfahrungsreich sein, damit wir verstehen, wie vielleicht zukünftig unsere Vegetation aussehen wird. Nun, zunächst einmal fühlen wir uns durchaus zuhause, denn dieser Trockenrasen beherbergt einige der schönsten Arten von Naturgärten. Da wachsen Graslilien ohne Ende, Deutscher Backenklee, Zwergschwertlilien breiten sich flächenhaft aus, es gibt Tragante und Gelbe Reseden, dazu Schwertblättrigen Alant, Aufrechten Ziest und vieles mehr. Wir wandeln über Ebenen voller Federgäser und genießen, dass Runder Lauch, Berglauch und Gelber Lauch hier so gut klarkommen. Können Sie sich einen Rasen voller Echtem Gamander, mit Felsennelken, Duftender Skabiose, Küchenschellen, Goldastern und Thymian vorstellen? Nein? Wir schon.

Wenn wir uns die eben genannten Wildblumen anschauen, fällt sofort auf: Es sind allesamt Spezialisten, die absoluten Spezialisten für Mangelsituationen. Eine Welt nahezu ohne Erde, ohne Schatten, ohne Schutz. Würden wir weiterdenken in die Zukunft, kämen wir zum allbekannten Spruch: "Nur die harten kommen in den Garten!" Tatsächlich ist es hier so hart, wie man es sich als kurzzeitiger Besucher kaum vorstellen mag. Jede etwas höhere Vegetation wird zur Zuflucht. Wo kann ich weitgehend unbeschadet die Hitze dieser Tage überleben? Wo sind die ökologischen Nischen für eine Existenz im Extrem?

Neben den besonderen Gräsern und Wildblumen fallen die Sträucher auf. An allen anderen Orten unserer Klimareise gab es mehr oder weniger deutliche Zeichen des Kampfes und des Todes: abgestorbene Triebe, verdorrte Blätter oder komplett ausgefallene Gehölze. Das ist hier anders. Die meisten Sträucher sehen gesund aus, vital, weichen aber dennoch vom gewohnten Bild ab. Ein 30 Jahre alter Eingriffeliger Weißdorn, voll fruchtend, aber doch nur kniehoch? Und wenn wir von Kornelkirschen, Rotem Hartriegel oder Wolligem Schneeball wissen, dass sie 3 bis 4 Meter machen würden bei uns, dann beschränkt sich die Natur hier mit 1 bis 2 Metern. Auch die Traubeneichen fehlen, sie wurden durch die noch wärmeliebenderen Flaumeichen ersetzt. Erneut begegnen wir dem Phänomen der Gruppenbildung verschiedenster Arten.

Flankiert von zwei prächtigen, aber kaum 3 Meter hohen Flaumeichen liegt ein Ligustergebüsch vor uns. Es wächst allenfalls einen halben, wenn es hoch kommt, einen Meter auf. Und die Früchte? Falls sie nicht gleich ganz fehlen, sind sie oft nur stecknadelkopfgroß. Noch nie haben wir so kleine Ligusterbeeren gesehen. Vergleichen wir das mit Ligusterbeeren aus dem Tiefland, wird der Unterschied mehr als bewusst.

Es ist also eine ganz eigene extreme Welt. Alles voll normal, nur eben viel kleiner.

Ständig merken wir dieser Miniaturwelt den Dauerbegleiter Stress an. Zu allererst ist es Wassermangel. Die Böden sind karg, schottrig, felsig, aber stellenweise sogar voller fruchtbarem Löß: Es bleibt die Trockenheit, die alles klein hält und begrenzt.

Damit verbunden, erkennen wir die Phänomene der Ostseeküste wieder: Sie beginnen sich zu wiederholen und zeichnen deswegen das Bild schärfer, was solche Extremstandorte generell ausmacht. Wir entdecken

  • den frühen Herbst,
  • die Reduktion von Blattgröße,
  • Trockenschäden an Blättern,
  • Trockenschäden an Früchten,
  • eine Verringerung der Wuchshöhe insgesamt.

Die charakteristische Kleinwüchsigkeit eröffnet im Zeitalter der Katastrophen neue Perspektiven. Noch einmal klargestellt: Das ist nicht, was wir woll(t)en. Es ist, was passiert. Der Klimawandel schrumpft unsere Wildsträucher ein. Was größenmäßig nicht mehr überleben kann, muss kleiner bleiben. Kompakter, vieltriebiger schon von unten heraus. Im Wesentlichen ist dieser Zwergenwuchs eine Anpassung an Trockenheit, zu beobachten etwa bei Kornelkirschen, Berberitzen, Eingriffeligem Weißdorn oder Gewöhnlichem Liguster. Damit sind - über kurz oder lang - oft genetische Anpassungen verbunden. Kleinwüchsige Arten erhalten Selektionsvorteile und können sich zu Sonderformen entwickeln. Wir werden das akzeptieren müssen. Und vielleicht können wir uns auf der Suche nach passenden Formen für die Zukunft von Südosteuropa Beispiele und Saatgut mitnehmen?

