Potenziale urbaner Agrikultur für die Zukunft der Stadt

Produzieren, Begegnen, Mitmachen, Lernen und Genießen

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Urban Gardening Freiraumplanung
Die Projekte können Anknüpfungspunkte für einen Planungsdialog und eine lokale Beteiligungskultur bieten. Foto: Verone Stillger

Inzwischen lebt mit Beginn des 21. Jahrhunderts der überwiegende Teil einer wachsenden Weltbevölkerung in Städten und Ballungsräumen. Drei von vier Europäern leben in Städten.¹ Mit dieser Entwicklung geht ein steigender Verbrauch an Ressourcen und Nahrungsmitteln, aber auch ein erhöhter Druck auf Freiräume einher. Die komplexer werdende Gesellschaft stellt höhere Anforderungen an die Lebensqualität. Eine Veränderung von Konsummustern und Lebensstilen ist zu beobachten. Beispiele sind Individualisierungstendenzen und der Wunsch nach Regionalität. Gleichzeitig werden Städte zum Raum für politische Aktivitäten, zum Beispiel unter Slogans wie "Stadt für alle" oder "Wir sind die Stadt". Unter Begriffen wie Pop-up Urbanism, Zwischennutzung, Do It Yourself-Kultur oder Commons-Bewegung fügt sich auch das Urban Gardening ein und wird Bestandteil des sich verändernden Verständnisses von Stadt. Die Stadt wird vom Lebensumfeld zum Entfaltungsraum: Ein Ort, der aktiv gestaltet und genutzt wird.² Bei Teilen der Stadtbevölkerung ist ein Bewusstseinswandel erkennbar: Zum urbanen Lebensgefühl gehört nicht mehr nur die Nähe zum Städtischen, sondern auch ein Bezug zum Ländlichen. Dabei geht es vielen nicht mehr darum, vorne den Kudamm und hinten die Ostsee zu haben - sie wünschen sich eine "Erdung". In angemessenen Größen sollen Elemente des ländlichen Milieus in den städtischen Alltag einfließen. Ein steigendes Interesse an Pflanzen, an Ernährung, der Produktion von Lebensmitteln und Mitentscheiden und gemeinsamem Gestalten drückt sich aus in sehr unterschiedlichen Initiativen und Projekten.

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Kategorisierung von Projekten der urbanen Agrikultur nach Heuschkel et al. 2015 3. Grafik: Daniel Janko

Zukunft Lebensraum Stadt

Um zu erforschen, wie Städte zukünftig nachhaltiger und lebenswerter gestaltet werden können, hat die Hochschule Osnabrück den Binnenforschungsschwerpunkt (BFSP) "Zukunft Lebensraum Stadt" eingerichtet, der sich im Kern mit verschiedenen Formen urbaner Agrikultur beschäftigt. Um herauszufinden, welchen Beitrag urbane Agrikultur zu einer nachhaltigen Entwicklung der Stadt leisten kann, sind elf unterschiedliche Fachgebiete beteiligt. Pflanzenbauliche, planerisch-gestalterische, ökonomische, ökologische und soziale Perspektiven fließen im BFSP ein. Für die Arbeit im Kontext von "Zukunft Lebensraum Stadt" haben sie sich die elf Fachgebiete in drei Perspektiven gruppiert:

  • P1 Perspektive Stadt- und Freiraumentwicklung
  • P2 Perspektive Ressourcen und Produktionssysteme
  • P3 Perspektive Akteure und Wertschöpfung.

Unter urbaner Agrikultur wird im BFSP jede Tätigkeit subsummiert, bei der pflanzliche und/oder tierische Rohstoffe gezielt erzeugt werden oder im Prozess entstehen. Weiterhin kennzeichnend sind soziale, ökologische, ökonomische oder gestalterische Beziehungen - zu urbanen Räumen in Ballungsgebieten sowie Groß- und Mittelstädten. Dieses weite Verständnis von urbaner Agrikultur umfasst auch aus sozialen Motiven bestehende Projekte. Der Mengenertrag tritt in der Bedeutung zurück. Andere Qualitäten und Dienstleistungen kommen hinzu, die mit der Erzeugung von Nahrungsmitteln in enger Verbindung stehen.³

Bei der empirischen Auseinandersetzung mit Phänomenen der urbanen Agrikultur werden sowohl große Ähnlichkeiten als auch Unterschiede deutlich. Als Grundlage für die interdisziplinäre Zusammenarbeit hat der BFSP eine übergreifende Typologie entwickelt.³ Zur Strukturierung werden die Formen der urbanen Agrikultur unter folgenden Gesichtspunkten typisiert (vergl. Abb. 2):

  • der Phänotyp, die äußere Erscheinungsform: zum Beispiel Sichtbarkeit, Wahrnehmbarkeit
  • der Genotyp, die innere Struktur: Nutzungsmöglichkeiten
  • die Funktion, die systemischen Zusammenhänge: Verknüpfung mit der Umgebung.

