Nachruf auf Landschaftsarchitekt Prof. Hubert Matthes (1929-2018)

Lange noch bei den Rosen

von:

Axel Zutz

Forschung und Bildung
Prof. Hubert Matthes bei einem Entwurfsseminar in Dessau 1979. Foto: Privat

"Lange noch bei den Rosen
Bleibt er stehen, sehnt sich nach Ruh.
Langsam tut er die (großen)
müdgewordenen Augen zu.",

(Hermann Hesse, September, 3. Vers, von Matthes als eines der vier letzte(n) Lieder von Richard Strauss zum Vortrag auf seiner Trauerfeier bestimmt.)

Geboren zum Frühlingsanfang vor 90 Jahren in Söllichau im Kreis Bitterfeld in den späten Jahren der kurzen Weimarer Republik verbrachte Hubert Matthes seine Kindheit und frühe Jugend während der Jahre der nationalsozialistischen Diktatur und des Zweiten Weltkrieges.¹ Der Vater hatte sein Sägewerk wegen der Wirtschaftskrise 1930 verkauft und arbeitete nach 1933 beim Autobahnbau. Seine Großmutter war Gärtnerin auf einem adligen Gut, sein Großvater brachte ihn auf die Idee, Gärtner zu werden - so wie auch Matthes' im Ersten Weltkrieg umgekommener Onkel Gärtner war. Ein anderer Wunsch war es, Schäfer zu werden. Großen Einfluss auf Matthes' Bildung hatte der Kantor des Ortes, der ihn an Literatur heranführte und seinen Sinn für Musik weckte. Noch eingezogen zum Volkssturm, von dem er schnell wieder floh, war er froh nach Kriegsende wieder in der gemischten Gärtnerei Ringke in Bad Düben arbeiten zu können, wo er insgesamt vier Jahre verbrachte. Der Wunsch, der Ausbildung ein Studium folgen zu lassen - angeregt hatte ihn dazu 1945 unter anderem auch ein Buch von Otto Valentin, dass in einem Krankenhaus als Toilettenpapier diente, - führte ihn im Oktober 1946 an die Versuchs- und Forschungsanstalt für Gartenbau und höhere Gartenbauschule Pillnitz, wo er zunächst den Winterlehrgang für Gärtnergehilfen besuchte. Auch dieser Schritt wurde maßgeblich vom Großvater unterstützt. 1947 nahm er dann dort unter Hans F. Kammeyer das Vollstudium zum Gartenbautechniker auf, in dem er das Grundwerkzeug des Berufsstandes lernte. Mit der Straßenbahn fuhr man durch das zerbombte Dresden. Die Bedingungen waren sparsam, und entbehrungsreich, so nannte sich Matthes' Jahrgang "Die winterharten Pillnitzer".

Das Entwerfen lernte Matthes bei Reinhold Lingner, bei dem für ihn 1950 im Hauptamt für Grünplanung des Berliner Magistrats für Groß-Berlin nach einer kurzen Episode im Gartenamt Köpenick eine erste von drei beruflichen Schaffensphasen begann. Lingner hatte es sich zur Aufgabe gemacht, junge Kollegen nach dem Vorbild des Bauhauses anhand praktischer Aufgaben auszubilden. So betraute er Matthes mit der Ausführungsplanung seines Entwurfs für den Garten am Amtssitz des Präsidenten der DDR im Schloss Niederschönhausen, für Matthes eine erste Auseinandersetzung mit einer historischen Parkanlage in Verbindung mit zeitgenössischer Gartenkunst. Aus dem Amt gedrängt wechselte Lingner vom Stadthaus in die Hannoversche Straße zur Deutschen Bauakademie. Neben Matthes, der hier 1951/52 und nochmals 1961/62 beschäftigt war, folgte ihm der Landschaftsarchitekt Johann Greiner. Arbeitsschwerpunkte waren Grünplanungen des Wiederaufbaus wie an der Stalinallee oder in Stalinstadt sowie der staatlichen Repräsentation der noch jungen DDR.²

Mit der Jugendbrigade Makarenko als erstes Jugendkollektiv der Deutschen Bauakademie errang Matthes 1952 beim Ideenwettbewerb für den Ehrenhain Buchenwald einen von zwei 2. Preisen. Umgeben von Scharoun-Schülern war Matthes der einzige Landschaftsarchitekt unter den zwölf Mitgliedern des Kollektivs Buchenwald, das 1954/55 und 1957/60 mit dem Bau der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte unter der Leitung von Ludwig Deiters beauftragt war. Dieser Arbeit, die mit dem Nationalpreis der DDR II. Klasse ausgezeichnet wurde, folgten 1954-1959 die Errichtung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätten Ravensbrück und 1956-1961 Sachsenhausen.

