Projekte für die Inseln der Artenvielfalt und Denkmalkultur
Historische Friedhöfe in England
von: Dipl.-Ing. Gartenbau Anke Bührmann
Insbesondere der im Norden Londons gelegene Friedhof Highgate wird oft als sehenswert genannt. Doch auch ein Besuch der anderen sechs bietet einen Einblick in die kulturelle Vergangenheit der Stadt. Gleichzeitig wird deutlich, wie sehr diese Friedhöfe auch sichere Zufluchtsorte für wildlebende Tiere in einer Metropole wie London sind. Die Tatsache, dass englische Friedhöfe zu einem großen Teil sich selbst überlassen wurden, ist ein großer Vorteil für Eichhörnchen, Fuchs und Co.
Andererseits birgt dieses Konzept auch Gefahren, denn viele alte und handwerklich beeindruckende Grabstätten sind dem Verfall preisgegeben. So wertvoll viele Pflanzen für wildlebende Tiere auch sind – manche wie der Efeu mit seinen Haftwurzeln können Sprengkraft entwickeln, wenn sie in Ritzen und Spalten alter Grabsteine, Mausoleen oder Tischgräber eindringen.
Bevölkerungswachstum in den Städten
Die Faszination für diese Stätten, die uns einen Blick in die Vergangenheit ermöglichen, ist auch in England groß. Das Bestreben, sie zu schützen, steigt auf der Insel ähnlich wie "auf dem Kontinent". In Deutschland haben sich zum Beispiel in Osnabrück Initiativen entwickelt, um den historischen Hasefriedhof und den Johannisfriedhof zu erhalten. Die beiden denkmalgeschützten Friedhöfe im südlichen Niedersachsen entstanden 1808 außerhalb der damaligen Stadtmauern. Bis dahin wurden die Menschen in Osnabrück in der Nähe der Kirchen, Krankenhäuser und Hospize bestattet. Platzmangel führte dazu, dass neue Friedhöfe vor den Mauern der Stadt entstanden.
Ähnlich war die Situation in England: Die Zahl der Einwohner in London war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einer Million auf rund 2,3 Millionen angewachsen. Außerdem stieg das Risiko für Krankheiten durch die zunehmend überlasteten Friedhöfe innerhalb des Stadtkerns. Auf Beschluss des Parlaments entstanden daher zwischen 1832 und 1841 sieben große Friedhöfe, die beinahe wie auf einem Ring verteilt um die damalige Londoner Innenstadt angeordnet waren.
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Zeitreise in die Vergangenheit
Die sieben neuen Friedhöfe entstanden schon kurz nach dem Parlamentsbeschluss: Der Kensal Green Cemetery bereits 1832, der West Norwood Cemetery 1837, der Highgate Cemetery 1839, der Abney Park Cemetery sowie der Nunhead und der Brompton Cemetery im Jahr 1840 und der Tower Hamlets Cemetery 1841. Mit ihren Mausoleen, Engelsfiguren und eindrucksvollen Grabmälern spiegeln die Magnificent Seven die Vorlieben der damaligen Zeit und auch den Wohlstand vieler Londoner wider. Die Bauten sind zum Teil von Stilrichtungen wie Neogotik und Greek Revival geprägt.
Die imposante Friedhofsarchitektur, die besondere Atmosphäre und auch die Gräber berühmter Persönlichkeiten wie von Karl Marx und seiner Familie auf dem Highgate Cemetery haben dazu beigetragen, dass einige Friedhöfe zu Sehenswürdigkeiten geworden sind. Die Bezeichnung der Magnificent Seven geht auf den Architekturhistoriker Hugh Meller zurück, in Anlehnung an den Film gleichen Namens. Ihre eindrucksvolle architektonische Gestaltung hat dazu beigetragen, dass dieser inoffizielle Name für die sieben Friedhöfe inzwischen häufiger genutzt wird. Meller veröffentlichte 1981 das Buch London Cemeteries mit einem Fokus auf die Architekturgeschichte der Londoner Friedhöfe.