Um aktuelle Entwicklungen von urbaner Agrikultur und deren Bedeutung für die Zukunft des Lebensraumes Stadt zu erforschen, wurden unterschiedliche Lernorte ausgewählt. Sie stehen für die mit ihren vielfältigen Herausforderungen und Strategien der Stadtentwicklung beispielhaft für andere Städte im Bundesgebiet. Zudem liegen in ihnen praktische Erfahrungen mit Themenkomplexen der urbanen Agrikultur vor. Hier wurden zunächst Bremen, Hannover, Leipzig und der Hochschulstandort Osnabrück als Handlungsort ausgewählt.

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Die Leipziger Gärtnerei Annalinde, nicht zu verwechseln mit dem Gemeinschaftsgarten Annalinde, auf dem 2013 wieder in Nutzung genommenen Gelände der fast 150 Jahre alten Gärtnerei Toepel. Foto: Daniel Münderlein
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Auf einem ehemaligen Bunkergelände wird bei der Gemüsewerft in Bremen Aromahopfen angebaut für die neugegründete Braumanufaktur Hopfenfänger. Foto: Verone Stillger

Stadtentwicklungsprozesse werden durch ein komplexes System von Politik, Markt und Zivilgesellschaft bestimmt. Daraus resultiert in der Arbeit des BFSP ein Mix unterschiedlicher Methoden und wissenschaftlicher Arbeitsweisen. Ein Ziel der Forschungsperspektive Stadt- und Freiraumentwicklung ist es, eigene und selbstorganisierte Impulse aus der Bevölkerung zu unterstützen oder anzuregen. Aus ihnen wird für die Stadtentwicklung gelernt und sie werden für die Freiraumsicherung und -entwicklung produktiv gemacht. Dabei soll ein größeres Verständnis der unterschiedlichen, aktiven Ebenen entstehen, das in Handlungsempfehlungen für die Integration von urbaner Agrikultur in Stadtentwicklungsprozesse und -konzepte münden soll. Leitfragen sind:

  • An welchen Orten findet urbane Agrikultur statt? Welche Bewegungen gibt es hier? Was treibt die Akteure in den Projekten an: Welche Motive haben sie? Welche Ziele verfolgen sie? Welches strategische Handeln liegt den Projekten zugrunde?
  • Welche Funktion übernehmen diese Orte in ihrem städtischen Umfeld? Was ist an ihnen besonders, und wie lässt sich die Besonderheit beschreiben? Welche Freiraumtypen entstehen hier mit welcher Atmosphäre? Welchen Beitrag leisten sie damit für die Stadt- und Freiraumentwicklung?

So werden bei der räumlichen Analyse der Projektbeispiele nicht nur Faktoren wie Lage oder Größe berücksichtigt; es geht auch um das sensible Wahrnehmen ihrer Atmosphäre. Dieser Ansatz ermöglicht es, auch "ungeplante", scheinbar chaotische Phänomene zu untersuchen. Verbunden wird der Ansatz der Atmosphäre mit dem planungswissenschaftlichen Ansatz der Resilienz, bei dem es darum geht, urbane Systeme vielfältiger, robuster und vernetzter zu entwickeln. Dies meint weniger die Einführung technologischer Verbesserungen zur Steigerung der Ressourceneffizienz. Sie umfasst vielmehr einen soziokulturellen und gestalterischen Wandel, der von sozialen Innovationen der Bürgerschaft, des Lernens, Suchens und der Beteiligung geprägt ist. Deshalb verwendet der BFSP die Schreibweise Urbane AgriKultur. Zur Analyse konkreter Beispiele Urbaner AgriKultur werden beispielhafte Projekte und Betriebe in den drei Lernorten und darüber hinaus besucht, die ein Interesse an gärtnerischen Tätigkeiten insbesondere in städtischen Umfeldern zeigen. Mit Schlüsselpersonen werden vor Ort Gespräche geführt, um die Projekte zu porträtieren. (Details hierzu am Ende dieses Textes).