Matthes wohnte in den ersten Nachkriegsjahren in der Puschkinallee unweit des Treptower Parks in einer Remise, dann ab 1955 in einer Laube in Berlin-Biesdorf, die er später erweiterte und 1971 um ein Holzhaus für seine Eltern ergänzte. Der hier angelegte Garten wurde von Matthes mit Unterbrechungen über 50 Jahre gestaltet und wurde schließlich auch sein letztes Refugium.

Die Arbeit in Weimar wurde 1956/57 für einen Auslandseinsatz in Korea für den Wiederaufbau der völlig zerstörten Provinzstadt Ham Hung unterbrochen. Matthes war dort für den Entwurf des Stadtparks und des Stadions verantwortlich (in Teilen realisiert) und war lebenslang tief beeindruckt von Menschen, Natur und Landschaft. In der Brigade waren unter anderem auch die Landschaftsarchitekten Hugo Namslauer und Hannelore Öhring tätig. Hier wurde Matthes durch den Einfluss des dortigen Leiters der Abteilung Stadtplanung, Conrad Püschel, ein Bauhausschüler, der bis 1937 mit Hannes Meyer in Moskau zusammengearbeitet hatte, auch zum SED-Eintritt bewogen.

1962 begann für Matthes mit dem Wechsel zu Kurt W. Leucht zur Koordinierung der Grünplanung für das Stadtzentrum (Ost-)Berlins seine zweite groß Schaffensphase. Bis 1977 arbeitete er 15 Jahre im VEB Berlin-Projekt zunächst in der Behrensstraße, dann später im VEB Baumontagekombinat Industriehochbau in einem modernen Bürobau am Alexanderplatz. Unter den etwa zehn Kollegen dieser Abteilung war Matthes der einzige Genosse. In dieser Zeit entstanden die Planungen für den Garten am Staatsrat (1964), für den Alexanderplatz (1969) und den Park am Fernsehturm (1970), letztere Arbeiten gemeinsam mit den Architekten Dieter Bankert und Manfred Prasser. Weitere Arbeiten dieser Zeit waren der Entwurf für den Rosengarten im Treptower Park, eine Arbeit für das Nationale Aufbauwerk nach Aufforderung durch Folkwin Wendland (1969) (inzwischen gartendenkmalpflegerisch saniert), Entwürfe für die Zoos in Leipzig Rostock und Cottbus sowie für das Regierungskrankenhaus Buch (1975) und den Pionierpark Wuhlheide (anknüpfend an die Gestaltungen Lingners aus den 1950er-Jahren 1975/76 mit dem Architekten Günter Stahn).

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Vorschlag für die Gestaltung einer Schmuckanlage am Café Warschau 1953. Aus Frank Erich Carl: Kleinarchitekturen in der deutschen Gartenkunst. Berlin 1965, Abb. 158, S. 159. Abbildung: Nachlass Matthes, Wissenschaftliche Sammlungen des IRS Erkner, BDLAM, Repro Axel Zutz
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Pflanzplan Grabtrichter II Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald 1954 (Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Invent.-Nr. 10-0523). Abbildung: Repro Axel Zutz

Zwischen 1965 bis 1970 erwarb Matthes den Abschluss des Diplom-Gärtners im Fernstudium an der Humboldt-Universität, seine Prüfung legte er über internationale Universitätscampi ab.

1977 erfolgte der Wechsel zum Büro für Städtebau, das unter der Leitung von Roland Korn, dem Chefarchitekten von (Ost-)Berlin stand. Matthes wurde hier Leiter der Abteilung Freiraumgestaltung und befasste sich 1981 - orientiert an den Listen Hermann Matterns von 1939 und Kurt Huecks von 1948 - unter anderem mit einer Bepflanzungskonzeption für Berlin. Zu den weiteren wichtigen Arbeiten gehörten Entwürfe für den Gendarmenmarkt (1976, wieder mit Manfred Prasser und Dieter Bankert), sowie für den Ernst-Thälmann-Park (1977-80, noch mit den gegen den Willen der Bevölkerung, Denkmalschützer und Planer gesprengten Gasometern).

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Entwurf für den Ernst-Thälmann-Park 1978. Abbildung: Nachlass Matthes, Wissenschaftliche Sammlungen des IRS Erkner, BDLAM

Mit der Aufnahme zunächst eines Lehrauftrages 1978 und der 1980 angetretenen Professur mit künstlerischer Lehrtätigkeit an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar begann für Matthes, obwohl Berlin ihn nicht gehen lassen wollte, die dritte Schaffensphase.

