Ein Plädoyer für das Grün der 50er- und 60er-Jahre

"Nicht wegwerfen"

von:
Gartendenkmalpflege
Die Kaskaden der IGA63 in Hamburg wurden nahtlos in die IGA73 integriert. Fotos: Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt der Freien und Hansestadt Hamburg, Archiv Gartendenkmalpflege

"Nicht wegwerfen" forderte unübersehbar die rote Schrift auf der Broschüre, mit der das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz 1987 erstmals für den Denkmalwert von Architektur und Städtebau der 1950er-Jahre warb. Seitdem haben sich mehrere Fachtagungen und -veröffentlichungen mit diesem Zeitraum beschäftigt. Beispielgebend ist die Tagung des Nationalkomitees für Denkmalschutz 1990 in Hannover zur Architektur und dem Städtebau der 1950er-Jahre. Hier wurden aber vor allem die Bauten und die städtebauliche Konzeption der gegliederten und aufgelockerten Stadt thematisiert, während öffentliche Freiräume als Teil dieser Stadtkonzeption nicht näher betrachtet worden sind¹.

Erst in jüngerer Zeit ist ein Umdenken zu erkennen. So führte 2013 das Hamburger Fachgespräch "Grün modern", des Bundes für Heimat und Umwelt in Deutschland zu Gärten und Parks der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Austausch die Forschungsergebnisse verschiedener Gruppen zusammen. In der Fortsetzung ist der für September 2014 in Wien geplante internationale Kongress zu Gartenschauen, Parks und Wohngärten der 1950er- und 1960er-Jahre aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums der Wiener Internationalen Gartenschau 1964 zu sehen.

Der Arbeitskreis Kommunale Gartendenkmalpflege der GALK hat sich die Erforschung und Wissensvermittlung der Gartenkultur dieser Zeit als Arbeitsschwerpunkt gesetzt. Erste Arbeitsergebnisse waren neben einer Liste der Gartenamtsleiter eine Ausstellung zu Anlagen der 1950er- und 1960er-Jahre, die zur Jubiläumstagung der GALK 2008 in Frankfurt/Main gezeigt wurde.

Zeugnisse der Zeit - Grün wie Architektur

Nachkriegszeit, Wiederaufbau und mehr noch das sogenannte Wirtschaftswunder prägten zwei Dekaden, die seinerzeit als Aufbruch in eine neue Zeit an vielen Stellen Maßstäbe gesetzt haben. Die Diskussionen um den Wiederaufbau der zerstörten Städte begannen bereits in den letzten Kriegsjahren und wurden auch durch konkurrierende Grundströmungen wie zum Beispiel die Gartenstadtbewegung oder die "klassische Moderne" geprägt².

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Südlicher Teil des Grünzugs Neu-Altona mit der Ruine der Altonaer Hauptkirche St. Trinitatis. Die städtebaulichen Vorgaben der Entdichtung im stark zerstörten Altona ermöglichte die Anlage eines Grünzuges, der ab 1958 nach Vorgaben eines 1. Preises von Herta Hammerbacher geprägt worden ist.
Gartendenkmalpflege
Staudenanlage der Ausstellung "Plastik im Freien" mit Hamburger Strahlensesseln

Wie die Bauten jener Jahre spiegeln die Grünanlagen den Zeitgeist der 1950er-/ 60er-Jahre wider, der sowohl konservative, restaurative Leitbilder und Gestaltungsauffassungen weiter trug, als auch höchst fortschrittliche Planungs- und Gestaltungsideen generierte. Zwar reichen auch die gestalterischen Wurzeln der Nachkriegsmoderne in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück, wo sie sich aus unterschiedlichsten Quellen speisten, doch auf der Suche nach einer Formensprache als Ausdruck einer neuen gesellschaftlichen Identität mündeten sie in den typischen Stil der 1950er-/60er-Jahre³.

Gemeinsame Leitvorstellungen dieser unterschiedlichen Grundströmungen waren

  • Funktionstrennung
  • Stadtgliederung und "Nachbarschaft"
  • Auflockerung und Entdichtung
  • Stadtlandschaft

Der Abriss ganzer Quartiere als Grundlage für moderne Lösungen wurde nicht nur viel diskutiert, sondern an geeigneten Stellen auch umgesetzt, wie Beispiele in Hannover, Köln oder Hamburg uns immer noch vor Augen führen. Für Kontinuität in der Planung standen dabei oftmals die gleichen Personen, wie vor dem Krieg. Das war im Hoch- und Städtebau genauso wie bei Gärten und Freianlagen4.

