Zum Verständnis der UNESCO-Weltkulturstadt in der Ukraine, Teil 2

Lwiw - zwischen Landschaft, Geschichte und Gegenwart

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Ausläufer der Rozto??ja-Landschaft vom Hohen Schlossberg aus besehen, wo die Endmoränen in die Tiefebene des Westlichen Bug übergehen, genannt auch Pobuzhzhja. Foto: Christoph Gudewer

Ein besonderer Landschaftszug bei Lwiw - Lemberg ist das etwa 180 Kilometer lange und zwischen zehn und 30 Kilometer breite Hügelland Rozto??ja. Es ist eine wellig schlichte Endmoränenlandschaft, die uns die letzte Eiszeit hinterlassen hat. In bewegten Hügelketten um 400 Meter Höhe scheint die Gegend vom südöstlichen Polen im Raum zwischen Lublin und Kra?nik bis in die westliche Ukraine an den Stadtrand von Lwiw beinahe zu schweben. 2011 wurde der ukrainische Teil als Biosphärenreservat der UNESCO ausgewiesen. Der polnische Teil erhielt als Nationalpark Beachtung.

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Festlich-barocke Frontalansicht der St. Georgs-Kathedrale. Foto: Christoph Gudewer
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Ansteigende Straße zum St. Georgsberg in Richtung der doppeltürmigen barocken Maria Magdalena-Kirche. Foto: Dirk Manzke

Vom Schlossberg aus ist die lange, dunkelgrüne und durchaus noch geheimnisvoll wirkende Walderhebung des Hügellandes sehr gut erkennbar, wie sie sich ruhig aus Richtung Westen auf die Stadt hinzuentwickelt. Der östlichste Ausläufer des Rozto??ja war gleichfalls zeitig besiedelt. Später wird in dieser Gegend das Städtchen Janiw angeführt, das heute in der Nähe des westlichen Stadtrandes liegt. Der gefällige Kortumberg oder auch die Kortumer Anhöhe westlich des Schlossberges gilt als letzter Hügel der Rozto??ja-Landschaft.

Der Schlossberg und der Kortumberg sind nur durch das Tal zum Westlichen Brug getrennt oder finden über dieses Tal zusammen. Hier im Tal verläuft irgendwo die kleine Poltwa, von der mancher meinen könnte, dass sie sich im teilweisen Dickicht der heutigen Stadt verlieren könnte. Seinen Namen bekam die harmlose Anhöhe von dem österreichischen Freimaurer und Hofrat Ernst Traugott von Kortum,1 "der hier ein kleines Gehöft besaß, das einem Palais ähnlich sah." (nach Prochasko) Er war neben vielfältigster Tätigkeiten 1785 auch Mitgründer der Lemberger Loge "Zum Biedermann".2

Die dritte Landschaft - Das Hügelland Rozto??ja

Wer dann von hier in die Weite des Tals Richtung heutiger Innenstadt schaut, dürfte den Grünraum des Janiwskyi-Friedhofs entdecken. Dass sich "die multikulturelle Geschichte der Stadt ... vor allem auf den Friedhöfen" spiegelt, gibt ihnen einen "unschätzbaren Wert." (Klijanienko-Birkmann, S. 184) Landschaft, einst ohne menschliche Bestimmung, findet hier zu historischen Gründen. Doch wer hier von Landschaft spricht, der sollte sich vom Vergessen nicht einholen lassen. Gerade diese Gegend hat die Geschichte der großen Tragödien in sich aufnehmen müssen. "In Janowska unterhielt das SS-Unternehmen ,Deutsche Ausrüstungswerke' Reparaturwerkstätten. Das Kerngebäude des Lagers war ein zweistöckiges Arsenal, eine Hinterlassenschaft der österreichischen Monarchie. Daneben entstand im Frühjahr 1942 ein weiteres Zwangsarbeitslager, das zum Hauptlager des Distrikts ausgebaut wurde. … Ein multifunktionales Lager, das zugleich als Durchgangslager für Deportationen in die Vernichtungslager Belzec und Treblinka fungierte und selbst zum Vernichtungslager mutierte. Tausende von Menschen wurden vor dem Lager, in den Sandhügeln und im "Tal des Todes", erschossen."3

