Zum Tode von Gartenfreund Jürgen Hurt (1937-2018)

Im Dauereinsatz für Berliner Kleingärten

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Blühende Kleingärten im Wedding, Kolonie Rehberge. Foto: Elisabeth Meyer- Renschhausen

Anfang 2018 starb der sehr bekannte sowie beliebte Berliner Gartenfreund, der am 30.7.1937 in Berlin geborene Jürgen Hurt. Er war jahrelang der Vorsitzende der Berliner Kleingartenvereine gewesen und hatte die über 80.000 Berliner Kleingärten gegen so manche Landübernahme-Ambition aus der Bauindustrie zu guten Teilen sehr erfolgreich verteidigt.

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Jürgen Hurt war jahrelang Vorsitzender des Landesverbandes Berlin der Gartenfreunde e. V. Foto: Archiv Landesverband Berlin Gartenfreunde e. V.

Seine Mutter Luzia Grühn, geboren 1912, kam aus einer jüdischen Familie Spaniens. Zwar war die Familie im strengkatholischen Spanien konvertiert, behielt jedoch im Gedächtnis, dass sie jüdischer Herkunft war. Luzia Grühn kam mit ihrer Zwillingsschwester aus Spanien nach Berlin, um dort zu arbeiten und kam als Haushaltshilfe zur Familie Hurt mit sage und schreibe 21 Kindern. Der Haushaltsvorstand Hurt hatte seine Laufbahn noch als kaiserlicher Kunststopfer begonnen und reparierte kostbare Wandteppiche und Stoffmöbel. Er konnte mit diesem angesehenen Handwerk die große Familie tatsächlich ernähren. Einer seiner Söhne, Werner, Jahrgang 1910, heiratete die junge Haushaltshilfe Luzia Anfang der 1930er-Jahre trotz elterlicher Bedenken, also in jenen Jahren, als Berlin - trotzdem die Nazis bereits an der Macht waren - in Vorbereitung der Olympiade 1936 noch einmal die Völkerverbrüderung feierte. Bereits 1934 kam das erste Kind, die Tochter Christel, dann 1937 Jürgen und sechs Jahre später der Bruder Werner. Infolge des zweiten Weltkriegs wuchsen die Kinder getrennt voneinander und Jürgen nahezu elternlos auf.

Als 1943 die Bombardements auf Berlin begannen, wurde er mit gerade einmal knapp sechs Jahren mit Hunderten anderer Berliner Kinder in ein Kinderlager nach Schlesien, ins heutige Polen, verschickt. Als auch dort die Front immer näher rückte, wurden die Kinder weitergeschickt. Jürgen kam in die Ukraine, wo sich die Bäuerinnen dort sehr liebevoll um die Kinder kümmerten. Der Vater, der als Drageur mit dem Herstellen von Medikamenten befasst war und auch eigene Erfindungen gemacht hatte, war kriegsbedingt an der Front. Die Mutter jedoch, die sich offenbar zeitweilig nach Spanien gerettet hatte, blieb über Jahre hinweg verschwunden. So sollte Jürgen von seiner sehr freundlichen ukrainischen Pflegefamilie adoptiert werden. Der Junge war damit sehr einverstanden, er sprach bereits gut russisch¹, er verstand sich mit seinen Pflegeeltern ausgezeichnet. Da jedoch wurde die Mutter durch das Rote Kreuz ausfindig gemacht und Jürgen wurde nach Berlin zurückgerufen. So kam er 1948 mit elf Jahren in ein völlig zerbombtes Berlin zurück, in dem er sich im Gegensatz zur Ukraine überhaupt nicht wohl fühlte. Er hatte Heimweh nach der Ukraine, über die auch Besuche bei der spanischen Großmutter nicht hinweghalfen. Auch die Schulverhältnisse waren in Berlin noch völlig desolat, die Kinder saßen gemischt mit mehreren Jahrgängen in den Klassenzimmern, betreut von viel zu wenigen Lehrern.