Erkenntnisse aus den Lernorten

Die Basis der in den Lernorten betrachteten Projekte, bildet das Interesse an gärtnerischen Tätigkeiten und dem Anbau von Lebensmitteln. Darauf aufbauend entstehen Orte des Austauschs und des Lernens. Viele Akteure sind Amateure (frz. = Liebhaber), die - im Gegensatz zum Profi - eine Tätigkeit aus Liebhaberei ausüben. Zugleich aber entfaltet sich aus diesen Impulsen neue Professionalität. Ein Beispiel hierfür ist die Gärtnerei Annalinde in Leipzig, die von Akteuren des Gemeinschaftsgartens Annalinde auf dem Gelände einer alten Gärtnerei im Leipziger Westen neu etabliert wurde.

Eine Leitidee vieler Akteure ist es, Orte der Wissensvermittlung, Naturerfahrung, Erholung und Inspiration zu schaffen. Verschiedene Projekte, wie der Vermehrungsgarten in Hannover und der Stadtgarten Connewitz in Leipzig behandeln Themengebiete aus der Bildung für nachhaltige Entwicklung, zum Beispiel nachhaltiger Umgang mit Lebensmitteln, ökologischer Anbau, geschlossene Kreisläufe sowie Saisonalität und Regionalität. Einige Gemeinschaftsgärten suchen gezielt nach regionalen Sorten und begreifen deren Anbau als Teil der kulturellen Identität.

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Das durch den Binnenforschungsschwerpunkt iniierte und im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik geförderte Projekt „Urbane Interventionen“ erprobt neue Partizipationskonzepte in der Stadtteilentwicklung in Osnabrück. Mehr Informationen gibt es im Blog www.ui-urbane-interventionen.de. Foto: Daniel Janko

So werden im Vermehrungsgarten Hannover nicht mehr im Handel erhältliche, derzeit fast verschollene Sorten vermehrt, auch weil sie besondere Geschmackserlebnisse bieten. Beispiele sind dort der Ewige Kohl und die Zwiebel Schodeler. Aber auch in anderen Projekten finden alte Sorten Verwendung, etwa die Leipziger Winterbohne im offenen Garten Querbeet in Leipzig, die Heckenzwiebel bei der Cityfarm Schönbrunn in Wien oder der Aromahopfenanbau bei der Gemüsewerft als Spiegel der jahrhundertelangen Bautradition in Bremen.

Nutzungen, die bislang mit ländlichen Räumen assoziiert wurden, finden inzwischen oft bessere Voraussetzungen in der Stadt. Ein Beispiel ist die Imkerei, die mittlerweile in vielen Städten praktiziert wird - auch an ungewöhnlichen Orten, wie auf dem Dach der Kunsthalle in Bremen oder auf dem Dach der ehemaligen Baumwollspinnerei in Leipzig. Hier produzieren Bienen Honig in Bio-Qualität mitten in der Stadt.

Die Orte, an denen Urbane AgriKultur entsteht, sind vielfältig. Auf Brachen, versiegelten Stadtplätzen oder stillgelegten Gärtnereigeländen entstehen neue, alternative Betriebe als gGmbHs, zum Teil in Kombination mit Qualifizierungs- oder Resozialisierungsprojekten, wie die Gemüsewerft und die Knastgewächse in Bremen und die Gärtnerei Annalinde in Leipzig. Öffentliche Freiräume werden als Orte einer geplanten Urbanität oft als zu eng, zu kalt oder zu festgelegt bewertet. Daraus entstehen Ausweichprozesse; Gemeinschaftsgärten werden als eine Art Nische entwickelt, die auch durch das Prozesshafte eine abweichende Erscheinung und Stimmung aufweisen. Sie entstehen als Orte der Begegnung und des Austauschs, deren Anlass ein im weitesten Sinne gärtnerisches Tun für sehr unterschiedliche Stadtbewohner ist. Die große Bandbreite der Aktiven fällt auf, sowohl bei Projekten mit Festangestellten als auch den ehrenamtlich Organisierten.

Spielerische Elemente und Kreativität zeigen häufig schon die Namen: Gemüsewerft Bremen, Querbeet Leipzig, ZwischenZeitZentrale Bremen, nomadisch grün gGmbH Berlin, citygemüse, KulturPflanzen e. V., Bunte.Beete.Devese Hannover und viele mehr.

Urbane AgriKultur kann neue Zusammenschlüsse ermöglichen und eine Kultur der Teilhabe, des Mitmachens und -gestaltens öffentlicher Räume befördern. Unterschiedlichste Aktivitäten sind Teil der Projekte: Kinderflohmärkte, Tauschbörsen, Konzerte, Feste, Poetry-Slams, Kochrunden, Open-Air-Kino, Workshops und vieles mehr. Viele Projekte kooperieren mit Kindergärten und Schulen, mit Geflüchteteneinrichtungen im Wohnumfeld, sind ein Teil von Netzwerken, zum Beispiel Social farmers oder kooperieren mit Hochschulen als Unterstützung und Reflektionshilfe.