Wer nicht verdrängt, wer wach in die Vorgänge der Geschichte hineinschaut, der wird in dieser lieblich anmutenden Gegend stiller. "Das ehemalige Ghetto geriet genauso in Vergessenheit wie das Janowska-Lager, das zunächst als Kaserne der Roten Armee und später als Gefängnis genutzt wurde." (Kleveman, S. 289)

Eine Stadt aber ganz ohne Gedächtnis gibt es nicht. Einer dürfte sich immer finden, der spricht und so in der Landschaft am Stadtrand die Erinnerungen der Stadt weckt. 2004 war in "Die Welt" ein Artikel von Gundula Werger über den Janowska-Überlebenden Alexander Schwarz zu lesen: "… In einer Nacht im Jahr 1993 ließ Alexander einen Granit-Findling aufstellen, vor dem heute unzugänglichen Tal, zum Gedenken an die ,Opfer nationalsozialsozialistischer Verbrechen', die in Janowska starben. Der Stein wurde von einem Rabbiner geweiht, im Beisein von Priestern und Bewohnern aus Lemberg. Auch Schulkinder waren dabei. ,Niemand wird die Frechheit haben, den zehn Tonnen schweren Stein zu sprengen', sagte Alexander Schwarz, der seit 1968 in Deutschland lebt. Der kleine See ist ausgetrocknet, Gras ist über das Tal gewachsen, das von Hügeln gesäumt ist, worunter die Gebeine der Toten liegen. Gärten wurden angelegt und Gartenhäuser gebaut. Auf dem ehemaligen Lagergelände unterhält der ukrainische Staat ein Gefängnis; der KGB hatte am gleichen Ort politische Gefangene untergebracht. Im "Tal des Todes" wurden bis vor kurzem Polizeihunde trainiert und Schweine gezüchtet. Wenn Menschen vor dem Gedenkstein beteten, schlugen die Hunde an. Das Innenministerium hat die Hundeschule im Frühjahr aufgelöst. Zehn Jahre lang hatte Alexander Schwarz deswegen in Lwiw interveniert. Seit die Hunde weg sind, besteht Hoffnung, dass das "Tal des Todes" als Gedächtnisort für die Toten von Janowska gestaltet werden könnte. Nach jüdischem Religionsverständnis ist die Totenruhe zu respektieren, ein Friedhof darf nicht für profane Zwecke genutzt werden; die Gräber gehören den Toten für immer."4 Hier wird diese Erinnerung nun geweckt, denn sie gehört in die Wahrnehmung der Stadt. "Das jahrhundertealte Lemberik [gibt] es nicht mehr". (Kleveman, S. 288) So können bittere historische Kontinuitäten aussehen. Verschwunden sind von deutschen Schützenbrüdern des 15. Jahrhunderts als Vorwerke gegründete Orte wie Sommersteinhof, Goldberghof und Klöpperhof, verschwunden sind aber auch "die kleinen Schtetl im Umland…, übrig blieben nur die Steine." (Kleveman, S. 288)

Landschaft hat diese Geschichte in sich eingespeichert. Es bleibt an uns, sie nicht zu vergessen, sie, diese Erinnerung trotz und wegen der äußeren Lieblichkeit der Landschaft sichtbar werden zu lassen und uns als würdig zu erweisen, dem Geschehen wissend zu gedenken.

Eine vierte Landschaft - die Sublandschaft des Lwiwer Plateaus

Das Lwiwer Plateaus gilt als ein südlich auf die Stadt zulaufender Ausläufer der Podolischen Hochebene, die Lwiw von Osten aus als offene Klammer umschließt. Zunächst bleibt dieses Plateau unauffällig, wird als stadtnahe Steigung kaum erfahrbar. Erst wenn sich bestimmte Blickrichtungen einstellen, wenn man spürt, dass in bemessener Entfernung von der Stadtmitte besonders eine herausgehobene Kathedrale zu strahlen scheint, sich beinahe südwestlich über die Stadt zu erheben vermag, erst dann wird man dieser Höhenbewegung, wird man der Anhöhe gewahr.

