Ein Besuch der Biennale 2013 in Venedig

Kunst und Spiritualität

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Biennale Landschaftsarchitektur
Marc Quins fasziniert mit seinen Embryonen aus Marmor. Foto: Jürgen Milchert

Die Biennale in Venedig ist weltweite die größte und bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Im jährlichen Wechsel mit der Architekturbiennale erhält man hier einen Überblick, was die Künstler und die Kunstwelt weltweit bewegt. Und dies alles vor dem Hintergrund der grandiosen Kulisse der Stadt Venedig. Ein Besuch lohnt sich gerade für die Landschaftsarchitektur - ja die gesamte Gärtnerzunft, denn was in den Galerien, Museen und Skulpturenparks an Neuem zu sehen ist, findet über den Wandel des Zeitgeschmackes erfahrungsgemäß recht schnell seinen Weg in unsere Gärten, Parks und Landschaften. Die diesjährige Biennale ist noch bis zum 24. November zu sehen.

Auch in diesem Jahr sind im Zentralpavillon und in den Länderpavillons im Stadtpark, auf dem ehemaligen teils mittelalterlichen Hafen- und Schiffsbaugelände "Arsenale" und vielerorts innerhalb dieser grandiosen Stadt etwa 200 Einzelausstellungen zu sehen. Selbstverständlich ist es schwierig, aus der Vielzahl der Einzelausstellungen so etwas wie einen eindeutigen Trend zu bestimmen, aber mir fiel auf, dass in diesem Jahr die künstlerischen Statements deutlich leiser, nachdenklicher und behutsamer sind und sich stärker mit der Geschichte der Kunst auseinandersetzen, sich also respektvoll aufeinander beziehen. Dies ist vor allem auch dem jungen amerikanischen Kurator Massimiliano Gioni zu danken, der Positionen im Kunstschaffen zu Wort kommen lässt, die bisher im Kommerz geprägten lauten Kunstgeschehen wenig Beachtung und kaum ihren Markt fanden. "Welcher Raum bleibt für innere Bilder in einer Zeit, wo wir von äußeren Bildern belagert werden?", so drückt der 39-jährige Kurator seinen Anspruch an die Biennale aus. Man kann die Kunst wie übrigens auch die Landschaftsarchitektur und den Gartenbau als riesige Erzählung ansehen, als eine Art Buch, das immer weiter fortgeschrieben wird und in dem kein Gedanke und keine Ästhetik letztlich verloren gehen. Dieser Grundzug der Kunst spiegelt sich auch in dem Begriff des "enzyklopädischen Palastes" aus, den der Kurator als seine Überschrift über diese Biennale setzte. Hier drückt sich ein Menschheitstraum aus, das Wissen und Wirken der Menschheit an einem Ort zu versammeln. Gioni stellt hierzu ein Turmgebäude des Marino Aurito aus, das Modell eines US-amerikanischen Hobbyarchitekten aus den 1950er Jahren, das das Wissen der Welt in einem gewaltigen Gebäude unterbringen wollte. Angesichts des wuchernden Internets wird deutlich, dass es heutzutage keinen gebauten Raum, sondern nur noch virtuelle Räume geben kann, die einem solchen Anspruch vielleicht gerecht werden können.

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Biennale Landschaftsarchitektur
Feingold an Beton. Foto: Jürgen Milchert

Wenn unsere Erde so etwas wie ein Planet des Lebendigen ist, so waren und sind viele Künstler auf der Suche nach der Seele des Lebendigen, die sich in vielen Aspekten äußert, äußern konnte und äußern könnte. Von der Tiefsee bis in den Himmel scheint der Erde eine Kraft innezuwohnen, die Schönheit, Vitalität und Sinn produziert und immer neue Lebenswelten schafft und ändert. Die wichtigsten menschlichen Erkenntnisinstrumente sind Kunst und Spiritualität. So existieren die verschiedenartigsten Begegnungswelten: Von der kristallinen Welt, über die Geografie, die Pflanzen- und Tierwelt zu der Menschenwelt, deren Aufgabe es ist, durch Wissenschaft, Kunst und Spiritualität die Welt der belebten und unbelebten Natur zu reflektieren und zu feiern. Dass eine ähnlich motivierte Suche wahrscheinlich auch den eigentlichen, den harten Kern der Gartenkunst und ihr Geheimnis ausmacht, macht für uns Gartenbegeisterte und Landschaftsgestaltende die Auseinandersetzung mit einer auf das "Geistige in der Kunst", (wie es einmal Wassili Kandinsky in einem Buchtitel ausdrückte) zielende Suche auch für uns Landschaftsarchitekten so spannend.