Bei Projekten wie "Ab geht die Lucie" in Bremen ist es eine zentrale Idee, lebenswerte Räume und Experimentierfelder in der Stadt zu schaffen. Es geht um Aneignungsmöglichkeiten sowie darum, die Stadt selbst aktiv und zukunftsfähig mit-zugestalten.

Engagement ist die Summe vielfältiger emotionaler und rationaler Impulse sowie Abwägungen und orientiert sich deshalb an Vertrauen, Authentizität, Mitgestaltung und Spontanität. Viele der betrachteten Projekte greifen genau diese Aspekte auf. Sie sind Experimentierfelder, prozesshaft organisiert und bieten eine Möglichkeit, das Stadtbild zu gestalten. "Das gelingt dann, wenn wir selbst aktiv werden …, wenn ich in den Park gehe, kann ich ihn nicht gestalten, hier kann ich selber gestalten!" meint E. Kirschenmann vom Gemeinschaftsgarten Lucie-Flechtmann. Die Vorstellung von einem Ort, der sich stetig verändern kann durch Selbstorganisation und selbermachen zeigen verschiedene Projekte, etwa das PlatzProjekt in Hannover. Die Akteure bezeichnen es als kreative Keimzelle.

Bürgerinnen und Bürger, die sich in solchen Projekten engagieren, wollen etwas bewirken. Eine typische Motivation ist es, für etwas zu sein und nicht gegen etwas: für junge Leute, für alle Stadtbewohner, für ein lebendiges Stadtviertel, für die Kultur alter Pflanzensorten, für regionale und hochwertige Lebensmittel, letztlich für ein gemeinschaftliches Zusammenleben im Quartier.

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Eine ausleihbare Ausstellung mit Bannern auf LKW-Planstoff gibt einen Einblick in analysierte Projekte der Urbanen AgriKultur. Foto: Bettina Meckel

Von Bedeutung ist auch die Katalysator-wirkung, die von solchen Projekten für die Bevölkerung ausgehen kann. Sie bieten Anknüpfungspunkte für einen kommunikativen Planungsdialog und eine lokale Beteiligungskultur. Es werden keine Gestaltungswünsche ermittelt, sondern zahlreiche Projekte umfassen eine aktive Teilhabe an der Gestaltung des urbanen Raumes: eine ortsbezogene, handlungsorientierte und kooperative, kreative Beteiligung. Die Projekte werden als persönliche und städtische Bereicherung empfunden und ermöglichen ein Mehr bei den Beteiligten: mehr Wissen, mehr Kontakte, mehr Vernetzung mit dem Umfeld, mehr Entfaltung, Ideen und Lösungen sowie mehr Lebensqualität.

Integration entsteht vor allem durch kommunikative Situationen. In der Urbanen AgriKultur kann sich ein Garten zu einem Ort interkultureller Begegnung entwickeln und das Gärtnern in der Gemeinschaft oder die Beschäftigung mit dem Werden und Gedeihen, zu einem verbindenden Element werden. Zwei Beispiele: "Salz in die Suppe" heißen kulinarische Abende gemeinsam mit AsylbewerberInnen im offenen Garten Querbeet in Leipzig. "Offene Gartentore für Flüchtlinge" im Internationalen Garten im Bremer Westen ermöglichen es, den Garten kennen zu lernen, bei einem der Beete oder bei Gemeinschaftsarbeiten mitzumachen, ein bisschen Deutsch zu lernen und den Garten zu genießen.

Auch (temporärer) Leerstand wird als eine Chance für neue Ideen, Kommunikation und Vernetzung verstanden. "Es geht nicht mehr ums Haben, sondern um Teilhabe/ Mitmachen." So formuliert es M. Scheer von der Gemüsewerft in Bremen.

Der Gemeinschaftsgedanke in Kombination mit sozialen und politischen Motiven wird von zahlreichen Akteuren betont. Wichtig ist darüber hinaus für viele Initiativen eine Wertschätzung ihres Tuns in der Öffentlichkeit durch Medienberichte, Auszeichnungen, finanzielle Förderung oder eine Unterstützung durch städtische Gremien oder Institutionen.

