Bedeutung von Verdunstungsflächen in Städten steigt

Optimierung naturnaher Regenwasserbewirtschaftung

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Regenwassermanagement Wasser in der Stadt
Dachbegrünung als mögliche Maßnahme. Foto: Prof. Dr. Yvonne-Christin Bartel

Erhöhte Lufttemperaturen und Überschwemmungen nach Starkregenereignissen sind Begleiterscheinungen des zunehmenden Städtewachstums und der daraus resultierenden Versiegelung und Verknappung von Vegetationsflächen in Stadt und Landschaft. Bereits 2015 lebte mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in städtischen Ballungszentren. Für das Jahr 2025 wird prognostiziert, dass sich der Anteil auf 60 Prozent erhöhen wird, was etwa fünf Milliarden Menschen entspräche, (vgl. BUA, 2015). Simultan wird demnach der Versiegelungsgrad kontinuierlich steigen, womit sich die Städte zukünftig weiter konfrontiert sehen.

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Viele Kanalisationssysteme und Flüsse sind bereits heute nicht mehr in der Lage, die Abflussspitzen von Starkregenereignissen stark versiegelter Bereiche aufzunehmen. Statistische Auswertungen des Deutschen Wetterdienstes weisen zudem auf eine Reduzierung der Niederschlagshäufigkeit, bei gleichzeitig zunehmender Niederschlagsmenge hin, was die aktuelle Problematik der Regenwasserbewirtschaftung von Städten weiter verschärft. Im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe wurde diese Problematik unter besonderer Berücksichtigung des natürlichen Wasserkreislaufes beleuchtet.

Der Wasserhaushalt

In Anbetracht der fortschreitenden Modifizierung der Landschaft und deren Einflüsse auf den Wasserhaushalt, muss die Systematik des Wasserkreislaufes näher betrachtet werden. Dieser beschreibt den Austausch von Wasser zwischen den Ozeanen, der Atmosphäre und dem Festland der Kontinente. Das Wasser gelangt über Verdunstung in die Atmosphäre. Durch die Bewegungen der Luftmassen wird die Feuchtigkeit transportiert und regnet als Niederschlag auf die Erdoberfläche ab. Anteilsmäßig fließt das Niederschlagswasser oberflächlich ab, versickert und verdunstet durch Evaporation und Transpiration. Der Wasserhaushalt definiert sich somit aus der mengenmäßigen Erfassung und Bilanzierung der einzelnen Bestandteile des Wasserkreislaufes. Niederschlag (N), Verdunstung (V), Grundwasserneubildung (G) und Abfluss (A); innerhalb eines räumlichen und zeitlichen Bezugsystems ergibt sich daraus beispielsweise eine Jahres- oder Monatsbilanz für ein definiertes Gebiet. Somit können die Zusammenhänge des Wasserkreislaufes verkürzt über die Wasserbilanzgleichung N=A+G+V beschrieben werden.

Auf natürlichen oder naturnahen Flächen mit standortangepasster Vegetation verdunstet der größte Anteil des anfallenden Niederschlags mit etwa 60 bis 70 Prozent. Eine geringere Menge mit etwa 20 bis 30 Prozent versickert und lediglich ein kleiner Anteil mit häufig weniger als zehn Prozent fließt oberflächlich ab. Doch aufgrund des hohen Versiegelungsgrades in Städten ist die natürliche Wasserbilanz gestört. Durch den erhöhten Oberflächenabfluss und aufgrund des schnellen Ableitens des Niederschlagswassers in stark versiegelten Bereichen, kommt es neben einem reduzierten Versickerungsanteil vor allem zu einer Verminderung der Verdunstung.

Die Niederschlagsverteilung in Städten

Welchen Einfluss die urbanen Strukturen von Großstädten und Ballungszentren auf die Niederschlagsverteilung haben, ist in der Literatur wegen unzureichender Datenlage noch nicht abschließend geklärt. Städte können wegen ihrer Strukturen jedoch modifizierend auf die Niederschlagsverteilung einwirken. Gründe dafür sind eine erhöhte Energieumsetzung in Wärme, eine größere Oberflächenrauigkeit, der Ausstoß von Aerosolen und die Veränderung des Wasserdampfgehaltes in der Luft, (vgl. Endlicher, 2012). In diesem Zusammenhang weist Pagenkopf am Beispiel von Berlin nach, dass an der Mehrheit der Tage mit Niederschlag eine positive Lee-Anomalie auftritt. Diese kann bis zu zehn Prozent des mittleren Niederschlags auf der Lee-Seite betragen. Demgegenüber konnte jedoch ebenso nachgewiesen werden, dass für den Innenstadtbereich eine negative Anomalie zu beobachten ist. Im Innenstadtbereich, welcher gegenüber dem Umland generell höhere Lufttemperaturen aufweist, kann demnach von einem verminderten Niederschlagsmittelwert ausgegangen werden. Da Niederschlag erst durch Verdunstung entsteht, kommt es durch den Mangel an Feuchtigkeitsnachschub zu einer verminderten Niederschlagsbildung in den Wolken. (vgl. Pagenkopf, 2010) Durch anthropogene Veränderungen des kleinen Wasserkreislaufs einer Stadt, kommt es zu einem "Schneeballeffekt", der eine Überwärmung und Austrocknung der Städte zur Folge hat.

