Spazieren und Lustwandeln vom "Mehlsack" zur Veitsburg

Neuer Serpentinenweg verbindet zwei Ravensburger Wahrzeichen

von:
Gartengestaltung
Luftbild vom neu gestalteten Serpentinenweg. Die bewusst offene Gestaltung macht die Topographie und Hangneigung des Geländes ablesbar. Die Veitsburg als Wahrzeichen der Stadt wird damit markant in Szene gesetzt Foto: Arno Roth, Quadrocopterfluege.de

Die über der Altstadt auf einer Bergkuppe thronende Veitsburg ist der wohl geschichtsträchtigste Ort in Ravensburg. Bis in die 1970er-Jahre gesellschaftlicher Treffpunkt, verlor sie in jüngerer Zeit an Attraktivität. Mit einer sensiblen Gestaltung und Herausarbeitung der historischen Schichten in Grundrissen und Mauerverläufen ist dies wieder erlebbar und spürbar geworden. Darüber hinaus ermöglicht der neu gestaltete Serpentinenweg mit geringer Steigung vielen Bevölkerungsgruppen die Nutzung des naturnahen Wald- und Wiesengebietes für Naherholung und Freizeit.

Ravensburg - Stadt der Türme und Tore

SUG-Stellenmarkt

Relevante Stellenangebote
Gärtner Grünpflege (m/w/d) Darmstadt, Darmstadt  ansehen
Alle Stellenangebote ansehen
Gartengestaltung
Ausblick auf das Ravensburger Wahrzeichen, den Mehlsack, und die Altstadt. Zwischen dem neuen Serpentinenweg und vorhandenen Wegen und Teppen wurden durch Geländemodellierungen immer wieder Verbindungen geschaffen. Foto: Blanka Rundel, Stadt Ravensburg

Mit knapp 50.000 Einwohnern liegt die große Kreisstadt Ravensburg im südlichen Oberschwaben unweit des Bodensees. Als pulsierendes Zentrum im Schussental prägen markante Gebäude, Plätze und Straßen das Bild der historischen Altstadt. Insbesondere die zahlreichen, gut erhaltenen mittelalterlichen Türme haben der alten Reichsstadt den Beinamen der "Stadt der Türme und Tore" verliehen.

Das historische Stadtzentrum von Ravensburg befindet sich unterhalb der markanten Veitsburg. Ein wesentlicher Grund für die Abgelegenheit der alten Burganlage zum restlichen Stadtgebiet lag in der steilen Topographie und der damit beschwerlichen Erreichbarkeit. Erst die Sanierung der dortigen Jugendherberge im Jahr 2008 löste einen intensiven, gesamtstädtischen Diskussionsprozess aus. Verwaltung und Bürgergruppen sammelten Ideen für die neue Gestaltung des Stadtgebietes, um die historischen Zusammenhänge herauszuarbeiten und eine Anbindung an die alte Burganlage zu gewährleisten. Aus der intensiven Auseinandersetzung mit dem Ort wurde ein Gesamtkonzept mit folgenden, übergeordneten Leitzielen entwickelt:

  • Die unterschiedlichen historischen Schichten von den Anfängen der Burg, der Stadtbefestigung und des ehemaligen Franziskanerklosters am Mehlsack bis in die Gründerzeit sichtbar und erlebbar machen.
  • Die Identifikation der Bürger mit dem Ort durch kontinuierliche Einbeziehung der örtlichen Akteure fördern.
  • Die Bedeutung als Naherholungsgebiet für die Bürger sowie die touristische Attraktivität stärken.
  • Die Erreichbarkeit der Veitsburg für breite Bevölkerungsschichten, wie beispielsweise Familien und Senioren verbessern.
  • Die Vielfalt und den Reichtum von Tier- und Pflanzenarten und deren Lebensräume fördern (Biodiversität).
  • Eine nachhaltige, wirtschaftliche und umweltschonende Realisierung der Maßnahmen durch Wiederverwendung von Baumaterialien sowie die Reduzierung von Eingriffen in den Boden und in die Topographie.

