Georgswallgeläut in Aurich

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Fontänenfeld auf dem Bürgermeister-Hippen-Platz. Fotos: Jörg Michel

Jeden Nachmittag läutet die Glocke vom Pingelhus im Georgswall in Aurich. Warum tut sie das und für wen? Früher gab es hier, direkt neben dem kleinen ehemaligen Hafenwärterhaus mit Glockenturm und Walmdach, einen Hafen. Einen Hafen mitten in der Altstadt von Aurich der erst Frachtkähne, dann Passagierboote aus dem Emsland anlegen ließ und den wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt im 19. Jahrhundert begründete. Die Glocke auf dem Pingelhus kündete den Passagieren die Abfahrt dieser Boote an. Nach der Einstellung des Schiffsverkehrs in dem zu klein gewordenen Hafenbecken wurde es 1932 zugeschüttet. Das Pingelhus blieb. Der Hafen war weg, kein Schiff mehr in Sicht. Nur noch eine Straße mit dem Namen Hafenstraße legt Zeugnis ab von dem, was hier einst war.

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Vier Wasserbecken zeichnen das historische Hafenbecken nach.
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Der Schiftzug „Oll Haven Auerk" verweist auf die Geschichte des Ortes.

Es war die Idee der Landschaftsarchitekten Jörg Michel und Oliver Haag mit gebauten Zitaten zu arbeiten, um das Pingelhus und die angrenzende Bebauung, die einst auf das Hafenbecken ausgerichtet war, wieder in ihren stadträumlichen und geschichtlichen Zusammenhang zu setzen. Identifikation statt Rekonstruktion war das Ziel und der Gestaltungswille. Archäologische Grabungen wurden durchgeführt, Teile der ehemaligen Kaianlagen ausgegraben, gesichert und so Erkenntnisse des genauen Verlaufs der Uferbefestigungen gewonnen.

Heute, 2014, umfassen vier große Wasserbecken mit dem Schriftzug "Oll Haven Auerk" - plattdeutsch: Alter Haven Aurich - den Bereich des zugeschütteten Hafenbeckens. Die Wasserbecken sind ein Fenster in unsere Geschichte, mit der wir uns verbinden, indem wir sie benutzen. Vielleicht fährt kein Schiff mehr in diese Wasserbecken ein, doch spielen vielleicht Kinder heute darin mit selbstgebauten Segelbooten aus Papier.

Auch der Georgswall, neben dem ehemaligen Hafen, hat eine lange Geschichte. Einst stolzer Verteidigungswall zum Schutz der Bewohner der Stadt, später um einen Kanal erweitert, dem das gleiche Schicksal wie dem Hafen vergönnt war, mutierte der Georgswall zu einem Ort ohne Eigenschaften. Etwas Parkplatz, etwas Hundeausführwiese, etwas Marktplatz. Ein Ort mit vielen Funktionen aber ohne Gesicht.

Passanten überquerten den Georgswall täglich auf ihren Wegen zwischen Innenstadt und Rathaus, zwischen Marktplatz und dem Einkaufcenter. Sie schauten weder links noch rechts, denn hier gab es nicht viel zu sehen. Heute, nach sechs Jahren Planungs- und Bauzeit, zeichnet sich ein anderes Bild:

Der Wochenmarkt und die Autos sind verbannt von der Rasenfläche. Ein Stadtpark ist entstanden. Innehalten für einen Moment im Alltagstrubel, sich Zeit nehmen und Luft holen und ein neues Stück Aurich genießen.

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Der Entwurfsplan. Abb.: POLA Landschaftsarchitekten

Es war ein langer Weg bis hierher, vom gewonnenen Wettbewerb 2008 bis zur Eröffnung im Frühjahr 2014. Es könnte an dieser Stelle die Geschichte erzählt werden, von der längsten Bank Ostfrieslands, die geplant, aber nicht gebaut wurde. Eine Bank aus norwegischem Granitstein. Der Stein des Anstoßes, auf der man dann doch nicht sitzen wollte. Diese Bank, die man nicht sieht, aber die in den Köpfen und Herzen der Ostfriesländer viel bewirkt hat. Diese imaginäre Bank hat Planer, Politiker und Bewohner in einen so lebhaften Dialog gebracht, wie Landschaftsarchitektur es lange nicht vermochte. Eine tolle Bank. Die Bank, die man nicht sieht! Die Bank, die in den Köpfen der Auricher einen festen Platz hat. Dafür stehen heute viele Bänke und ermöglichen ein loungeartiges Zusammenkommen.

