Grün und erreichbar für Menschen mit körperlichen Einschränkungen

Inklusive Freiräume bei Kirchen und auf Friedhöfen

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Grüne Außenräume von Kirchen und Friedhöfen bieten viele Ressourcen für die Biodiversität, den urbanen Klimaschutz, die Lebensqualität und das Wohlbefinden von Menschen: Zusätzlich zu ihrer traditionellen Funktion der Religionsausübung und als "letzte Ruhestätte" sind sie Orte der Naherholung, der Ruhe und des sozialen Miteinanders.¹
Barrierefreiheit Friedhöfe
Der Friedhof Sihlfeld im Herbst. Die Friedhofsanlage ist die größte Parkanlage in der Stadt Zürich. Foto: Jeannine Lussi

Besonders für ältere Menschen und Menschen mit körperlichen Behinderungen stellen Friedhofsareale manchmal die wenigen Grünräume dar, die innerhalb ihres selbstständigen Mobilitätsradius liegen. Oftmals endet die Selbstständigkeit jedoch an der Grenze des Friedhofsgeländes, wenn dieses nicht barrierefrei gestaltet ist und keine ausreichenden Möglichkeiten zum eigenständigen Aufenthalt bietet.²

Zwar gibt es in der Schweiz Normen und Empfehlungen seitens Politik, Gesetzgebung und Wissenschaft (wie beispielsweise der Leitfaden "Grüne Freiräume für alle" von der ZHAW in Wädenswil), welche hindernisfreies Bauen und Gleichberechtigung vorschreiben und die Umsetzung unterstützen.³ Jedoch sind Betroffene in der Praxis auf vielen Friedhofsarealen mit infrastrukturellen oder sozialen Barrieren, wie etwa Treppen, zu steilen Rampen, Schotterwegen, fehlenden Sitzgelegenheiten, oder mangelnder personeller Unterstützung konfrontiert.4

Diese Problematik greift auch der Integrationspädagoge Alfred Sander in seiner Definition auf: "Behinderung liegt vor, wenn ein Mensch mit einer Schädigung oder Leistungsminderung ungenügend in sein vielschichtiges Mensch-Umfeld-System integriert ist."5 Neben der Beseitigung von physischen Barrieren muss es also auch um die Beseitigung von sozialen, psychischen und kognitiven Hindernissen gehen.

Soziale Barrieren

Neben diversen körperlichen Einschränkungen von älteren Menschen oder Menschen mit Behinderung kommen oftmals soziale Barrieren hinzu.6 Werden Menschen separiert und nicht als gleichwertige Mitmenschen behandelt und wahrgenommen, können soziale Beziehungen nicht gleichermaßen stattfinden wie zwischen Menschen ohne Behinderung. Dies kann Gefühle der Einsamkeit und Ausgeschlossenheit auslösen und damit der Inklusion entgegenwirken.7 Diese Barrieren können nicht durch bauliche Maßnahmen aufgehoben werden, sondern müssen auf zwischenmenschlicher Ebene erfolgen.

Inklusion statt Integration

Integration beschreibt die Anpassung einer Minderheit an die Mehrheit der Gesellschaft, um als gleichwertige Mitglieder anerkannt zu werden. Im Gegensatz dazu wird bei der Inklusion die Verschiedenheit aller Menschen wertgeschätzt und unterschiedliche Perspektiven tragen zu einer gemeinschaftlichen Gesellschaft bei, anstelle deren Separierung.8 Wenn es um behindertengerechtes Bauen geht, wird im Fachbereich von Design for All – Bauen für alle gesprochen.9 Denn nicht nur Menschen mit Behinderung oder Altersgebrechen sind auf hindernisfreies Bauen angewiesen, sondern auch Personen mit einem Kinderwagen, Menschen mit Rollgepäck oder jene, die einen Unfall hatten und deshalb temporär behindertengerechte Infrastrukturen benötigen.10 Es soll nicht nur integriert, sondern vollständig inkludiert werden.