Historische Friedhöfe als Kultur- und Naturerbe
Zusätzlich zu den zahlreichen eindrucksvollen Grabanlagen im viktorianisch-gotischen Stil sind diese einstigen Gartenfriedhöfe auch aus anderen Gründen interessant. Im frühen 20. Jahrhundert wurden einige der Friedhöfe nicht mehr gepflegt. Die einst planvoll gestalteten Anlagen wurden der Natur überlassen und Pflanzen überwucherten Grabsteine, Skulpturen und Katakomben. Sie verbinden somit Kultur und Natur auf besondere Weise.
Inzwischen wird verstärkt auf gefährdete Monumente auf Friedhöfen geachtet, auch von staatlicher Seite: Die 1983 entstandene Denkmalschutzbehörde Historic England führt Buch über historische Bauten und Denkmäler. Sie beschreibt sie und ihren jeweiligen Schutzstatus ausführlich im Internet. Bürger können erhaltenswerte und geschichtlich bedeutsame Gebäude vorschlagen. Doch der Erhalt ist damit nicht gesichert.
Die Erfassung und Dokumentation ist aber ein erster Schritt und trägt zur Wertschätzung des kulturellen Erbes in England bei. Ein Beispiel ist das 1837 gebaute und auffallend detailreiche Mausoleum von Andrew Ducrow und seiner Frau auf dem Kensal Green Cemetery. Es ist in sehr schlechtem Zustand, Teile der Skulpturen und Metalldekorationen fehlen und das Dach ist durch Pflanzen stark geschädigt. Es wurde deshalb von Experten als vordringlich für Erhaltungsmaßnahmen eingestuft, wie auf der Website von Historic England zu lesen ist – mit der Anmerkung, dass bisher keine Finanzierungsquellen dafür gefunden wurden.
Seit zwei oder drei Jahrzehnten steigt das Interesse an historischen Friedhöfen mit Blick auf ihre architektonische, soziale und ökologische Bedeutung. Kommunen und Gruppen von Freiwilligen engagieren sich auf vielfältige Weise für ihren Schutz: So haben die Freunde des Kensal Green Cemetery eine eigene sehr informative Website für "den prestigeträchtigsten Friedhof Großbritanniens" und die Friends of Brompton Cemetery bieten mehrmals im Jahr Führungen durch die Katakomben an.
Abney Park beeindruckt mit unkonventionellen Ideen wie dem Radical Writers Abney Park's 2025 Festival – inspiriert von Sozialreformern, Feministinnen und anderen politisch engagierten Menschen, die auf diesem Friedhof ihre letzte Ruhestätte haben.
Pflegeziel Biodiversität
Bescheidener und grüner als die "Glorreichen Sieben" sind viele der ländlich gelegenen englischen Friedhöfe. Ausgebildete Friedhofsgärtner in deutschem Sinne gibt es in England ebenso wenig wie die Friedhofspflicht. Das heißt jedoch nicht, dass die Friedhöfe nicht gepflegt werden. Im Idealfall erfolgt die Pflege so, dass eine Balance entsteht – ein Gleichgewicht zwischen den notwendigen Maßnahmen, die eine sinnvolle und sichere Nutzung gewährleisten, ohne dabei die Bedürfnisse des Arten- und Umweltschutzes aus den Augen zu verlieren.
Alte Friedhöfe in ländlichen Regionen sind aus Sicht der Naturschutz-Organisation Caring for God's Acre gewissermaßen Schatztruhen der Pflanzenwelt. Anders als landwirtschaftlich genutzte Flächen außerhalb der Dörfer ist der Boden zwischen den Gräbern für Jahrhunderte ungestört geblieben: Er wurde nicht gepflügt und ist auch nicht mit Pflanzenschutzmitteln oder Düngern in Kontakt gekommen. So können dort Samen über einen langen Zeitraum ungestört liegen, die dann keimen, wenn die Pflege entsprechend angepasst wird. Wenn beispielsweise gemähtes Gras und wuchernde Brombeersträucher entfernt werden, haben Wildblumen Licht und Luft, um zu keimen und zu wachsen. Dies macht diese ungestörten Böden zu einer Art Samenbank von Mutter Natur. Harriet Carty, die Direktorin von Caring for God's Acre, drückte es so aus: "Friedhöfe sind Noahs Arche für die Artenvielfalt".