Als sich die Eltern um 1950 scheiden ließen, konnte die Mutter den Besuch des Gymnasiums nicht mehr bezahlen. Jürgen wechselte zurück in die Volksschule und half der Mutter, die ganztägig in einem Büro arbeitete, indem er vor der Schule Bananenkisten austrug. Nach der Schule kümmerte er sich um den jüngeren Bruder, denn die Schwester machte bereits eine Ausbildung als Krankenschwester. Nach dem Vorbild des neuen Lebenspartners der Mutter lernte Jürgen anschließend "Rauchwaren-Zurichter" und arbeitete folglich im Pelzhandel.

Die Scheidung veranlasste die Mutter zudem, ihre Wohnung in Tempelhof aufzugeben, mit ihren Kindern in eine Laube in einer Kleingartenkolonie in Britz zu ziehen. Dort war das Leben viel günstiger und solche Umzüge waren seitens der Stadt damals gerne gesehen, da infolge der Kriegszerstörungen Tausende von Wohnungen fehlten. Hier kam Jürgen mit der Schreberjugend in Kontakt und wurde dort aktiv. Denn aufgrund seiner Erfahrungen im Krieg und der liebevollen Aufnahme seitens seiner Pflegeltern, war es ihm früh ein inneres Anliegen, sich um Kinder aus benachteiligten Verhältnissen zu kümmern.

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Dauerkleingartenkoloni Rehberge steht Spaziergängern stets offen. Foto: Elisabeth Meyer- Renschhausen
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Gemüsebeete in der Kolonie Oeynhausen, in der die Hurts gärtnerten. Foto: Elisabeth Meyer- Renschhausen
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Alte Obstbäume in Kreuzberger Kleingärten erfreuen die Spaziergänger im Park auf dem Gleisdreieck. Foto: Elisabeth Meyer- Renschhausen

Mit und für die Schreberjugend und später auch zusammen mit den Falken (Jugendorganisation der SPD) beteiligte er sich bald maßgeblich an der Organisation von internationalen Jugendlagern für den Jugendaustausch, besonders mit Italien, Spanien und Israel. Da Jürgen Hurt immer ein Mensch war, der auf die Menschen zuging, hatte er damit viel Erfolg, zumal er mehrere Sprachen sprach, neben deutsch und russisch, auch englisch. Besonders lag ihm der Jugendaustausch mit Israel am Herzen. Bereits 1958 ging er für ein halbes Jahr nach Israel als Volontär und arbeitete dort im Straßenbau. Mit seinem dortigen Partner im internationalen Jugendaustausch Mario Barlevy vom Kibbuz Brochail blieb er ein Leben lang befreundet.

Schließlich machte Jürgen Hurt sein Abitur im zweiten Bildungsweg nach und studierte 1976 an der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (der HfSS, also der heutigen Alice Salomon Hochschule) Sozialpädagogik, wo er unter anderem den an sozialen Verhältnissen ebenfalls sehr interessierten Soziologen Dieter Claessens kennen lernte. Von 1964 bis 1972 arbeitete Jürgen Hurt als hauptamtlicher Geschäftsführer für die Schreberjugend und nebenbei ehrenamtlich als Jugendleiter für den Zusammenschluss der Berliner Jugendverbände. 1972 wechselte er ins Bezirksamt Zehlendorf, wurde Leiter des Jugendfreizeitheims Wannsee und arbeitete anschließend 1975 bis 1978 als Sachbearbeiter für Zelt- und Jugendlager für Berliner Kinder im Bezirk Zehlendorf. Von 1979 bis 1985 arbeitet Jürgen Hurt als Sachbearbeiter für politische Jugend und internationale Jugendbegegnung, von 1993 bis 2000 als Sport und Bäderamtsleiter ebenfalls im BA Zehlendorf.

Als Vertreter der Schreberjugend wurde Jürgen Hurt automatisch Mitglied im Vorstand der Berliner Gartenfreunde und früh regte die einzige Frau dort, die bekannte Sozialdemokratin Helene Schlei (die sich übrigens auch für Frauenrechte stark gemacht hatte) dort an, dass Jürgen Hurt zum Nachfolger von Wilhelm Naulin, nach dessen Ausscheiden, gewählt werden sollte. Damals bestanden die Vorstände der Gartenfreunde nahezu ausschließlich aus über 60-jährigen Herren, Jürgen war mit seinem etwas über 30 Jahren mit Abstand der Jüngste, war aber tatsächlich bereits zum Vizepräsidenten gewählt worden. Als Naulin 1975 starb, wurde Jürgen Hurt als Vorsitzender der Berliner Gartenfreunde (West) gewählt und blieb in diesem Amt bis 2007.