Bachelorarbeit zum Thema inklusive Freiräume

Auf dieser Problematik aufbauend hatte die diesem Beitrag zugrunde liegende Bachelor-Arbeit "Vielfalt trifft Gemeinsamkeit" zum Ziel, die gebaute Umwelt mit neuen Einsichten im Fachgebiet der inklusiven Freiraumplanung zu bereichern.

In der Arbeit wurde untersucht, wie Außenräume von Kirchen und Friedhöfen geplant, realisiert und unterhalten werden sollen, um den spezifischen Bedürfnissen von älteren Menschen, die ja oftmals den Großteil der Friedhofsbesucher:innen ausmachen, und Menschen mit Behinderung gerecht zu werden. Und was muss erfolgen, um die gesundheitsfördernde Wirkung dieser Grünräume effektiver nutzen zu können?

Diese Fragestellungen wurden mit unterschiedlichen, sich ergänzenden Methodiken erforscht. Eine Literaturrecherche wurde mit qualitativen leitfadengestützten Expert:inneninterviews ergänzt. Zudem wurden verschiedene Kirchen- und Friedhofsanlagen vor Ort analysiert. Mit dieser Analyse konnten ihr aktueller Zustand in Bezug auf ihre inklusive Freiraumplanung erhoben, und generalisierende Schlussfolgerungen getroffen werden. Einige dieser Besuche erfolgten im Rollstuhl, um als Autorin dieser Arbeit den Perspektivenwechsel partizipativ nachempfinden zu können.

Nachfolgend sind die relevantesten Ergebnisse kurz zusammengefasst.

1. Inklusive barrierefreie Infrastruktur

Obwohl es Normen, Richtlinien und Empfehlungen zum hindernisfreien Bauen gibt, werden diese bei vielen Projekten nicht umgesetzt. "[…] als Rollstuhlfahrer muss man viele Umwege machen. Das ist unglaublich, wie viele Umwege du machen musst, bis du ans Ziel gelangst. Das ist wahnsinnig."¹¹ Dies ist laut Cyrill Scheuber, Betroffener und Mitarbeiter bei Procap Bern, nur eines der vielen alltäglichen Hindernisse in der Freiraumnutzung, mit welchen Menschen mit Behinderung kämpfen müssen.

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Der Weg von der Exklusion zur Inklusion. Grafik: Jeannine Lussi (Angelehnt an BURRI public elements)
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2. Zugänglichkeit und Bodenbeläge

Die Zugänglichkeit zu Kirchen- und Friedhofsanlagen stellt häufig schon die erste Hürde dar.¹² Dafür reichen Eingänge mit Treppen oder schweren Metalltoren. Grundsätzlich sind hinsichtlich der Bodenbeläge Chaussierungen und Pflästerungen nicht empfohlen. Wenn darauf nicht verzichtet werden kann, müssen Pflästerungen mit möglichst wenig Versatz zwischen den Platten ausgeführt werden. Wenige Millimeter können bereits einen großen Unterschied in Bezug auf die Passierbarkeit eines Weges mit dem Rollstuhl bedeuten. Darüber hinaus sollen Steinplatten glatt, jedoch nicht rutschig sein. Bei Wegbreiten muss die Minimalbreite für einen Rollstuhl 1,2 Meter betragen.¹³ Dies gilt auch vor Eingängen mit Türen. Sollen sich zwei Rollstühle kreuzen können, beträgt die Mindestwegbreite 1,8 Meter. Menschen mit einer Sehminderung sind bei Treppen auf Stufenmarkierungen angewiesen. Ergänzend dazu braucht es "[…] normgerechte, ergonomisch greifbare, beidseitige Handläufe […]".14 Es ist eine Tatsache, dass diese vielerorts nicht vorhanden sind. Teilweise weisen die Handläufe bei längeren Treppen Unterbrüche auf, was für die Orientierung und Sicherheit von Menschen mit Sehbehinderung Schwierigkeiten mit sich bringt.

