Geflüchtete brauchen mehr Informationen zu Nutzungen

Öffentliche Räume als alternative Integrationsplattform

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Öffentliche Freiräume, wie zum Beispiel der Olympiapark in München, müssen viele Anforderungen erfüllen. Mitzunehmender Bevölkerung steigen unter anderem die Ansprüche an die öffentlichen Räume. Foto: Mira Degenhardt (2017)

Öffentliche Räume sind Erschließungs-, Bewegungs-, Begegnungs-, Kommunikations-, Austausch-, Erfahrungs-, Lern-, Erholungs- und Aufenthaltsräume. Vor allem im Zusammenhang mit der steigenden und multikulturellen Bevölkerung, der zunehmenden Wohnungsknappheit sowie beschränkter Verfügbarkeit von Freiflächen, gewinnen die öffentlichen Räume immer mehr an Bedeutung für die Bevölkerung und ihr Zusammenleben.

Im Kontext der immer noch aktuellen Flüchtlingsthematik sind die Freiräume als Träger öffentlicher Prozesse nicht nur für die bisherige Bevölkerung wichtig, sondern auch für die zahlreich in Deutschland angekommen Geflüchteten. Es ist zwar für eine Erstversorgung und ihre Unterbringung gesorgt, allerdings haben sie einen erschwerten Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt, sodass ihnen diese Integrations- und Begegnungsräume fehlen. Für eine wechselseitige Annäherung der multikulturellen Gesellschaft und dementsprechend für eine erfolgreiche Integration braucht es alternative Plattformen. Die öffentlichen Räume können eine solche Alternative darstellen und auch wenn eine Arbeitsstelle und eine Wohnung gefunden sind, bleiben die Freiräume als erweiterter Wohnraum sowohl für die Geflüchteten als auch für die bisherigen BewohnerInnen relevant. Aufgrund dessen stellen sich für mich als Landschaftsarchitektin die Fragen, ob öffentliche Freiräume Orte der Integration sind, welche Bedeutung sie für die Geflüchteten und ihre Integration haben können und welchen Beitrag die Landschaftsarchitektur durch die Gestaltung und das Management öffentlicher Räume zur Integration von Geflüchteten leisten kann.

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1 Ausschnitt aus dem Fragebogen, der mithilfe eines Smartphones ausgefüllt werden kann. Zum besseren Verständnis wurden Icons eingebunden. Foto: Mira Degenhardt (2019)
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Tabelle 1: Freiraumbedürfnisse von Geflüchteten. Quelle: Mira Degenhardt

Da die Geflüchteten als neue Akteure in den öffentlichen Räumen auftreten, es jedoch sowohl einen Mangel an Wissen zu den quantitativen und qualitativen soziodemografischen Daten über Geflüchtete gibt, als auch einen Mangel an Forschungen zur Nutzung der öffentlichen Freiräume durch Geflüchtete, bedarf es für ein gutes Miteinander in den Freiräumen und eine integrative Planung zunächst Erkenntnisse über Geflüchtete in öffentlichen Räumen, die Nutzung oder Nicht-Nutzung der öffentlichen Räume durch Geflüchtete sowie ihr Verhalten und ihre Ansprüche an die öffentlichen Räume.

Nachfolgend beschränke ich mich auf die Ergebnisse aus meiner Masterarbeit "Integration im öffentlichen Raum? Zur Bedeutung und Gestaltung öffentlicher Räume für Geflüchtete und ihre Integration", die aufzeigen sollen, was das besondere an Geflüchteten im Hinblick auf die Freiraumnutzung ist, was Geflüchtete von nicht geflüchteten Personen im öffentlichen Raum unterscheidet und ob sie andere Freiraumbedürfnisse und besondere Ansprüche an einen Freiraum haben. Die Erkenntnisse beruhen zum einen auf der Diskussion der Forschungsliteratur und zum anderen auf der im Rahmen der Masterarbeit durchgeführten ExpertInnen-Interviews sowie auf Gesprächen mit Geflüchteten mittels eines Fragebogens.