Angezogen von der ausladenden, vergoldeten Kuppel bewegt man sich auf die südwestlichen stadtnahen Berge zu, die Lwiw erst wirklich zu einer Stadt im Tal werden lassen, nach dessen Flusslage mancher nun fragen dürfte und dessen Landschaftsformation erst jetzt im Zusammenhang klar wird. Auf dem milden St. Georgsberg thront am St. Jura-Platz die opulente griechisch-katholische Sankt-Georgs-Kathedrale, die Metropolie des heiligen Jura.

Nachdem eine erste Holzkirche niederbrannte (Klijanienko-Birkmann, S. 162), entstand hier im 14. Jahrhundert eine steinerne gotische Kirche, die über 300 Jahre genutzt wurde. Auf den beim Wort genommenen festen Fundamenten (Klijanienko-Birkmann, S. 162) dieses dann abgetragenen Kirchenbaus entstand nach einem Entwurf des Architekten Bernhard Meretyn eine spätbarocke Anlage, die nach seinem Tod 1759 von Klemens Fessinger bis vermutlich 1764 weitergeführt und fertiggestellt wurde. Er schuf zudem den einen wundervollen Hof bildenden Palast der Metropoliten (Lyljo, Lyljo-Otkowytsch S. 81). So lässt sich auch die Verschränkung von Barock- und Rokoko-Elementen erklären, die den Ort noch eindrücklicher, gleichsam leicht und festlich werden lassen. Man mag diese hochaufragende Kathedrale als eines der prägenden Wahrzeichen der Stadt erkennen, tatsächlich berührt sie emotional durch ihre elegante, bewegte, plastische Architektur bis ins Detail ihrer Ausschmückungen.

Durch die Wahl des Standortes auf einem einst vorstädtischen Hügel wird dieser Eindruck noch verstärkt. Die Kathedrale reagiert so auf die gegebene Landschaft und wird selbst Teil und zudem erhöhender Teil der Landschaft. Sie erscheint wie eine gebaute Gebieterin prachtvoll und überbordend über der Stadt.

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Straßenraum am Iwan-Franko-Park zum Lwiwer Plateaus. Foto: Dirk Manzke
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Iwan-Franko-Denkmal und Hauptgebäude der heutigen Universität. Foto: Dirk Manzke
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Rondell im Iwan-Franko-Park. Foto: Ines Prehn
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Sanft achsialer Anstieg im Iwan-Franko-Park zum Lwiwer Plateaus. Foto: Christoph Gudewer

Spürbar und einprägsam ist allerdings das Lwiwer Plateau, dessen Kante im Georgsberg einen seiner fulminanten Höhepunkte findet, am Iwan-Franko-Park. Dem heutigen Erscheinen dieses öffentlichen Parks geht wiederum eine lange Geschichte voraus, die ihren Anfang in der Landschaft selbst begründet.

Immer wieder als einer der ältesten Stadtparks der Stadt beschrieben, beginnt die ausgedehnte Grünfläche heute hinter der monumentalen, versiegelten Platzfläche vor dem Hauptgebäude der heutigen Lwiwer Universität. Er ist Teil der wul. Universytetska (Universitätsstraße). Auf diesem Platz steht heute auch ein ausdrucksstarkes Denkmal für den Namensgeber des Parks, einen bekannten Schriftsteller.

Ende des 16. Jahrhunderts ließ Bürgermeister Jan Scholz-Wolfowytsch auf der Fläche des heutigen Parks eine Gartenanlage anlegen.5 Zuvor hatte er dazu einige Stadtfelder erworben. In dieser Recherche konnte nicht ermittelt werden, wie die vormals stadteigenen Ackerflächen in den Privatbesitz der Familie Scholz gelangen konnten. Es lässt sich aber vermuten, dass zu dieser Zeit bereits Prozesse der Stadtoligarchisierung einsetzten. Einflussreiche Stadtpatrizier bewegten also einiges auf dem Weg der Korruption. Das war im früheren Mittelalter so nicht möglich.

Später ging die schon damals innenstadtnahe und unbebaute Fläche in den Besitz seines Schwiegersohns Antonio Masari über, dem auch das stadtbekannte, italienisch inspirierte Schwarze Steinhaus auf dem Rynok-Platz gehörte. Der junge Venezianer gestaltete den Garten in italienischem Stil und legte Terrassen an.

