Wilfried Wiedemann/Joachim Wolschke-Bulmahn (Hg.)

Landschaft und Gedächtnis. Bergen-Belsen, Esterwegen, Falstad, Majdanek

Bücher Landschaftsarchitektur

Kann die Landschaftsarchitektur das Gedächtnis einer Landschaft, die das Entsetzen birgt, entschlüsseln? Oder trifft nicht in abgewandelter Form das Verdikt von Theodor W. Adorno auch auf die Landschaftsarchitektur zu: Nach Auschwitz in Auschwitz Landschaft zu gestalten, ist barbarisch. Aber die Landschaft, sich selbst überlassen, deckt Erinnerung zu. Formlosigkeit und Überformung, beide sind amnestisch statt anamnestisch. Primo Levi, selbst Häftling in Auschwitz, antwortete auf eine Frage, die ihm und den anderen Überlebenden nicht gestellt wurde, die Frage nach der Verwendung der Lagerrelikte: Abreißen. Das wäre die Antwort gleich nach der Befreiung gewesen. Aber Levi wusste: Den Tätern würde damit ein Gefallen getan. Was immer in den ehemaligen Lagern an Mahnmalen, Dokumentations- und Ausstellungszentren errichtet wird - als Gebautes wird es nie angemessen sein. Jedes Trauma gebiert Bilder, aber die Bilder dürfen nicht nachgestellt werden. Dies ist der Moment, an dem Landschaftsarchitektur in Verantwortung zu nehmen ist. Sie kann den Raum freihalten für Erinnerungsspuren.

Der Band stellt Projekte vor, die vom Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur und dem Institut für Landschaftsarchitektur der Universität Hannover meist in internationaler Kooperation initiiert worden sind. Erste Impulse gingen von studentischen Workshops in den 90er Jahren aus, und die beigefügten Ideen-Entwürfe dokumentieren, dass es sich nicht um irgendwelche Beschäftigung handelte. Die Konzentrationslager hatten zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Stoßrichtungen in der Vernichtungsmaschinerie - vom Gefangenenlager Falstad in Norwegen bis zur Todesfabrik Majdanek bei Lublin. Auch der Nachkriegszustand verlangt nach unterschiedlichen Mitteln der konservierenden oder gestalterischen Intervention. Im Emslandlager Esterwegen war wegen intensiver Umnutzungen nichts mehr vorhanden, während in Majdanek das typische Raster der Anlage an Hand der verbliebenen Holzbaracken gut erkennbar ist. Im einen Fall wurden mit skulpturalen Stahlelementen Strukturen nachgezeichnet, im anderen Fall müssen die von Anfang an primitiven Baracken gegen Baufälligkeit geschützt werden, was ihnen mehr und mehr von der originalen Substanz nimmt.

In Bergen-Belsen wurden nach der Befreiung die Baracken niedergebrannt, teils aus den geschilderten Motiven, teils wegen des grassierenden Typhus. Dem Wunsch der britischen Militärregierung, "to embellish the site", kam der vormalige "Landschaftsanwalt" Wilhelm Hübotter auf dem Areal des Massengrabs 1945/46 in einer Weise nach, die wie eine nochmalige Schändung der Getöteten anmutet. Er schlug eine "landschaftliche" Gestaltung nach Art germanischer Begräbnisstätten vor. Er selbst hatte eine solche bereits im Auftrag des SS-Führers Heinrich Himmler gestaltet, und sogar den Grundriss jenes "Sachsenhains" reproduzierte er für die Bergen-Belsener Gedenkstätten-Landschaft. Zwar wurde Hübotter, der auch ein Horst-Wessel-Denkmal konzipiert hatte, 1946 abgelöst, aber die angepflanzte Heide sorgte für die Einbettung in eine Ideallandschaft im Heimatschutz-Stil. Solche Episoden der Kontinuität vor und nach 45 waren kein Einzelfall. Auf die Tragödie folgte in Bergen-Belsen die Farce. In den 90er Jahren ging von der evangelischen Kirche der Wunsch nach einem konfessionslosen "Haus der Stille" aus. Eine "Jakobsleiter" sollte himmelwärts führen, an der oben Sprossen fehlen, da "Gott nicht anwesend war". Die christliche Deutungshoheit führte zum Widerspruch der jüdischen Gemeinden. In der Tat ist die christliche Anmaßung, im Namen Jesu für die Erlösung aller zu sprechen, die älteste Quelle des Antisemitismus. Die Leiter kam nicht, aber der Heidefindling, auf dem sie gründen sollte, war schon da. Letzter Akt: Der als Gutachter bestellte Wolschke-Bulmahn identifizierte den Findling als Symbol germanischer Stärke und Blut- und Bodenhaftung.

Blieb im Jahr 2000 nur noch ein "Raum der Stille", aber aus nichtrostendem Chromnickelstahl, der auf seine Weise auch wieder neutralisierend wirkt. Rostender Stahl mit scharfen Kanten und harten Schlagschatten wie in Esterwegen scheint in Form und Material besser zur Vergegenwärtigung des nicht mehr Sichtbaren geeignet. Aber es überrascht dann doch, wie sehr sowohl die Formensprache als auch die Rhetorik der Gedenkstättengestaltung dem in der Landschaftsarchitektur gängigen Repertoire entnommen sind. Da ist von Pflanzplänen mit transparentem Hochwald, von Zeit- bzw. "Sichtfenstern" in Layern, Niveaubrüchen im Terrain und schließlich von "narrativen Linien" die Rede, um Geschichte als Erlebnis greifbar zu machen. All das mag unvermeidlich sein, aber eine museumspädagogische Ausrichtung auch der Ausstellungsgebäude der jüngeren Zeit überspielt das Traumatische der Erinnerung, das sich einstellt, wenn die Gegenstände am Ort und im fragilen Kontext belassen werden. Der Schock ergibt sich aus dem Umschlag von An- und Abwesendem, von Nähe und Ferne. In Auschwitz und Majdanek sind es die riesigen Lager von Haaren und Schuhen. In anderen Gedenkstätten muss es für ein topographisches Gedächtnis ausreichen, Fundamentreste freizulegen und zu roden. Wenn der Ort museal bewahrt wird, wird er verdeckt, schreibt A. Assmann. Es waren Menschenbrachen, Orte, an denen Menschen gebrochen wurden. Jeder Eindruck des Fertigen würde falsche Synthesen anbieten.

Der Band enthält Wiederholungen auf Grund mangelnder redaktioneller Abstimmung, aber das Thema, das er bis zur Erläuterung und Abbildung alternativer Entwürfe darstellt, wird nie fertig besprochen und beplant sein.

Bernhard Wiens

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