Erkenntnis

  • Die uns bekannten Gehölzarten bilden vitale kleinere oder Kleinstformen aus.
  • Die Ursache ist Wassermangel, das bildet sich höchstwahrscheinlich auf Dauer im Erbgut ab.
  • Beispielsweise werden kleinere Blätter und/oder Früchte ausgebildet.
  • Es entstehen kleinwüchsige genetisch fixierte Ökotypen.

 

Wildgehölze für den Klimawandel

Die botanische Grundausstattung für die kommenden Jahrzehnte sieht nach dem Besuch solcher Extremstandorte schon recht solide aus, nicht zuletzt kennen wir von Halbtrocken- und Trockenrasen die Kategorie wärmeliebender Gebüsche. Geißklee- und Ginsterarten, Gewöhnliche Felsenbirne, Weißdorn, Schlehen, dazu Elsbeere, Wilde Berberitzen, Felsen- und Kornelkirsche, nicht zu vergessen Wildrosen katapultieren uns bereits sehr weit in die Zukunft. Addieren wir ferner Arten mit Heinz Ellenberg's Temperaturzahl 8 (Wärme- bis Extremwärmezeiger), so werden wir um Blasenstrauch, Buchsbaum, Zwergkirsche und nicht vergessen: Flaumeiche, Perückenstrauch und ebenso nicht um Speierling oder Französischen Ahorn herumkommen. In der Kategorie 9 (Extremwärmezeiger) findet sich bei Heinz Ellenberg überhaupt nur ein Gehölz, das aber bislang nur im Mittelmeerbereich und am Südrand Mitteleuropas (z. B. Wallis) wächst, das Etruskische Geißblatt. Das müssen wir noch nicht berücksichtigen, aber wir dürfen uns den Namen trotzdem schon mal merken. Für die gezwungenermaßen weiteren Vertreter aus den natürlichen Wanderachsen unserer Pflanzen aus Süd- und Südosteuropa. Diese nichtheimischen Zusatzarten ergänzen das heimische Spektrum. Also kein Freifahrtschein für Exoten aus aller Welt, seien sie nur hitzefest genug? Die Verwendung von halb Asien, Nordamerika und sonst was in unserem Grün löst die Probleme nicht. Sie verschärft sie nur, denn somit schneiden wir noch mehr heimische Tiere von ihren Nahrungsquellen ab, als es durch die Klimakatastrophe sowieso geschieht. Noch mehr Exoten im Sortiment heißt: die Biodiversität massiv zu schädigen und das Artensterben zu potenzieren.

Diese Tabelle ist ohne jegliche Garantie. Arbeiten Sie daran und mit uns, sie besser zu machen und vollständiger. Der Klimawandel hat uns eine ziemlich komplizierte Hausaufgabe aufgetragen. Je besser wir vorbereitet sind, je mehr wir praktisch wissen, umso eher können wir seine Extreme abmildern. Dabei gilt: Jede neue, funktionierende Pflanzenart aus Süd (Ost)Europa rettet Tiere. Retten Sie bitte mit. Auf Seite 26 finden Sie wärmeliebende und/oder trockenheitsverträgliche nicht heimische Arten Süd- oder Südosteuropas als mögliche Ergänzungen des heimischen Artenspektrums. Eine unvollständige Auswahl.

Gehölze/Halbgehölze/Kletterpflanzen
  • Alnus cordata Herzblättrige Erle
  • Clematis flammula Mandel-Waldrebe
  • Clematis integrifolia Ganzblättrige Waldrebe
  • Cotinus coggygria Perückenstrauch
  • Cytisus austriacus Österreichischer Geißklee
  • Cytisus decumbens Niederliegender Geißklee
  • Cytisus purpureus Purpur-Geißklee
  • Cytisus sessilifolius Meergrüner Geißklee
  • Dorycnium hirsutum Behaarter Backenklee
  • Euonymus verrucosa Warziger Spindelstrauch
  • Fraxinus ornus Blumen-Esche
  • Genista radiata Ruten-Ginster
  • Laburnum anagyroides Gewöhnlicher Goldregen
  • Lonicera etrusca Etruskisches Geißblatt
  • Mespilus germanica Gewöhnliche Mispel
  • Prunus cerasifera Kirschpflaume
  • Prunus tenella Zwerg-Mandel
  • Rhamnus alpina Alpen-Kreuzdorn
  • Quercus cerris Zerr-Eiche
  • Sorbus intermedia Schwedische Mehlbeere

Literaturtip

Witt/Kaltofen: Klimawandel: Fluch oder Chance? Erfahrungen und Lösungen aus naturgärtnerischer Praxis. Naturgarten Verlag, 2020. Bestellung über Buchshop von www.reinhard-witt.de.

Dr. Reinhard Witt
Autor

Freiberuflicher Biologe, Journalist und naturnaher Grünplaner

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