Seit 1614 wurde der Park schließlich von jesuitischen Mönchen genutzt, die zu dieser Zeit eine Kirche und ein Kloster in Lwiw errichten wollten. Deutlich wird hier der historische Zusammenhang: Die Jesuiten waren die treibende Kraft der Gegenreformation und Träger eines damals sehr gut durchdachten und gestalteten katholischen Bildungssystems und als solche von den polnischen Königen sehr willkommen. Auch nach Lwiw wurden sie eingeladen. Man brauchte also ein Grundstück innerhalb der Stadtmauern, wo die geladenen Jesuiten eine Kirche und ein Kollegium gründen konnten. Dazu war dann aber auch eine Fläche erforderlich, wo die Jesuiten eine Länderei betreiben konnten. Es darf vermutet werden, dass sie die Fläche von der Patrizierfamilie kaufen konnten. Um das Kloster bauen zu können, mussten Ziegel gebrannt werden. Dazu errichteten die Mönche im Gelände des heutigen Parks ein Ziegelwerk. Da die Jesuiten kein Bettelorden waren, haben sie umfänglich Landwirtschaft betrieben. Auch eine Brauerei wird erwähnt. Bis 1773 war das Gelände im Eigentum des Lwiwer Jesuitenkollegs, die dort einen ausgedehnten Nutzgarten zur Eigenversorgung betrieben. Aus diesem Grund hört man bis heute manchmal noch die Bezeichnung "Jesuiten-Garten" für diesen Park. Über die erste polnische Teilung gelangt Lwiw unter Österreich. Das Kronland Galizien wird gegründet. Mit den Reformen Joseph II kommt es zum Verbot der Jesuiten und dem Ende des offensichtlich weitläufigen Nutzgartens.

1799 erwarb Johann Höcht die inzwischen vernachlässigte Fläche und ließ an Stelle des Jesuitengartens einen repräsentativen Garten mit französischen Stilakzenten entstehen. Dazu zählten "Lauben, Bäder sowie eine(r) heute noch erhaltene(n) Rotunde mit dorischen Säulen. Auf dem Standort des später errichteten Landtagsgebäudes, …" der heutigen Iwan-Franko-Universität, "… entstand das …,Höchst-Casino', das bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ein beliebter Treffpunkt der Lemberger Gesellschaft war." (Hofer, A. Leitner, E., Tscherkes, B., S. 122) Höchst betrieb das Casino und den unmittelbar anschließenden Park als Unternehmer mit wirtschaftlichen Ambitionen und verrechnete sich. Die weite Grünfläche blieb liegen und verwilderte erneut. So ging die Fläche Mitte des 19. Jahrhunderts in städtisches Eigentum über, wodurch sie entsprechend gesellschaftlicher Entwicklungen und neuer Interessen als öffentliche Parkanlage zugänglich wurde. Nach der 1848er-Revolution setzt das reaktionäre Jahrzehnt ein. 1861 wird eine konstitutionelle Monarchie ausgerufen, in dessen Verfassung für jedes Kronland Österreich-Ungarns und so auch für Galizien ein eigenes Parlament vorgesehen wird.6

Ab 1867 ist Galizien innerhalb der Monarchie eines dieser autonomen Kronländer. Das notwendige Gebäude der heutigen Universität war zu dieser Zeit als Landtag im Stil der historisierenden Neorenaissance errichtet worden. Da die Grünfläche auf Grund der Standortwahl nun genau vor dem Landtag lag, erfuhr sie eine entschiedene Aufwertung, die mit einem architektonischen Programm für das gesamte städtebauliche Umfeld des Parks verbunden worden ist. Die Parlamentarier, der polnische Hochadel und viele Beamte, Universitätsprofessoren und anerkannte Künstler wohnten nun direkt an der weitläufigen Parkanlage, die beinahe ein öffentlicher Treffraum der galizischen Eliten wurde. Der amtierende Stadtgärtner Karl Bauer verlieh dieser Anlage 1855 den Charakter eines neoenglischen Landschaftsparks mit bewegt geführten Wegen, "Obelisken und Skulpturen". Er "führte eine Vielzahl von Pflanzen - und Baumarten ein." (Hofer, A. Leitner, E., Tscherkes, S. 122) Nach und nach entstand ein würdiges, komplex gedachtes und geplantes neues Stadtquartier, ein inspirierendes Raumzeugnis des europäischen 19. Jahrhunderts.