Serpentinenweg zur Veitsburg

Gartengestaltung
Ausblick von der Aussichtsbastion der Veitsburg auf den Serpentinenweg. Foto: Konrad Naumann, Landschaftsarchitekt Ravensburg
Gartengestaltung
Jeder Sitzplatz entlang des Weges wurde entsprechend seiner Besonnung, Lage und Topographie individuell gestaltet. Foto: Blanka Rundel, Stadt Ravensburg
Gartengestaltung
Gebrauchte Steinpoller betonen die Wegeschleifen und bilden Landmarken im Gelände. Mit Trittsteinen, Trittplatten und stufenartig gelegten Leistensteinen können Trampelpfade weitgehend vermieden werden. Foto: Blanka Rundel, Stadt Ravensburg
Gartengestaltung
Individuelle Sitzplatzgestaltung nach Besonnung, Lage und Topographie. Foto: Blanka Rundel, Stadt Ravensburg
Gartengestaltung
Trockenmauern als gestalterisches Element begleiten abschnittsweise den Weg und entwickeln sich zu einem Lebensraum für spezialisiere Pflanzen- und Tierarten. Hierzu wurden erste Initialpflanzungen mit Mauerfugenstauden vorgenommen. Foto: Blanka Rundel, Stadt Ravensburg

Wichtigstes Element des Grünraumkonzeptes ist der neue Serpentinenweg, der die beiden bedeutsamsten Wahrzeichen der Stadt - den Mehlsack und die Veitsburg - verbindet. Im Gegensatz zu dem sonst bewaldeten Veitsburghügel führt der Serpentinenweg durch eine offene Wiesenlandschaft mit Einzelbäumen vorbei an verschiedenen Sitzplätzen. Die bewusst offene Gestaltung macht die Topographie und Hangneigung des Geländes ablesbar. Die Veitsburg als Wahrzeichen der Stadt wird damit markant in Szene gesetzt.

Die bisherigen Wege zur Burg über lange Treppenanlagen oder schmale Waldpfade sind allesamt beschwerlich und für manche Bevölkerungsgruppen unmöglich. Der zusätzlich neue Weg auf bisher unzugänglichen, städtischen Grundstücken bietet nun eine attraktive Alternative. Asphaltiert und mit etwa 8-prozentiger Steigung hat er sich nicht nur für Menschen mit Einschränkungen beim Treppensteigen und Gehen bewährt, sondern ist allgemein ein beliebter Spazierweg für einen entspannten und bequemen Aufstieg geworden. Familien mit Kleinkindern und Kinderwägen, aber auch Lauf- und Nordic-Walkinggruppen nutzen die neue Wegeführung mit Aussicht auf das Stadtgebiet. Zwischen dem neuen Serpentinenweg und vorhandenen Wegen und Treppen wurden durch Geländemodellierungen immer wieder Verbindungen geschaffen. Diese Bermen dienen einerseits als Bewirtschaftungs- und Instandhaltungswege für die Grünpflege und helfen auf der anderen Seite Bodenerosionen bei Starkregen zu minimieren.

Gebrauchte Steinpoller finden Wiederverwendung in den Spitzkehren des Serpentinenweges. Hier betonen sie die Wegschleife und stellen gleichzeitig Orientierungs- und Landmarken im Gelände dar. Mit Trittsteinen, Trittplatten und stufenartig gelegten Leistensteinen können gestalterisch unbefriedigende Trampelpfade weitgehend vermieden werden.

Jeder Sitzplatz entlang des Weges wurde entsprechend seiner Besonnung, Lage und Topographie individuell gestaltet. Verwendung fanden dazu unter anderem gebrauchte Natursteinpflaster und -platten. Überall bieten sich neue Aussichtspunkte und Blickachsen auf die mittelalterliche Altstadt von Ravensburg, auf die barocken Klosteranlagen in Weingarten und Weissenau sowie auf das weitere Umland bis zum Bodensee.

Als gestalterische Elemente begleiten Trockenmauern und Mauern aus gebrauchten Bordsteinen abschnittsweise den Weg. Hier kann sich ein Lebensraum für spezialisierte Pflanzen- und Tierarten, wie beispielsweise Hauswurz, Mauerpfeffer und für Eidechsen entwickeln. Dazu wurden erste Initialpflanzungen mit Mauerfugenstauden vorgenommen. Weitere sich versamende Pflanzen wie Lein-, Habichts- und Eisenkräuter an sonnigen Stellen sowie Farn- und Steinbrecharten an schattigen Stellen werden nach und nach die Fugen besiedeln.

An den Treppenläufen und entlang der Trockenmauern hat ein örtlicher Kunstschmied zusammen mit dem Landschaftsarchitekten Konrad Naumann aus Ravensburg einen schlichten Handlauf aus rohem Vollstahlrundrohr entwickelt. Die Handläufe wurden vor Ort gebogen und so an den Geländeverlauf angepasst.

