Über die Revitalisierung eines Gewässers als Naherholungsgebiet

Natur und Geschichte erlebbar machen

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Da steckt Dynamik drin, der See wird einfach nicht langweilig." Das sagen Besucher*innen, die am Ufer eines kleinen, im Norden der Region Hannover gelegenen Sees, dem Würmsee entlanggehen. Woran liegt das?

Der gut 5 Hektar große See in der Stadt Burgwedel lag lange Zeit abseits des Blickfelds. Ein fester Begriff war der Würmsee jedoch in den 1920/30er-Jahren. Er war heiß begehrt für die Naherholung bei den Städtern, die aus dem rund 30 Kilometer entfernten Hannover per Straßenbahn bis Burgwedel und dann im Pendelbus anreisten. Eine Gaststätte mit Tanzfläche eröffnete. Seit 1927 gab es einen Bootsverleih. Es herrschte ein lebhafter Tourismus. Schon damals gab es Parkprobleme am See. Wer es sich leisten konnte, kam mit dem Auto oder Motorrad. Erhalten ist noch eine Postkarte vom Würmsee von 1938. Darauf schrieb eine junge Urlauberin ihren Eltern nach einer Woche Urlaub: ". . . bin jetzt am Würmsee, wo großes Bade- + Strandleben herrscht . . . ".

Auch nach dem zweiten Weltkrieg nahm der Badetourismus wieder an Fahrt auf, dann aber fiel der Würmsee in einen jahrzehntelangen Dornröschenschlaf.

Wie kam es zu diesem schleichenden Niedergang eines einstigen regionalen Naherholungsgebietes? Es liegt vor allen Dingen am Wasserpegel.

Je höher der Pegel, desto mehr Zulauf an Gästen

Der Wasserstand des grundwassergespeisten Sees ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gesunken. Das hatte vielerlei Gründe. Doch war der Pegel immer schon Dreh- und Angelpunkt aller Überlegungen zur weiteren Entwicklung des Sees. Es wurden verschiedene Ansätze diskutiert. Was kostet das Ausbaggern? Soll der Wasserstand erhöht werden? Soll der See lieber ganz verlanden, denn ohne künstliches Zupumpen von Grundwasser schwankt der Wasserspiegel extrem. In trockenen Jahren kann ein starkes Abfallen des Wasserspiegels ohnehin nicht verhindert werden, da technische und wasserrechtliche Restriktionen einen völligen Ausgleich des Wasserdefizits unmöglich machen. Welche Auswirkungen hat der schwankende Wasserspiegel auf die Pflanzen und Tiere, die dort leben? Und schon früher sagten die Burgwedeler: Der Zulauf an Gästen hängt vom Wasserstand ab - je höher der Pegel, desto mehr Besucher*innen.

1980 ließ der damalige Landkreis Hannover ein Gutachten über Entwicklungsmöglichkeiten des Sees erstellen. Weitere Gutachten folgten 2002 und 2012. Und dennoch brachte die Jahrzehnte lang geführte Diskussion über die Entwicklung des Sees keine Ergebnisse. Das lag an ungeklärter Zuständigkeiten und der daraus folgenden Frage nach dem richtigen Topf für die Finanzierung. Der See wurde sich selbst überlassen. Am Ufer dehnten sich Weidenbüsche stark aus und der Blick auf den See ging nach und nach verloren. Das spärliche Freiraummobiliar wurde immer unansehnlicher. Erlebnisqualität? Fehlanzeige. Die Situation änderte sich erst vor gut zehn Jahren, als sich Politik und Verwaltung der Region Hannover und der Stadt Burgwedel auf eine klare Arbeitsteilung und einen finanziell verkraftbaren Projektumfang einigten.

Befragung der Gäste brachte Klarheit

Von vorneherein war klar: Was der ruhigen Erholung dient, ist willkommen. Die in den Gutachten befragten Besucher*innen äußerten klare Bedürfnisse: Sie wollten eine Runde um den See gehen, die Natur beobachten, Kaffee trinken und ein bis zwei Stunden am See verbringen. Sie lieben den Wechsel von Wald und Wasser, Seerosen, das Froschkonzert, die Schlichtheit und die gute Luft. Während es früher den Bootsverleih gab und Schwimmen erlaubt war, geht beides schon lange nicht mehr. Der stark schwankende Wasserpegel führt in dem einen Jahr zu einer großen Schlammfläche, das andere Jahr steht das Wasser bis an den Uferweg heran.