Der Themenpavillon im Stadtpark

Im Zentralpavillon auf dem Stadtparkgelände versammelt Gioni Bekanntes, Skurriles, Philosophisches und Religiöses zu einer Mischung, die sich regelrecht aneinander zu befruchten scheint. In diesem viel zu wenig bekannten epochalen Werk stellt Jung im Stile eines mittelalterlichen Stundenbuches seine wichtigsten Archetypen des Menschseins vor, also eine Landkarte des kollektiven Unterbewusstseins, das allen Menschen innewohnt. Es handelt sich also um Grundmuster und Grundbilder, die für uns alle gelten und so etwas wie die Seelenlandschaft des Menschen bedeuten. Übrigens ist es sehr spannend und äußerst fruchtbar, die Idee des Archetypus auf den Garten und auf die Paradiesvorstellungen der Religionen anzuwenden. Dann kann man die gartenästhetischen Motive innerhalb des Gartens aus den landschaftlichen Grundmustern (also See, Bucht, Insel, Fluss, Wiese, Wald, Lichtung usw.) entwickeln. In der Sprache des 21. Jahrhunderts könnte es sich um Erfahrungsmuster von Landschaftsteilen handeln, die der Homo Sapiens über viele tausend Jahre in den genetischen Code verankert hat. Man könnte sogar aus den Gedankenräumen der Religionen und Menschheitskulturen so etwas wie die weltweiten Idealbilder der verschiedenen Gartenästhetiken ableiten: Dann wird das christliche oder muslimische Paradies zum viergeteilten orthogonalen Garten und aus den buddhistischen oder taoistischen Ideallandschaft so etwas wie der ostasiatische Meditationsgarten als Schnittstelle zwischen Mensch und Natur. Schönheitsideale des Gartens wären so teilweise im Erfahrungs- und Phantasieschatz der Menschen vorhanden.

Biennale Landschaftsarchitektur
Kunst ist ein Stück Selbstbetrachtung. Foto: Jürgen Milchert

Im wohl größten Raum des Zentralpavillons hängen einige originale Wandtafeln, die der Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner auf seinen Vorträgen beschrieben und bemalt hat. Diese Tafeln an denen Steiner seine Theorie der Erde, des Menschen und der kosmischen Zusammenhänge vor seinem Publikum in vielen hundert Vorträgen entwickelte, konkretisierte und vermittelte wurden von seinen Schülern der Nachwelt erhalten. Obwohl nun fast 100 Jahre alt, wirken sie unglaublich präsent und modern, ja machen eine weitere "Erkenntnisschicht" Steiners als bildenden Künstler erfahrbar. In diesem Raum finden zudem eindrückliche vermutlich eurytmische Vorführungen und eindrückliche improvisierte Sangesaufführungen statt. Damit stellt sich dieser Raum als eine Art Gesamtkunstwerk dar, der an die Phantasie des Besuchers appelliert. In der Idee des mit-einander Verwobenseins aller Wesen, der gegenseitigen Beeinflussung des Größten mit dem Kleinsten, einer sinngebenden Entwicklung der Welt, der Sichtmachung von Form und Wesen und einer umfassenden Spiritualität liegt wahrscheinlich der Grundgedanke der Anthroposophie, die ja auch eine eigene Art Gartenkultur entwickelt. Beispielsweise kann man viele Aspekte des künstlerischen Ausdruckes von Joseph Beuys nur verstehen, wenn man seine Nähe zur Anthroposophie erkennt.

Die Länderpavillons

In den Länderpavillons auf dem Stadtparkgelände hat die belgische Bildhauerin Berlinde de Bruyckere aus Wachs und Baumresten ein wuchtiges Baumskelett modelliert. In dem abgedunkelten belgischen Pavillon wirkt dieser ziemlich naturgetreue Baumkörper wie ein gefällter Baumriese, der aufgrund seiner verbandsähnlichen Tücher, trotzdem sehr verletzlich wirkt. Das stumme Leiden der Bäume wird hier sehr eindrücklich dargestellt. Sehr gegensätzlich ist dabei die Installation der amerikanischen Künstlerin Sarah Sze: Das herrschaftliche Entree des repräsentativen USA-Pavillon wird geschlossen. Stattdessen bevölkern allerhand Alltagsgegenstände wie eine Flut des Banalen den Innenraum und Außenraum des Pavillons. Hier durfte gebastelt werden, was die Präsentation der Werkzeuge auch verraten. Vieles ist hier anders, als es auf den ersten Blick scheint. Die großen Findlinge sind aus Plastik, die filigranen offenen Strukturen aus Metall- und Holzstäben werden durch viele Lämpchen zu einer funktional sinnlosen Struktur des Gebastelten. Insbesondere der Gartenbereich ist eine spannende Spielerei, die an so manche Gartenverrücktheit erinnert. Spannend ist auch noch die Installation des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, der als deutscher Beitrag zur Biennale vielen alten hölzernen Schulschemel eine filigrane raumfüllende Plastik entwirft. Interessant ist auch der Beitrag Russlands: Vadim Zakharov lässt goldene Künstlermünzen vom Dach in den Keller regnen. Nur Frauen dürfen sie aufsammeln und sie wieder dem Geldkreislauf zuführen. Hier wird eine Sterntalergeschichte in allerlei Bildern erzählt, die wohl die Herrschaft und Verlockung des heutigen Kapitalismus symbolmächtig reflektieren möchte.

