Internationale Konferenz "Panacea Green Infrastructure?"

Praktiker und Visionäre debattieren über grüne Städte der Zukunft

Ist urbanes Grün das Allheilmittel - Panacea bezeichnet die altgriechische Göttin des Heilens - für die Herausforderungen, vor denen Stadtentwickler in ganz Europa stehen? Um diese Frage kreiste die Tagung von rund einhundert Wissenschaftlern, Stadtplanern und Landschaftsarchitekten, die Mitte Februar in Essen stattfand. Ein symbolträchtiger Ort, hatte die Europäische Kommission die an Industriebrachen reiche Ruhrmetropole doch unlängst zur Grünen Hauptstadt Europas 2017 ernannt.

Von akademisch-visionär bis praxisorientiert

Veranstalter der Konferenz war das in Dortmund ansässige Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS). In enger Zusammenarbeit mit weiteren Partnern aus dem stadt- und regionalwissenschaftlichen Forschungsnetzwerk Ruhr (SURF) hatte das ILS ein vielfältiges Tagungsprogramm zusammengestellt. Finanziell unterstützt wurde die Konferenz durch die Stadt Essen und den Regionalverband Ruhr.

Am ersten Tag sprachen Referenten aus dem In- und Ausland sowohl akademisch-visionär als auch praxisorientiert über die Bedeutung grüner Infrastruktur für unsere Städte. An Tag Zwei standen für die Tagungsteilnehmer, die sich nicht vom regnerisch-trüben Wetter abschrecken ließen, die Exkursionen "Change: "From Grey to Green Infrastructure", "Green Infrastructure" sowie "Old Industries" zur Auswahl. Letztere bot beispielsweise allerlei Wissenswertes über das industrielle Erbe Essens und beinhaltete einen Besuch des Hauptquartiers von ThyssenKrupp und der Welterbestätte Zeche Zollverein.

Die Bedeutung urbanen Grüns ist bei der Politik angekommen

Den Reigen der Referenten an Tag Eins eröffnete ein Gast aus der Politik: Johannes Remmel (Bündnis 90/Die Grünen), der Umweltminister Nordrhein-Westfalens. Der Politiker verortete das Thema der Konferenz sogleich in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang, indem er auf den Klimawandel, das Artensterben und die Luftverschmutzung verwies. Die Jahrhundertaufgabe, alldem beizukommen, bricht sich laut Remmel vor allem in den Städten, die ein immer größeres Bevölkerungswachstum verzeichnen. Somit sei das Thema grüne Infrastruktur in Städten ein Leitfaden für Veränderungsprozesse zu mehr Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein.

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Fachtagungen und Kongresse
Dr. Ian Mell, Dozent an der University of Manchester, warnte vor grünen Infrastrukturprojekten, die über die Köpfe der Bürger hinweg umgesetzt werden. Foto: Hendrik Behnisch

Durch den Vortrag Remmels wurde deutlich, welch immense diskursive Aufwertung das urbane Grün seitens der Politik in den letzten Jahren erfahren hat - nicht zuletzt durch das Weißbuch der Bundesregierung "Grün in der Stadt", das Anfang Mai ebenfalls in Essen vorgestellt wird.

Appelle aus dem Vereinigten Königreich

Der internationale Charme der Tagung entfaltete sich erstmalig im Vortrag von Dr. Ian Mell, der als Dozent an der University of Manchester arbeitet. Der Geograf fesselte die Aufmerksamkeit des Publikums nicht nur durch klangvolles British English, sondern vor allem durch seinen hohen Praxisbezug. Mell hatte eine politische Botschaft: Das urbane Grün müsse zuallererst im Sinne der Bürger konzipiert und entwickelt werden. Idealerweise, so der Brite, würden sich in grüner Infrastruktur das Wohlbefinden der Menschen und das Funktionieren eines Ortes verbinden - doch gerade das sei nicht der Regelfall. Grünflächen können Konkurrenz zu Wohnraum darstellen, gerade in Ballungsräumen, und oft stehe das urbane Grün nicht allen Anwohnern bedingungslos zur Verfügung. Von Grünflächen, für deren Pflege die finanziellen Mittel fehlen und daher zu Enklaven von Drogendealern und Prostituierten werden, ganz zu schweigen. Mell mahnte, dass grüne Infrastrukturprojekte mitunter zwar objektiv geboten sein können, aber für die Anwohner dennoch nicht wünschenswert seien. Der Brite wurde nicht müde zu betonen, dass landschaftsplanerische Konzepte nicht über die Köpfe der Bürger hinweg entwickelt werden dürfen. Ein kontroverses Beispiel dafür sei die geplante eintrittspflichtige Londons Garden Bridge, auf der sich nur eine überschaubare Anzahl Gäste gleichzeitig werde aufhalten können.