Frühzeitig alle Akteure einbezogen

2016 begann die Revitalisierung des Sees. Gehölz wurde entnommen und Sichtbeziehungen wiederhergestellt. Schlamm wurde beseitigt. Die Erlebbarkeit des Sees sollte wieder gewährleistet werden. Wichtig dabei war, frühzeitig alle Akteure einzubeziehen, sei es in der Verwaltung, in den Verbänden oder in der Politik. Neben dem Aspekt der ruhigen Naherholung spielte der Naturschutz eine zentrale Rolle. Alle beabsichtigten Eingriffe wurden auf die Verträglichkeit mit der dort vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt abgestimmt. Ein ornithologisches Monitoring begleitet die Änderungen. So kann bei Fehlentwicklungen frühzeitig gegengesteuert werden. Auch die Öffentlichkeit wurde durch die Medien immer wieder aufs Neue unterrichtet. Dieser Beteiligungsprozess kann ein Beispiel für andere Projekte geben.

Erklärtes Ziel war auch, über den See, seine Geschichte und seine Ökologie direkt am Ufer zu informieren. Erste Überlegungen, mit digitaler Technik zu arbeiten und Video- und Audio-Elemente einzusetzen, wurden wieder verworfen. Dies wäre dem Charakter des Sees nicht gerecht geworden und hätte sich in die Ausgestaltung der vielerorts üblichen Infopfade eingereiht. Es sollte etwas Besonderes, Einmaliges geschaffen werden. Für die Konzeptentwicklung und Umsetzung fiel die Wahl daher auf das Atelier LandArt aus Hannover, das sich schon bei vielen Projekten durch herausragende Ideen und erstklassige handwerkliche Ausführungen einen Namen gemacht hatte.

Was ein gut konzipierter Erlebnispfad leistet

"2018 erhielten wir von der Stadt Burgwedel den Auftrag, für den Würmsee einen Erlebnispfad zu konzipieren und umzusetzen", erinnern sich Frank Nordiek und Wolfgang Buntrock vom Atelier LandArt in Hannover. Der berufliche Hintergrund der beiden Künstler prädestinierte sie für ihre Aufgabe: Nordiek ist ein erfahrener Naturwissenschaftler, Buntrock ein versierter Landschaftsarchitekt. Zusammen sind beide in dem von ihnen 1996 gegründeten Atelier LandArt als Landschaftskünstler tätig.

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Für das Konzept des Erlebnispfads vertieften sich die beiden LandArt-Künstler lange in die Historie des Würmsees und seine Besonderheiten. Ihr einfühlsamer Umgang mit den verschiedenen Aspekten ist auch der Grund für die Attraktivität des Erlebnispfades, der insgesamt acht verschiedene Stationen umfasst. Während sich Frank Nordiek und Wolfang Buntrock ganz auf die künstlerische Arbeit konzentrierten, wurde auch bei diesem Projekt nicht gänzlich auf textliche Erläuterungen verzichtet. Mit diesen Aufgaben wurde Knut Diers vom Redaktionsbüro Buenos Diers Media aus Hannover beauftragt. Als Grundlage dienten neben der vorhandenen Literatur umfangreiche Interviews mit Zeitzeugen, damit die Texte ein hohes Maß an Authentizität aufweisen. Entsprechende Zitate mit ein paar Hintergrundinformationen sind daher an jeder Station auf einer Tafel zu finden, die auf unterhaltsame Weise die Betrachter in das jeweilige Thema eintauchen lassen.

Wellenliegen, Holzsteg und Badefiguren - Rückgriff auf die 20er-Jahre

Die Tourismustradition des Sees mit seinen Goldenen 1920er-Jahren wird an der ersten Station aufgegriffen. Bei dieser Station laden zwei Wellenliegen auf einem Holzsteg zur Rast mit Seeblick ein. In den Bademoden der 20er-Jahre gekleidete Figuren in Originalgröße warten am Geländer. Zur Badenixe mit Sonnenhut gesellt sich ein Mann mit Fotoapparat, der den See ins Visier nimmt. Badebereite Jugendliche blicken in die Ferne. Ins vorderste Brett am Steg direkt vor dem Wasser ist in hellblau graviert: "Urlaubsgrüße vom Würmsee." Eine Zeitzeugin erinnert sich mit einem breiten Schmunzeln an jene Würmseetage: "Wir saßen oft paarweise etwas abseits vom See hinter den Büschen und ,verlobten uns', so nannte man das damals." Heutzutage wäre Schwimmen und erst recht das Bootsfahren unvereinbar mit dem Schutz der sehr artenreichen und vielfältigen Vogelwelt.