In der Lehre vertrat Matthes gegenüber den angehenden Stadtplanern und Architekten eine ökologische Ethik im Sinne des Marxschen Imperativs eines verbesserten Hinterlassens dieser Erde. Er gehörte damit zu den Vorreitern der Stadtökologie in der DDR. Seine Entwurfshaltung war streng funktional, verzichtete aber nicht auf ästhetische Choreographie, die immer den Gesamtkontext im Blick hatte. Als "feinsinnig, stark und klar" beschrieben ihn die Freunde und Kollegen in der Traueranzeige. "Klarheit" im Sinne von Bewusstsein: "Der Tatsache, dass Gestalten immer zuerst `Ordnen´ bedeutet, Gestalten im Sinne des Notwendigen und nicht im Sinne der Erfindung von besonderen Attraktionen zu verstehen ist, muss zu den frühzeitigen Erkenntnissen des Studenten gehören", war einer seiner Leitsprüche.³ Während die unfreiwillige Verabschiedung aus dem Hochschuldienst im November 1992 tief kränkte, trösteten und bereicherten die bis zuletzt gelebten Bindungen an die Studierenden bis in Matthes' letzte Lebensjahre. Diese waren durch die im Vergleich zu heute hervorragenden Betreuungsverhältnisse, vor allem aber durch Matthes' persönliche Ausstrahlung, Selbstlosigkeit und Ehrgeiz besonders intensiv. Matthes' Doppelhaushälfte An der Hardt wurde häufig zum verlängerten Seminarraum.

Ab 1970 war Matthes Mitglied des Zentralen Fachgruppenvorstandes Landschaftsarchitektur des Bundes Deutscher Architekten der DDR, in Weimar engagierte er sich im Bezirksvorstand der Gesellschaft für Natur und Umwelt. Mit der Sicherung des Nachlasses von Hinrich Meyer-Jungclaussen, der Ehrenpromotion für Otto Rindt (1988) sowie der Betreuung der Dissertationen von Gerlinde Krause über Leberecht Migge (1988) sowie von Rüdiger Kirsten über Reinhold Lingner (1989) leistete Matthes darüber hinaus wichtige Beiträge zur historischen Verortung der Profession.4

Matthes verweilte noch lange bei den Rosen. In unzähligen Gesprächen beriet und informierte er in seinem bescheidenen Häuschen in Berlin-Biesdorf jüngere Kollegen, die ihn nach seinen Lehrern, Wegbegleitern und Werken befragten. Er leistete damit einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis und zur Wertschätzung von Werken der Landschaftsarchitektur der DDR, der sich in vielen Forschungsarbeiten niedergeschlagen hat. Antworten auf weiterhin offenen Fragen lassen sich unter anderm in Matthes' fachlichem Nachlass in den Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS Erkner finden.

Matthes verstarb zur Wintersonnenwende am 21. Dezember 2018. Seine letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Biesdorfer Friedhof in der Urnengrabanlage VI am Fuße der Biesdorfer Höhe inmitten der Stadtlandschaft Wuhletal, für welche Matthes selbst 1973 die Freiflächenkonzeption mit ausgearbeitet hatte.

ANMERKUNGEN

¹ Nach Lebensläufen von Matthes (1977, 1990 und ohne Datum, etwa 2004), eigenen Aufzeichnungen seit Februar 1995 sowie einer von der Landschaftsarchitektin Heidrun Günther für die Berliner Gartendenkmalpflege zusammengestellten Werksbiographie: Günther, Heidrun: Bedeutende Garten- und Landschaftsarchitekten in Ostberlin. Ihre Werke in der Zeit von 1945 bis 1990. Eine gartenhistorische Untersuchung. Berlin 2000, S 51-56.

² Vgl. Kirsten, Rüdiger: Die sozialistische Entwicklung der Landschaftsarchitektur in der DDR: Ideen, Projekte und Personen; unter besonderer Berücksichtigung des Wirkens von Reinhold Lingner. Dissertation Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar 1989; Nowak, Kerstin: Reinhold Lingner - Sein Leben und Werk im Kontext der frühen DDR-Geschichte. Dissertation Hochschule für bildende Künste Hamburg 1995. Die Dissertation von Kirsten wurde von Matthes betreut, Nowak, Doktorandin an der TU Berlin, stand er beratend zur Seite.

³ Matthes, Hubert: Landschaftsarchitektur als Lehrfach an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar. In: Landschaftsarchitektur, 13. Jg. 1984, H. 1, S. 10-13, hier S. 11.

4 Kirsten s.o., Krause, Gerlinde: Zur Entwicklung ökologischer Ansätze in der Stadtplanung - Werk und Wirken des Gartenarchitekten Leberecht Migge (1881-1935) und seine Bedeutung für die Entwicklung der sozialistischen Stadtplanung in der DDR. Dissertation Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar 1988.

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