Weniger beachtet werden im Zusammenhang mit Urbaner AgriKultur bislang Formen der Landwirtschaft mit Bezug zum städtischen Umfeld. Mehr Kontakte und Kommunikation sind durchaus auch ein Ziel von landwirtschaftlichen Betrieben im Stadtkontext. So möchte H. Kaemena vom gleichnamigen Spargel- und Erdbeerhof in Bremen "als Bauer den Verbrauchern nahekommen." Vernetzung und Kommunikation sind für ihn wesentliche Aspekte. Dazu nutzt er sechs temporäre Verkaufspavillons in den umliegenden Stadtteilen und gibt seinen Produkten ein Gesicht: Er verwendet individuell gestaltete Pappschalen zum Erdbeerverkauf mit dem Porträt von ihm und seiner Frau, um auf die lokale Herkunft von Spargel und Erdbeeren hinzuweisen. Außerdem informiert er auf der Webseite, über soziale Medien wie Facebook und Newsletter über Erntezeiten unterschiedlicher Erdbeersorten und deren Geschmacksunterschiede, bietet ein Rezeptbuch zu Erdbeeren und Spargel, kündigt Führungen an und zeigt den Anbauprozess.

Der Bio-Milchbetrieb Kaemena, nicht verwandt mit dem genannten Erdbeer- und Spargelhof, betreibt in der neunten Generation auf der Deichwarft Landwirtschaft. Er bietet an der wichtigsten Bremer Fahrradausflugsstrecke im Blockland Stallbesichtigungen und einen Milchautomaten zum Selbstabfüllen von frischer Milch in Pfandflaschen an. Aber vor allem fließen 20.000 bis 25.000 Liter der jährlich auf dem Hof produzierten Milch in die Produktion von Bio-zertifiziertem Speiseeis: Quark-Sesam, Mohn, Buttermilch-Orange, Karotte-Buttermilch-Banane, Joghurt-Erdbeere und andere je nach Saison wechselnde Sorten. Das Eis wird mit großem Erfolg im Hofcafé an die zahlreichen Radfahrer und Skater verkauft. Aber die Landwirtschaft soll Basis des Unternehmens bleiben und nicht nur als Kulisse dienen. So sagt der Betriebsinhaber B. Kaemena: "Ich bin und bleibe Landwirt. Wir machen hier keine Bespaßung mit Kühe anfassen und Trecker fahren."

Damit wird deutlich, welche Potenziale Urbane AgriKultur für eine nachhaltige, resiliente Entwicklung von Städten und Stadtregionen hat. Sie kann ein Baustein für einen soziokulturellen Wandel sein, der von sozialen Innovationen und Experimenten der Bürgerschaft geprägt ist. Projekte der Urbanen AgriKultur können zur Erhöhung der Umwelt- und Lebensqualität im urbanen Raum beitragen. Vielfältige und veränderte Freiraumbedürfnisse werden befriedigt. Kommunen sollten überlegen wie sie dieses Phänomen unterstützen: ideell, monetär oder auch beratend durch einen festen Ansprechpartner oder Kümmerer von Seiten der Verwaltung.

Festzustellen ist: Die Projekte haben eine hohe biologische und kulturelle Diversität und Ambivalenz. Sie sind Orte der Produktion, aber auch des Genießens. Sie sind Sozialisations-, Erholungs- und Lernräume. Die Idee von Multifunktionalität bei der Nutzung von städtischen Flächen wird hier sichtbar.

Information

Ergebnisse dieses Arbeitsschrittes sind in einer ausleihbaren Ausstellung dargestellt. Sie ist modular angelegt und kann daher im Umfang und bei der Hängung unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Damit ist es auch möglich, sie mit neuen Beispielen und Reflektionen weiter wachsen zu lassen. Die Texte und Bilder sind auf wetterfestem, geösten Planstoff gedruckt und damit auch unterschiedlich zu fixieren. Sie kann drinnen und draußen gezeigt werden und ist als eine Wanderausstellung konzipiert. Kontaktmöglichkeit bei Ausleihinteresse: D.Janko@hs-osnabrueck.de.

Anmerkungen

1. vgl. Süddeutsche Zeitung, 30.05.2016.

2. vgl. Dell, 2013.

3. vgl. Heuschkel et al. 2015: Versuch einer interdisziplinären Typologie der urbanen Agrikultur. DGG-Proceedings, Vol. 5, Dec. 2015, No. 16, p. 1-5. DOI: 10.5288/dgg-pr-05-16-zh-2015.

 Daniel Janko
Autor

Dipl.- Ing. (FH)

Autor

Professor für Städtebau und Freiraumplanung

Hochschule Osnabrück
Prof. Verone Stillger
Autorin

Landschaftsarchitektin, BFSP Zukunft Lebensraum Stadt

Hochschule Osnabrück
Autor

Hochschule Osnabrück

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