Des Weiteren sind Sitzmöglichkeiten sehr wichtig, gerade für ältere Menschen oder Menschen mit einer Mobilitätsbehinderung. Dafür soll inklusives Mobiliar verwendet werden. Sitzbänke müssen beispielsweise mindestens stirnseitig unterfahrbar sein für Menschen im Rollstuhl. Weiter sind unter anderem Armlehnen und kontrastreiche, abgerundete Kanten wichtig. Auch barrierefreie Toiletten sind wichtige Elemente, damit sich die Besuchenden länger auf dem Friedhofsgelände aufhalten können.

3. Partizipative Umsetzung

Um Friedhofsareale inklusiv zu gestalten, bieten sich partizipative Prozesse mit Betroffenen und potentiellen Nutzer:innengruppen an. Durch gemeinschaftliches Porträtieren und Analysieren kann erarbeitet werden, welche Maßnahmen in der Realität funktionstauglich sind und welche nicht. Dies erspart nachträgliche Mehrkosten für Umbauten und trägt zu einer effizienten Planungsphase bei. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse könnten in einer Datenbank gesammelt werden, um das hindernisfreie Bauen effizienter voranzutreiben.

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Rampe im Friedhof Sihlfeld und Treppe mit hellen Stufen als Farbkontrast zum Asphalt. Foto: Jeannine Lussi
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Sitzbank im Friedhof Sihlfeld, welche zwar Rück- und Armlehne hat, jedoch weitere Aspekte von hindernisfreiem Mobiliar vermissen lässt. Foto: Jeannine Lussi
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6 Gutes Beispiel von Steinplatten welche sehr eben sind, mit wenig Versatz. Foto: Jeannine Lussi

4. Unterhalt und Pflege

Laut Christina Nagl von BirdLife Österreich können Menschen bereits mit der einfachen Pflege eines Friedhofsgrabs einen wertvollen Beitrag für einen "lebenswerten Friedhof" leisten.15 Einheimische Wildpflanzen bieten eine bedeutsame Unterstützung für die heimische Fauna. Die Gemeinden können darüber hinaus die Biodiversität fördern, indem alte Bäume erhalten oder artenreiche Blumenwiesen angelegt werden.

5. Friedhöfe als Naherholungsraum

Bewegungsfreundlich gestaltete Grünräume können sich positiv auf die physische, psychische und soziale Gesundheit auswirken.16 Beispielsweise wirkt die Farbe Grün entspannend, beruhigend und stressmindernd. In Bezug auf die physische Gesundheit kann Bewegung im Freien mit einem positiven Effekt auf das Herz-Kreislauf-System, die Motorik, den Stoffwechsel und die Körperbalance in Verbindung gebracht werden.17 Orte, die zum Verweilen einladen, fördern die Möglichkeit, jemanden zu treffen, und somit die soziale Interaktion. Auch die WHO bescheinigt, dass sich ein Mangel von Grünflächen in unmittelbarer Nähe nachteilig auf die alltägliche Erholung, die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirkt.18

6. Nutzungskonflikte

Die Denkmalpflege und die Gartendenkmalpflege stehen oft in Widerspruch zueinander, sowie auch zur Inklusionsthematik.19 Ein Beispiel eines solchen Interessenskonflikts stellen Treppen dar. Sie werden oftmals aus Sicht des Denkmalschutzes als wertvoll eingestuft, jedoch verunmöglichen sie einen Zugang mit dem Rollstuhl oder dem Rollator. Weiter sind sickerfähige Beläge aus ökologischer Sicht wünschenswert, allerdings stellen diese für die Barrierefreiheit ein Hindernis dar. Es gilt, Zielsetzungen aus Ökologie, Ökonomie, Gestaltung und Funktionalität möglichst in Einklang zu bringen, um nachhaltige Freiräume zu erschaffen.

