Überlegungen zum Stellenwert von Grünraumprojekten heute

Grüne Infrastruktur als Allheilmittel?

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Der Parque de Juan de Austria in Valladolid besitzt eine hohe ästhetische Qualität und liegt im Herzen einer der historischsten Städte Spaniens. Foto: Ian Mell

Grüne Infrastruktur ist keine Erfindung der Moderne. Die Ursprünge des Konzepts reichen zurück bis zu Lancelot "Capability" Brown (1716-1783), der sich bereits im 18. Jahrhundert mit Landschaftsästhetik beschäftigte. Ideen zur grünen Infrastruktur finden sich auch im Wirken Frederick Law Olmsteds (1822-1903) in New York, Boston und Montreal sowie in der Gartenstadt-Bewegung von Ebenezer Howard (1850-1928). Die drei Planer verband der oft vernachlässigte Gedanke, dass Landschaften als physische, soziale und ökologische Orte einen großen Nutzen für Menschen, Gemeinden und Städte haben. Brown, Olmsted und Howard formulierten bereits zu ihrer Zeit Grundsätze zum Planen grüner Infrastruktur. Daraus lässt sich eine direkte Verbindung zwischen der Landschaftspraxis im späten 19. Jahrhundert und der Städteplanung im Jahr 2017 herstellen.

Die drei Pioniere propagierten außerdem eine radikalere, politisierte Form der Stadtplanung, deren Fokus auf den "heilsamen" Aspekten grüner Infrastruktur liegt. Das urbane Grün wurde einerseits als wichtiger Beitrag für individuelle und kollektive Gesundheit hervorgehoben. Zudem betonten die Planer, dass Stadtgrün Klimaextremen entgegenwirken und auch als ökonomischer Motor genutzt werden könne. Gleichzeitig verstanden Brown, Olmsted und Howard grüne Infrastruktur auch als einen Mechanismus, durch den prozesshaft inklusive, multifunktionale und nachhaltige Städte entwickelt werden können.

Ein dynamisches Konzept

Grüne Infrastruktur beinhaltet einerseits historische Planungsansätze, wie beispielsweise Howards Gartenstadt, stellt allerdings zugleich ein sich stetig entwickelndes Konzept dar. Folgerichtig entstehen fortwährend neue Begriffe und Ansätze, die Teil der Planungsagenda grüner Infrastruktur sind. Als zeitgenössische Beispiele dienen Ökosystemdienstleistungen und naturbasierte Lösungen in Europa und Nordamerika sowie die Konzepte von Öko,- Smart- und Sponge Cities (mit Urbanem Wassermanagement Programm) in Indien und China. Die terminologische Vielfalt, die heutzutage im Hinblick auf grüne Infrastruktur besteht, kann in ihren Auswirkungen auf grüne Stadtplanung sowohl positiv als auch negativ bewertet werden. Ein positiver Aspekt besteht darin, dass Fürsprecher des urbanen Grüns und Landschaftsentwickler aus einem reichhaltigen Ideen-Pool schöpfen können. Das wird dadurch deutlich, wie verschiedene Disziplinen, zusammengebracht werden und in konkreten Praxisbeispielen eine Koalition der Ideen schmieden. Das Bauwesen und die Ökologie wirken etwa im Großraum Chicago eng zusammen, um Lösungen in Wasser- und Biodiversitätsfragen zu finden.

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Der Maggie Daley Park in Chicago, Illinois, ist auf einem ehemaligen Bahngelände errichtet worden. Er zeigt, wie die die Erneuerung von Industriebrachen einen populären Park in der drittgrößten US-Metropole hervorgebracht hat. Foto: Ian Mell

Als negativen Aspekt der offenen Terminologie gilt festzuhalten, dass ein flexibles Konzept stets Unsicherheit mit sich bringt, die bei fachfremden Akteuren leicht in Missbilligung münden kann. Das stellt bei Finanzierungsfragen oft ein Problem dar, da grüne Infrastrukturprojekte Investoren selten eine fundierte Kosten-Nutzen-Analyse bieten können. Zwischen diesen beiden Positionen zu verhandeln ist schwierig, doch die Fürsprecher grüner Infrastruktur haben eine Beweisgrundlage aus ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Daten geschaffen, um Investoren für Grünbauprojekte zu gewinnen. Bedauerlicherweise üben sich einige Akteure gegenüber grüner Infrastruktur noch immer in Zurückhaltung, eben weil es sich dabei um ein so offenes, amorphes Konzept handelt.