Für Pflanzen und Tiere, die von zunehmender Bebauung, Flächenversiegelung und landwirtschaftlicher Bodennutzung verdrängt werden, sind Friedhöfe wertvolle Zufluchtsorte. Dazu kommt, dass sie eine Fülle an unterschiedlichen Mikrohabitaten bieten. Auf Grabsteinen finden sich Flechten, auf Mauern wachsen Moose, Steinbauten bieten Verstecke und Unterschlupfmöglichkeiten für Eidechsen, Amphibien und kleine Säugetiere, alte Bäume sind wertvoll für Fledermäuse und Vögel. Die oft auf englischen Friedhöfen gepflanzten, zum Teil uralten Eiben bieten Vögeln Schutz und Nahrung.




Friedhofsschutz auf nationaler und internationaler Ebene
Die Initiative Caring for God's Acre geht zurück auf das zeitlich begrenzte National Living Churchyard and Cemetery Project (LCCP): Sie entstand im Jahr 2000 mit dem Ziel, sich landesweit für den Schutz der Natur auf Friedhöfen einzusetzen, die Begräbnisstätten zu erhalten und die Menschen zu unterstützen, die sie pflegen. Die Stiftung bietet Natur- und Friedhofsfreunden eine Fülle an Unterstützung und Informationen. Sie entwickelt auch Pflegepläne für Friedhofsflächen, um die Artenvielfalt zu fördern und gleichzeitig den Friedhof für Besucher und Angehörige der dort Bestatteten zugänglich zu machen.
Im Internet kann Informationsmaterial heruntergeladen werden, Interessenten bekommen regelmäßig Newsletter und jedes Jahr im Juni organisiert die Stiftung die Love your Burial Ground Week. Sie beinhaltet auch Citizen-Science-Projekte und Angebote für Schulen. Veranstaltungen finden vor Ort statt, doch es gibt in der Woche auch Weiterbildungsmöglichkeiten in Form von Webinaren rund um den Naturschutz auf Friedhöfen. Die Website der Stiftung bietet zudem – ansprechend aufbereitet – Umweltwissen und Anregungen für Erwachsene und für Kinder. Viele kleinere und ländliche Friedhöfe werden von Freiwilligen gepflegt oder geschützt. Das können Kirchenmitglieder sein oder auch Menschen, die etwas für ihre Gemeinde tun wollen, aber nicht an Gottesdiensten teilnehmen.
Lernen durch Wettbewerbe
Das Bewusstsein für die Bedeutung der Friedhöfe beziehungsweise der Gottesäcker zum Schutz der biologischen Vielfalt war bereits früh vorhanden, hatte jedoch nicht die umfangreiche landesweite Unterstützung wie heute. Die auf Naturgeschichte spezialisierte Autorin Francesca Greenoak veröffentlichte schon 1985 das faktenreiche Buch God's Acre – The flowers and animals of the parish churchyard. In ihm stellte sie ausführlich die Bedeutung von God's Acre – Gottes Acker – für die Tier- und Pflanzenwelt vor.
Greenoak beschrieb unter anderem eine regionale Initiative, die sich zwar in erster Linie dem Naturschutz im Allgemeinen verschrieben hatte, jedoch auch Interessenten vor Ort darüber informierte, wie ein Friedhof umwelt- und tiergerecht gepflegt werden kann. Dazu gehörte auch ein Friedhofswettbewerb, der 1983 begann und Maßnahmen für den Artenschutz und die Biodiversität bewertete. Der Wettbewerb existiert auch heute noch auf regionaler Ebene. Die Juroren besuchen die Teilnehmer:innen und beraten sie auch, um noch besser zu werden.