Das ist die Geschichte, wie aus einem intensiven Diskurs zwischen dem Planer, dem Bauherr und den Bürgern mehr entsteht, als zuvor am Schreibtisch gedacht wurde. In einem fein ziselierten Band, welches den ehemaligen Verlauf des Walls nachzeichnet, stehen in lockerer Abfolge Sitzbänke, Buchsbaumhecken, Hortensien und viele neue Spielgeräte. Letztere hatten es schwer in der scheinbaren Unvereinbarkeit von Ensembleschutz, Denkmalpflege und heutigen Nutzungsansprüchen. Die Spielgeräte, mit solch klangvollen Namen wie Meeresrauschen, Pfeifenwippe oder Tanzglockenspiel wurden bodenbündig, auf den ersten Blick nicht sichtbar, eingebaut. So wurden auf der gesamten Länge der Grünanlage verschiedenartigste Spielanreize geschaffen, ohne einen Spielplatz mitten in die Rasenfläche zu bauen. Das Spielen wurde zum Ereignis, nicht aber das Spielobjekt. So wurde dem Denkmalensemble des Georgswalls gewürdigt, ohne es zu musealisieren.

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Der Georgswall ist neuer Treffpunkt für die Auricher Bürger.
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Die historische Wallanlage in neuem Gewand.

Heute schauen sich die Menschen um, wenn Sie den Georgswall queren, bleiben stehen, wenn sie die Glocke des Pingelhus hören oder vielleicht ein Papierschiffchen in den "Hafenbecken" schwimmen sehen.

Bei dem Bauvorhaben "Sanierung historische Altstadt Aurich - Georgswall und Rathauspassage - Außenanlagen" handelt es sich um die Realisierung des 1. Bauabschnitts der freiraumplanerischen Umgestaltung des Georgswall. Dieser erste Bauabschnitt umfasst sämtliche Grün- und Straßenverkehrsflächen vom Bürgermeister-Müller-Platz/Hafenplatz bis zur Mühlenwallstraße. Nördlich wird der Bereich durch das "Georgsband" an der südlichen Begrenzung der nördlichen Georgswallstraße begrenzt. Entsprechend ist die nördliche Georgswallstraße Bestandteil eines späteren zweiten Bauabschnitts. Der Rückbau der hier bestehenden PKW-Stellflächen wird damit im Rahmen des zweiten Bauabschnittes realisiert. Der Umsetzungsbeginn für den zweiten Bauabschnitt ist derzeit noch nicht bekannt. Die Gesamtbauzeit des ersten Bauabschnitts lag von Juli 2012 bis April 2014.

Der Georgswall bildet den südlichen Abschluss der historischen Altstadt von Aurich. Er stellt in seiner heutigen Form einen ost-west-orientierten, etwa 400 Meter langen und 45 Meter breiten Grünraum mit angrenzenden Verkehrs- und PKW-Stellflächen dar. Die räumliche Planung sah eine sich über die gesamte Länge des Georgswalls erstreckende Rasenfläche vor. Nördlich wird die Rasenfläche durch ein 310 Meter langes Spiel und Bewegungsband begrenzt. Der Übergang zur historischen Altstadt sowie der Verlauf der ursprünglichen Wallanlage wird mit der urbanen Intervention des Georgsbands städtebaulich markiert.

Der alte Baumbestand wurde größtenteils erhalten, die Lindenreihe auf der Nord- und Südseite durch Neupflanzungen ergänzt. An der Ost- und Westseite und am Rathaus wurden Pflanzungen mit Hecken und Stauden ausgeführt.

Die Flächen

Gesamtfläche: 16 023 m2
Befestigte Flächen: 8.061 m2
Rasenfläche: 6552 m2
Pflanzflächen: 855 m2
Fläche Fontänenfeld: 315 m2
Fläche Wasserbecken: 305 m2

Der Bearbeitungsraum wurde in zwei Lose aufgeteilt, die zusammen ausgeschrieben, vergeben und umgesetzt wurden. Los 1 beinhaltet den Hauptteil der Maßnahme. In Los 2 sind temporäre Flächen, die bei Umsetzung des 2. Bauabschnitts wieder rückgebaut werden, eingeordnet.

