Florian Bellin-Harder

In der Schwebe - Vegetationsdynamik und Pflegeprognostik

Gartendenkmalpflege

Der Autor überträgt in seiner Dissertation ein für die deutsche Romantik wesentliches Merkmal der Darstellung der Ruine, nämlich das Schwebephänomen der Vergänglichkeit, gewissermaßen programmatisch von dem Objekt der Untersuchung - der Löwenburg in Kassel Wilhelmshöhe - auf den Gegenstand die Vegetation. Eine etwas umfänglich geratende Einleitung widmet sich immer wieder legitimierend der Rolle und Bedeutung dieser zwei Fachsegmente in der Disziplin der Landschaftsplanung und -architektur, deren Annäherung an einem prägnanten Beispiel wissenschaftlich ausgeführt und untermauert werden soll. Ein erstes Hauptkapitel nimmt einen (wissenschafts-)theoretischen Anlauf zur Methodologie angewandter Vegetationskunde in der Gartendenkmalpflege, um dann zweitens entlang der überlieferten Baugeschichte der Löwenburg den ergänzenden Blick der Vegetationskunde auf die dort interpretierten klassischen Quellengattungen (Planunterlagen, Ansichten und Bilddokumente, schriftliche Zeugnisse) zu erproben und am Ende im zu Recht ausführlichsten Teil die Relevanz pflanzensoziologischer Arbeitsweise anhand deren aktueller Vegetation auszuführen.


Fallgeschichte erschließen

Die Relevanz bezieht sich angesichts des dynamischen Charakters aller Pflanzengesellschaften auf die Möglichkeit einerseits rückblickend die in der Vegetation als Artefakt enthaltende spezifische Fallgeschichte (gerade der jüngeren Pflege) zu erschließen - oder wie der Autor formuliert, Zugänge und Antworten bezüglich der Individualität des Objekts anzubieten, die anderen Formen der Untersuchung verschlossen bleiben (S. 44) - und andererseits vorausschauend für die in der Pflege ständig anstehenden Entscheidungen eine Prüf- und Prognosetechnik zu offerieren.

Bellin-Harder weist auf zwei wichtige Wurzeln der Vegetationskunde hin, die trotz der Berührungspunkte zur Geschichte der Gartendenkmalpflege gerne übersehen werden. Zum einen biete die darin vermittelte gemeinsame Vergangenheit von Denkmal- und Naturschutz - letztlich verbrannt mit der Politik und den Folgen des Nationalsozialismus - Ansätze für ein erweitertes Verständnis zentraler Kategorien wie der Originalität (in einer Wiese etwa in Form generativ vererbter Verwandtschaften) oder der Substanz, die der Autor erfrischend ausleuchtet und pointiert. "Beide Disziplinen zeigen deshalb auf verschiedene Weise Interesse an einer Individualität des Objekts, finden aber nicht zusammen. Im Denkmalschutz wird Natur nicht als notwendiger, sondern eher als bedrohlicher Teil der Patina angesehen. Im Naturschutz wird durch die mit dem Prozessschutz verbundenen Wildnisvorstellungen die kulturelle Bedeutung des ,Standorts' übersehen". (S. 52) Darüber hinaus habe die angewandte Vegetationskunde unmittelbar über den Ahnherrn Alexander von Humboldt Einfluss auf wichtige Vertreter der Landschaftsgärtnerei wie Petzold und Jäger genommen, also der zweiten und dritten Generation, in einer Zeit als die Pflege als Verjüngungs- und Erneuerungspraxis für die ins Alter gekommenen Landschaftsgärten plötzlich neue Relevanz erhielt.