Sind alle grünen Infrastrukturprojekte gleichwertig?

Die Offenheit des Konzepts grüner Infrastruktur leistet auch der Frage Vorschub, ob alle Grünräume und grünen Ressourcen gleichwertig sind. Ein bedeutendes Beispiel im Vereinigten Königreich ist der hochheilige Status, den dort Grüngürtel genießen. Sie stellen die wichtigste (und einzige) Grünfläche dar, die im National Planning Policy Framework (DCLG, 2011) gesetzlich verankert ist. Grüngürtel werden im Vereinigten Königreich wertgeschätzt und geschützt wie keine andere Grünraumressource auf der Insel. Es stellt sich daher unweigerlich die Frage: Warum? Andere Grünräume wie Stadtparks, Straßenbäume, und Wasserstraßen bekommen nicht das gleiche Ausmaß an Schutz zugestanden. Zwar gibt es im Vereinigten Königreich Landschaftskennzeichnungen wie etwa "Areas of Outstanding Natural Beauty" (dt: Gebiete von herausragender natürlicher Schönheit) und "National Nature Reserves" (dt: Nationale Naturreservate). Für diese besteht allerdings ein weniger klar definierter Schutz als für die Grüngürtel. Das hängt teilweise damit zusammen, wie Landschaft im Vereinigten Königreich konstruiert wird. Ländliche und idyllische Orte, wie eben Grüngürtel, genießen eine traditionelle Wertschätzung, während andere Formen ökologischer Orte - beispielsweise Sümpfe - anders wahrgenommen werden. Wir sollten allerdings Grünressourcen nicht gegeneinander ausspielen weil manche von einigen Unterstützern für wichtiger befunden werden als andere.

Alternativ kann man vorschlagen, dass grundsätzliche alle Grünräume wertvoll sind, weil sie einer großen Anzahl von Menschen vielfältige Vorteile an zahllosen Orten bieten. Insbesondere an Orten mit extremem Klima, wie etwa Ahmedabad in Indien, wird die Lebensqualität erst durch Straßenbäume und Grünräume, die Temperatur- und Regeneffekte abmildern, sichergestellt. In der US-Metropole Philadelphia ist es das sogenannte "Green Water, Green XXX"-Programm, das den Einwohnern ähnliche Graswurzel-Effekte beschert wie das beim urbanen Grün und den Bürgern Ahmedabads der Fall ist. In "Philly" sind es Gründächer und nachhaltige Entwässerung, die die Metropole auf die zunehmenden Klimaschwankungen vorbereiten. In Stadtentwicklungsdebatten erscheint es daher geboten, grüne Infrastrukturressourcen als eine Reihe von Möglichkeiten wahrzunehmen, die essenzielle ökologische und sozio-ökonomische Funktionen erfüllen. Somit kann der Annahme, dass manche Investitionen ins Stadtgrün besser seien als andere, der Nährboden entzogen werden.

Rund um den Globus gibt es zahllose Beispiele grüner Infrastruktur, die für die Menschen auf unterschiedliche Weise von Nutzen sind. Die "Atlanta Beltline" im US-Bundesstaat Georgia wird eine 23 Meilen lange Grünachse herausbilden, die jedem Stadtbezirk einen Zugang zu öffentlichem Grünraum bescheren wird (s. a. Stadt+Grün 08/2013, S. 9ff.). In New York und Paris wurden mit der High Line, und der Promenade Plantee respektive ehemalige Eisenbahnanlagen zu einem öffentlichen Raum umgestaltet. Das hat in beiden Fällen zu ökonomischem Wachstum, einem florierenden Wohnungsmarkt und dem Etablieren urbaner Biodiversität geführt. In England haben die sogenannten "Community Forest Partnerships" (dt: Kommunale Waldpartnerschaften) mit lokalen Entscheidern zusammengearbeitet, um brachliegende post-industrielle Räume neu zu entwickeln und wieder nutzbar zu machen. Jedes dieser Beispiele zeigt, wie Orte mit einem minimalen sozio-ökonomischen oder ökologischen Wert in die öffentliche Nutzung zurückgeführt werden können - indem in grüne Infrastruktur investiert wird. Zudem wird deutlich, wie Stadtgrün genutzt werden kann, um Landschaftsressourcen auszuschöpfen und Interaktivität an Orte zu bringen, die formal nicht als inklusiv gelten.