In einer Karte von 1911 findet sich die Bezeichnung "Stadtpark" (Kleveman, Inneneinband). Diese Bezeichnung lässt sich in vielen Stadtplänen seit der Donau-Monarchie finden. Nach den politischen Veränderungen und der polnischen Vorherrschaft nannte man die Parkanlage dann nach dem polnischen und amerikanischen Doppelgeneral Tadeusz-Ko?ciuszko-Park.7 Dieser war der tragende Anführer des polnischen Nationalaufstandes gegen die Teilungen Polens Ende des 18. Jahrhunderts und eben dafür als einer der größten Nationalhelden der Polen geehrt.

Die Nazis griffen auf den alten Namen Jesuiten-Garten zurück, wie entsprechende Stadtpläne aus der Zeit der deutschen Besatzung belegen. 8, 9 Auf dem sowjetischen Stadtplan von 1947 findet sich dann der Name Tadeusz-Ko?ciuszko-Park wieder. Der heutige Name Iwan-Franko-Park wurde durch die Sowjets nach 1947 gegeben und lässt sich in einem Stadtplan von 1970 nachweisen. 10 Umgangssprachlich nannte man den Stadtpark nun auch Universitätspark. Heute wirkt der weiche Parkcharakter durch das Universitätsgebäude und den weiträumig versiegelten Platz mit dem Iwan-Franko-Denkmal etwas von der Stadt abgerückt. Zugleich bezieht sich die Grünanlage als öffentlicher Raum direkt auf die Innenstadt und ist unmittelbar an sie angeschlossen. Eine mit Asphalt spröde versiegelte Achse läuft tief in der südlichen Flanke des Parks leer aus, führt aber von hier aus weit in die Stadt hinein.

Unter dem hochaufgewachsene Grün der alten Bäume lässt sich die langsam ansteigende Landschaftsschwelle erspüren, die in seinen oberen Lagen das Lwiwer Plateau markiert. Diese heute so sichtbare Gestaltung ist durch einen 1988 umgesetzten Entwurf von Tetjana Maksymjuk entstanden (Hofer, A. Leitner, E., Tscherkes, B., S. 123)11. Sie hebt den sanften Anstieg des Parks deutlich heraus. Die Kante des Lemberger Plateaus wird heute durch das Hotel Dnister markiert, "ein Blickfang, aber sicher keine architektonische Meisterleistung." (Gerlach, Th., Schmidt, G., S. 92), die einen sperrigen städtebaulichen Akzent in der Landschaft bildet, dem Umfeld der baulich und landschaftlich verbliebenen Atmosphäre der Donaumonarchie aber keinesfalls gerecht wird.

Landschaft als Gründungsanlass der Weltkulturerbe-Stadt

So schieben sich aus mehreren Richtungen mittelgebirgsähnliche, einst üppig bewaldete Höhenketten an die Stadt heran. Lwiw ist von durchaus überschaubaren, beiläufig wirkenden Bergen umschlossen, die einen weichen, die Stadt umschließenden, doch nicht geschlossenen Kranz darstellen. Sie bilden eine der Voraussetzungen für die bleibenden Erzählungen der Landschafts- und Stadtgeschichte, für die künftigen Freiräume offener und öffentlicher Nutzung, für stadtnahe Landwirtschaft und eine unverzichtbar ausgleichende Resilienz. Diese freundliche Landschaft war einst Gründungsanlass für die Stadt und sollte pflegsam Anlass bleiben, die unverwechselbare Atmosphäre Lwiws zu lieben.