Um diesen Effekt näher betrachten zu können, wird zwischen dem großen und dem kleinen Wasserkreislauf unterschieden. Der kleine Wasserkreislauf, auch geschlossener Wasserkreislauf genannt, beschreibt den Niederschlag, der durch die Verdunstung über einem Gebiet entsteht und auch auf diesem wieder abregnet. In einer Region, in der beispielsweise 720 Millimeter Niederschlag im Jahr fallen, werden lediglich 310 Millimeter von den Ozeanen durch Luftmassen herangetragen. Der größere Teil des Niederschlages über der Region, wird mit etwa 410 Millimeter durch Verdunstung eines lokalen Gebietes gespeist, (vgl. KravC?ík et al., 2007, S.17).

Durch die reduzierte Verdunstung entsteht eine starke Divergenz der Temperaturen zwischen der Stadt und dem Umland. Durch diesen erhöhten Temperaturunterschied findet ein verstärkter Austausch der Luftmassen durch Luftströme statt, die das Wasser mit der warmen Luft wegtragen und erst in vegetationsreicheren Regionen mit höherer Verdunstungsleistung niederregnen lassen. Das ist oftmals das Umland auf den Lee-Seiten von Städten und Ballungszentren. Ein weiterer Grund für die veränderten hydrologischen Verhältnisse in Städten kann zudem sein, "dass die geringere relative Luftfeuchtigkeit über großen, stark versiegelten Stadtgebieten eine erhöhte Verdunstung des Niederschlags schon beim Fallen durch die Stadtatmosphäre hervorruft", was als weiterer Faktor für das direkt über der Stadt befindliche Niederschlagsminimum denkbar ist, (vgl. Pagenkopf, 2010, S. 81f.).

Andere Quellen beschreiben demgegenüber eine Erhöhung der Niederschläge durch städtische Räume, was nach KravC?ík et al unter anderem auf ungleichmäßig verteilte, kurze und sehr starke Niederschläge aus dem großen Wasserkreislauf zurückzuführen ist. Für die Entwässerungsinfrastruktur und die städtische Vegetation sind gleichmäßiger verteilte Niederschläge vorteilhafter, als Starkregenereignisse nach längeren Trockenphasen.

Die endgültige Bedeutung der Verdunstung für das lokale und sogar globale Klima sind noch weiter zu erforschen, um genauere Aussagen treffen zu können und diesen Aspekt verstärkt in klimatischen Modellen zu berücksichtigen.

Die natürliche Wasserbilanz

Um das Gelichgewichtsverhältnis der zeitlichen und räumlichen Niederschlagsverteilung in Siedlungsräumen zu verbessern, müssen vermehrt städtebauliche Planungen auf die Reduzierung des Oberflächenabflusses und die Erhöhung der Versickerung, vor allem aber die Verbesserung der Verdunstungsleistung eines Gebietes, ausgelegt werden. Ein wesentliches Ziel für die Planung eines Regenwasserbewirtschaftungssystems in städtischen Bereichen, sollte somit die Annäherung an den natürlichen Wasserhaushalt darstellen. Noch stellen die Erhöhungen der Anteile an Verdunstung und der Grundwasserneubildung häufig keine festen Zielgrößen für die meisten Generalentwässerungspläne dar. Zielgrößen in heutigen Entwässerungsplänen sind in der gängigen Praxis dagegen häufig durch den Maximalabflusswert definiert. Der absolute, in Liter pro Sekunde oder als Abflussspende in Liter pro Sekunde und Hektar angegebene Wert, orientiert sich jedoch oftmals an den hydraulischen- und technischen Randbedingungen des vorhandenen Entwässerungssystems anstatt an der natürlichen Wasserbilanz, (vgl. Sieker, 2003). Da die Voraussetzungen für die Umsetzung nachhaltiger und ökologischer Regenwasserbewirtschaftungskonzepte zu unterschiedlich sind und je nach Gebiet von zu vielen Einflussfaktoren abhängt, lässt sich keine pauschale Aufteilung für Stadtgebiete festlegen. Ziel des Regenwassermanagements in Siedlungsbereichen sollte daher nicht die exakte Einhaltung der natürlichen Wasserbilanz sein, sondern die Angleichung an die natürliche Wasserbilanz unter Einhaltung einer Toleranzgrenze. Die zulässige Abweichung könnte abhängig von örtlichen Randbedingungen in einem Plan verbindlich festgelegt werden. (vgl. Sieker et al., 2003)