Sämtliche befahrbaren Bereiche wurden als Mischverkehrsflächen ausgeführt. Die Hafenstraße, die Südliche und Nördliche Georgswallstraße wurden in Granitkleinsteinpflaster, Rathauspasssage und Bereiche die den angrenzenden Gebäuden zugeordnet werden, in dunklem Klinkerbelag (Auricher Mischung) ausgeführt.

Am Bürgermeister-Müller-Platz dem ehemaligen Hafenplatz wurde eine Platzfläche aus Kleinsteinpflaster ausgeführt, welche umlaufend durch vier voneinander unabhängigen Wasserbecken begrenzt wird.

Als zentrales Entree zum Georgswall wird mit den Wasserbecken die Kontur des im 19. Jahrhundert zugeschütteten Hafenbeckens nachgezeichnet. Dabei handelt es sich um Becken, die in den Platz eingelassenen sind. Die Beckenaufkantung beträgt zwölf Zentimeter über der Oberkante der Platzfläche. Innerhalb der Wasserbecken wird mit dem Schriftzug "Oll Haven Auerk" (Plattdeutsch) auf die stadträumliche Lage des historischen Hafens in Aurich verwiesen. Der Beckenkern besteht aus WU-Beton. Die Verkleidung erfolgte mit Natursteinplatten. In die Becken wurden großformatige Buchstaben aus Travertin mittels einer Tragkonstruktion aus Edelstahl eingelegt. Die Maße der vier Einzelbecken betragen 50 bis 90 Quadratmeter.

Im zentralen Bereich an der Rathauspassage/ Bürgermeister-Hippen-Platz entstand eine Platzfläche mit einem Fontänenfeld (Wasserspiel). Es verknüpft die Ost-West-Ausrichtung des Grünzuges mit der städtischen Nord-Süd-Achse zwischen Markt und Rathaus. Diese Fläche wird auch temporär für den Auricher Wochenmarkt genutzt.

Der Georgswall als ehemalige Wallanlage erhält durch den bewussten Umgang mit der Topographie, einer präzisen räumlichen Gliederung und den historischen Verweisen seine räumliche Lesbarkeit und Identität zurück.

In einem öffentlichen Workshopverfahren im Rahmen einer Bürgerbeteiligung, wurden die Planungsziele und Wettbewerbsergebnis überprüft, neugeordnet und im Dialogprozess mit den Bürgern der Stadt angepasst.

In Folge dessen entstand ein zusätzliches Bewegungs- und Spielband, das "Georgsband", mit Sitzbänken und Pflanzflächen. Das Spielband begrenzt nun den topographischen Wallabschluss und markiert den Verlauf von Wall und vor gelagerter Rasenfläche und markiert so den ehemaligen Kanal.


10/2008 1. Preis im Ideen- und Realisierungswettbewerb nach VOF
05/2009 - 10/2009 Städtebauliches Gutachten (Kolb Ripke Architekten)
05/2009 - 04/2010 Vorentwurfsplanung Außenanlagen
09/2010 - 06/2011 Entwurfsplanung Außenanla- gen mit Bürgerbeteiligung
08/2012 - 03/2013 Freistellung Ratsaal (Kolb Ripke Architekten) - KG 300
10/2011 - 05/2012 Ausschreibung und Vergabe Außenanlagen
07/2012 - 04/2014 Bauleitung Außenanlagen - KG 200/500
05/2014 VOB Abnahme und Eröffnung Außenanlagen - KG 200/500
Wettbewerb/Vorentwurf Leistungsphasen, Lph 1, 2

Außenanlagen: POLA (mit Oliver Haag)
Entwurfs- und Genehmigungsplanung, Lph 3, 4, Außenanlagen: POLA
Ausführungsplanung /Ausschreibung /Bauleitung Außenanlagen, Lph. 5, 6 und 8: POLA
Nachtragsprüfung, Lph 7: POLA
Dokumentation, Lph 9: POLA
Baukosten KG 200 und KG 500: 4,3 Mio. Euro

Dipl.-Ing. Jörg Michel
Autor

POLA Landschaftsarchitekten - Neue Schönhauser Straße 16

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