Zunächst einmal liegt der größte Unterschied zwischen Geflüchteten und nicht geflüchteten Personen in der Lebens- und Wohnsituation. Im Gegensatz zu "sicheren MigrantInnen" oder MigrantInnen, die schon länger in Deutschland sind, leben die meisten Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften in Mehrbettzimmern. Ihr Alltag ist neben der Wohnungssuche, von Behördengängen, der Arbeitssuche und dem Lernen geprägt. Vielen Geflüchteten bleiben laut ihren Aussagen nicht mehr als ein bis zwei Stunden Zeit pro Tag, die sie frei gestalten können. Zudem ist der Verlust der Heimat, das Fremde und in diesem Zusammenhang eine über allem stehende Unsicherheit sowie die Angst vor dem Ergebnis des Asylverfahrens oder einer drohenden Abschiebung immer präsent. Gleichzeitig rückt das alltägliche Leben und vor allem die Sehnsucht nach sozialen Kontakten und nach Rückzugsorten immer mehr in den Vordergrund im Leben der Geflüchteten. Umso beengter die Wohnsituation ist, desto stärker ist der Wunsch nach Privatsphäre und desto eher nutzen die Geflüchteten ihre freie Zeit, um die Freiräume aufzusuchen. Folglich wirkt sich die Lebens- und Wohnsituation von Geflüchteten auf ihre Freiraumnutzung aus.

Bei der Nutzung ergeben sich aus ihrer aktuellen Situation, ihren bisherigen Erfahrungen, aber auch aus ihren - je nach Kulturraum - unterschiedlichen Gewohnheiten und Verhaltensweisen aus den Heimatländern Unterschiede im Verhalten im öffentlichen Raum sowie Unterschiede bei den Freiraumbedürfnissen und Ansprüchen.

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3 Eine klare Abgrenzung zwischen unterkunftsbezogenen Freiraum und öffentlichem Raum ist nicht erkennbar. Foto: Mira Degenhardt (2019)
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4 Blick in den Innenhof einer Flüchtlingsunterkunft. Foto: Mira Degenhardt mit Genehmigung der GWG Kassel (2018)

Der erste offensichtliche Unterschied liegt im Zugang zu den öffentlichen Räumen. Geflüchtete können die öffentlichen Räume zwar erreichen, weil sie meist ein Ticket für die öffentlichen Verkehrsmittel haben und dementsprechend mobil sind, ihnen fehlt aber oft der informative Zugang zu den öffentlichen Räumen. Sie möchten zum Beispiel wissen, wo es öffentliche Räume gibt, welchen Aktivitäten man mit wenig Geld dort nachgehen kann und was dort erlaubt ist und was nicht. Das fehlende Wissen über die öffentlichen Räume schränkt die Nutzung dieser enorm ein.

Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass viele Geflüchtete aus ihren Heimatländern zum einen einige Freiraumtypen (zum Beispiel Stadtwald) nicht kennen und zum anderen ihre häufig uneingeschränkte Nutzung, wie es für in Deutschland sozialisierte Personen normal ist, kaum bekannt ist. Es gibt in ihren Heimatländern zwar Parks, diese sind jedoch oft von Mauern umgeben, sie müssen Eintritt bezahlen oder sie sind etwa nur für Frauen angelegt worden. Öffentlich und kostenlos zugängliche Freiräume gibt es auch, diese sind allerdings nicht schön gestaltet und vor allem nicht sicher. Deswegen gehen Frauen ohne männliche Begleitung nicht in diese Freiräume. Dass Frauen und Männer in Deutschland zusammen und unabhängig voneinander die öffentlichen Räume frei nutzen können und, dass in den öffentlichen Räumen keine solche Gefahr wie in ihren Heimatländern droht, führt zunächst zu weiteren Unsicherheitsgefühlen, sodass sie die Gewohnheiten aus den Heimatländern erst nach und nach ablegen. Die Unsicherheiten machen sich unter anderem auch darin bemerkbar, dass Geflüchtete weniger selbstbewusst in öffentlichen Räumen auftreten, versuchen nicht aufzufallen und sich an anderen Nutzern zu orientieren, weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen.