Die lokalen Voraussetzungen hängen unter anderem von naturräumlichen, das heißt, geologischen und hydrologischen Einflussfaktoren, den siedlungsstrukturellen Einflussfaktoren wie der Flächennutzung und der Bebauungsstruktur sowie rechtlichen Einflussfaktoren, wie den Eigentumsverhältnissen ab, (vgl. Waldhoff et al., 2015, S.107).

Die bautechnischen Möglichkeiten und Maßnahmen zur Optimierung der Wasserbilanz in städtischen Bereichen sind nach heutigem Stand der Technik vielfältig. Dazu zählen prioritär die Entsiegelung von zuvor versiegelten Flächen sowie die Erhöhung der städtischen Vegetation, unter anderem durch eine Umnutzung als neue Grünflächen, oder durch die Aufwertung vorhandener Park- und Grünflächen. Vor allem in stark verdichteten Siedlungsstrukturen können je nach bautechnischen Voraussetzungen, Dach- und Fassadenbegrünungen eine verstärkte Verdunstung durch Transpirationsleistung hervorbringen.

Weitere Möglichkeiten sind zudem die Erstellung von Versickerungsmulden, Sickerbeeten und Retentionsbecken. Bei letzteren kann durch die Kombination aus Wasser- und Grünfläche eine hohe Verdunstung erreicht werden.

Für die Bilanzierung des Wasserhaushaltes werden zunächst die möglichen Auswirkungen der einzelnen Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserbilanz auf den Wasserhaushalt eines Gebietes abgeschätzt. Dazu werden Ansatzwerte in Form von Aufteilungsbeiwerten quantifiziert, sodass eine Bewertung von einzelnen Maßnahmen und Teilflächen erstellt werden kann. Die sogenannten Aufteilungsbeiwerte sind "a" für den abflusswirksamen Anteil, "g" für den in das Grundwasser infiltrierenden Anteil und "v" für den Anteil des Niederschlagwassers, der durch Evapotranspiration der Verdunstung zugeführt wird. Im Rahmen der Bachelorarbeit wurden die entsprechenden Werte der in Siedlungsgebieten häufigen Oberflächen recherchiert und zur besseren Vergleichbarkeit mit einigen für viele Gebiete möglichen Maßnahmen ergänzt.

Aufgrund der unterschiedlichen Randbedingungen ist eine "optimale" Lösung jeweils situationsabhängig. In städtischen Bereichen geht es laut den Aufteilungsbeiwerten vor allem darum, den Verdunstungsanteil zu erhöhen. Somit lassen sich auch angesichts von Platzmangel und Kostendruck besondere Maßnahmen wie die Dach- und Fassadenbegrünungen realisieren.

Um sich der natürlichen Wasserbilanz annähern zu können, muss zunächst der Zielzustand des Wasserhaushaltes für ein definiertes Gebiet ermittelt werden und als Referenzzustand für die Angleichung dienen, sodass ein Soll-ist-Vergleich abgeleitet werden kann. Für die Definition des natürlichen Wasserhaushaltes als Soll-Zustand für ein ausgewähltes Gebiet können beispielsweise die Datensätze herangezogen werden, die bei den geologischen Kartendiensten der Landesämter für die meisten Bundesländer flächendeckend vorliegen. Diese Daten geben Werte über Niederschlags-, Verdunstungs- und Versickerungsmengen an. Aufgrund ihrer großflächigen Betrachtung und der damit einhergehenden Ungenauigkeit, können diese Karten lediglich als Orientierung für den Referenzzustand dienen.