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Gartendenkmalpflege
Ein Baum wächst aus einer Mauer heraus. Foto: Kassel university press GmbH

Dies scheint geschichtlich gesehen nicht so sehr eine primäre Fragestellung des Entwurfs und der Herstellung gewesen zu sein, sondern vielmehr eine sekundäre des konzeptionellen Umgangs mit den sich verändernden Gärten, was leider etwas zu wenig herausgearbeitet wird. Darüber hinaus ist die Offerte des Schulterschlusses mit der Gartendenkmalpflege zu sehr und zu unmittelbar auf deren Ideengeschichte fokussiert, die dann notwendig zu allgemein ist wie im Kleid der Romantik oder für den konkreten Ort zu ungefähr, weil belastbare Quellen über sinn- und gestaltleitende Ideen überall sehr spärlich sind. Vielmehr ist die gewordene (und geänderte) Form und Ausstattung in den Blick zu nehmen, in der als Wirkung die Ursache(n) enthalten sind, wie der Autor mit Hinweis auf Carlo Ginzburg ein indizienkundliches Basisparadigma ausführt.

Die Vegetation reiht sich in die Liste der Uneindeutigkeiten eines jeden Gartendenkmals ein. "Regelfall eines Umgangs mit der Vegetation" bedeute eben nicht einen "Regelzustand der Vegetation". Dieses offene System ist für ein Denkmal theoretisch eine Herausforderung, genauso wie praktisch für die konservatorische Betreuung gerade im Kontext des Wandels. "Das Gartendenkmal wird dadurch zu einem Ort permanenter - nicht aber radikaler oder forcierter - Veränderung, der historische Spuren so lange aufbewahrt, wie die Substanzen, aus denen sie bestehen, dem Verfall standhalten." (S. 73)

Die romantische Ruine und ihr Wandel

Bellin-Harder verbindet die Erkenntnisse klassischer Ökologieforschung wie Thienemann mit vielfältigen interdisziplinären Ansätzen. Der Gegenstand der Untersuchung - die romantische Ruine und ihr Wandel - ist einerseits eine Stärke der vorgelegten Arbeit, weil sie idealtypisch für nicht zu mechanisierende vegetative Gegenstände steht, und andererseits gerade hinsichtlich ihrer Wirkungsmöglichkeit auch eine Schwäche, weil damit klassische und erprobte Felder der angewandten Vegetationskunde, nämlich die Flächengesellschaften der Landschaftsparks nur am Rande mit behandelt werden. Es wird sowohl das bildliche Phänomen der Ruine mit Vegetation als romantische Idee von Ruinenmotiven ohne Vegetation typologisch abgegrenzt, als auch die Praxis der Pflege in ihren geschichtlichen Intervallen analysiert und grundsätzliche Möglichkeiten des Umgangs mit der konkreten Vegetation der Felsen und Mauern auch auf die im Hinblick baudenkmalpflegerischer Belange sehr komplexer Fragestellungen diskutiert, beinahe wie Hugo Koch am Beginn des vorigen Jahrhunderts zum Verhältnis Baudenkmal und Vegetation, mit dem er die Verwendung des Begriffs Gartendenkmalpflege erstmals einführt.

Anwendungsrelevanz

Hinsichtlich der Anwendungsrelevanz wird die Frage der Übertragbarkeit vegetationskundlicher Untersuchungen für den Regiebetrieb dargelegt. Prinzipiell - so ein Ergebnis der Untersuchung - könne personelle Kontinuität den Wechsel von einer arbeitsökonomisch bestimmten Landnutzung zur pflegenden Stabilisierung von imitierenden Bildern innerhalb eines Regiebetriebes ermöglichen. Problematisiert wird in diesem Kontext die Praxis der Fremdvergabe, die notwendig andere Relevanzstrukturen in der Pflege erzeuge und mittelbar einer Vereinfachung der Pflanzenausstattung Vorschub leiste. Aufgabe der Denkmalpflege ist aber die Aufrechterhaltung der Unterschiede in einer (räumlich) differenzierenden Pflege, die in einem größeren Kontext auch für den Naturschutz interessante Artefakte der Landnutzung erhält.

Insgesamt ist die Arbeit ein fruchtbares Angebot für die Gartendenkmalpflege im Sinne von Qualitätssicherung und Erhöhung des Bewusstseinsgrades für die Konsequenzen pflegender Eingriffe und zum anderen erfährt die Vegetation ein größere Gewicht, das Unterscheidungselement zu anderen Denkmalgattungen schlechthin, im ansonsten nach wie vor meist baudenkmaldominierten Feld der Gartendenkmalpflege.

Prof. Dr. Hartmut Troll

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