Um die Bezüge zu den stadtnahen und entfernteren Landschaften und Regionen um Lwiw neu herauszustellen, überrascht ein Blick in die umfängliche Literatur. Sie weist einen langen Bogen auf, der bewahrend und neu interpretierend aufgegriffen werden sollte. Johann Gottfried Herder, der ausführlich über die slawischen Völker geschrieben hat, vermerkte neben vielen Hinweisen eine hier anregende Beobachtung: "… Sie [die Slawen; Anm. d. Autor] liebten die Landwirtschaft, einen Vorrat von Herden und Getreide, … pflanzten Fruchtbäume und führten nach ihrer Art ein fröhliches, musikalisches Leben. Sie waren mildtätig, bis zur Verschwendung gastfrei, Liebhaber der ländlich en Freiheit, …" (Herder, S.279-282). Wenn das keine auffordernde Skizze für ein Dasein ist, mit dem privaten und öffentlichen Grünraum ein begabtes städtisches Leben zu entfalten. "Die Bewohner Galiziens liebten es, die heimischen Landschaften und Städte mit solchen im Westen zu vergleichen…" (Pollack, S. 214). Das etwa 90 Minuten entfernte "Drohobycz wurde das galizische Pennsylvanien genannt, die malerische Umgebung des [gut drei Stunden entfernten, Anm. d. Autors] Städtchens Trembowla die podolische Schweiz…" (Pollack, S. 214). Diese Bezüge sind gelebte Geschichte, verankerte Wahrnehmungen landschaftlicher Bezüge, die neben dem atmosphärisch-assoziativen Zugang andeuten, wie Identitäten entstehen und worin sie gründen. Mit Blick auf Ivan Krastev´s wichtigen Essay "Europadämmerung", der gerade bei Suhrkamp erschienen ist, wird auch für die stadtnahe Landschaft Lwiws eine anregende Frage der ZEIT-Kritikerin Elisabeth von Thadden herausfordernd für den Umgang mit Stadt und Land: "…" Warum erwägt er [Ivan Krastev, Anm. d. Autors] nicht, ob eine andere europäische Landwirtschaftspolitik, die regionale Kultur, Landschaft und Kleinbauerntum respektieren würde, anstatt das Land an Investmentfonds zu verkaufen und es in Monokulturen verwüsten zu lassen, die Menschen zum Dableiben einladen würde? Ob etwa europäisch geschütztes und gefördertes Eigentum an Land … zu einer Bodenhaftung beitragen könnte? ..." (von Thadden, S. 41).

Auch wenn die Ukraine nicht zur Europäischen Union gehört, sie korrespondiert mit ihr und könnte ihre besten Impulse produktiv aufgreifen und so den Bedrängungen privatwirtschaftlich hysterischer Absichten im Bauen wie im Pflanzen und Sähen souverän begegnen.

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Hotel Dnister, rechts liegt entlang der Bäumen die Kante des Lwiwer Plateaus. Foto: Christoph Gudewer
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Friedfertigkeit im Iwan-Franko-Park. Foto: Dirk Manzke

Die Stadt hat das Potenzial, sich mit diesen Grünräumen selbst zu mäßigen, den drängenden neoliberalen Spekulationen und Vereinnahmungen dieser Tage eine bereits bestehende Gestalt entgegenzusetzen, um künftigen Ausbau und Verdichtung zu ordnen und womöglich, möge es so sein, zu disziplinieren, denn ein sechster Sinn für das Schöne dürfte ihr nicht fehlen. Nüchtern gesagt werden diese Fragen in der Stadtverwaltung und Stadtplanung angegangen: "Es ist bereits ein neuer Stadtentwicklungsplan (2025) in Ausarbeitung, dessen Genehmigung durch das Stadtparlament aufgrund von offenen Fragen im Umwelt- und Naturschutz noch aussteht." (Hofer, A., Leitner, E., Tscherkes, B., S. 52) Landschaft also in Form von Umwelt und Natur sorgt für das "Ausstehen" sogenannter "offener Fragen"? Etwa diese: Wo eigentlich beginnt der sinnliche Raum der Stadt, der unser emotionales Dasein sichert? "Die reale Stadt ist auf Visionen gebaut - die Kathedrale des heiligen Juri steht auf dem weinumrankten Rücken eines Wals, das Hohe Schloss wird zum Mont Blanc …" (Andruchowytsch, J., S. 206) Liegt hier eine Spur zu tieferen Antworten, die uns in die Nähe unseres essentiellen Bedarfs an Natur führen?