Durch die Verwendung von autochthonem Saatgut sind die neu geschaffenen, extensiven Wiesen für die heimische Artenvielfalt besonders wertvoll. Dabei kamen auf den jeweiligen Standort abgestimmte Blumenwiesen- und Blütensaummischungen zum Einsatz. Insektenbeobachtungen der örtlichen Naturschutzverbände und Agendagruppen wurden besonders berücksichtigt und zusätzlich einzelne Pflanzenarten gezielt als Pollen- und Nektarpflanzen ausgesät. Einige davon wie Wiesensalbei, Natternkopf und Wegwarte dienen gleichzeitig dazu, gestalterische Farbaspekte zu verschiedenen Blütezeitpunkten zu bilden.

Als "Gartenrelikte" bleiben Bäume, Stauden und Nutzpflanzen in den Bereichen mit früherer Gartennutzung erhalten. So finden sich in Teilbereichen Buchsbäume, Pfingstrosen, Gartenprimeln oder ähnliches. Weitere Gartenpflanzen, wie beispielsweise Sonnenblumen und Lavendel, haben Bürger inzwischen angesiedelt. Möglicherweise wird der neue Naherholungsraum durch das "Urban Gardening" in Zukunft noch stärker bereichert.

Mehlsack - Wahrzeichen der Stadt

Gartengestaltung
Die Neugestaltung des Mehlsackplateaus macht historische Bezüge wieder erlebbar. Pflasterbänder markieren den Verlauf der ursprünglichen Stadtmauer. In den Boden eingelassene, beschriftete Cortenstahlbänder bieten zusätzliche Informationen. Foto: Blanka Rundel, Stadt Ravensburg
Gartengestaltung
Blick von der Aussichtsbastion auf den Mehlsack. Bänder aus Wackenpflaster machen den Verlauf der früheren Burgmauer ablesbar. Cortenstahlbänder markieren den Verlauf des ehemaligen Pavillons, der von etwa 1890 bis ca. 1960 bestand. Foto: Konrad Naumann, Landschaftsarchitekt Ravensburg

Hoch über der Stadt erhebt sich in strahlendem Weiß das Wahrzeichen Ravensburgs, der um 1425 erbaute Mehlsack. Seinen Namen verdankt er seiner runden Form und dem hellen Verputz. Der Name "Mehlsack" ist seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar, seine ursprüngliche Bezeichnung war "Weißer Turm bei St. Michael". Angebaut an die Kapelle St. Michael - die bereits im 12. Jahrhundert bestand und 1825 abgebrochen wurde - war der Mehlsack lange Zeit Teil des inneren Stadtmauerrings. So gegen 1859 wurde die Stadtmauer in weiten Teilen abgerissen und der Mehlsack war somit freigestellt. Seit der letzten Umgestaltung in den 1980er-Jahren diente das Umfeld des Mehlsacks hauptsächlich als Parkplatz. Dies entsprach nicht seiner historischen Bedeutung und seinem Ansehen als Identifikationsfigur für die Bürger der Stadt. Zudem war die Wegeführung für Fußgänger zur Veitsburg durch die parkenden Fahrzeuge kaum erkennbar. Hinter einer Betonschale verbarg sich ein Teil der äußeren Stadtmauer.

Das neu gestaltete Mehlsackumfeld macht nun seine historischen Bezüge wieder erlebbar. In einer der Maßnahmen wurde der reparaturbedürftige Mauerkopf als Natursteinmauerwerk ausgeführt, so dass er heute wieder als Teil der äußeren Stadtmauer erkennbar ist. Der Mauerkopf ist über einen schmalen Pfad aus Wackenpflaster begehbar. Auf dem unteren Plateau führt ein Band aus Wackenpflaster im Boden den Verlauf optisch fort. In gleicher Weise ist die innere Stadtmauer ablesbar, wodurch deutlich wird, dass der Mehlsack einst Teil von ihr war. Den ehemaligen Grundriss der Kirche St. Michael findet der aufmerksame Spaziergänger im linear verlegten Granitkleinpflaster. Um den Verlauf des Kirchengrundrisses und der Stadtmauer noch zu verdeutlichen wurden beschriftete Cortenstahlbänder in den Boden eingelassen.

Die Darstellung der historischen Bezüge gibt die gestalterische Grundstruktur vor: Im "Stadtgraben", dem Bereich zwischen den beiden Stadtmauern, dominiert das Grün und nur einige wenige unverzichtbare Stellplätze sind hier untergebracht. Hingegen im "Altstadtbereich", innerhalb der inneren Stadtmauer, kommen hochwertige Natursteinbeläge zum Einsatz. Der hier gestaltete Vorplatz des Mehlsacks bleibt Fußgängern vorbehalten und lädt zum Verweilen auf Sitzbänken ein. Die schlichten geschmiedeten Handläufe finden auch hier wieder Verwendung und fassen den Platz. Auf der äußeren Stadtmauer wurden defekte Gußpfosten des Geländers nachgegossen, so dass das für die Zeit um 1900 charakteristische Geländer erhalten werden konnte.