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Die vier Bereiche des nachhaltigen Planens und Bauens. Grafik: Friedrichsen

7. Kultur und Sensibilisierung

Oliver Merz, Leiter des Instituts Inklusiv und Pfarrer, sieht in der Veränderung der Umgangskultur eine Schlüsselfunktion für eine erfolgreiche Sensibilisierung.20 Aufgrund persönlicher Betroffenheit sieht er in einigen Kirchen eine Kulturveränderung. Er selbst leidet an Multipler Sklerose (MS). Wenn betroffene Besucher:innen der Kirche ihn als Pfarrer arbeiten sehen, denken sie "[…] hey wenn der mit MS Pfarrer sein kann, dann kann ich auch kommen mit meinen Bürden die ich habe, oder mit speziellen Lebensumständen. […]".²¹ So geschieht durch das Mitwirken aller eine automatische Sensibilisierung. Gemäß dem Interview mit Oliver Merz ist vom Bund und den Kantonen eine systematische Herangehensweise nötig, um die Förderung der Inklusion effizient voranzutreiben. Außerdem sollten Behindertenorganisationen und -verbände öfters eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung und Förderung von inklusiven Projekten einnehmen. So können sie ihre Vorbildfunktion zum Beispiel auf die Baubranche ausweiten, in welcher es aktuell noch an guten Vorbildern mangelt.

Fazit

Friedhofsanlagen bieten großes Potenzial für alle Menschen, mit Behinderung und Altersgebrechen oder ohne, um sich in einer grünen Oase zu erholen und so ihre psychische und physische Gesundheit zu fördern. Allerdings bestehen noch große Lücken in Bezug auf die inklusive Planung und Umsetzung, welche mit innovativen und gemeinschaftlichen Lösungsansätzen anzugehen sind. Um die fehlenden Infrastrukturen sowie den Zugang zu diesen Anlagen zu ermöglichen, muss die Schaffung von Inklusionsprojekten erfolgen. Nur so könnten sich alle Menschen selbstbestimmt und frei bewegen und von den gesundheitlichen Vorteilen dieser öffentlichen Freiräume profitieren.

Wenn Inklusion in Bezug auf die sozialen und baulichen Barrieren vorangetrieben werden soll, sind die Bedürfnisse aller bereits zum Beginn mitzudenken und zu kontrollieren. Ein Beispiel bilden Musterflächen, welche von Menschen im Rollstuhl befahren werden, um die Passierbarkeit zu testen.

Ein Vergleich mit anderen Außenräumen, wie beispielsweise Bildungseinrichtungen, Museen oder Innenhöfe könnte ebenfalls hilfreich sein, um neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Die Thematik ist sehr vielschichtig, weshalb es für detailliertere Erkenntnisse weiterer Untersuchungen bedarf. Die aktive Partizipation diverser Akteur:innen sowie die Zusammenarbeit mit Betroffenen ist wichtig, um das Thema lückenlos und nachhaltig angehen zu können.

Barrierefreiheit Friedhöfe
Gemeinsam für und mit der Natur. Foto: Shane Rounce
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Außenraum der Kirche St. Peter und Paul in Stans, Cyrill Scheuber. Foto: Jeannine Lussi

Literatur

Anmerkungen

¹ (Gebhard & Kistemann, 2016)

² (Wenger et al., 2023)

³ (Bai et al., 2017)

4 (Wenger et al., 2023)

5 (Heiss et al., 2009)

6 (Helmer-Wallimann, 2015)

7 (Boga & Westphal, 2023)

8 (Oguey, 2019)

9 (Swisscom Directories, o. J.)

10 (Procap, o. J.)

¹¹ (Lussi, 2024)

¹² (Lussi, 2024)

¹³ (Schweizer Fachstelle Hindernisfreie Architektur, 2017)

14 (Lussi, 2024)

15 ("Lebenswerte Friedhöfe", 2023)

16 (Brämer, 2008)

17 (Gebhard & Kistemann, 2016)

18 (Myatt, 2016)

19 (Lussi, 2024)

20 (Lussi, 2024)

²¹ (Lussi, 2024)

B.Sc. Jeannine Lussi
Autorin

Umweltingenieurin ZHAW, Studio Vulkan Landschaftsarchitektur AG

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