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Der Centennial Park in Atlanta, Georgia, ist für die Olympischen Spiele 1996 entwickelt worden und wurde daraufhin in einen urbanen Park im Stadtzentrum umgewandelt. Foto: Ian Mell

Sind alle Investitionen ins Stadtgrün angemessen?

Wenn wir uns vergegenwärtigen, wie unterschiedlich der Wert grüner Infrastruktur von verschiedenen Akteuren bewertet wird, müssen wir uns auch die Frage stellen, ob alle Investitionen in Grünräume sinnvoll sind. Das mag zunächst seltsam anmuten, da jeder Einsatz für Landschaftsschutz- und pflege gemeinhin als wünschenswert gilt. Es gibt jedoch Projekte, bei denen die Hürden für eine grüne Landschaftsentwicklung oder für die spätere Nutzung zu hoch sind, als dass sich eine Investition lohnen würde. Wie bei allen planerischen Projekten müssen auch bei Maßnahmen fürs urbane Grün unterschiedliche Parameter geprüft werden: Die physische Landschaft, die kommunalen Bedürfnisse, das Kosten-Nutzen-Verhältnis und die konkreten Auswirkungen des Bauprojekts. Meistens gelingt das im Vorfeld, manchmal jedoch fehlt Planern die Voraussicht, was das Projekt für konkrete Effekte haben wird. Ein aussagekräftiges Beispiel für letzteres ist die langjährige Debatte über die Entwicklung der London Garden Bridge, die wegen zu hoher Kosten nun doch nicht gebaut werden wird.

Das Projekt wurde von vielen Londonern als nutzloser Prunkbau angesehen (s. a. Stadt+Grün 02/2016, S. 10). Für diese Kritiker wäre die Brücke lediglich ein nichtöffentlicher Raum gewesen, der eine begrenzte Begrünung aufgewiesen und einen bereits existierenden Park samt seiner Bäume zerstört hätte. Die Fürsprecher sahen in der Garden Bridge eine bahnbrechende Entwicklung, die das Nord- und Südufer der Themse miteinander verbunden hätte und dadurch zu einen Touristenmagneten und Garanten für ökonomisches Wachstum geworden wäre. Beide Standpunkte hatten ihre Berechtigung, da das Projekt für die Stadt gleichermaßen positive wie negative Folgen gehabt hätte. Nun ist der Traum von der Garden Bridge ausgeträumt und ehrlicherweise hat das Projekt von Beginn an unter keinem guten Stern gestanden: Eine gewisse Intransparenz bei der Auftragsvergabe und im Entwicklungsprozess hatten dazu geführt, dass kein ziviler Dialog zwischen den betroffenen Akteuren zustande gekommen war. Ähnlich verhält es sich in Pudong im chinesischen Shanghai. Dort sind Parks angelegt worden, um das Stadtbild aufzuwerten - ohne jedoch die Funktionalität dieser Grünräume im Vorfeld ausreichend zu durchdenken.

Häufig ist außerdem zu beobachten, wie konfliktträchtig "zwischenzeitliche" Räume sind: Jene Orte, für die eine Baugenehmigung erteilt wurde, deren Umsetzung noch auf sich warten lässt. Oft entsteht in Brachen über lange Zeiträume eine Biodiversität, die geplante Bauprojekte nochmals in einem anderen Licht erscheinen lassen. Weiterhin lassen sich viele Beispiele im Bausektor finden - sowohl bei Wohnungsbau als auch bei industriellen Neubauten - wo die grüne Infrastruktur keinen zentralen Stellenwert hat, sondern eher als schmückendes Beiwerk dient. An solchen Orten finden sich oftmals grasbewachsene Landschaften, die durch einen Mangel an Pflege und Biodiversität eher minderwertige Grünräume darstellen.