Zur Bewertung des Wasserhaushaltes im Ist-Zustand wird im Rahmen der Bachelorarbeit empfohlen, die unterschiedlichen Flächentypen aus Tabelle 1 mit ihren jeweiligen Wasserbilanzwerten zu betrachten. Über die Massenermittlung der einzelnen Teilflächen eines definierten Gebietes, kann über einfache Multiplikation der Flächen mit den jeweiligen Aufteilungsbeiwerten und anschließender prozentualer Darstellung die Verteilung der Wasserbilanzgrößen im Ist-Zustand ermittelt und ausgewertet werden.

Zumeist fällt bei der Auswertung dieser Soll-Ist-Vergleiche auf, dass vor allem in Städten der Abfluss stark erhöht ist, was in den jeweiligen Bilanzen oftmals vielmehr zu Lasten der Verdunstung als zu Lasten der Versickerungsanteile geht. Vor diesem Hintergrund sind die Verbesserungsmaßnahmen für die Wasserbilanz vorrangig auf die Erhöhung der Verdunstung auszulegen, anstatt wie in der Regel heute noch üblich, das Wasser über Versickerungsanlagen dem Grundwasser zuzuführen.

Zusammenfassend kann demnach festgehalten werden, dass der bewusste Umgang mit Regenwasser einen großen Beitrag zum Umweltschutz liefert. Es müssen verstärkt neue Wege für den Umgang mit Regenwasser eingeschlagen werden, um auch in Zukunft den natürlichen Wasserkreislauf in großen Siedlungsgebieten zu erhalten. Das ist einerseits wichtig, um ein Austrocknen der Städte und Metropolen der Zukunft weltweit zu reduzieren und andererseits Überschwemmungen durch seltene, aber sehr starke Niederschlagsereignisse zu vermindern. Daraus wird deutlich, dass es in Zukunft unumgänglich ist, den Vegetationsanteil in Städten zu erhöhen, um somit den Oberflächenabfluss in bestimmten Gebieten zu reduzieren und gleichzeitig die Versickerung und Verdunstung zu erhöhen. Nur so kann wieder ein natürliches Gleichgewicht in der Wasserbilanz in Ballungszentren erreicht werden. Dies ist vor allem in Zukunft wichtig, da auf die wachsenden Städte weltweit neue Probleme in Bezug auf die Wasser, Ver- und Entsorgung zu kommen.

Die Bedeutung der Verdunstung für natürliche klimatische Prozesse muss somit zunehmend in der städtebaulichen Planung berücksichtigt und umgesetzt werden. Somit wird auch in Zukunft der nachhaltige Umgang mit Regenwasser eine entscheidende Aufgabe des Städtebaus bleiben.

Literatur

Endlicher, W. (2012): Einführung in die Stadtökologie, Eugen Ulmer KG, Stuttgart.

KravC?ík, CSc., RNDr. Jan Pokorny´, CSc., Ing. Juraj Kohutiar, Ing. Martin Kovác?, RNDr. Eugen Tóth (Hrsg.) (2007): Water for the Recovery of the Climate - A New Water Paradigm, Municipalia a.s. and TORY Consulting a.s., Z?ilina.

Kuttler (2013): Klimatologie, Schöningh, Paderborn.

Pagenkopf, Dipl.-Geogr. Anja (2010): Urbane Niederschlagsbeeinflussung. - Genese und räumliche Differenzierung am Beispiel von Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin - Geographisches Institut, Berlin.

Schmidt, M. (2009): Rainwater Harvesting for Mitigating Local and Global Warming. Fifth Urban Research Symposium 2009: "Cities and Climate Change: Responding to an Urgent Agenda". Marseille, France.

Schmidt, M. (2010): A New Paradigm in Sustainable Land Use. Topos 70, Callwey Verlag.

Sieker, F. & H. Sieker & S. Bandermann & V. Huhn & A. Stecker (2003): Naturnahe Regenwasserbewirtschaftung in Siedlungsgebieten. Grundlagen und Anwendungsbeispiele - Neue Entwicklungen. 3. Auflage, Expert Verlag, Renningen.

Sieker, F. & M. Kaiser & H. Sieker (2006): Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung im privaten, gewerblichen und kommunalen Bereich. Grundlagen und Ausführungsbeispiele, Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart.

Umweltbundesamt (2005): Versickerung und Nutzung von Regenwasser. Vorteile, Risiken, Anforderungen, Dessau.

Waldhoff, A. & G. Bischoff & T. G. Schmitt & K. Krieger & J. Ziegler (2015): Strukturplan Regenwasser 2030. Zukunftsfähiger Umgang mit Regenwasser in Hamburg, Hamburger Stadtentwässerung AöR (HSE) & Behörde für Umwelt und Energie (BUE), Hamburg.

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