Das öffentliche Grün als Motor der Essener Stadtentwicklung

Essens Umweltdezernentin Simone Raskob, die die Bewerbung um die Grüne Hauptstadt Europas initiiert hatte, erinnerte in ihrem Vortrag nochmals daran, welch Erfolgsgeschichte die Ruhrmetropole verkörpert. Dank des jahrzehntelang forcierten Wandels von grauer zu grüner Infrastruktur - am besten sichtbar in den bundesweit bekannten Leuchtturmprojekten Grugapark und Emscher Landschaftspark - sei Essen mittlerweile die drittgrünste Stadt der Republik. Raskob betonte abschließend, dass die Stadt noch ein eigenständiges Grünflächenamt habe und dies keinen Verwaltungsreformen zum Opfer fallen dürfe. Schließlich bündele sich dort die Expertise, um die Ruhrmetropole in eine noch grünere Zukunft zu führen. Der Leitspruch "Mein grünes Essen. Erlebe dein grünes Wunder" solle auch über das Grüne Hauptstadtjahr 2017 weiterhin Bestand haben.

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Rikke Hedegaard Christensen von der Stadt Kopenhagen stellte als stadtplanerisches Praxisbeispiel die Begrünungsstrategie "Urban Nature in Copenhagen 2015–2025" vor. Foto: Hendrik Behnisch

Urbane Natur in Kopenhagen

Die Perspektive der Konferenz war, dem Selbstverständnis des ILS entsprechend, gesamteuropäisch. Als die Dänin Rikke Hedegaard Christensen ans Rednerpult trat, wurde schnell klar, dass Essen sich in einer luxuriösen Lage befindet, was grüne Nutzungspotenziale anbetrifft. Während dort das halbe Stadtgebiet unversiegelt ist, mangelt es der dänischen Hauptstadt Kopenhagen an Grünflächen. Das ist umso prekärer, da die skandinavische Metropole keine zusammenhängenden, flächendeckenden Grünräume aufweist, sondern nur einzelne Grüninseln. Diese können der rasant steigenden Bevölkerungszahl als Erholungsräume kaum gerecht werden. Deshalb hat die Stadtverwaltung, bei der Christensen arbeitet, die Strategie "Urban Nature in Copenhagen 2015-2025" entwickelt. Wegen des allgemeinen Platzmangels in der dänischen Hauptstadt werde Stadtnatur nun in Form von Gründächern, Fassadenbegrünungen und begrünten Innenhöfen entwickelt. Einigen Maßnahmen war Unmut in der Bevölkerung vorausgegangen: Die allgemeine Baum-Armut etwa habe immer wieder zu Beschwerden der Bürger geführt, auf die die Stadt nun mit der "Kopenhagen Baumpolitik 2016-2025" reagiert habe - es werden in den kommenden acht Jahren 100.000 neue Stadtbäume gepflanzt. Auch sonst zeigt sich die Stadtverwaltung engagiert: Seit den 1990er-Jahren sind fast alle Innenhöfe der dänischen Hauptstadt in Partnerschaft zwischen Stadt und privaten Grundbesitzern renoviert und begrünt worden.

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Am zweiten Veranstaltungstag rundeten parallel stattfindende Exkursionen das Programm ab. Hier ein Eindruck von der Tour "Old Industries" an der Zeche Zollverein. Foto: Hendrik Behnisch

Gemeinsam an einem grünen Strang ziehen

Am Nachmittag des ersten Veranstaltungstages fanden parallele Sitzungen statt, die das Thema der Konferenz weiter ausdifferenzierten. Zum Thema soziale und gesundheitliche Dimensionen grüner Infrastruktur wurden verschiedene Forschungsprojekte vorgestellt, wie etwa "Improving Wellbeing through Urban Nature" (IWUN) von der Britin Nicola Dempsey, die an der University of Sheffield arbeitet. Dempsey und ihr Team untersuchen seit Juni 2016 durch Interviews, wie sich grün-blaue Infrastruktur auf das Wohlbefinden von Menschen auswirkt. Dadurch leisten sie auch einen Beitrag zur Bewusstseinsschärfung der Bürger, was den Wert urbanen Grüns anbelangt. Die Nachmittagssitzungen gewährten interessante Einblicke in den Forschungs- und Debattenstand zum urbanen Grün an deutschen und britischen Universitäten. Der intimere Charakter der Sitzungen (es waren jeweils rund acht bis zehn Zuhörer im Raum) regte Diskussionen an, die am Vormittag aufgrund des straffen Zeitplans noch nicht zustande gekommen waren. Doch nicht nur dadurch ist der Plan der Veranstalter, Experten aus Theorie und Praxis zum Gedankenaustausch zu animieren, aufgegangen. Auch die informellen Gespräche in den Kaffee- und Mittagspausen trugen entscheidend zu der offenen Atmosphäre der Tagung bei, von der die Teilnehmer sicher viele interessante Impulse mit nach Hause genommen haben. Hendrik Behnisch

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