Ein weiterer Park am Gleisdreieck, Berlin

Im Westen etwas Neues

von:
Kleingärten
Das plane Tableau ist offen für wechselnde Ideen. Die Fluchtlinien laufen gegliedert durch die beiden querenden Hochbahn-Viadukte. Foto: Nikola Babic

Eine der größten Verkehrsbrachen mitten in der Stadt, die in den 70er Jahren als Verteiler für ein ganzes Netz von Autobahnen reaktiviert werden sollte, ist um einen neuen Park westlich der heutigen ICE-Trasse reicher geworden. Nach Jahrzehnte dauernden Auseinandersetzungen ist aus der "Westtangente" eine Grüntangente geworden. Und sie wird noch. Durch eine geplante Brücke zum Potsdamer Platz und sukzessive Fortsetzungen nach Süden soll eine überregionale Grünverbindung entstehen. Das Konzept von Atelier Loidl für den neun Hektar großen Westpark ist dreiteilig: 1. ein Möglichkeitspark, eine Pluralität von Sondernutzungen im Rahmen aufzeigend. 2. ein Park der räumlichen Freiheit. Diese spielt sich in der lichten Weite aus Wiesen und Rasen ab, klar strukturiert durch die Kante linearer Wege aus Asphalt und Beton. 3. Bühne und Tribüne. Ganz wörtlich umgesetzt in der langen schrägen Holztribüne am Tunnelmund der Bahntrasse.

Die gestalterischen Prinzipien des 2011 fertig gestellten Ostparks werden im Westen gespiegelt. Aus dem Industriezeitalter stammende Elemente werden im Rückgriff auf die Volksparktradition auf eine abstrakte Formensprache reduziert, die wie ein Passepartout über die erhöhten Plateaus gelegt wird. So weit sich die Bürgerinitiativen durchsetzen konnten, wurde ruderale Bestandsvegetation einbezogen. Aber was im Osten wegen zu vieler Kompromisse nicht immer kompatibel erscheint, klappt auf einmal im Westen. Die Fläche war weitgehend für die Baulogistik des Potsdamer Platzes abgeräumt worden. Damit waren zugleich etliche Streitpunkte mit den Anwohnervertretern ausgeräumt. Das plane Tableau ist offen für wechselnde Ideen. Die Fluchtlinien laufen, gegliedert durch die beiden querenden Hochbahn-Viadukte, auf die Kulisse des Potsdamer Platzes zu, der in dieser Perspektive - und nur in dieser - Ausstrahlung entfaltet. Aber auch Kleinigkeiten wie der Verzicht auf allzu luxuriöse Sitzmöbel, wie sie im Ostteil stehen, fügen sich ins formale Konzept. Vorhandene grau- und silberlaubige Gehölzarten wurden ergänzt, um im Kontrast mit neuen Baumgruppen Farbschattierungen hervorzuheben. Ähnlich bei Staudenpflanzungen.

Sogar die Kleingärten, die ursprünglich weichen sollten, fügen sich in den narrativen Kontext. Um in die Parkplanung integriert zu werden, sicherten die angestammten Gärtner eine Hinwendung zur Öffentlichkeit zu. Das Pilotprojekt "Gärten im Garten" war aus der Taufe gehoben. Ungenutzte Parzellen wurden zu Gemeinschaftsflächen. Ein "Marktplatz" entstand, neu gepflastert mit historischen Großkopfsteinen. Daneben ein improvisiertes Café. Die Altvorderen des "Urban gardening" Berlins tauchten auf, aber auch der Nachwuchs. Eine Gruppe koreanischer Frauen kam, nahm sich eine ungenutzte Parzelle, bewirtschaftete sie und erhält nun Verträge für zwei gastfreundliche interkulturelle Gärten. Die neue Kleingartenordnung öffnet sich dem Allmende-Gedanken. Die natürliche Fluktuation von Parzellen und Pächtern soll Gelegenheit bieten, um von Fall zu Fall über Nutzungsverträge zu entscheiden, die gemeinschaftliche oder öffentliche Komponenten enthalten. Die Planer von Atelier Loidl haben die "Kröte" inzwischen geschluckt. Zum Trost sei angemerkt, dass schon Leberecht Migge vorgeschlagen hatte, Kleingarten-Kolonien in die öffentlichen Kultur(Grün-)Gürtel einzubinden.

Konflikte wurden schneller als beim Ostpark absolviert. Das lag im Wesentlichen an der Moderation Martin Seebauers. Er regte die Parteien zum Verständnis der jeweils anderen Position an und stellte Verbindlichkeit her. Die kritische Anmerkung Norbert Rheinländers von der Aktionsgemeinschaft der Bürgerinitiativen, dass Landschaftsplaner eine Handschrift haben, über die sie sich am liebsten ohne Bürgerbeteiligung definieren und verkaufen, münzt Seebauer in eine Erkenntnis um: Landschaftsarchitekten lesen Plangrafiken anders als Laien. Als Andreas Lipp vom Atelier Loidl über eine Grafik eine Folie stülpte und mit dem Stift die Vegetation skizzierte, löste das bei den Bürgervertretern einen Aha-Effekt aus. Die Planer mussten ihrerseits lernen, dass der Entscheid des Wettbewerbs nicht ein Endpunkt, eher ein Anfangspunkt ist.

Bei einem Rundgang im Westpark stieß der Berichterstatter überraschend auf Hanns Heim, Urgestein des Guerilla gardening, der sich auf einer Parzelle niedergelassen hat, um - ganz im Sinne Migges - Nutzpflanzen zur Selbstversorgung anzubauen. Durch seinen heckenfreien Zaun schaut er in den Park. Dieser sei unter szenografischen Gesichtspunkten angelegt. Man gleitet auf planen Wegen dahin, und die vegetativen und landschaftlichen Eindrücke ziehen wie ein Panorama vorüber. Ohne Haptik. Wer will, kann Hanns Heim zuschauen. Bernhard Wiens

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Dr. Bernhard Wiens
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