Gärtnerisch gestaltete Freiflächen spielten bei vielen Projekten eine große Rolle, wie die Beispiele der Grindelhochhäuser5 in Hamburg-Eimsbüttel, das Projekt Neu-Altona in Hamburg, die Erich-Ollenhauer-Promenade in Darmstadt oder auch der Rheinpark in Köln zeigen. Insbesondere die Bundesgartenschauen wie die Internationalen Gartenbauausstellungen trugen ihren Teil zur Entwicklung einer neuen Gartenkultur bei. Leichtigkeit des Materials, Transparenz durch Verglasungen oder zierliche Stützen, geschwungene Linien oder organische, gerundete Formen waren wesentliche Bestandteile der neuen Formensprache6. Und so sind viele der in dieser Zeit entstandenen Gärten, Park- und Grünanlagen auch wertvolle Zeugnisse des gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufbruchs.

Inzwischen sind viele in den 1950er-/60er-Jahren entstandene Anlagen grundlegend (teilweise schon mehrfach) umgestaltet oder im Detail verändert. Sie genügten nicht mehr den Nutzungsansprüchen oder waren den Verantwortlichen einfach nicht mehr "modern" genug. Unzureichende beziehungsweise nicht fachgerechte Pflege oder Sanierungsbedürftigkeit - unter anderem auch aufgrund der oft schlechten Qualität von Baustoffen nach dem Krieg oder aber damaliger Experimentierfreudigkeit mit unerprobten Materialien und Konstruktionen - tun ihr Übriges.

Handlungsbedarf

Unkenntnis und mangelnde Pflege, oft auch fehlende Wertschätzung haben über die Jahrzehnte zu großen Substanzverlusten an dem gartenkulturellen Erbe dieser Zeit geführt. Die ungebrochene Attraktivität der Städte und die heutigen Verdichtungsbestrebungen stehen oft im Gegensatz zu den Entdichtungsprogrammen des Wiederaufbaus. Diese neue Urbanität führt letztlich auch dazu, dass viele Anlagen heute als Verfügungsmasse gelten. Insbesondere das in der Kritik so bezeichnete Abstandsgrün, die oft großzügigen Frei-flächen der damals neu entstandenen Siedlungen stehen in der heutigen Diskussion um die Innenverdichtung der Städte im Fokus der Stadtentwicklung7. Eine ähnliche Gefährdung geht mitunter auch von Gebäudesanierungen aus, die entsprechend der Energiesparverordnung (EnEV) seit dem 1. Oktober 2009 vorgenommen werden. Häufig werden bei den Baumaßnahmen angrenzende Freiräume in Mitleidenschaft gezogen und anschließend nicht mehr in ihrer ursprünglichen Qualität wieder hergestellt. Damit wird die Forderung nach Nachhaltigkeit, die mit dem Energiesparen erreicht werden soll, konterkariert, da bestehende Werte vernichtet werden.

Gartendenkmalpflege
Nach dem Umbau einstiger privater Gartenanlagen im Zuge der IGA 1953 wurde das Alstervorland als öffentliche Grünanlage (hier für die Ausstellung "Plastik im Freien", Gartenarchitekt Gustav Lüttge) hergerichtet. Die neue Leichtigkeit zeigt sich insbesondere bei der schlanken Betonbrücke über das Wasser, das hier von der Außenalster aus eine teichartige Erweiterung im Park bildet.
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Die Übersichtlichkeit des ehemaligen Ausstellungsgeländes mit der schlanken Brücke ist durch den Gehölzbewuchs heute etwas eingeschränkt. Die Steinlaterne ist eine Zutat aus neuer Zeit. Foto: Bezirksamt Eimsbüttel

Ein Alterswert vieler Anlagen der 1950er-/60er-Jahre ist aufgrund der Pflegedefizite oder nachträglicher Veränderungen nicht immer erkennbar und die Qualität oftmals nur schwer zu definieren. Und immer noch werden qualitätvolle Zeugen dieser Epoche aus Unkenntnis verändert oder beseitigt.

Arbeit des GALK-AK Kommunale Gartendenkmalpflege

In der Praxis, das heißt bei den kommunalen Fachämtern, kommen die Ergebnisse der akademischen Forschung kaum an, Zeit und Geld für eigene Recherchen ist nicht vorhanden. Wie groß die Wissensdefizite über die 50er-/60er-Jahre gerade bei kommunalen Fachämtern sind, zeigen die zahlreichen Anfragen, die den GALK-AK als Ansprechpartner für Fragen der kommunalen Gartendenkmalpflege seit geraumer Zeit erreichen. Dies war Anlass für den AK, sich seit 2007 verstärkt mit der Gartenkunst der 50er-/60er-Jahre zu beschäftigen.