Aufgrund der vorhandenen Unterschiede zwischen der Aufnahme- und der Herkunftsgesellschaft, sprachlicher Barrieren, finanzieller Einschränkungen und des fehlenden Wissens können die Verunsicherungen und negativen Erfahrungen im schlechtesten Fall dazu führen, dass Geflüchtete öffentliche Räume meiden. Vor allem im Dunkeln suchen sie die öffentlichen Räume ungern auf, aber auch während des Ramadans gibt es Geflüchtete, die die öffentlichen Räume meiden, weil sie keine nackte Haut sehen dürfen. Ihre bisherigen Erfahrungen führen außerdem dazu, dass Geflüchtete Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Bereichen häufig nur an materiellen Regulationsformen erkennen, sie die öffentlichen Räume oft in großen Gruppen aufsuchen, die Kinder meist unbeaufsichtigt in den Freiräumen gelassen werden und dass einige (vor allem Frauen) nicht gerne allein in den öffentlichen Räumen sind. Auffällig ist außerdem, dass Geflüchtete ein anderes Freizeitverständnis haben. Sie verbinden ihre Freizeit und auch das Besuchen von Freiräumen häufig mit Lernen.

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5 Eine Freiraumgestaltung ist nicht erkennbar. Foto: Eigenes Werk, Steven Lek, 2014, CC BY-SA 4.0

Bei den Gründen für die Nutzung von öffentlichen Räumen wird deutlich, dass Freiräume eine wichtige Rolle für die Geflüchteten, ihre Integration und ihre Bedürfnisse spielen. Nach ihrer Aussage schätzen sie es in den öffentlichen Räumen mit anderen Menschen in Kontakt treten zu können, auch wenn einzelne negative Erfahrungen gemacht haben. Als Gründe wurden beispielsweise genannt, andere Menschen zu treffen und zu beobachten, aber auch die Möglichkeit verschiedenen Aktivitäten an einem Ort nachgehen zu können, Ruhe zu suchen und zu finden, eine schöne Gestaltung und viel Grün. Ein weiterer Grund sind organisierte Ausflüge oder integrative Angebote, bei denen vor allem gemeinsame Aktivitäten im Vordergrund stehen. Dazu gehören zum Beispiel Interkulturelle Gärten, Grillen oder Picknicken im Park, Nachbarschaftsfeste, Bücherbasare, aber auch Kurse zum Fahrrad fahren oder schwimmen lernen. Zum einen fehlt in den Unterkünften meist der Platz für solche Aktivitäten und zum anderen bieten diese integrativen Angebote eine Möglichkeit, mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen.

Die gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen es, die Freiraumbedürfnisse der Geflüchteten entsprechend der Maslowschen Bedürfnispyramide zu kategorisieren (s. Tab. 01). Sie unterscheiden sich in ihrer Intensität von denen nicht geflüchteter Menschen, prägen sich aufgrund ihres Fluchthintergrundes und ihrer aktuellen vom Fremden dominierten Situation unterschiedlich stark aus und verstärken sich zusätzlich im Kontext des Integrationsgedankens. Geflüchtete benötigen vor allem einen informativen Zugang zu den öffentlichen Räumen, die ein Gleichgewicht zwischen Rückzugsgelegenheiten einerseits und Gelegenheiten zum Kontakteknüpfen andererseits schaffen müssen. Sie bevorzugen Grünflächen, zentrale Plätze, Spielplätze und Flohmärkte (in ihrer Heimat waren es eher beliebte Stadtteile, Straßencafés und Teehäuser). Grund dafür ist, dass die Sicherheitsbedürfnisse und die sozialen Bedürfnisse von Geflüchteten besonders stark ausgeprägt sind und viele Bereiche des alltäglichen Lebens betreffen. Gleichzeitig haben sie Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung und Souveränität im Sinne einer unabhängigen Alltags- und Freizeitgestaltung sowie einem Zugang zu Freizeit-und Bildungsangeboten.