Dass sich soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte in Grünbauprojekten jedoch auch erfolgreich vereinen lassen, belegt unter anderem das Beispiel des Olympic Park in London. Dort hat grüne Infrastruktur sowohl Gestaltung und Entwicklung als auch die Verwaltung eines stadtbekannten Projekts entscheidend mitgeprägt. Im Ruhrgebiet hat es ein ähnliches Leuchtturmprojekt gegeben: Dort ist der Emscher Landschaftspark, eine ehemalige Industriebrache, zu einem beliebten öffentlichen Grünraum entwickelt worden (s. a. Stadt+Grün 10/2016, S. 12 ff.). Sowohl der Olympic Park als auch der Emscher Landschaftspark stellen dabei aber Ausnahmefälle dar, die nahezu idealtypisch zeigen, wie grüne Infrastruktur Landmarken lokaler, nationaler oder gar internationaler Bedeutung herausbilden kann.

Ein weiteres Positivbeispiel gibt es in England: Die kommunalen Forste haben dort einerseits mit den lokalen Regierungen zusammengearbeitet. Sie haben aber auch über deren Zuständigkeiten hinaus untereinander kooperiert, um flächendeckend einen systemischen Ansatz in der Grünentwicklung ihres Hoheitsbereichs zu entwickeln. In all diesen Fällen ist Interessenvielfalt der beteiligten Akteure nicht heruntergespielt, sondern akzeptiert und offen thematisiert worden. Somit dienen sie als Positivbeispiele dafür, dass eine Einsicht in und Akzeptanz von Verantwortlichkeiten zum Gelingen grüner Infrastrukturprojekte beitragen kann.

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Die Bedingung für den Erfolg grüner Infrastrukturprojekte besteht üblicherweise in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren. Geklärt werden müssen rechtliche Verantwortlichkeiten, finanzielle Fragen, wie etwa die Pflege der Grünräume und ihre potenzielle Nutzung durch die Bürger. Wenn all diese Aspekte berücksichtigt werden, entstehen in der Regel konstruktive Debatten über urbanes Grün, die dann in erfolgreiche Projekte münden. Ein gutes Beispiel dafür bietet die "2nd Cambridgeshire Green Infrastructure Strategy". Das fertige Strategiepapier entstand mithilfe räumlicher Integration und dadurch, dass allen beteiligten Akteuren ihre Rollen bewusst gemacht wurden.

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Der London Olympic Park wurde 2012 für die Olympischen Spiele errichtet. Er stellt ein Leuchtturmprojekt für erfolgreiches Umwandeln von Industriebrachen dar. Foto: Ian Mell
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Die Paramal Gardens im indischen Ahmedabad gehören zu einem stadtumspannenden Grünnetzwerk, und sind ein Musterbeispiel öffentlich-privater Grünraumfinanzierung. Foto: Ian Mell

Im indischen Ahmedabad wurde trotz Sparzwängen die Bürgerbeteiligung in den Mittelpunkt gerückt. Auch die klare Benennung von Verantwortlichkeiten spielt in Ahmedabads Entwicklungsstrategie eine zentrale Rolle. Außerdem gilt es festzuhalten, dass die 30-jährige Grünentwicklung im Ruhrgebiet, die in der Schaffung des Emscher Landschaftsparks ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat, ohne grenzüberschreitende Kooperation nicht möglich gewesen wäre.

Geht es nur um ökonomischen Nutzen?

Historisch betrachtet ist es für die Fürsprecher von Grünbauprojekten stets schwierig gewesen, Bauexperten und Ingenieure von ihren Vorhaben zu überzeugen. Das hat damit zu tun, dass die Wertschätzung von "Natur" - vor allem im urbanen Raum - ein relatives neues Phänomen ist. Jene Variablen, die eine Wertermittlung von Bauprojekten erlauben, erwiesen sich auf dem Feld grüner Infrastruktur stets als schwer fassbar. Daher blieb die Wertschätzung grüner Bauprojekte gegenüber konventionellen Bauvorhaben häufig zurück. Da das allgemeine Bewusstsein für die Bedeutung urbanen Grüns in der letzten Dekade deutlich gewachsen ist, fällt es seinen Fürsprechern heutzutage leichter, auch mit ökonomischen Argumenten für das Stadtgrün zu punkten.