Biennale Landschaftsarchitektur
Das Modell des Enzyklopädischen Palastes. Foto: Jürgen Milchert

Auf dem Arsenalegelände, das erstmalig auf beiden Seiten des historischen Hafens stattfinden darf, ist der Beitrag Chiles recht spektakulär. Ein naturgetreues Modell des Stadtparks mit seinen Länderpavillons lässt Alfredo Jaar in trüben Fluten verschwinden und wieder auftauchen. Hier liegt die Assoziation zum realen Venedig auf der Hand, das ja auch tatsächlich immer häufiger in Form des "Aqua Alta" in der Lagune untergeht. Gleichzeitig wird hiermit an die Klimakatastrophe erinnert, die wohl nirgendwo so romantisch melancholisch in Szene gesetzt werden kann wie im grandiosen Venedig. Sehr aufwändig setzte sich das auch im Kunstschaffen aufstrebende China auf dem Arsenalegelände durch sieben Beiträge in Szene. Sie reichen von Bildern, die das Phänomen der Fülle in Form von Menschenmassen an verschiedenen Orten reflektieren über optimistische Inszenierungen von edelstahlgestylten Hochgeschwindigkeitszügen, bis hin zu Betonbrocken, die mit echtem Feingold veredelt sind. Gefallen hat mir eine interaktive Skulptur aus Plastikwasserflaschen von He Yunchang, die hier von den Besuchern - abgefüllt mit Meerwasser - getauscht werden können und so im stetigen Verwandlungsprozess sind. Sehr gut gefallen hat mir der Auftritt Taiwans außerhalb des Biennalegeländes, der die märchenhafte Geschichte eines mystischen Frosches beschreibt, der vom chinesischen Festland aus einem Tempel flieht und auf einer kleinen Insel zwischen China und Taiwan eine neue Heimat findet.

Der Gartenbereich der Arsenalehallen, noch vor wenigen Jahren ein undurchdringliches Brachgelände, wird immer mehr zum landschaftsarchitektonischen Erlebnis- und Experimentierort. Hier ist immer Neues, Altes und Ganzaltes in Form der fast 1000-jährigen Hafenanlagen zu finden. Man kann dort einen Staudengarten von Piet Oudolfs sehen, ein landschaftsarchitektonisches Statement von Kathrin Gustavsson und eine Raumskulptur aus alten Bäumen und Stahlplatten, in der auch künstlerische Aktionen stattfinden. In diesem Jahr wird ein alter Maulbeerbaum zum Kunstereignis. Er wird zum - mit allerlei Flatterbändern und Sicherheitsvorbereitungen versehenen technisierten - Kletterbaum.

Überhaupt wird der alte Hafen- und Schiffsbauhallenbereich für Landschaftsarchitekten und garteninteressierte Venedig-Besucher immer interessanter. Erstmals kann man in diesem Jahr das - vormalige Militärgelände - auf der anderen Seite des Hafens besichtigen. Das Hafenbecken wird so zum ersten Mal als Teil des Biennalegeländes öffentlich und erfahrbar. Es wird in Zukunft zu einem wunderbaren Spielfeld der Kunst und Architektur. So kann man schon im Rahmen der diesjährigen Biennale eine nachmittägliche Kunstaktion sehen, wo die S.S.Hangover durch das Hafenbecken kreist und ein Blasorchester eine traurige Weise spielt. Es ist die melancholische Kunstaktion des isländischen Künstlers Ragnar Kjartansson, dem es perfekt gelingt, die Stimmung der Stadt und die Stimmung der Kunst bild- und tonmächtig ausdrücken. Es bleibt nichts wie es ist und es kommt darauf an, für diese existentielle Sinnlosigkeit einen Sinn der Schönheit, der Vergänglichkeit zu finden. Eigentlich ist dies eine gute Position für die Gartenkunst. Neben interessanten heutigen Kunstinstallationen finden sich in den Hallen- und Brachgeländen des früheren Militärgeländes auch die Reste so mancher Kunst- und Architekturbiennalen. Mit dem Aufwuchs, den erkennbaren gärtnerischen Resten und einigen verwunschenen Kleinwohnanlagen lässt sich hier ein unbekanntes Stück Venedig erkennen.

Auch innerhalb des Stadtgebietes gibt es noch weitere interessante Ausstellungen und Kunstaktionen, die die Ausstellungsvielfalt noch erweitern. Das eindrucksvollste Bild gelingt wahrscheinlich Marc Quinn, der mit seinen realistischen Versehrtendarstellungen aus Marmor und Bronze gleichermaßen fasziniert und schockiert. Die Darstellung eines riesigen armlosen Menschen vor der Palladiokirche "San Giorgio Maggiore" kann von vielen Seiten gesehen und bestaunt werden.

Prof. Dr. Jürgen Milchert
Autor

Hochschule Osnabrück

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