Dass selbst kleine und fast vergessene Friedhöfe große Bedeutung haben können, zeigt der Ascension Burial Ground in Cambridge. Er ist nur etwa einen halben Hektar groß und beeindruckt mit der wohl größten Dichte an "IQ pro Quadratmeter". Der verwunschen wirkende Friedhof liegt etwas versteckt und gilt als "schlauster Friedhof Englands", weil auf ihm mehrere Nobelpreisträger und andere Wissenschaftler begraben sind.
Die Entstehung des Ascension Burial Ground geht auf das Jahr 1861 zurück. Seitdem wurden hier viele Professoren und andere Mitarbeiter der Universität Cambridge beerdigt. Das schlichte, kaum zu erkennende Grab des aus Österreich stammenden Philosophen Ludwig Wittgenstein gehört zu den berühmtesten. Doch auch die weniger bekannten Namen sind von großer Bedeutung. In einem Friedhofsführer sind 50 Persönlichkeiten aufgelistet, die im universitären Leben und der Wissenschaft eine bedeutende Rolle gespielt haben.


Viel privates Engagement
Laut Aussage der Friends of the Parish of the Ascension Burial Ground (FBABG) ist der innenstadtnahe und somit auf wertvollem Bauland liegende Friedhof vor Bebauung geschützt. Er ist eine wichtige grüne Oase für die Stadt und beherbergt eine große Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten. Schon 1998 wurde der Friedhof deshalb als städtisches Naturschutzgebiet (City Wildlife Site, CiSW) ausgewiesen. Die Friedhofsfreunde pflegen den Burial Ground so, dass er als Ort der Erinnerung erhalten bleibt und gleichzeitig einer Fülle an Pflanzen und Tieren Raum gibt. Sie beobachten und dokumentieren die Entwicklung von Flora und Fauna und sind Mitglied in der National Federation of Cemetery Friends (NFCF), dem nationalen Verband der Friedhofsfreunde.
Manchmal sind auch alte bekanntere Friedhöfe in großer Gefahr: Wenn sie nicht mehr für ihren ursprünglichen Zweck genutzt werden, liegt es nahe, sie umzuwandeln und die Flächen anderweitig und möglichst gewinnbringend zu nutzen. Das Bestreben, historische Friedhöfe aus der viktorianischen Zeit als Kulturgut und naturnahe Grünzonen im städtischen Raum zu erhalten, hat dazu beigetragen, dass engagierte Bürger 1986 die NFCF gründeten. Dieser mittlerweile landesweit tätige Verband hatte anfangs kaum mehr als zehn Mitglieder. Inzwischen umfasst er rund 140 Gruppen in ganz Großbritannien, die sich mit viel Einsatz um Friedhöfe kümmern. Außerdem hat der NFCF Kooperationspartner mit ähnlichen Interessen. Zu den Mitgliedern zählen auch Gemeinden, die dabei sind, "Cemetery Friends"-Gruppen zu gründen, sowie interessierte Einzelpersonen.
Beratung auch auf politischer Ebene
Die National Federation of Cemetery Friends ist in der Burial and Cremation Advisory Group (BCAG) vertreten, einer Gruppe, die das Justizministerium bei Themen rund um Erd- und Feuerbestattungen berät. Außerdem hat der Verband Forschungsarbeiten im Bereich von Friedhofsverwaltung und Bestattungsrecht mit seinem Wissen unterstützt. Basierend auf ihren umfangreichen Erfahrungen hat die NFCF das Handbuch Saving Cemeteries herausgegeben. Es hilft dabei, erfolgreich Gruppen zum Schutz von Friedhöfen zu etablieren, Ideen für Projekte zu entwickeln und Fundraising zu betreiben. So hat der Verband seit 1986, aus kleinsten Anfängen, eine beachtliche Entwicklung hinter sich. Die über die Jahre gestiegene Zahl der Mitglieder hilft, historische Friedhöfe zu schützen und spiegelt auch die zunehmende Wertschätzung dieser historisch und ökologisch bedeutsamen Erinnerungsorte wider.
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