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Nach der Wende setzte sich Jürgen Hurt für den Zusammenschluss der beiden Landesverbände in Ost wie West ein. Foto: Archiv Landesverband Berlin Gartenfreunde e. V.

Gleich in seinem ersten Jahr dort musste Jürgen Hurt sich für den Erhalt einer Gartenkolonie namens Ruhwald Gelände, in Charlottenburg einsetzen. 1981 erschien die erste Ausgabe der neuen Verbandszeitschrift der Berliner Gartenfreund. Die Zusammenarbeit mit dem Bremer Verleger Willi Wächter war geprägt von gegenseitigem Vertrauen und Respekt, auch hier entstand eine lebenslange Freundschaft, wie Jürgen Hurt überhaupt viele gute Freunde hatte, auch wenn er sich - infolge seines gesellschaftspolitischen Engagements - um diese Freundschaften nicht besonders kümmern konnte.

Der Bremer Verlag Willi Wächter eröffnete eine extra Zweigstelle in Berlin, um den Gartenfreund drucken zu können. Die Berliner Kleingärtner waren damit der erste Landesverband mit eigener Zeitschrift. Heute wird der Gartenfreund für etliche Landesverbände vom Wächter Verlag gedruckt. Der gedruckte Berliner Gartenfreund wurde zum wichtigen Mittel der Kommunikation, als es in den folgenden Jahren um die Verteidigung der Laubenkolonien ging. 1983 wurde das Bundeskleingartengesetz geändert, Kleingärten auf privatem Land sind seither als solche kaum noch geschützt.

Als 1984 mit dem Entwurf zu einem Flächennutzungsplan (der Vorstufe des rechtsverbindlichen Bebauungsplans) die Pläne des Senats, zahlreiche Kleingartenkolonien opfern zu wollen, deutlich wurde, wurde klar, dass die Gärten schärfer als bisher verteidigt werden mussten. Als jedoch auch im Entwurf zum neuen FNP 1987 die Kleingartenflächen von unter 3 Hektar Umfang, angeblich, weil zu klein, nicht als solche zu entdecken waren, wurden die Westberliner Laubenpieper misstrauisch. Jürgen Hurt organisierte nun den großen Protest der Berliner Laubenpieper vor dem damaligen Regierungssitz in Westberlin, am 5.9.1987 vor dem Schöneberger Rathaus. Es kamen über 20.000 Kleingärtner zu der von der Presse viel beachteten Kundgebung für eine lebenswerte Stadt mit vielen selbstgemalten Spruchbändern und lustigen Sprüchen, wie "An meinen Salat kommt kein Senat!" Als sich nichts änderte, wurde Anfang 1989 die damalige Regierung abgewählt. Das Abgeordnetenhaus beschloss dann 1989, einen Kleingartenentwicklungsplan aufstellen zu lassen.

Jürgen Hurt, selbst in der SPD, sprach unerschrocken und freundlich mit den Vertretern aller Parteien und war daher überall geachtet und von allen hoch angesehen. Auch mit den betreffenden Bürgerinitiativen wie "Rettet die Westangente" oder später der "AG Gleisdreieck" kam und blieb er in Kontakt, da sie sich ebenfalls für die Neufassung resp. radikale Überarbeitung der Flächennutzungspläne einsetzten.

Im Verlauf der 1980er-Jahre änderte der Senat zwar seine Pläne, sagte nun statt der Kahlschlagsanierung einen "behutsamen Stadtumbau" an und die Bezirksämter förderten nun sogar das Begrünen von Hinterhöfen seitens engagierter Bürger. Aber im Flächennutzungsplan 1987 änderte sich nichts Wesentliches gegenüber den Plänen von 1984, die Kleingärten blieben gefährdet. Erst unter dem CDU-Senator Volker Hassemer ab 1991 wurden mit dem Flächennutzungsplan von 1994 ein großer Teil, 85 Prozent, der Berliner Kleingärten im FNP als Gartenland ausgewiesen wurden. Damit waren sie aber noch nicht gerettet, denn das sind sie erst, wenn sie in den Bebauungsplänen der Bezirke als gesichertes Grünland resp. Gärten verzeichnet sind . . .