Veitsburg - Von den Ursprüngen der Welfen bis heute

Die mächtige Burganlage in unmittelbarer Nähe zur Ravensburger Altstadt wurde bereits im 11. Jahrhundert durch die Welfen errichtet und fiel im 12. Jahrhundert in die Herrschaft der Staufer. Im 17. Jahrhundert brannten große Teile der Burg nieder. Auf der Ruine des Bergfrieds errichtete Deutschordenbaumeister Johann Caspar Bagnato 1751 das dort heute noch erhaltene "Schlössle". Fortan spielte die Burg eine immer wichtigere Rolle als Gesellschafts- und Aussichtspunkt im Leben der Ravensburger, so dass eine Aussichtsbastion mit großem Pavillon erbaut wurde. Im Jahr 1968 wurde dieser bereits wieder abgebrochen.

Die Gestaltung der 60er-Jahre mit ihren Pflanzkübeln und kleinteiligen Pflanzbeeten negierte die historischen Bezüge vollständig. Auf der Grundlage von historischen Karten und Stadtansichten sowie ergänzt durch Erkenntnisse archäologischer Grabungen wurden die Burgmauern aus verschiedenen Epochen sowie die Grundrisse der früher vorhandenen Gebäude heute wieder sichtbar und erlebbar gemacht. Gleichzeitig konnte ein stufenfreier Zugang vom Serpentinenweg zum Burghof geschaffen werden.

Die Neugestaltung macht den Verlauf einer früheren Burgmauer - heute innerhalb der bestehenden Burgmauern - durch Bänder aus Wackenpflaster im wassergebundenen Belag ablesbar. Unterschiedliche Materialien im Boden kennzeichnen die Grundrisse wichtiger Gebäude innerhalb der ehemaligen Burganlage. So ist der ehemalige Pallas mit linearem Granitkleinpflaster dargestellt. Granitleistensteine zeigen den Grundriss der ehemaligen Veitskapelle. Auf der Aussichtsbastion markieren Cortenstahlbänder mit eingelaserten Schriftzügen den früheren Pavillon, der von etwa 1890 bis 1960 bestand.

Die Gaststätte auf der Veitsburg, die Möglichkeit sich dort durch einen Standesbeamten trauen zu lassen sowie ein Spielplatz für die Kleinen stärken die Attraktivität der Veitsburg als Ausflugsziel für Familienfeiern und weitere Veranstaltungen. Eine baumumstandene Wiese bietet darüber hinaus Raum für Aktivitäten.

Zusammenfassung

Das Gesamtprojekt entstand zwischen 2011 und 2016 in mehreren Bauabschnitten. Im Zuge der Gesamtmaßnahme wurde auch der Fußweg südlich des Veitsburgplateaus vervollständigt. Die bestehenden Wege durch den Stadtwald zwischen Mehlsack und Veitsburg wurden aufgewertet beziehungsweise wiederhergestellt. Ein umfassendes Spazier- und Wanderwegenetz ermöglicht so attraktive Rundwege. Durch die sensible Gestaltung und Herausarbeitung der historischen Schichten in Grundrissen und Mauerverläufen ist die geschichtliche Bedeutung des Veitsburghügels nun erlebbar und spürbar. Außerdem nimmt die Veitsburg - ihrer historischen Bedeutung entsprechend - wieder einen markanten Platz in der Stadtsilhouette ein. Als Anziehungspunkt für Spaziergänger bietet die neue Wegeverbindung mit geringer Steigung eine attraktive Möglichkeit, das Wald- und Wiesengebiet von der Altstadt hoch zur Veitsburg zu erkunden. Die Stadt Ravensburg konnte einen für Bürger und Besucher wichtigen Stadtbereich zu neuem Leben erwecken.

Dipl. Ing. (FH) Annette Straßer
Autorin

Landschaftsarchitektin, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit

Ausgewählte Unternehmen
LLVZ - Leistungs- und Lieferverzeichnis

Die Anbieterprofile sind ein Angebot von llvz.de

Redaktions-Newsletter

Aktuelle grüne Nachrichten direkt aus der Redaktion.

Jetzt bestellen