Schützenhilfe dafür hat auch das wachsende Verständnis von Wassermanagement durch nachhaltige Entwässerungssysteme geleistet. Diese Systeme können als Ingenieurlösungen für ökologische Probleme eingeordnet werden, was wiederum ihre ökonomische Rationalisierung ermöglicht. Gerade Investitionen in nachhaltige Bewässerungssysteme haben eine entscheidende Rolle dabei gespielt, das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Stadtgrünprojekten herauszuarbeiten. Überflutungen und Sachschäden verursachen handfeste Kosten, die bewertet werden können. In den USA ist vor allem das Entwässerungs-Management ein Schwerpunkt der grünen Infrastrukturplanung und stellt einen der erfolgreichsten thematischen Ansätze darin dar, eine interdisziplinäre Wertermittlung vorzunehmen.

Die ökonomische Bedeutung grüner Infrastruktur ist auch ein Kernelement im sogenannten Environmental Protection plan for green infrastructure in New York (PlaNYC), dem Umweltschutzplan für grüne Infrastruktur in New York. In diesem Dokument wurden die Investitionskosten gegen langzeitliche ökonomische Gewinne und gegen konkurrierende graue Infrastrukturprojekte abgewogen. Das Resultat war ein klares Bild davon, welche Ersparnisse Grünbauprojekte kurz- und langfristig mit sich bringen würden. Dadurch war es dem Bürgermeister der US-Metropole möglich, primär gewinnorientierte Investoren für Grünbauprojekte im "Big Apple" zu gewinnen.

Beispiele aus Hong Kong und Guangzhou in China, aus Sheffield und Manchester im Vereinigten Königreich sowie aus New York City belegen, dass Immobilien durch grüne Infrastruktur in ihrem Wert steigen. Forscher haben herausgefunden, dass Menschen bereit sind, für Wohnungen und Geschäftsgrundstücke mehr auszugeben, wenn diese an begrünten Orten liegen.

Die Initiative VALUE (Valuing Attractive Landscapes in the Urban Environment) ist bei Untersuchungen in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich zu ähnlichen Resultaten gekommen. Es gibt in allen vier Staaten einen direkten Zusammenhang zwischen ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit und Grünbauprojekten. Je zugänglicher, funktionaler und attraktiver die grüne Infrastruktur vor Ort, desto höher die Bereitschaft der Anwohner, höhere Mietpreise zu akzeptieren und auch mehr Steuerabgaben zu leisten.

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Der Olympic Sculpture Park in Seattle im US-Bundesstaat Washington ist der einzige kostenfrei zugängliche Skulpturenpark im ganzen Land. Er ist über den Bahngleisen der Innenstadt erbaut worden. Foto: Ian Mell
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The Bund im chinesischen Shanghai ist eine öffentliche Promenade, die reichhaltige Bepflanzung mit hochwirksamem Überflutungsschutz verbindet. Foto: Ian Mell

Trotz all dieser positiven Beispiele muss bedacht werden, dass der ökonomische Wert von grüner Infrastruktur gegen die existierenden Landschaftsressourcen abgewogen werden muss. Außerdem muss kritisch hinterfragt werden, ob geplante Grünbauprojekte eine hohe Qualität aufweisen oder nicht. Räume, die als nicht-inklusiv und sozio-ökonomisch geringwertig gelten, werden die Wirtschaftlichkeit eines Ortes kaum erhöhen können. Deshalb muss darauf geachtet werden, dass Investitionen in grüne Infrastruktur drei Grundbedingungen erfüllen:

  • Sie müssen sozio-ökonomischen und ökologischen Bedürfnissen gerecht werden
  • Sie müssen als hochwertige Projekte gestaltet werden
  • Sie müssen angemessen finanziert werden

Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Grünraumprojekte zu ökonomischem Wachstum in unseren Städten führen.

Mutige Entscheidungen

Zukünftig könnten es die mutigsten Entscheider sein, die die effektivsten Grünraumprojekte realisieren. Diejenigen, die grüne Infrastruktur zu einem Grundsatz und Leitprinzip der Stadtentwicklung erheben.