Die Sammlung von Materialien erfolgte unter sechs Aspekten, die auch der Gliederung dieses Stadt-und-Grün-Heftes zugrunde liegen:

  • Der Zeitgeist - vom Wirtschaftswunder zum roten Gummiboot
  • Die Wurzeln - von den 30er-Jahren zur Moderne - eine nicht ganz parallele Geschichte in BRD und DDR
  • Das Typische - vom stumpfen Winkel zur Kreuzfuge
  • Die Köpfe - von Hermann Mattern bis Josef Wohlschläger
  • Die Beispiele - von großen Parks und kleinen Gärten
  • Das Erfassen - vom Katalogisieren gegen das Vergessen

Dieses Heft soll neugierig machen, vor allem aber auch Wissen vermitteln und helfen, die Anlagen dieser Zeit aufzuspüren, noch vorhandene Qualitäten zu erkennen damit diese gegebenenfalls geschützt und erhalten werden können. Das Interesse am kulturellen Erbe des Berufsstandes ist nach wie vor ungebrochen und eine Auseinandersetzung mit diesem Thema gerade mit Blick auf den Veränderungsdruck in den Kommunen mehr als notwendig. Nur wenn Anlagen in ihrem Wert bekannt und entsprechend gut nutzbar sind, kann dem Druck durch Nachverdichtung und Bebauung standgehalten werden.

Warum erhalten?

Die Erhaltung des gartenkulturellen Erbes aus den 50er-/60er-Jahren ist nicht nur aus denkmalpflegerischer Sicht notwendig, sondern auch, weil zu erwarten ist, dass die Anlagen jener Zeit wertvolle Anregungen für die Zukunft der Städte liefern: So könnte zum Beispiel die damalige kleinteilige, am Hausgarten orientierte Gestaltung Vorbildfunktion erhalten, wenn aufgrund des demographischen Wandels eine alternde, weniger mobile Stadtbevölkerung auf quartiersnahe Freiflächen angewiesen ist. Auch ist anzunehmen, dass die bewusst artenreich gestalteten Pflanzungen eine flexiblere Antwort auf den Klimawandel geben als die aktuellen, meist artenarmen Pflanzungen öffentlicher und halböffentlicher Anlagen.

Wie die Ergebnisse einer interdisziplinären Untersuchung8 zeigen, liegt die Zukunftsfähigkeit der Stadt in ihrer "Eignung für viele verschiedene Alltage." Strukturelle Voraussetzung für "verschiedene Alltage" ist aber eine Nutzungsmischung/-vielfalt, eine Vernetzung von Wohnen, Versorgen, Freizeit etc. Dabei trägt das Vorhandensein von "attraktiven Grünanlagen" - gemessen an den Kriterien Nutzbarkeit, Erlebnis, Erreichbarkeit - zur Attraktivität eines Quartiers bei.


Quellen

1) Durth, Werner und Niels Gutschow: Architektur und Städtebau der Fünfziger Jahre in: Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz Band 41, 1990.

2) Vgl. a. Rabeler, Gerhard: Wiederaufbau und Expansion westdeutscher Städte 1945-1960 im Spannungsfeld von Reform-ideen und Wirklichkeit in: Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz Band 39, 1990.

3) Haist, Marketa: 28 Männer brauchen einen neuen Anzug. Die internationalen Gärten auf der Internationalen Gartenbau-Ausstellung 1963 in Hamburg. Diss., Karlsruhe 1994.

4) Grunert, Heino: Gartenkultur der 1950er Jahre - Das Beispiel Hamburg, in: Garten und Landschaft 5/2009, S. 21 ff.

5) Paschburg, Holger und Heino Grunert: Ein bedeutendes Gartendenkmal der Nachkriegszeit. Die Außenanlagen der Grindelhochhäuser in Hamburg, in: Stadt und Grün 6/2003, S. 31 ff.

6) Vgl. a. Durth, Werner und Niels Gutschow: Architektur und Städtebau der 50er-Jahre in: Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz Band 33, 1987, S. 132 ff.

7) Vgl. a. Grunert, Heino: Gartendenkmalpflege als Kommunale Aufgabe in: 1963-2013 - 50 Jahre Arbeitskreis Historische Gärten in der deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e. V., CGL Studies Hannover 2013, S. 47 ff.

8) Brandt, Heike; Helmit Holzapfel; Ilka Hopmeier (Hg.): EVALO Eröffnung von Anpassungsfähigkeit für lebendige Orte. Endbericht Gesamtprojekt. Kassel 2004, online veröffentlicht unter: www.uni-kassel.de/fb13/evalo/PDF_Down/EVALO_Endbericht.pdf [16.12.2013].

Dipl.-Ing. Heino Grunert
Autor

GALK-AK "Kommunale Gartendenkmalpflege"

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