Mit dem Steg lebt die 100 Jahre alte Tradition am Würmsee auf ganz neue Weise wieder auf. Damals waren die Städte geprägt vom ungesunden, engen Wohnen, von den Folgen der Industrialisierung und einer persönlichen Überlastung. "Aus grauer Städte Mauern zieh'n wir durch Wald und Feld. Wer bleibt, der mag versauern, wir fahren in die Welt . . . ". So dichteten damals Hans Riedel und Hermann Löns.

Gäste pumpen selbst Wasser

An der nächsten Station können Gäste aus Schwengelpumpen selbst Wasser in den See pumpen. Drei Pumpen stehen zur Verfügung. Man weiß zunächst nicht, was passieren wird, wenn man eine Pumpe bedient. Nach und nach wird es klar: Die eine Pumpe lässt Wasser aus einer Wolke regnen, die zweite versorgt einen großen Wasserhahn und die dritte einen Auslass im Boden. Die Pumpen stehen für die drei Wasserzuläufe des Würmsees - aus Niederschlägen, aus Grundwasser und aus künstlich hineingepumptem Wasser.

"So können alle selbst Hand anlegen, das verbindet mehr mit dem See als wenn dort nur Schilder stünden", beschreibt Frank Nordiek einen Teil des Konzepts.

Der schwankende Wasserstand spielt an einer anderen Station eine wichtige Rolle. Die beiden Landschaftskünstler konzipierten mit Lochgittern eine flach in das Wasser hinabsteigende Treppe. Jede der Treppenstufen ist mit einer kleinen Tafel versehen, auf der sich ihre absolute Höhe (angegeben in Meter über Normalnull) ablesen lässt. Und sobald man beim Herabsteigen der Gitterstufen nasse Füße bekommt, kann man direkt den aktuellen Wasserstand des Sees ablesen. Diese Treppe ist somit ein begehbarer Pegel - der erste weltweit

Wetterextreme wie unter dem Vergrößerungsglas zu sehen

Der wechselnde Wasserstand hat neben den geschilderten Nachteilen aber auch sein Gutes: Das, was vor einem halben Jahr bei Trockenheit ein Kritikpunkt war, das fehlende Wasser, das hat sich jetzt bei hohem Wasserstand nach viel Regen im März 2020 in ein positives Naturschauspiel gewandelt. "Wie unter einem Vergrößerungsglas beobachten wir am Würmsee die sich immer stärker ausprägenden Extreme unseres Wetters", betont Wolfgang Buntrock.

Auch die örtliche Presse nimmt im März 2020 mit einem hübschen Bild vom vollen Würmsee hiervon Notiz. "Denn im Gegensatz zum vergangenen Sommer führt er wieder reichlich Wasser, so dass Passanten die acht Kunstwerke des Erlebnispfades erkunden können", heißt es im Bildtext. Was war passiert? Zum einen ist das die eingangs beschriebene Dynamik, die die Gäste so lieben - mal wenig Wasser, mal viel Wasser. Dadurch ändert der See sein Gesicht. Zum anderen ist vom Erlebnispfad die Rede. Und der lässt sich bei jedem Wetter und Wasserstand abgehen.

Drei "Torffresser" machen neugierig

Nicht weit von dem begehbaren Pegel entfernt wird durch drei rote Stahltiere an die moorige Vergangenheit erinnert. Das sind die "Torffresser". Sie stehen bei höherem Grundwasserpegel mit ihren Füßen in Moorresten eines Feuchtbiotops, das nicht betreten werden darf. Aber die rund 3 Meter hohen Aufsehen erregenden Skulpturen sind aufgrund ihrer roten Farbe vom Weg aus gut zu erkennen. Die zu Beginn der Planungen noch kontrovers diskutierte Farbe wurde schließlich akzeptiert. "Die reifen Eicheln einer in der Nähe stehenden Eiche waren unter ihrer braunen Schale allesamt leuchtend rot", erinnert sich Frank Nordiek. Somit konnten die Bedenken gegenüber einer scheinbar dem Raum nicht angemessenen Farbe zerstreut werden. Das überzeugte auch die zuständige Naturschutzbehörde.