Bereits heutzutage gibt es dafür gute Beispiele. "The Emerald Necklace" (dt: "die smaragdgrüne Halskette") in Boston, Massachusetts, ist ein stadtumspannendes, nachhaltiges Entwässerungssystem, das im späten 19. Jahrhundert von Olmsted entwickelt worden ist. Baron Haussmanns Neuentwicklung der Innenstadt von Paris durch baumgesäumte Boulevards und Prachtstraßen ist einerseits eine Aufwertung des Stadtbildes, aber zugleich ein Mittel, um Luftverschmutzung und Wetterextremen entgegenzuwirken. Im Vereinigten Königreich und auch weltweit sind Grüngürtel dazu eingesetzt worden, um die Zersiedelung zu begrenzen und ökologische Ressourcen zu schützen.

Solche Projekte können als mutige Interventionen angesehen werden, die dem Umwelt- und Landschaftsschutz dienen. Auch die Renaturierung der Industriebrachen im Ruhrgebiet und im Norden Englands unterstreichen, wie innovative Grünraumprojekte zur Erneuerung von kommunalen und gesellschaftlichen Landschafts-Wertmarken führen können. Weitere Positivbeispiele für grüne Landschaftsplanung tun sich in den USA auf: Die systematische Ausweitung urbanen Grüns in Detroit, den Wassermanagement-Plan von Philadelphia und die Landschaftsachse von Atlanta.

Visionäre und mutige Entscheidungen bedürfen allumfassender Zusammenarbeit sowie eines weit gesteckten Zeitrahmens um sicherzustellen, dass Stadtgrün nicht von der politischen Agenda verschwindet. Positivbeispiele wie die oben genannten anzuführen ist ein probates Mittel, um Politiker und Planer vom Wert innovativer und nachhaltiger Grünraumprojekte zu überzeugen. Innovatives "grünes Denken" kann sich sowohl für die Städte als auch für politische Karrieren als wahrer Segen erweisen. Die High Line und die PlaNYC in New York City zeigen, wie urbane Erneuerung durch Grünraumprojekte funktionieren kann und wie ein "grün denkender" Bürgermeister einen fundamentalen Dialog über den Wert von Stadtgrün anstoßen kann. Allerdings bedarf es innovativer Denker wie Olmsted, Howard, Michael Bloomberg (ehemaliger New Yorker Bürgermeister) oder Parris Glendenning (ehemaliger Gouverneur von Maryland, der den modernen Begriff der "grünen Infrastruktur" geprägt hat), um Grünraumprojekte nicht nur öffentlichkeitswirksam zu propagieren, sondern auch entsprechende Planungsprozesse in Gang zu setzen.

Fazit

Zusammenfassend gilt es festzuhalten, dass das Planen grüner Infrastruktur in einem relativ kurzen Zeitraum einen starken Bedeutungszuwachs erlangt hat. Das Thema durchdringt zusehends die Politik auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene - und das nicht nur in Europa, sondern auch in Nordamerika und Asien. Diese Entwicklung befähigt Praktiker, kollaborativ und auch mit ganzheitlicheren Ansätzen zu arbeiten, um proaktiv ihre ökologischen, sozio-ökonomischen und planerischen Ideale in integriertem Landschaftsurbanismus zu realisieren. Grüne Infrastruktur hat auch ein Forum geschaffen, in dem Interessenvertreter aus der Regierung, dem Umweltsektor, den Kommunen und zuletzt auch der Stadtentwicklung den Wert von Landschaftsressourcen diskutieren können, indem sie diese mit grauer/bebauter Infrastruktur vergleichen können. Um sicherzustellen, dass Grünraumplanung ihren Stellenwert in politischen Entscheidungsprozessen und Investitionsstrategien ausbauen kann, gibt es verschiedene Maßnahmen, die ergriffen werden können.

Erstens muss das Grünraumdenken noch größer, mutiger und besser werden. Seit 1998 hat sich grüne Infrastruktur einen Platz im Bewusstsein von Entscheidungsträgern, Stadtentwicklern und Kommunen erkämpft, da sie ganz wesentliche sozio-ökonomische und ökologische Dienste leistet. Überall dort, wo grüne Infrastruktur am erfolgreichsten implementiert wurde, sind Leitprinzipen wie Vernetzung, Zugänglichkeit und Interaktivität in die Investmentpläne eingeflossen. Auch große Leuchtturmprojekte, die die Vorstellungskraft der Menschen anregt, wie der Millennium Park in Chicago und der London Olympic Park (heutzutage Queen Elizabeth Park) haben zum gestiegenen Stellenwert urbanen Grüns beigetragen. Allerdings sollten auch die kleinen kommunalen Grünbauprojekte nicht unerwähnt bleiben: Der Park in der Nachbarschaft, der Grüngürtel an der Bezirksgrenze - das sind Alltagsräume für Menschen, in denen elementare Bedürfnisse nach Erholung und Ruhe gestillt werden.