Mit diesen die Weltkulturerbe-Stadt fassenden landschaftlichen Gegebenheiten, mit den Bergen und dem Tal der Poltwa, mit den zu Friedhöfen und Parks gewordenen Landschaften sollte Lwiw Oase seiner selbst werden können. Landschaft heißt essentielle Produktion, Ressource und Leben. Landschaft heißt aber auch mit uns Menschen gewordene und werdende Gestaltungswelt im Zeitalter ökologischer Anforderungen und Chancen. Lwiw besitzt schon jetzt Lunge genug, um Grüne Hauptstadt im Grenzraum Europas zu werden, auch wenn die Stadt "auf der falschen Seite der Schengen-Grenzen, jenseits der unsichtbaren EU-Wälle" (Käppner, S. 3) liegt. Doch gerade deshalb möge Lwiw eine ernsthafte Aufmerksamkeit entgegengebracht werden, die die Stadt in ihrer Schönheit schützt und sie zugleich gekonnt entwickelt. - Lwow. Lwów. Lemberik. Lvov. Ilyvó. Leopolis. Lemberg. Lwiw, das ist eine Stadt zwischen Landschaft, Geschichte und einer Gegenwart, die die Zukunft sucht.

Literatur

Mein besonderer Dank gilt dem Germanisten Jurko Prochasko, dessen Anregungen und Hinweise diese Recherche erst möglich machten.

1 www.galizien-deutsche.de/news/7/99/Hofrat-Ernst-Traugott-von-Kortum.htm (14.08.2017).

2 projekte.uni-erfurt.de/illuminaten/Ernst_Traugott_von_Kortum (14.08.2017).

3 www.welt.de/print-welt/article328555/Denk-ich-an-Lemberg.html (12.08.2017).

4 www.welt.de/print-welt/article328555/Denk-ich-an-Lemberg.html (22.08.2017).

5 www.goruma.de/Staedte/L/Lemberg/ Sehenswuerdigkeiten (12.09.2017).

6 www.habsburger.net/de/kapitel/franz-josephs-regentschaft-teil-ii-1867-1898-der-konstitutionelle-monarch (14.09.2017).

7 wikimapia.org/4903996/de/Iwan-Franko-Park (05.09.2017).

8 www.lvivcenter.org/uk/umd/map/ mapid=99 (12.09.2017).

9 www.lvivcenter.org/uk/umd/map/ mapid=132 (12.09.2017).

10 www.lvivcenter.org/uk/umd/map/ mapid=251 (12.09.2017).

11 www.lemberg-lviv.com/aktivitaten-in-lemberg/parks-in-lemberg/ (06.09.2017).

Altaras, Adriana: doitscha, Eine jüdische Mutter packt aus. Köln 2014.

Andruchowytsch, Juri: Kleines Lexikon intimer Städte. Berlin 2016.

Gerlach, Thomas; Gert Schmidt: Ukraine, zwischen den Karpaten und dem Schwarzem Meer. Berlin 2011.

Herder, Johann Gottfried: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, S16. Buch, Kapitel IV.

"Slawische Völker". Berlin und Weimar 1965.

Hofer, Andreas, Elisabeth Leitner, Bohdan Tscherkes: Lemberg Lviv Architektur und Stadt. Wien, Münster 2012.

Käppner, Joachim: Ach, Europa. Süddeutsche Zeitung Nr. 200, 01.09.2014.

Kleveman, Lutz C.: Lemberg. Die vergessene Mitte Europas. Berlin 2017.

Lyljo, Ihor, Sorjana Lyljo-Otkowytsch: Ein Bummel durch die Stadt Lwiw. Kiew 2005.

Pollack, Martin: Galizien, Eine Reise durch die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina. Berlin 2014.

Prochasko, Jurko: zahlreiche mündliche Gespräche. Lwiw 2017.

Schlögel, Karl: Das Wunder von Nishnij oder die Rückkehr der Städte. Frankfurt am Main 1991.

Timtschenko, Viktor: Ukraine, Einblicke in den neuen Osten Europas. Berlin 2009.

Van Ditzhuijzen, Reinildis: Liebesbriefe aus Lemberg, Eine Spurensuche um die halbe Welt 1915-2015. Wien 2015.

Von Thadden, Elisabeth: Überstehen ist alles. DIE ZEIT Nr. 32, 03.08.2017.

Wilden, Patrick: Von Lemberg nach L'viv, Auf Stadtsuche in der Westukraine. In: parapluie.de/archiv/bewusstsein/lemberg/ (24.08.2017).

Autor

Professor für Städtebau und Freiraumplanung

Hochschule Osnabrück

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