Die Zusammenführung der beiden Kleingartenverbände Ost und West wurde für Jürgen Hurt nach dem Mauerfall am 9. November 1989 eine besondere Herzensangelegenheit. Das war nicht ganz leicht, denn auf beiden Seiten gab es gewisse Bedenken und vor allem auch unterschiedliche Strukturen.

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Jürgen Hurt (li.) gärtnerte in der Kleingartenkolonie Oeynhausen in Berlin-Schmargendorf, deren Fläche infolge der Privatisierungspolitik der Bundesregierung in den 1990er-Jahren zu "Privatgelände" wurde und als solches von den entsprechenden Landesstellen zum Verkauf freigegeben wurde. Foto: Archiv Landesverband Berlin Gartenfreunde e. V.

Jürgen Hurt bekam für seinen dauernden ehrenamtlichen Einsatz für die Berliner Gartenfreunde zweimal ein Bundesverdienstkreuz sowie die Ehrennadel von Neukölln verliehen. Als die unbedachten Privatisierungsgeschäfte der Nach-Wende-Regierungen dazu führten, dass ausgerechnet auch seine Gartenparzelle in Schmargendorf platt gemacht wurde, boten Berliner Gartenfreunde den Hurts eine Parzelle in Neukölln an. Dort werkelte Jürgen Hurt weiter zusammen mit seiner Frau, mit der er die Leidenschaft für das Gärtnern und für den Erhalt der Kleingärten teilte. Die beiden hatten sich übrigens über die Schreberjugend kennengelernt und zwar bei einem sommerlichen Jugendlager in Hitzacker an der Elbe. Sie heirateten 1977.

Im Rückblick erscheint es der Verfasserin so, als sei im Leben des Jürgen Hurt das Unglück gleich zweimal zu seinem Glück geworden: Jürgen Hurt kam als kleines Kind aus dem Bombenhagel getrennt von Eltern und Geschwistern zu ihm unbekannten Bauern und fühlte sich bei ihnen angesichts deren bescheidenen bodenstämmigen Lebensweise in ihrem (Gemüse-)Garten bald äußerst wohl. Und als er zurückkam, zog seine Mutter in ihrem Scheidungsunglück auf eine Parzelle. Offenbar blühte der 13-Jährige in diesem Britzer Kleingarten wieder so auf, dass er fortan beim Leben im Garten und Grünen blieb und sich über die Schreberjugend schon früh dafür einsetzte, dass dieses Glück auch anderen Kindern, zumal aus ärmeren Schichten, zuteil werden möge. Und so kam es, dass Jürgen Hurt sein Leben dem internationalem Jugendaustausch und den Gartenfreunden widmete.


Quellen

Der Artikel beruht auf zwei Gesprächen mit Jürgen Hurt, zuletzt am 21. April 2017, sowie Helga Hurt am 5. November 2018.

Gert Gröning, Kampfesmutige Laubenpieper, in: Elisabeth Meyer-Renschhausen & Holl Anne, Hrsg., Die Wiederkehr der Gärten - Kleinlandwirtschaft im Zeitalter der Globalisierung. Innsbruck: Studien Verlag 2000, S.140 -161.

Ein starkes Stück Berlin 1901 - 2001: 100 Jahre organisiertes Berliner Kleingartenwesen. Hrsg. vom Landesverband Berlin der Gartenfreunde, Texte von Peter Warnecke, Gert Gröning, Joachim Friedrich, Berlin: Verlag W. Wächter 2001

ANMERKUNGEN

¹ Während der Sowjetunion lernten die Kinder in den Schulen der Ukraine russisch, obwohl die Menschen in der Westukraine auf dem Land und im Alltag weiterhin ukrainisch sprachen.

Dr. Elisabeth Meyer-Renschhausen
Autorin

Freie Journalistin, Berlin

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