Zweitens muss erkannt werden, wie wichtig Begrifflichkeiten sind. Wenn Grünraumdenken einen größeren Fokus auf Ökosystemleistungen und naturbasierte Lösungen legt, müssen daran beteiligte Interessenvertreter diese Begriffe verstehen und sie in den Kanon der grünen Infrastruktur einbeziehen. Im Entwicklungsverlauf des Grünraumdenkens sind Konzepte wie Grüngürtel, Gartenstädte, nachhaltige Gemeinden und Öko-Städte fest etabliert. Wenn die Konzepte "Ökosystemleistungen" und "naturbasierte Lösungen" in diesen Kanon integriert werden, haben Planer ein größeres Vokabular und somit einen größeren Vorrat an Argumenten für ihre grüne Agenda.

Drittens muss die Lobbyarbeit der grünen Branche gegenüber der Regierung intensiviert werden. Im Vereinigten Königreich ist dieser Prozess bereits relativ erfolgreich in Gang gesetzt worden, auch in Chicago, Philadelphia und New York City hat es unter politischen Entscheidungsträgern immer wieder tatkräftige Advokaten des urbanen Grüns gegeben. Dabei handelt es sich bisher jedoch eher um Ausnahmen als um die Regel - engagierte Lobbyarbeit für grüne Infrastruktur könnte das mittelfristig ändern.

Viertens müssen Grünraumdenker noch proaktiver und multidisziplinärer agieren. Nur so kann sichergestellt werden, dass die planerische Praxis die klimatischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen urbaner Entwicklungen meistern kann. Bisher sind viele Grünraumprojekte nur reaktiv gegenüber Landschaftsverfall gewesen (Emscher Landschaftspark, die Arbeit von Englands Kommunalwäldern). Nun ist es geboten, strategischer darüber nachzudenken, wie grüne Infrastruktur genutzt werden kann, um die Probleme des urbanen Wandels zu bewältigen.

Fünftens müssen daher die Planer von Grünraumprojekten dazu übergehen, Interessenvertreter thematisch für sich zu gewinnen. Themen wie Gesundheit, Klimawandel, ökonomisches Wachstum, Wassermanagement und eine inklusivere Stadtplanung sind Argumente, die sie nutzen können, um politische und finanzielle Unterstützung zu gewinnen. Thematisch zu denken und zu kommunizieren erlaubt es Grünraumplanern, die Sprache verschiedener Disziplinen zu nutzen, was die Chancen auf einen fruchtbaren Dialog mit anderen Lobbygruppen erhöht.

Letztlich hängt eine effektive Realisierung grüner Infrastruktur von Finanzmitteln ab. Ohne finanzielle Unterstützung kann sich die Umsetzung von Projekten nicht garantieren lassen. Dazu muss das Bewusstsein der Lobbygruppen in Politik und Wirtschaft für den umfassenden Nutzen grüner Infrastruktur geschärft werden. Weiterhin muss eine Sensibilisierung für jene Leitprinzipien erfolgen, die die Erfolgschancen grüner Infrastrukturprojekte erhöhen. Am Ende sollten nach Möglichkeit effektive Partnerschaften im Sinne des Stadtgrüns entstehen. Dafür müssen alle Beteiligten ein klares Bild davon haben, welche Vorteile und Kosten Grünraumprojekte beinhalten. Ganz besonders benötigen sie aber die Einsicht, dass grüne Infrastruktur ökonomischen, sozialen und ökologischen Nutzen in sich vereinen kann.

M.Soc.Sci Hendrik Behnisch
Autor

Redaktion Neue Landschaft / Exkurs / Pro Baum

Dr. Ian Mell
Autor

MLI Lecturer in Environmental & Landscape Planning

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