Auch wenn die dargestellten Erkenntnisse aus meiner Masterarbeit nicht als repräsentativ gelten, dementsprechend keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit haben und die Geflüchteten als FreiraumnutzerInnen sehr vielfältig sind (z. B. bzgl. ihres Herkunftslandes, Geschlecht, Alter, Familienstand, Bildung, Religion usw.), wird deutlich, dass es Unterschiede zwischen den Geflüchteten und in Deutschland sozialisierten Personen gibt, die zukünftig insbesondere von den Städten/Gemeinden und den planerischen Disziplinen bei einem Planungs- und Umgestaltungsprozess berücksichtigt werden sollten. Folglich sollten sowohl die Geflüchteten als auch alle anderen NutzerInnen miteinbezogen werden. Ein Blick auf Planungsbeispiele unterstützt diese Forderung, denn bislang gibt es selten eine integrative Freiraumplanung, die die Bedürfnisse sowohl der Geflüchteten als auch der anderen NutzerInnen berücksichtigt.

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6 Aspekte, die die Integration in öffentlichen Räumen beeinflussen. Abb.: Mira Degenhardt

Anhand der in der Masterarbeit betrachteten Praxisbeispiele konnten zum einen verschiedene Handlungsebenen und zum anderen verschiedene Wirkungsgrade des Integrationspotenzials festgestellt werden. Das Integrationspotenzial wird sowohl von den Handlungsebenen als auch von den individuellen Lebens-/Wohnsituationen der Geflüchteten und ihrem Zugang zu vorhandenen Angeboten beeinflusst. Die Handlungsebenen unterscheiden - entsprechend dem Verständnis von öffentlichen Räumen - zwischen privaten bis halböffentlichen Freiräumen (unterkunftsbezogener Freiraum), halböffentlichen bis öffentlichen Freiräumen (eingeschränkte öffentliche Räume, häufig innerhalb von Gemeinschaften) und öffentlichen Räumen ohne Einschränkungen. Die Abbildungen 3-5 zeigen, wie unterschiedlich, unterkunftsbezogene Freiräume gestaltet sein können.

Gleichzeitig bedeutet das, dass es weitere Forschungen über Geflüchtete, ihre (Freiraum-) Bedürfnisse und ihre Verhaltensweisen in den öffentlichen Räumen braucht, um die öffentlichen Räume integrativ und für alle attraktiv zu gestalten. Die Städte können mit ihrer lokalen Politik sowohl die Aspekte einer Systemintegration als auch die Erfüllung der erfassten Bedürfnisse beeinflussen. Es ist ihre Aufgabe, Flächen für Begegnungsräume freizuhalten und zur Verfügung zu stellen und den Zugang zu diesen zu vereinfachen. Gleichzeitig können sie mithilfe von Integrationskonzepten allgemeine und auch freiraumplanerische Maßnahmen zur Förderung der Integration und zur Erfüllung der Bedürfnisse vorgeben.

Die Bevölkerung wird dazu animiert, die Freiräume zu nutzen und länger in diesen zu verweilen, wenn verschiedene Voraussetzungen erfüllt sind. Hierzu zählen beispielsweise:

  • das Schaffen eines Gleichgewichtes in öffentlichen Räumen von gemeinsam nutzbaren Bereichen mit flexiblen Nutzungsmöglichkeiten und Rückzugsorten
  • variantenreiche Möblierungen, die bewusst platziert sind,
  • eine erhöhte Qualität und Attraktivität des Wohnumfelds und der öffentlichen Räume,
  • und daraus hervorgehend die Entstehung öffentlicher Freiräume der Begegnung, des Austausches, der Interaktion und der gemeinsamen Aktivitäten.

Folglich sind mehr Menschen präsent, sodass Begegnungen unterschiedlichster Intensitätsstufen stattfinden können. Dies bedeutet im Umkehrschluss entsprechend der Kontakthypothese, dass Vorurteile und Unsicherheiten abgebaut werden, was sich wiederum auf die verschiedenen Aspekte der Integrationsprozesse (wie Sprache, Bildung und Arbeitsplatz, s. Bild 06) auswirkt. Dies trägt zu einer erfolgreichen Integration der Geflüchteten bei. Letztendlich könnten die öffentlichen Räume Orte der Integration sein, von denen alle NutzerInnen profitieren

M.Sc. Mira Degenhardt
Autorin

Landschaftsarchitektin

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