Wasserfauna als Stahlmodelle am Boot zu sehen

Über die Vogelwelt lagen immer ausreichende Beobachtungen vor. Anders hingegen bei der Wasserfauna. Um hier nicht mit Allgemeinplätzen arbeiten zu müssen, wurde eine kleine Kartierung mit einer Expertin der Unteren Wasserbehörde vorgenommen. Einige der festgestellten Arten werden in einer Erlebnisstation gezeigt. Den Landschaftskünstlern fiel auch dazu das Passende ein: Am Ende eines aus seitlich versetzten Eichenbohlen gebauten Stegs liegt ein Boot im Wasser. Unmittelbar neben dem Boot unter der Wasseroberfläche sind Stahlmodelle von Eintagsfliege, Wasserskorpion, Stichling oder Mückenlarve erkennbar. Auch das hat hohen Erlebniswert. Zumal sich vom Boot aus grandios in die Abendsonne blinzeln lässt. Mit etwas Glück schwebt noch ein Eisvogel durchs Bild. Pirole, die feuchte Weichholzauen lieben, finden in der Nähe auch Unterschlupf. Ein imposantes Schauspiel bei niedrigem Wasserstand sind die zahlreichen Graureiher, denen das Futter in Form der zahlreichen Fische wie auf einem goldenen Tablett serviert werden.

Von einer Bank auf der anderen Seeseite lässt sich hingegen die Morgensonne anschauen, mehr noch: Die von dort sichtbare waldreiche Vogelinsel schmückt den Würmsee. Der Blick fällt zudem auf drei hochstelzige Behausungen, die die Künstler in die Uferzone gebaut haben. Wer mag die 7 Meter hohen nestartigen Objekte gebaut haben? Werden sie bewohnt und wenn ja, von wem? "Die Beantwortung dieser Fragen überlassen wir voll und ganz der Fantasie der Betrachter", erläutert Frank Nordiek. "Sicher ist nur: Es gibt mehr um uns herum, als wir sehen oder hören können."

Behausungen ganz anderer Art zeigt die Station, die sich mit dem Leben am Würmsee in der unmittelbaren Nachkriegszeit befasst. Nach dem Zweiten Weltkrieg suchten Flüchtlinge und Ausgebombte der Städte in Hütten am Würmsee Zuflucht. Ein nachgebautes Gerüst für so ein "Häuschen" erinnert daran. Eingestanzt sind anrührende Zitate aus jener Zeit von Menschen aus Ostpreußen, Vorpommern oder den Ruinen von Hannover. Im Winter klebte das gefrorene Wasser an den Wänden. Das lässt auf die enorme Kälte in den Hütten schließen. Und Brotbacken mit Mais - das war der Rohstoff, den es gab. Hunger war ohnehin ein Thema, weshalb die Beerensuche im nahen Wald rund um den Würmsee ein Segen war.

Auf einer Bank im Gespräch mit den Tieren

Heute suchen die Menschen (nicht nur aus den Städten) einen Ruhepol in der Natur wie hier. Sie möchten in der Corona-Zeit der häuslichen Enge entfliehen. Hier finden sie frische Luft, beobachten den Flug der Libellen, hören den Ruf der Kreuzkröte - und können mit dem virusbedingten Mindestabstand zu zweit nebeneinander gehen.

Und so erreichen sie die letzte Station. Dort sitzen (als Stahlfiguren) Fuchs und Feldhase neben ihnen auf der Bank. Der Blick fällt auch auf Reiher, Kröte und Eisvogel, die sich ebenfalls an der Bank versammelt haben. Das gemeinsame Thema ist als Frage in die Rückenlehne der Bank eingearbeitet: Was brauche ich für mein Leben? Der Mensch: weniger, als er glaubt. Das Tier: mehr, als es hat. So kann sich jede und jeder selbst fragen: Wie sieht mein ökologischer Fußabdruck aus? Was lässt sich in meinem Alltag verändern? Wie tragen meine Gewohnheiten dazu bei, dass alles so bleibt? Soll es so bleiben? Was bleibt?

Die Strahlkraft des Sees ist wieder da - Lob von allen Seiten

Lob kommt heute von allen Seiten, der Kommune, der Region Hannover, die sich finanziell maßgeblich beteiligte, und den Besucher*innen. Positiv ist zudem zu vermerken, dass sich bislang keine Konflikte zwischen Naherholung und Artenschutz ergeben haben. Vielmehr hat sich die Gehölzentnahme und das regelmäßige Zupumpen sehr positiv auf die Entwicklung der Vogelwelt ausgewirkt. Dank der engagierten Unterstützung aller Beteiligten hat der See nach jahrzehntelangem Schatten wieder eine große Strahlkraft erhalten, die auch für die örtliche Presse immer Anlass für eine Berichterstattung gibt.

 Malte Schubert
Autor

Umweltkoordinator Stadt Burgwedel

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